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Affäre Tancsits: Zivilrechtliches Verfahren beendet

SOS Meinungsfreiheit – 4. Akt

Veröffentlicht am 7. Juli 2006
Aus rein finanziellen Überlegungen beschloss die HOSI Wien, sich in der Affäre Tancsits das zivilrechtliche Verfahren durch Vergleich vom Hals zu schaffen, um sich voll auf das strafrechtliche Verfahren konzentrieren zu können. Folglich musste ich meine Aussage widerrufen, was ich indes nur halbherzig und eben ganz pragmatisch tat, wie ich den LN 4/2006 ausführte.

Am 8. Mai 2006 fand am Handelsgericht Wien die zivilrechtliche Verhandlung in den vom ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits gegen die HOSI Wien und ihren Obmann CHRISTIAN HÖGL und den Autor dieser Zeilen angestrengten Verfahren statt. Da, wie berichtet (LN 3/2006, S. 6 ff), nach der Aufhebung des ursprünglichen Freispruchs im Strafverfahren durch das Oberlandesgericht ich und die HOSI Wien als Medieninhaberin im April 2006 in neuerlicher Verhandlung am Landesgericht verurteilt wurden und da der zivilrechtliche Senat des OLG den von Tancsits eingebrachten Anträgen auf Erlassung einstweiliger Verfügungen im Februar 2006 ebenfalls stattgegeben hatte, war von vornherein klar, dass das Handelsgericht, das seinerzeit zumindest einen von Tancsits’ Anträgen auf EV noch abgewiesen hatte, uns im zivilrechtlichen Verfahren in erster Instanz ebenfalls verurteilen musste.

Wir hatten also die Wahl, aus dem zivilrechtlichen Verfahren gleich auszusteigen oder die Sache wie im Strafverfahren durch alle Instanzen bis nach Straßburg durchzukämpfen. Da im zivilrechtlichen Verfahren mit dem Obersten Gerichtshof sogar noch eine dritte innerstaatliche Instanz dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgeschaltet wäre, hätten wir allein für das zivilrechtliche Verfahren bis Straßburg weitere € 11.000,– budgetieren müssen. Da wir dieses zweite Verfahren nicht vorfinanzieren wollten, weil es einfach zu viele Vereinsmittel auf Jahre gebunden hätte – und ich privat auch nicht so viel Geld besitze –, beschloss der Vorstand der HOSI Wien einstimmig, sich das Zivilverfahren vom Hals zu schaffen.

Es blieb uns also nichts anderes übrig, als mit Tancsits einen Vergleich zu schließen und die inkriminierten Aussagen zu widerrufen (siehe Qu(e)erschuss auf S. 15). Zwar hatten wir ihm in der Verhandlung am Handelsgericht vorgeschlagen, das zivilrechtliche Verfahren bis zur strafrechtlichen Entscheidung in Straßburg einfach ruhen zu lassen, aber Tancsits’ Anwalt hat das abgelehnt – es geht Tancsits offenbar nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern nur darum, seine Ansicht mit allen Mitteln durchzusetzen. Da scheute er auch nicht davor zurück, die fehlenden wirtschaftlichen Möglichkeiten der HOSI Wien und von mir auszunutzen, um diesen Widerruf zu erreichen. Dieser erfolgte am 6. Juni und wurde über das Original-Text-Service der Austria Presse Agentur verbreitet. Unseres Wissens hat außer dem ÖVP-nahen Neuen Volksblatt kein Medium darüber berichtet. Dumm ist bloß, dass wir jetzt auf den bisherigen Kosten des Zivilverfahrens (rund € 3.500,–) sitzenbleiben, selbst wenn wir das strafrechtliche Verfahren dann in Straßburg gewinnen. In diesem Fall werden wir aber Tancsits und die ÖVP auffordern, uns diese Summe zurückzuzahlen.

Hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung sind sich die RichterInnen bekanntlich uneinig. Im Strafverfahren wurden wir im Vorjahr am Landesgericht durch Richterin Natalia Frohner freigesprochen, wogegen Tancsits berief. In der Folge hob das Oberlandesgericht (RichterInnen Körber, Röggla und Wachberger) den Freispruch auf. Das Landesgericht musste uns daher verurteilen, was im April 2006 erfolgte. Richterin Nina Steindl tat dies indes eher lustlos und nicht wirklich überzeugt bzw. überzeugend – diesen Eindruck erweckt jedenfalls ihre Urteilsausfertigung. Steindl hob darin sogar ausdrücklich hervor, dass sie mich in Fragen der NS-Entschädigung als besser informiert – und damit glaubwürdiger – als Tancsits betrachte, dessen diesbezüglichen Aussagen sie ausdrücklich keinen Glauben schenkte. Eine Ohrfeige für Tancsits – und wohl auch Ausdruck leisen Protests dagegen, vom OLG dazu gezwungen worden zu sein, uns zu verurteilen.

 

Kritik an Verurteilung

Die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte, die einen Beobachter zu den beiden Hauptverhandlungen im April 2005 und im April 2006 entsandt hatte, hat übrigens unsere Verurteilung in einer Stellungnahme am 5. Mai 2006 kritisiert.

Durch die Beendigung des zivilrechtlichen Verfahrens können wir uns jetzt voll auf das strafrechtliche konzentrieren, das wir jedenfalls bis zum EGMR durchkämpfen werden. Die Kosten für dieses Verfahren werden sich wohl auf mehr als € 10.000,– belaufen. Diese werden wir aber auf jeden Fall aufbringen, da wir angesichts der etablierten Judikatur des EGMR zu 95 Prozent damit rechnen, in Straßburg schließlich recht zu bekommen. Und in diesem Fall muss uns die Republik, also der Steuerzahler, sämtliche Kosten des Strafverfahrens ersetzen.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Auch die in London ansässige NGO ARTICLE 19 – Global Campaign for Free Expression hat in ihrer Stellungnahme an den UNO-Ausschuss für Menschenrechte die Verurteilung der HOSI Wien und von mir kritisiert (vgl. LN 2/2007, S. 12 f und Aussendung der HOSI Wien vom 23. März 2007). Die HOSI Wien hat weiters dem  Ergänzungstreffen der Menschlichen Dimension der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), das vom 29. bis 30. März 2007 in Wien stattfand, eine schriftliche Stellungnahme vorgelegt (vgl. Aussendung der HOSI Wien vom 31. März 2007 und späteren Bericht in den LN 3/2007, S. 15).

Die Vorgeschichte – Akt 1, Akt 2 und Akt 3 – findet sich in den LN 3/2005, den LN 4/2005 und den LN 3/2006.

Und hier geht‘s zum 5. und letzten Akt der Tancsits-Saga!