AIDS: Aufklärung und Information allein genügen nicht
Das wirksamste Mittel im Kampf gegen AIDS ist die rechtliche und soziale Gleichstellung der Homosexuellen!
Aufklärung und Information sind wichtige Grundpfeiler der AIDS-Prophylaxe. Ebenso die Schaffung eines möglichst angstfreien Klimas, sodaß sich Gefährdete und Angehörige sogenannter Risikogruppen nicht in ihrer sozialen Existenz bedroht fühlen müssen. Beide diese für die AIDS-Prävention so bedeutsamen Bereiche sind in Österreich eigentlich zufriedenstellend verwirklicht worden – nicht zuletzt dank der hervorragenden Arbeit der Österreichischen AIDS-Hilfe. Das erwähnte angstfreie soziale Klima ist einerseits von größter Bedeutung für die Motivierung der gefährdeten Personen, ihr Wissen über AIDS und die Ansteckungsrisiken in ihre Lebensweise entsprechend einzubringen. Die Umsetzung dieses Wissens hängt aber nicht nur von den für diese Motivierbarkeit verantwortlichen äußeren Umständen und Einflüssen ab, sondern ganz besonders auch davon, ob es den gefährdeten Personen überhaupt möglich ist, die notwendigen vorbeugenden Schritte zu verwirklichen.
Besieht man sich die Lage der gefährdeten Personen aus der Nähe, muß man allerdings leider feststellen, daß dies in sehr vielen Fällen – auch beim besten Willen und der größten Motivation – nicht durchführbar ist. Denn die hier wirkenden „Sachzwänge“ und äußeren Einflüsse können vom einzelnen nicht so ohne weiteres überwunden werden.
Hier genügt es nicht, Informationsbroschüren zu drucken und zu verteilen und sich mit Händen und Füßen gegen das Aufkeimen des AIDS-Faschismus an allen Ecken und Enden zu wehren – hier müssen zusätzliche „flankierende Maßnahmen“ gesetzt werden, soll die AIDS-Prävention schließlich erfolgreich sein. Dies gilt für alle Risikobereiche.
So erscheint es fast zynisch, den Intravenös-Drogenabhängigen zu raten, doch Einwegspritzen und -nadeln zu verwenden, ohne dafür zu sorgen, daß sie sich diese auch problemlos besorgen können – ohne dabei gleich festgenommen zu werden. Außerdem wird man realistischerweise nicht darum herumkommen, Drogensucht als soziale Erscheinung zu akzeptieren und sich darauf einzustellen: also „gesunde Sucht“ ermöglichen, anstatt die Sucht total „abschaffen“ zu wollen, was ja unrealistisch ist.
Auch Prostituierte werden sich durch wohlmeinende Appelle, im Falle einer HIV-Infektion doch aus dem Gewerbe auszusteigen, bloß gefrotzelt vorkommen, haben sie doch durch allerlei behördliche Schikanen kaum Aussicht, den Umstieg in ein bürgerliches Leben zu schaffen. Außerdem bedeutet der Ausstieg oft auch einen unzumutbaren finanziellen Abstieg. Prostituierte müssen zwar einerseits Steuern zahlen, haben auf der anderen Seite jedoch keinerlei Rechte, etwa eine gesetzliche Sozialversicherung.
Frauen werden sich ebenfalls oft schwertun, die wohlgemeinten Präventionsbotschaften zu verwirklichen und etwa die Verwendung eines Präservativs durch ihren Partner durchzusetzen. Natürlich werden da jetzt wieder welche meinen, keine Frau ist gezwungen, mit einem Mann zu schlafen, der kein Kondom verwenden will. Ja, das Leben sieht aber eben anders aus, die Umstände, die sind halt nicht so, daß die Frauen im allgemeinen so selbstbewußt sind bzw. sein können, ihre Wünsche durchzusetzen.
Und was die am stärksten von HIV/AIDS betroffene Gruppe, die homosexuellen Männer, betrifft, ist das nicht anders: Auch sie müssen die guten Ratschläge, doch weniger promisk zu sein und sich auf wenige oder am besten nur einen Partner zu beschränken, eher als Hohn empfinden. Denn den wenigsten Homosexuellen ist es vergönnt, in einer sozialen Lage zu sein, in der sie offen homosexuell leben können. Unsere Gesellschaft macht es den meisten homosexuellen Frauen und Männern unmöglich, in einer Zweierbeziehung zusammenzuleben. Solange Homosexuelle aus Angst vor sozialer Isolierung oder Arbeitsplatzverlust keine festen Partnerschaften eingehen können, werden sie auf wechselnde Partner angewiesen und somit einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sein.
Broschüren zu produzieren und anonyme Beratungsstellen zu errichten ist sicherlich ein wertvolles Verdienst, für das man der AIDS-Hilfe und manchen Gesundheitsbehörden nicht dankbar genug sein kann, doch der Erfolg des jetzt eingeschlagenen Weges wird auf lange Sicht wesentlich davon abhängen, ob und in welchem Umfang die „flankierenden Maßnahmen“ gesetzt werden, durch die die Hindernisse aus dem Weg geräumt werden sollen, die heute noch viele Gefährdete wider besseres Wissen und trotz vorhandener Eigenverantwortlichkeit und Motivation davon abhalten, wichtige präventive Maßnahmen in ihrem persönlichen Lebensbereich zu verwirklichen.
Das wirksamste Mittel im Kampf gegen AIDS ist die rechtliche und soziale Gleichstellung der Homosexuellen!
Dies mag den am Kampf gegen AIDS beteiligten Personen und Institutionen wohl einleuchten, dennoch besteht die große Gefahr, daß die notwendigen flankierenden Maßnahmen auf „später“ vertagt (weil, obwohl es schon höchste Zeit ist, diese noch nicht reif ist) oder verdrängt werden (weil man vor dieser schier undurchführbaren Aufgabe kapituliert). Selbst wenn diese flankierenden Maßnahmen, d. h. die völlige rechtliche und soziale Gleichstellung Homosexueller und ihrer Lebensformen mit Heterosexuellen, speziell bei der österreichischen Ausgangslage, utopisch und auf absehbare Zeit unrealisierbar erscheinen, müssen wir uns vor Augen halten, daß das Setzen dieser Maßnahmen heute und nicht in zehn Jahren notwendig ist und über Wohl und Weh der gesamten AIDS-Prävention entscheiden wird. Außerdem zeigen ausländische Beispiele, daß Schritte in diese Richtung keine Utopie bleiben müssen.
Zwei Staaten in Europa haben bereits bewußt diesen Weg eingeschlagen: Dänemark und Schweden. Beide Länder haben in jüngster Zeit ausdrücklich unter Hinweis auf die Zurückdrängung der AIDS-Gefahr Gesetze erlassen, die auf die schrittweise rechtliche und soziale Gleichstellung von homosexuellen mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften abzielen. Sowohl Dänemark als auch Schweden haben ihre Antidiskriminierungsgesetze auf Homosexuelle ausgedehnt (vgl. LN 3/1987). Dänemark hat darüber hinaus das Erbschaftssteuergesetz so novelliert, daß homosexuelle Lebensgemeinschaften der Ehe gleichgesetzt wurden (während heterosexuelle Lebensgefährten in diesem Recht nur denselben Status haben wie nichtverwandte Personen des Erblassers, was sich vor allem in der Höhe des Erbschaftssteuersatzes auswirkt).
Schweden wiederum hat ein eigenes „Gesetz über homosexuelle Lebensgemeinschaften“ verabschiedet, durch das diese ab 1. 1. 1988 den heterosexuellen Lebensgemeinschaften in neun Gesetzen und gesetzlichen Bestimmungen gleichgestellt werden. Alles, was z. B. im „Gesetz über das gemeinsame Heim zusammenlebender Personen“ oder im gesamten Erbrecht für heterosexuelle Lebensgemeinschaften gilt, gilt ab nächstem Jahr auch für homosexuelle.
Auch in Österreich wird man nicht darum herumkönnen, die rechtliche und soziale Lage der Homosexuellen zu verbessern, will man in den bisherigen Bemühungen im Kampf gegen AIDS glaubwürdig bleiben. In diesem Zusammenhang kommt auch der Schwulen- und Lesbenbewegung die Aufgabe zu, ihre Forderungen zu präzisieren und nicht müde zu werden, sie lautstark und vehement zu vertreten.