SOS Meinungsfreiheit: Strafrechtliche Sanktionen bei Verhetzung, nicht aber bei übler Nachrede!
Thomas Hammarberg, Menschenrechtskommissar des Europarats, stattete vom 21. bis 25. Mai 2007 Österreich einen Besuch ab, um sich einen Überblick über die Lage der Menschenrechte hierzulande zu verschaffen und im Anschluss daran einen Bericht darüber zu erstellen. Hammarberg hatte es sich zum Ziel gesetzt, während seiner sechsjährigen Amtsperiode über jeden der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats einen solchen Bericht zu verfassen.
FOTO: CHRISTIAN HÖGL
Am 12. Dezember 2007 veröffentlichte Thomas Hammarberg, Menschenrechtskommissar des Europarats, den Bericht über seinen Besuch in Österreich vergangenen Mai. Darin hat er erfreulicherweise auch Forderungen der HOSI Wien aufgegriffen und unterstützt. Die HOSI Wien hatte ihm bereits im Vorfeld im April 2007 ihre wichtigsten Anliegen schriftlich übermittelt. Wie berichtet (vgl. LN 4/2007, S. 18), nahm dann Obmann CHRISTIAN HÖGL für die HOSI Wien am Treffen zwischen NGO-VertreterInnen und Hammarberg am 21. Mai 2007 in Wien teil.
„Insbesondere freuen wir uns über seine Empfehlung, Österreich möge die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Verleumdung aufheben und die zivilrechtlichen Bestimmungen überprüfen, um sicherzustellen, dass keine überschießenden Sanktionen verhängt werden“, erklärte Högl in einer Medienaussendung der HOSI Wien am 13. Dezember. (Siehe insbesondere Randnummer 43 und Empfehlung Nr. 8 in Hammarbergs Bericht.)
Die Abschaffung bzw. Reform der §§ 111 und 115 StGB (üble Nachrede und Ehrenbeleidigung) ist nicht nur eine Forderung der HOSI Wien, sondern auch Beschlusslage des Europarats und der OSZE. Bereits am 4. Oktober 2007 hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats eine entsprechende Entschließung verabschiedet, mit der alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarats aufgefordert werden, unverzüglich Freiheitsstrafen für Verleumdungstatbestände abzuschaffen (Punkt 17.1). Der entsprechende Bericht dazu (Dok. 11305) – verfasst vom sozialdemokratischen Abgeordneten Jaume Bartumeu Cassany aus Andorra für den Ausschuss für Recht und Menschenrechte – war bereits am 25. Juni 2007 veröffentlicht worden (vgl. LN 6/2007, S. 11 f).
Justizministerin gefordert
„Diese Forderung ist uns deshalb ein so wichtiges Anliegen, weil die HOSI Wien selbst Opfer dieser Bestimmungen wurde. Zwar haben wir die Klagen des Ex-ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits vergangenen Juli letztendlich gewonnen, aber die Vorfinanzierung der Verfahren war nur unter Aufbietung all unserer finanziellen Reserven und durch eine Darlehensaufnahme möglich“, berichtete Obfrau UTE STUTZIG (vgl. LN 5/2007, S. 6 f). „Das gesamte Prozessrisiko belief sich immerhin auf rund € 25.000, da wir sowohl straf- als auch zivilrechtlich geklagt wurden. Es ist völlig inakzeptabel, dass kritische NGOs Selbstzensur üben oder auf Kritik und die Inanspruchnahme ihrer Menschenrechte verzichten müssen, um sich ja nicht dem Risiko einer existenzvernichtenden Klagsflut durch kritisierte PolitikerInnen auszusetzen. Diese – insbesondere von der FPÖ praktizierte – Methode, KritikerInnen durch zivil- und strafrechtliche Klagen bewusst mundtot zu machen bzw. in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, haben ja bereits die drei von den EU-14 im Jahr 2000 eingesetzten Weisen in ihrem Bericht angeprangert.“ (Anmerkung: siehe insbesondere die Punkte 93, 96, 97, 98 sowie 100–103 des Weisenberichts.)
„Wir haben Hammarbergs Bericht zum Anlass genommen, neuerlich an Justizministerin Maria Berger zu appellieren, den Empfehlungen des Europarats in dieser Frage so rasch wie möglich nachzukommen“, erklärte Högl weiter. Diese Forderung hatte die HOSI Wien bereits im März 2007 bei ihrem Gesprächstermin mit der Ministerin deponiert (vgl. LN 3/2007, S. 10).
Dringender Handlungsbedarf besteht auch in Sachen Antidiskriminierung. Auch hier hat Hammarberg eine HOSI-Wien-Anregung aufgegriffen: Er empfiehlt den österreichischen Behörden, „die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung zusammenzufassen und effiziente, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen“ (Empfehlung Nr. 14). Eine solche Vereinheitlichung des Diskriminierungsschutzes hat übrigens der UNO-Menschenrechtsausschuss bereits vergangenen Oktober von Österreich verlangt. (Vgl. LN 6/2007, S. 14).
Protokoll 12 zur EMRK versus EU-Grundrechtecharta
In seinem Bericht fordert Hammarberg weiters auch die Ratifizierung des Protokolls Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch Österreich (Empfehlung Nr. 1) – ebenfalls eine langjährige Forderung der HOSI Wien. Dieses Zusatzprotokoll sieht ein allgemeines Diskriminierungsverbot vor, unabhängig von einzelnen, in der Konvention ausdrücklich vorgesehenen Menschenrechten. Es ist eigentlich eine Schande, dass Österreich dieses Protokoll aus dem Jahr 2000 immer noch nicht ratifiziert und damit für Österreich verbindlich gemacht hat. Für die BürgerInnen wäre dies viel wichtiger als die EU-Grundrechtecharta, die im Dezember 2007 gemeinsam mit dem EU-Reformvertrag unterzeichnet worden ist. Denn im Gegensatz zu dieser Charta, deren Nichtdiskriminierungsartikel (Nr. 21) nur für die Anwendung von EU-Recht durch die EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten gilt (Artikel 51), würde das allgemeine Diskriminierungsverbot des Zusatzprotokolls auf alle Rechtsbereiche anwendbar sein, also auch auf jene, die nicht in die Zuständigkeit der EU fallen, etwa das Familienrecht. Wenn Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Außenministerin Ursula Plassnik im Rahmen der Unterzeichnung des EU-Vertrags von Lissabon die Bedeutung der EU-Grundrechtecharta besonders hervorgehoben haben, zugleich jedoch Österreich das Protokoll 12 zur EMRK nicht ratifiziert, machen sie sich in höchstem Maße unglaubwürdig.
Im Gegensatz zur EU-Grundrechtecharta ist „sexuelle Orientierung“ als zu schützender Grund im Protokoll 12 zur EMRK nicht ausdrücklich angeführt, aber im Begriff „anderer Status“ mitgemeint, wie aus den Erläuterungen zu diesem Protokoll eindeutig hervorgeht (Randnummer 20).
Schutz vor Verhetzung
Während die HOSI Wien für die Aufhebung der Verleumdungstatbestände (üble Nachrede bzw. Ehrenbeleidigung) im Strafrecht eintritt – sie gehören ausschließlich ins Zivilrecht –, ist es eine ihrer langjährigen Forderungen, dass der Tatbestand der Verhetzung im § 283 StGB auf Hetze und Gewaltaufrufe gegen Lesben und Schwule ausgeweitet wird. Außerdem sollte bei der Strafbemessung durch eine entsprechend höhere Strafe dem Umstand Rechnung getragen werden, wenn eine Körperverletzung bzw. eine Straftat antisemitisch, ausländerfeindlich oder homophob motiviert ist.
Wie wichtig eine solche Novellierung des § 283 StGB wäre, zeigte sich am 5. Dezember 2007, als der FPÖ-Abgeordnete Karlheinz Klement in einer völlig durchgeknallten Rede im Nationalrat u. a. meinte, Homosexuelle seien rund dreimal so oft pädophil als Heterosexuelle und begingen – obwohl sie nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachten – 49 Prozent aller Kindesmissbräuche. Außerdem könne die homosexuelle Neigung wie auch Pädophilie geheilt werden. Klement, dessen Intelligenzquotient offenkundig unter der Nachweisbarkeitsgrenze liegt, bezieht sich auf einen nicht näher bezeichneten „Gay-Report“. Total bescheuerter O-Ton Klement: „Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen sexuellem Kindesmissbrauch und Homos, und im Gay-Report geben 73 Prozent aller Homos an, dass sie gierig auf Sex mit Jugendlichen oder noch jüngeren Buben waren und sich an ihnen sexuell vergangen haben.“ (Vgl. auch Aus dem Hohen Haus auf S. 8.)
Nach diesen unglaublichen Entgleisungen des FPÖ-Abgeordneten drängte die HOSI Wien in einer Medienaussendung am 7. Dezember auf eine rasche Ausweitung des Tatbestands im § 283 auf homophobe Verhetzung: „Wir haben diese Forderung auch bei unserem Antrittsbesuch bei Justizministerin Maria Berger im März dieses Jahres erhoben. Wie uns das Justizministerium später mitteilte, ist für 2008 eine Novellierung des § 283 StGB geplant. Die unerträgliche Hassrede des FPÖ-Abgeordneten Klement zeigt einmal mehr deutlich, wie notwendig und dringlich es ist, in diesem Zusammenhang den Schutz vor homophober Verhetzung in diese Bestimmung aufzunehmen. In diesem Sinne haben wir uns daher jetzt neuerlich an die Justizministerin gewandt.“
Geistiger Geisterfahrer
Klement war aber nicht der einzige, dem in letzter Zeit die offenbar persönlichen Probleme mit der Homosexualität ein Schnippchen mit massenmedialen Folgen schlugen. Völlig unmotiviert meinte etwa ASFINAG-Vorstandsmitglied Klaus Schierhackl auf einer Pressekonferenz am 29. November 2007 auf die Frage, ob und wie er sich eine Zusammenarbeit mit den ÖBB vorstellen könne, u. a.: „Ich hab mir noch alles vorstellen können, außer Homosexualität.“
Die HOSI Wien zeigte sich in einer am selben Tag ausgeschickten Medienaussendung über diese – im Vergleich zu den späteren Aussagen Klements harmlose – Äußerung fassungslos: „Davon abgesehen, dass diese Bemerkung im Kontext völlig deplatziert war, stellt sie eine Beleidigung von Lesben und Schwulen dar. Herr Schierhackl mag in seiner Vorstellungskraft beschränkt sein – Homosexualität gibt es dennoch. Auch unter den KundInnen der ASFINAG, für dessen Betreuung Herr Schierhackl dem Vernehmen nach zuständig ist.“
Und: „Besonders bedenklich finden wir diese Äußerung auch im arbeitsrechtlichen Zusammenhang. Nach dem Gleichbehandlungsgesetz haben Arbeitgeber u. a. diskriminierendes Verhalten wegen sexueller Orientierung zu unterlassen und ihre Beschäftigten davor zu schützen. Was für ein Zeichen ist das für die sicher auch in der ASFINAG tätigen schwulen und lesbischen MitarbeiterInnen, wenn einer ihrer obersten Chefs im Radio solche Stammtischparolen poltert?“
Die HOSI Wien forderte eine öffentliche Entschuldigung. Dieser Aufforderung kam die ASFINAG noch am selben Tag nach. In expliziter Reaktion auf die HOSI-Wien-Aussendung schickte die ASFINAG eine OTS-Meldung über die Austria-Presse-Agentur (APA) aus, in der es hieß: „Sollte Herr Schierhackl mit dieser rein persönlichen Aussage jemanden verletzt habe, bedauert er diesen Spruch. Das war keineswegs seine Absicht.“
Nachträgliche Anmerkung: Dass in den Beiträgen einmal von 46 und dann wieder von 47 Mitgliedsstaaten des Europarats die Rede ist, liegt am Erscheinungsdatum der Beiträge und am Umstand, dass Montenegro am 11. Mai 2007 als 47. Mitgliedsstaat in den Europarat aufgenommen wurde.