30 Jahre HOSI Wien – Rosa Wirbel und anderer Aktionismus
Seit Jahren bemühen sich einige Leute in Wien, die Geschichte der Wiener und österreichischen Lesben- und Schwulenbewegung in eine bestimmte Richtung hin zu verfälschen. Diese Tendenz war schon in der Publikation Der andere Blick (2001) oder im Katalog zur Ausstellung „geheimsache:leben“ (2005/06) stark zu spüren, ist aber bereits ein viel älteres Phänomen. Auch die jüngste Publikation über die Geschichte der Bewegung (Stonewall in Wien 1969–2009, vgl. LN 4/2009, S. 18) schlägt einmal mehr in dieselbe Kerbe, was aber nicht weiter erstaunlich ist, handelt es sich doch zum Teil immer um dieselben Autoren.
Leider hat sich diese einseitige bis verfälschende Geschichtsschreibung auch im Mainstream, also außerhalb der Bewegung verfestigt. Und das macht die Sache besonders ärgerlich. Denn all die korrigierenden Leserbriefe und Gegenkommentare, die wir im Laufe der Jahrzehnte schon geschrieben haben, scheinen dem einmal in die Welt gesetzten Mythos nichts mehr anhaben zu können. Offenbar müssen wir als HOSI Wien die Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung in Wien und Österreich selber nochmals neu schreiben.
Worum geht es konkret? Als bestes Beispiel zur Illustration dieser Geschichtsfälschung bzw. dieses Mythos kann ein Zitat aus dem doppelseitigen „Geschichtsbericht“ Hinter dem Regenbogen von Christopher Wurmdobler im Falter # 27/2009 vom 1. Juli dienen, den er anlässlich der Regenbogenparade und des Jubiläums 40 Jahre Stonewall verfasst hat. Er schreibt: „Die HOSI [Wien] betrieb schon damals [1981] wie heute vor allem Lobbyarbeit… Einer linken Gruppierung war das offenbar zu wenig Anarchie und Aktionismus. Der kam mit Rosa Wirbel, manifestierte sich durch skandalisierte Flitzerauftritte beim Neujahrskonzert oder dem Opernball und führte 1983 schließlich zur Gründung des Lesben- und Schwulenhauses Rosa Lila Villa.“
Mythenbildung
Dies ist eine tendenziöse Mythenbildung: da die biedere HOSI Wien, die brav Lobbyarbeit betreibt, dort die linken, radikalen, anarchistischen AktivistInnen, die dann die Rosa Lila Villa gründen – das stimmt einfach nicht! Und auch vieles andere nicht: So war die Aktion am Opernball 1982 gar keine Flitzeraktion, beide Aktionen firmierten auch nicht unter dem Namen „Rosa Wirbel“, diese Bezeichnung kam erst im April 1982 in Verwendung. Wurmdobler hat diese falschen Informationen offensichtlich der Publikation Stonewall in Wien 1969–2009 entnommen, in der u. a. auch der Unsinn steht, die HOSI Wien hätte sich von der Neujahrskonzertaktion 1982 offiziell distanziert – das Gegenteil ist wahr! (vgl. LN 1/1982, S. 5). Dort spielt RUDI KATZER auch die eigene Erinnerung einen Streich, wenn er im Interview behauptet, die LN hätten negativ über diese Aktion berichtet, nämlich in Form von Leserbriefen, „die in Wahrheit aus dem Vorstand gekommen sind“ – die LN haben keinen einzigen Leserbrief dazu abgedruckt! [Vgl. Hintergrund-Bericht hier]
HOSI Wien am aktionistischsten
Sicher – die HOSI Wien hat immer vor allem auch Lobbyarbeit betrieben, genauso wie sie stets vielfältige soziale, kulturelle, gesellige, künstlerische, publizistische, beratende, gesundheitspolitische oder internationale Arbeit geleistet hat, aber sie hat auch viele radikale und aktionistische Aktivitäten entfaltet, und das noch bevor es den Rosa Wirbel oder die Villa überhaupt gegeben hat. In all den 30 Jahren ihres Bestehens hat sich die HOSI Wien nicht nur kontinuierlich immer wieder, sondern in Summe sicherlich weit umfangreicher aktionistisch betätigt als der Rosa Wirbel oder die Rosa Lila Villa zusammen, um deren Aktionismus es zudem relativ bald wieder ziemlich still wurde.
Um diese Geschäftsfälschung und den Mythos ein wenig zu korrigieren, wollen wir daher in dieser Folge der losen LN-Serie „30 Jahre HOSI Wien“ hier einige aktionistische Highlights aus den letzten drei Jahrzehnten präsentieren. In Sachen radikaler Aktionismus kann der HOSI Wien jedenfalls keine andere LSBT-Gruppe in Österreich das Wasser reichen – das sollte ein für alle Mal festgehalten und klargestellt werden!
Reumannplatz 1980
Der Aktionismus wurde der HOSI Wien auch quasi in die Wiege gelegt: Wenige Monate nach der offiziellen Vereinsgründung hatte sie ihren ersten großen öffentlichen Auftritt, nämlich anlässlich der Wiener Festwochen alternativ: Drei Wochen sollten wir eine Info-Bude am Reumannplatz in Favoriten betreiben. Doch schon nach fünf Tagen forderten uns die Behörden auf, wegen angeblicher Anrainerproteste die Bude wieder zu schließen. Wir weigerten uns, zwei Tage später wurde der Stand dann von der Stadt Wien entfernt. Daraufhin solidarisierten sich rund 30 andere Gruppen mit der HOSI Wien. Aufgrund der anhaltenden breiten Protestwelle wurde den Verantwortlichen nach einer Woche die Wiederaufstellung der Info-Bude abgetrotzt [vgl. LN 2/1980, S. 4–17 und 20 f, sowie LN 3–4/1980, S. 8 ff; mehr Fotos hier].
Ministerbüro besetzt
Am Welt-AIDS-Tag 1988 besetzten fünf Mitglieder der direct-action-Gruppe „Rosa Wirbel“ bzw. der HOSI Wien das Büro der damaligen Familienministerin Marilies Flemming. Anlass für die Bürobesetzung war ihr Veto im Ministerrat gegen die Herabsetzung des Mindestalters im Paragraphen 209 StGB (vgl. Durch die rosa Brille auf S. 5). [Vgl. LN 1/1989, S. 13 ff; mehr Fotos hier.]
Holland-Wien-Express blockiert
Angestiftet durch die TeilnehmerInnen der HOSI Wien, blockierten am Silvestertag des Jahres 1988 im Anschluss an die Europa-Tagung der International Lesbian and Gay Association (ILGA) rund 30 AktivistInnen am Amsterdamer Hauptbahnhof den Nachtzug nach Wien. Einige DemonstrantInnen stellten sich vor dem Zug auf das Gleis, zwei Personen ketteten sich mit Handschellen an eine Waggontür. Andere führten Spruchbänder in niederländischer und deutscher Sprache mit, auf denen u. a. zu lesen war: „Weg mit den anti-homosexuellen Gesetzen in Österreich!“ [vgl.LN 1/1989, S. 61, und LN 2/1989, S. 11].
Tumult im Gerichtssaal
Am 20. März 1990 kam es im Landesgericht für Strafsachen Wien zu einem spektakulären Tumult. Weil sie in Publikationen der HOSI Wien Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht erblickte, hatte die Staatsanwaltschaft die Einziehung dieser Druckwerke beantragt. Zur Hauptverhandlung kamen rund 30 ZuhörerInnen, Richterin Doris Trieb wollte aber nur so viele ins Verhandlungszimmer lassen, wie Sessel vorhanden waren: sieben. Als die Leute keine Anstalten machten zu gehen, rief sie die Justizwache. Das erzürnte den Autor dieser Zeilen dermaßen, dass ich den Aktenstoß vom Richtertisch nahm und in die Ecke des Zimmers schleuderte [vgl. LN 2/1990, S. 15 f, sowie meinen Leidartikel in den LN 3/1990, speziell die nachträglichen Anmerkungen dazu; mehr Fotos hier].
Pressekonferenz gestürmt
Im März 1991 brach die stationäre Versorgung der AIDS-PatientInnen in Wien völlig zusammen. Ein veritabler Notstand war eingetreten: Von den 45 vorgesehenen Spitalsbetten für die rund 100 PatientInnen standen nur mehr weniger als 20 zur Verfügung. Das rief die in der HOSI Wien beheimatete direct-action-Gruppe ACT UP Wien auf den Plan. Am 19. März „stürmten“ die Aktivisten der Gruppe die Pressekonferenz Bürgermeister Helmut Zilks, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen [vgl. LN 2/1991, S. 25 ff; mehr Fotos hier].
Bischofsouting 1995
Am 1. August 1995 outete der Autor dieser Zeilen die homosexuellen Neigungen von vier österreichischen Bischöfen. Die Outing-Aktion geriet – das kann man bei aller zu Gebote stehenden Bescheidenheit ohne Übertreibung sagen – zum bis heute größten Medienhype zum Thema Homosexualität in der österreichischen Geschichte [vgl. LN 4/1995, S. 8 ff].