Serbien: Pride-Parade abgesagt
Für 20. September 2009 war in Belgrad die Durchführung einer Pride-Parade geplant. Die serbische LSBT-Bewegung, obwohl traditionell fragmentiert und zerstritten, hatte sich endlich zusammengerauft, um diesen neuen Versuch zu starten, galt es doch das Trauma zu überwinden, das schwer auf der Bewegung lastete, seit 2001 der erste Versuch, eine Pride-Parade in Belgrad abzuhalten, durch gewalttätige Angriffe von Rechtsextremen verhindert wurde und blutig endete (vgl. LN 3/2001, S. 41). Und anfangs sah es auch durchaus gut aus: Sowohl die Politik als auch das Innenministerium und die Polizeibehörden erklärten, die Parade auf jeden Fall vor den Nationalisten und Neonazis schützen zu wollen, die bereits im Vorfeld angekündigt hatten, die Parade wieder mit Gewalt aufzulösen.
Drei Tage vor der geplanten Parade kam es zu einem dramatischen Vorfall. Der französische Fußballfan Brice Taton wurde in einem Straßencafé von nationalistischen serbischen Fußballrowdys überfallen und so brutal zusammengeschlagen, dass er zwölf Tage später seinen schweren Verletzungen im Belgrader Klinikzentrum erlag. Taton hielt sich für das Europa-League-Match Partizan Belgrad gegen FC Toulouse in der Stadt auf. Geschockt von diesem brutalen Überfall auf einen Ausländer (das geschieht natürlich in voller Absicht seitens der Nationalisten, um die EU-Ambitionen Serbiens zu sabotieren), hatten zu dem Zeitpunkt sowohl Staatspräsident Boris Tadić als auch Innenminister Ivica Dačić noch großspurig erklärt, die verfassungsmäßig garantierten Rechte aller BürgerInnen, somit auch die Durchführung der Parade garantieren zu wollen.
Doch am Tag vor der Parade kapitulierte die Staatsmacht vor dem gewaltbereiten Mob. Die Polizei könne die Sicherheit der ParadenteilnehmerInnen nicht garantieren, hieß es. Den OrganisatorInnen wurde ein Alternativort für die Parade am Stadtrand angeboten, der jedoch für diese völlig inakzeptabel war – und außerdem hätten sich dort ja wohl dieselben Sicherheitsfragen gestellt. Die OrganisatorInnen beschlossen daher, die Parade nicht durchzuführen. Der Behörde war dieser „semantische“ Unterschied wichtig: Nicht die Polizei hat die Parade verboten, sondern sie wurde von den OrganisatorInnen abgesagt.
Die Nationalisten freute das natürlich. Sie hatten die ganze Innenstadt bereits mit homophoben Graffitis zugemalt und zugesprayt. Am Tag der geplanten Parade waren jedoch nur versprengte Grüppchen von rechtsextremen GegnerInnen auf den Straßen der Innenstadt zu sehen. Ungewöhnlich viele Polizisten schlenderten durch die Fußgängerzone und über die Plätze. Nur vereinzelt waren sie in voller Kampfmontur unterwegs.
Die OrganisatorInnen und die AktivistInnen aus Belgrad sowie die etlichen, aus halb Europa angereisten UnterstützerInnen, darunter der Autor dieser Zeilen, wurden an diesem Sonntagnachmittag vom schwedischen Botschafter in Belgrad in dessen Residenz eingeladen, wo dann ersatzweise eine sehr nette Gartenparty in ganz entspannter und lockerer Atmosphäre stattfand. Einerseits schienen die OrganisatorInnen fast erleichtert, dass die Parade nicht stattfand, andererseits schienen sie auch gestärkt durch die Solidarität und die Unterstützung seitens gesellschaftlicher Gruppen und auch eines Teils der Politik. Und auch die Medien waren voll mit Berichten über die geplante Parade, die Umstände ihrer „Absage“ und über die politische Unterstützung. Man kann daher wohl von keiner Niederlage sprechen. Und die Bewegung ist optimistisch, dass es 2010 mit einem neuerlichen Anlauf klappen könnte. Man darf gespannt sein.
Nachträgliche Anmerkungen:
Über den positiven Ausgang der in der Bildunterschrift erwähnten EGMR-Beschwerden gegen Russland berichteten die LAMBDA-Nachrichten wie folgt:
Nikolaj Aleksejew war 2011 mit seinen drei Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Nr. 4916/07, 25924/08 und 14599/09) gegen die Nichtgenehmigung von Pride-Paraden in Moskau erfolgreich. Die Straßburger RichterInnen werteten das Paradenverbot als Verletzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit (vgl. LN 5/2012, S. 10 ff).
Über die Beschwerde gegen das russische Propaganda-Verbot berichtete ich in den LN 3/2017, S. 22 ff:
Am 20. Juni 2017 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sein Urteil in der Beschwerde Nr. 67667/09 – Bajew u. a. gegen Russland [deutsche Übersetzung als PDF unter diesem Link zum Herunterladen]. Die Kleine Kammer des Gerichtshofs befand mit sechs gegen eine Stimme (jene des russischen Richters Dmitrij Djedow), dass das 2013 russlandweit eingeführte Verbot von „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“, die auch von Kindern und Minderjährigen wahrgenommen werden könnte (vgl. LN 3/2013, S. 33), gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, der das Recht auf freie Meinungsfreiheit garantiert. Den drei Schwulenaktivisten, die bereits vor 2013 aufgrund lokaler Vorläufer-Gesetze zum föderationsweiten Propagandaverbot zu Geldstrafen verurteilt worden waren (ihre Beschwerden wurden bereits 2009 bzw. 2012 in Straßburg eingebracht), wurde Schadenersatz in der Höhe von insgesamt € 43.000,– und der Ersatz der Verfahrenskosten in der Höhe von rund € 6.000,– zugesprochen. Die russische Regierung wird gegen dieses Urteil Berufung bei der Großen Kammer des Gerichtshofs einlegen.