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Eheverbot vor dem EGMR: Enttäuschendes Urteil

Veröffentlicht am 30. Juli 2010
Am 24. Juni 2010 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil in der Beschwere Schalk & Kopf gegen Österreich (Nr. 30141/04): Das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe stelle keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar, befand einstimmig der aus sieben RichterInnen bestehende Senat. Ich beleuchte die Hintergründe in den LN 3/2010.

Johann Kopf und Horst Schalk

In der letzten Ausgabe der LN (S. 12 f) hat HORST SCHALK ausführlich über den nunmehr achtjährigen Kampf berichtet, den er und sein langjähriger Partner – quasi auf dem Rechtsweg – gegen das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe in Österreich geführt hat. Nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs war ihre Beschwerde seit August 2004 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig gewesen; im Februar 2010 fand schließlich vor dem Gerichtshof in Straßburg eine mündliche Verhandlung statt. Horst und sein Partner sind in dieser Sache vom Wiener Anwalt Klemens Mayer rechtsfreundlich vertreten und von der HOSI Wien unterstützt worden.

 

Keine EMRK-Verletzung

Am 24. Juni 2010 veröffentlichte der Gerichtshof nun sein Urteil: Das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe stelle keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar, befand einstimmig der aus sieben RichterInnen bestehende Senat.

Natürlich haben wir nicht erwartet, dass der EGMR das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe als eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unter Verweis auf deren Artikel 12 (Recht auf Eheschließung) werten würde (vgl. auch Aussendung der HOSI Wien vom 24. Juni 2010). Das wäre wohl mehr als unrealistisch gewesen, denn die Entscheidung in dieser Beschwerde gegen Österreich hätte natürlich einen Präzedenzfall geschaffen, der dann indirekt auch für die anderen Mitgliedsstaaten des Europarats Geltung erfahren hätte. Da aber erst sieben der 47 Mitgliedsstaaten die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt haben, hätte dies bedeutet, dass die große Mehrheit, darunter Staaten wie Russland, Italien, Polen oder die Ukraine – nach entsprechenden Beschwerden ihrer StaatsbürgerInnen – dann ihre Gesetze ebenfalls ändern müssten. Und dafür ist die Zeit einfach noch nicht reif.

Allerdings hätten wir erwartet, dass der EGMR zumindest feststellen würde, das Fehlen einer alternativen Rechtsform zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde durch Schalk und seinen Partner habe sehr wohl eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens dargestellt, das durch Artikel 8 EMRK garantiert wird. Die Einführung der eingetragenen Partnerschaft erfolgte in Österreich ja erst am 1. Jänner dieses Jahres.

Da diese Frage ausdrücklich von den Beschwerdeführern aufgeworfen wurde, mussten die RichterInnen dazu ebenfalls Stellung beziehen. Und hier fiel ihre Entscheidung denkbar knapp aus. Drei Richter – der norwegische, der griechische und der luxemburgische – vertreten sehr wohl die Ansicht, eine solche Verletzung sei vorgelegen, während die anderen vier, darunter die österreichische Richterin, diese Auffassung nicht teilen.

 

Widersprüchlich

Das Urteil des EGMR widerspricht sich in diesem Punkt auch, wie die besagten drei Richter in ihrer „Abweichenden Meinung“, die dem Urteil angehängt ist, selber betonen (Randnr. 4).

Während nämlich der Gerichtshof ausdrücklich festhält, die Frage der rechtlichen Anerkennung berühre das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Randnummern 94–95 des Urteils), wollte die knappe Mehrheit von vier der sieben RichterInnen die Frage im vorliegenden Fall eben nicht positiv entscheiden. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass der Gerichtshof erstmalig auch die Feststellung getroffen hat, dass die dauerhafte Beziehung und Lebensgemeinschaft eines gleichgeschlechtlichen Paares unter den Begriff „Familienleben“ im Sinne der Konvention falle, wie dies auch bei einem vergleichbaren verschiedengeschlechtlichen Paar der Fall sei. Diese Feststellung wurde auch begrüßt, immerhin ist sie ein Trostpflaster bei diesem insgesamt enttäuschenden Urteil.

Die besagten drei Richter begründen ihren Standpunkt, dass zumindest vor dem Inkrafttreten des EP-Gesetzes eine Menschenrechtsverletzung bestanden habe (wobei sie in diesem Zusammenhang gar nicht näher auf die Frage eingehen wollen, wie ähnlich eine solche Regelung dann der Ehe sein müsse, um keine Konventionsverletzung darzustellen), übrigens in erster Linie damit, dass die österreichische Bundesregierung keinerlei Argumente vorgebracht habe, um eine unterschiedliche Behandlung hetero- und homosexueller Paare zu rechtfertigen, sondern sich bloß auf ihren Ermessensspielraum in dieser Angelegenheit berufen habe (Randnr. 8 der „Abweichenden Meinung“).

Im großen und ganzen ist jedoch die Begründung des Urteils stringent und plausibel, folgt man der Leit-Prämisse des Gerichtshofs, wonach die Ehe traditionell als eine Verbindung zwischen Mann und Frau zu verstehen sei, wie dies auch der Fall war, als die EMRK verfasst wurde. Die Konvention auferlege den Vertragsstaaten keine Verpflichtung, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen (Randnr. 63). Die EMRK würde die gleichgeschlechtliche Ehe aber auch nicht ausschließen. Es obliege den einzelnen Staaten, dies selbst zu entscheiden. Die Konvention sei jedoch ein lebendiges und kein statisches Dokument – gerade in der gegenständlichen Frage habe in den letzten zehn Jahren eine besonders rasante Entwicklung in Europa stattgefunden, die sich ja gerade auch in der Einführung der EP in Österreich widerspiegle (Randnr. 106). Dennoch gebe es noch keinen etablierten europäischen Konsens in dieser Frage und – derzeit – auch noch keine eindeutige Mehrheit unter den 47 Mitgliedsstaaten des Europarats. Erst 19 der 47 Mitgliedsstaaten würden irgendeine Form der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften kennen. Hier hätten die Regierungen und Parlamente daher breiten Ermessensspielraum, nicht zuletzt auch hinsichtlich des Zeitpunkts, wann sie entsprechende Regelungen einführen (Randnr. 105).

Der Gerichtshof erörterte übrigens auch die Frage, ob durch die Einführung der eingetragenen Partnerschaft (EP) der Status der Beschwerdeführer als potentielle Opfer einer Rechtsverletzung nicht überhaupt weggefallen sei und sich der Gerichtshof daher mit der Beschwerde gar nicht mehr befassen müsse. Diese Frage verneinte er eindeutig, zumal auch die Bundesregierung erklärt hatte, dass die Einführung der EP eine politische Entscheidung war und nicht erfolgte, um einer vermeintlichen, sich aus der EMRK ableitenden Verpflichtung nachzukommen (Randnr. 74). Damit werden auch die blödsinnigen, im Vorjahr gestreuten Latrinengerüchte entkräftet, die Bundesregierung habe es „plötzlich“ mit der Einführung der EP so eilig gehabt, um einer Entscheidung des Gerichtshofs zuvorzukommen.

 

Conclusio

Zusammenfassend lassen sich folgende Schlüsse auch für die weitere Rechtsprechung des EGMR ziehen:

Bevor nicht eine Mehrheit der 47 Mitgliedsstaaten (also 24 – es fehlen noch fünf!) gleichgeschlechtliche Paare in irgendeiner Form rechtlich anerkennt, wird der Gerichtshof hier nicht vorpreschen – das geht eindeutig aus seinen Ausführungen in der Randnummer 105 des Urteils hervor. Schalk und sein Freund hätten die Sache auch nicht gewonnen, hätte Österreich heute immer noch keine EP (die Argumente in der „Abweichenden Meinung“ der in der Minderheit gebliebenen drei Richter richten sich ja, wie vorhin beschrieben, vor allem dagegen, dass die österreichische Bundesregierung überhaupt keine Begründung vorgelegt hat, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen).

Aber natürlich ist damit noch längst nicht gesagt, dass der EGMR seine Rechtsprechung sofort ändern würde, sobald 24 Staaten gleichgeschlechtliche Paare in irgendeiner Form rechtlich anerkennen würden. Denn eine knappe Mehrheit ist noch kein „etablierter europäischer Konsens“ – hier lässt sich der Gerichtshof noch ein Hintertürl offen.

Auch die Frage, ob der Gerichtshof, sollte einmal ein solcher Konsens seiner Ansicht nach bestehen, dann entscheiden würde, ob mit einer Ehe-Alternativform für gleichgeschlechtliche Paare genau dieselben Rechte und Pflichten verbunden sein müssen, lässt er bereits in diesem Urteil offen – bzw. deutet im Gegenteil an, dass er das nicht zwingend so sehen würde. So heißt es in der Randnummer 108 ziemlich unzweideutig: „Der Gerichtshof ist vielmehr der Auffassung, dass den Staaten bei der konkreten Ausgestaltung einer alternativen Form der Anerkennung ein gewisser Ermessensspielraum zukommt.“

Damit ist klar, dass in absehbarer Zeit wohl sämtliche Beschwerden gegen Österreich (oder andere Länder) wegen der diversen Ungleichbehandlungen (vom fehlenden Bindestrich bei Doppelnamen bis zum Recht auf Adoption) zwischen der EP und der Ehe kaum Erfolgsaussichten in Straßburg haben. Und genauso wenig wird der Gerichtshof eine Konventionsverletzung im Umstand erkennen, dass verschiedengeschlechtlichen Paaren die EP nicht offensteht.

Das Urteil in der Beschwerde Schalk & Kopf gegen Österreich hat daher einmal mehr deutlich gemacht, dass die internationalen Menschenrechtsinstanzen den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht vorgreifen und dass rechtliche Fortschritte für Lesben und Schwule in erster Linie auf politischer Ebene erkämpft werden müssen. In diesem Sinne ist das Urteil auch ein Auftrag an die Lesben- und Schwulenbewegung in Österreich, in Europa und auf der ganzen Welt, ihr Lobbying bei den Parteien, Parlamenten und Regierungen weiterzuführen.

 

Politisch erkämpfen

Der EGMR zieht erst dann nach, wenn ein breiter europäischer Konsens vorhanden ist. Das war ja auch in der Vergangenheit nicht anders. Als der EGMR beispielsweise 1981 (endlich!) das Totalverbot homosexueller Handlungen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention eingestufte (Beschwerde Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich), war das keineswegs eine revolutionäre und richtungsweisende Entscheidung, sondern der Gerichtshof vollzog bloß eine gesellschaftliche Entwicklung nach. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten bis auf Irland, Liechtenstein und Zypern alle anderen Mitgliedsstaaten des Europarats ein Totalverbot ohnehin bereits aufgehoben.

Ähnlich war es auch bei den Entscheidungen der Straßburger Instanzen hinsichtlich der diskriminierenden Mindestaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen: Als 1997 in der Beschwerde Sutherland gegen das Vereinigte Königreich die höhere Altersgrenzen für homosexuelle Beziehungen als Verletzung der EMRK qualifiziert wurde, verfügte nur mehr rund ein Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, über derartige Bestimmungen im Strafrecht. Zuvor hatten die Menschenrechtsorgane des Europarats über Jahrzehnte hinweg sämtliche Beschwerden gegen unterschiedliche Mindestaltersgrenzen negativ beschieden. Ebenso zuvor gegen das Totalverbot.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Frühere Beiträge über den Kampf Horst Schalks und Johann Kopfs gegen das Eheverbot erschienen in den LN-Ausgaben 4/2003, S. 20 f, 2/2004, S. XIII f, 3/2004, S. 36 f, und 3/2007, S. 14.

Betreffend die von mir in diesem Beitrag angestellten Schlussfolgerungen haben sich später folgende Entwicklungen ergeben:

Im Februar 2013 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Beschwerde 19010/07 (X und andere gegen Österreich), dass eine Stiefkindadoption grundsätzlich auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein müsse. Es handelte sich bei diesem Fall allerdings um eine lesbische Lebensgemeinschaft, bei der keine Möglichkeit einer Stiefkindadoption durch die Ko-Mutter bestand – im Unterschied zu einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft, bei der die Stiefkindadoption durch den nicht-leiblichen Elternteil hingegen rechtlich möglich war. Es ging in dieser Sache also in erster Linie um die Gleichbehandlung von gleich- mit verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften (vgl. LN 2/2013, 9 ff).

Im Juli 2015 stellte der EGMR dann tatsächlich in seinem Urteil in den Beschwerden dreier schwuler Paare – Oliari und andere gegen Italien (Nr. 18766/11 und Nr. 36030/11 – deutsche Fassung aus dem Rechtsinformationssystem des Bundes als PDF hier) – fest, dass das Nichtvorhandensein jeglicher rechtlicher Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstelle (Artikel 8 EMRK). Dieses Urteil ist insofern bemerkenswert, als der Gerichtshof sich damit sehr früh sehr weit hinausgelehnt hat, denn zu diesem Zeitpunkt verfügte erst knapp die Hälfte (nämlich 24) der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats über eine gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, sei es in Form der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft (vgl. dazu auch LN 4/2015, S. 23). Aber es war auf jeden Fall die Hälfte – wie ich in meinem Beitrag spekulierte.

Und wie in meinem Beitrag vermutet, hat der EGMR im September 2017 keine Konventionsverletzung im Umstand erkannt, dass verschiedengeschlechtlichen Paaren in Österreich die EP nicht offenstand – und zwar in der Beschwerde Ratzenböck & Seydl gegen Österreich (Nr. 28475/12)vgl. LN 5/2017, S. 15 f).