Schwimmer fast versenkt
Nur zwei Stimmen weniger – und Walter Schwimmer wäre bei der Wahl zum Generalsekretär des Europarats untergegangen, was der größte Triumph in der 21jährigen Geschichte der ILGA und in der 20jährigen der HOSI Wien gewesen wäre. Doch leider – schade… Aber auch wenn der ÖVP-Abgeordnete denkbar knapp an seiner Versenkung vorbeischrammte – die Sink Schwimmer-Kampagne der ILGA-Europa war ein voller Erfolg und wird wohl allen PolitikerInnen gleichen Kalibers eine Lehre sein.
Beim ersten Wahlgang am 22. Juni 1999 zeichnete sich bereits ab, daß das Rennen für Schwimmer noch nicht gelaufen war, im Gegenteil: Der britische Labour-Abgeordnete Terry Davis erhielt 122 Stimmen, Schwimmer nur 119 und die konservative polnische Justizministerin Hanna Suchocka 21. Im zweiten Wahlgang am 23. Juni traten dann nur mehr Davis und Schwimmer an: Davis unterlag mit 136 Stimmen Schwimmer, der 138 Stimmen der Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung (PV) auf sich vereinen konnte. Nach dem Beitritt Georgiens vergangenes Frühjahr besteht die PV jetzt aus 291 Abgeordneten aus den nunmehr 41 Mitgliedsstaaten und ihren 291 StellvertreterInnen. Sie werden im Gegensatz zu den direkt gewählten Abgeordneten zum Europäischen Parlament der EU von den nationalen Parlamenten gemäß der jeweiligen Fraktionsstärke gewählt. Die PV spiegelt daher die Machtverhältnisse in den Parlamenten der 41 Mitgliedsstaaten wider. Österreich stellt sechs Mitglieder (derzeit 3 SPÖ, 2 ÖVP, 1 FPÖ).
Die LN haben ja bereits ausführlich über die Anti-Schwimmer-Kampagne der ILGA-Europa, die von zahlreichen Lesben- und Schwulenorganisationen in vielen Ländern Europas unterstützt wurde, berichtet (vgl. LN 4/1998, S. 15 f, LN 1/1999, S. 10 ff, und LN 2/1999, S. 10 ff). Hier seien noch die jüngsten Ereignisse der letzten Monate ergänzt:
In der Sitzungswoche der PV in der letzten Aprilwoche waren die beiden ILGA-Europa-MitarbeiterInnen NIGEL WARNER aus London, der die gesamte Kampagne koordinierte, und Vorstandsmitglied NICO BEGER aus Berlin wieder in Straßburg, um u. a. bei der liberalen Fraktion gegen die Wahl Schwimmers Stimmung zu machen. Bekanntlich ist sie als drittstärkste Fraktion Zünglein an der Waage zwischen den ziemlich gleich starken sozial- und christdemokratischen Gruppen. Wie schon während der Jänner-Sitzungswoche (vgl. LN 2/1999) war die überwiegende Mehrheit der liberalen Abgeordneten, mit denen ILGA-Europa gesprochen hat, nicht davon abzubringen, ihren Pakt mit der Europäischen Volkspartei (EVP) zu brechen, der vorsah, daß die Liberalen Schwimmer wählen würden als Gegenleistung dafür, daß die EVP fünf Jahre zuvor den liberalen Kandidaten zum Generalsekretär kürten und im Jänner 1999 den britischen Liberalen Russell-Johnston zum Präsidenten der PV wählten.
KandidatInnen-Anhörung
Im April war mittlerweile auch klar, daß das Ministerkomitee des Europarats auf die KandidatInnenliste keinen Einfluß nehmen und die Wahl der PV überlassen wollte. Theoretisch kann dieses Komitee, das sich aus den AußenministerInnen der Mitgliedsstaaten bzw. ihren VertreterInnen zusammensetzt, ihm nicht geeignet erscheinende KandidatInnen von der Liste, die der PV übermittelt wird, streichen. Die ILGA-Europa hatte ja auch allen AußenministerInnen geschrieben und eine solche Einflußnahme verlangt. Alle AußenministerInnen, die antworteten, reagierten ausweichend bis ablehnend, etwa auch der deutsche Außenminister Joschka Fischer in seiner Beantwortung der kleinen parlamentarischen Anfrage durch CHRISTINA SCHENK, die offen lesbische Bundestagsabgeordnete der PDS. Sie schickte am Vorabend des 50. Geburtstags des Europarats am 5. Mai überdies eine Aussendung über ihren Pressedienst aus: Kein Homofeind an die Spitze des Europarates. Schenk beklagte, daß sich die deutsche Bundesregierung völlig unkritisch zur Kandidatur Schwimmers verhalten habe, und forderte die deutschen Mitglieder der PV auf, Schwimmer nicht zu wählen.
In der April-Sitzungswoche stellten sich die drei KandidatInnen dann einem Hearing durch die größeren Fraktionen der PV, ein Novum, das offenbar auf die ILGA-Europa-Kampagne zurückzuführen war. Dank dieser Kampagne und der Aktivitäten der Mitgliedsorganisationen wurde Schwimmer dabei mehrfach auf seine Haltung zur Diskriminierung von Lesben und Schwulen befragt, allein beim Hearing in der sozialdemokratischen Fraktion fünfmal (!), vor allem von französischen Abgeordneten, was wiederum auf die massive Lobbyarbeit unserer französischen Freunde zurückzuführen war. In seinen Antworten vermittelte Schwimmer den Eindruck, die Diskriminierung von Lesben und Schwulen nicht gutzuheißen; gegen die Aufhebung der lesben- und schwulenfeindlichen Paragraphen in Österreich hätte er aus Klubzwang stimmen müssen. Er erklärte auch, er fände die Kampagne, sein Abstimmungsverhalten im Nationalrat publik zu machen, für durchaus legitim. Diese Aussage trug zusätzlich zum guten Eindruck bei, den er bei diesen Hearings hinterließ. Geschickt ist er – ohne Zweifel.
Bei anderen Gelegenheiten, etwa in einem Antwortschreiben an die ILGA-Europa und offenbar auch gegenüber den Medien, bezeichnete er die Darstellung dieser Fakten durch die ILGA-Europa allerdings als „unbewiesene Anschuldigungen“ (sic!) bzw. „ungerechte“ Angriffe (zitiert nach der Frankfurter Rundschau vom 18. Juni). Jedenfalls ging Schwimmer als Bester aus diesen Hearings hervor. Hanna Suchocka, konservative Katholikin aus Polen, hinterließ wegen ihren Aussagen zu Frauenrechten einen äußerst negativen Eindruck. Terry Davis hielten viele liberale Abgeordnete für okay und sehr sympathisch, aber sie schätzten ihn als weniger durchsetzungsfähig und effizient als Schwimmer ein, der sich seit 1991 in der PV nicht nur eine solide Hausmacht innerhalb der EVP, deren Vorsitzender er seit 1996 auch ist, aufgebaut hat, sondern der durch seine Tätigkeit in Ausschüssen und als Berichterstatter allerlei Fäden zieht. Außerdem sprach gegen Davis und für Schwimmer der Umstand, daß die zweite bedeutende Funktion des Europarats, nämlich die des Präsidenten der PV, wie erwähnt, seit Jänner von einem Briten besetzt wird. Und beide Ämter an Personen aus demselben Land – das gab’s nur in den Anfangszeiten des Europarats in den 50er Jahren, als er nur ein Dutzend Mitgliedsstaaten umfaßte.
Mega-Opportunist Schwimmer
Entsprechend desillusioniert über die Chancen, Schwimmer verhindern zu können, kehrten Nigel und Nico im April aus Straßburg zurück. Angesichts dieser Realitäten beschloß der ILGA-Europa-Vorstand, die Kampagne mehr oder weniger einzustellen und die Kurve zu kratzen: Wenn Schwimmer nicht zu verhindern ist, dann sollte man die Gesprächsbasis zu ihm nicht völlig zerstören und die Arbeit der ILGA-Europa beim Europarat in den nächsten fünf Jahren dadurch womöglich gefährden. Also gab man Schwimmer noch eine Chance. ILGA-Europa verschickte an alle drei KandidatInnen einen Brief mit präzisen Fragen: Ob sie der Ansicht sind, daß diskriminierende Bestimmungen gegen Lesben und Schwule (z. B. beim Mindestalter) in den Mitgliedsstaaten abgeschafft werden müssen, ob sie dafür eintreten, „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ ausdrücklich als Schutzkategorien in den Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention aufzunehmen. Alle drei antworteten überraschend zustimmend und sprachen sich gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen aus. Am positivsten und uneingeschränktesten war allerdings Davis. Schwimmer war etwas ausweichend und ablenkend. Natürlich müßten alle lesben- und schwulendiskriminierenden Gesetze in den Mitgliedsstaaten abgeschafft werden, so sie eine Konventionsverletzung darstellten – no na! Er sei auch der Ansicht, man müsse die beiden Kategorien gar nicht explizit in die Konvention aufnehmen, denn sie seien bereits implizit im Artikel 14 enthalten.
Schwimmer packte also die Gelegenheit beim Schopf, um sich als Verfechter der schwul/lesbischen Sache zu gerieren. ILGA-Europa sah großzügig über dieses ultra-opportunistische und total verlogene Schreiben hinweg und feierte die positiven Stellungnahmen aller drei KandidatInnen allein schon als bedeutenden Beitrag zur Anerkennung der Grundrechte von 50 Millionen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Gender-Personen in Europa ab. Anfang Juni schickte sie einen entsprechenden Brief an alle Mitglieder der PV und informierte sie über diese positiven Äußerungen der drei KandidatInnen. Obgleich betont wurde, daß Davis’ Antwort am positivsten ausgefallen ist, ließ ILGA-Europa keinen Zweifel daran, daß sie alle drei, die Diskriminierung von Lesben und Schwulen ablehnenden Stellungnahmen begrüßte.
Überraschung in Straßburg
Umso erstaunter waren Nigel und Nico, die sich in der Juni-Sitzungswoche der PV (ab 21. Juni) wieder in der elsässischen Metropole einfanden, zu erfahren, daß die Liberalen in ihrer Fraktionssitzung am Tag vor der Wahl beschlossen hatten, die Abstimmung freizugeben. Offenbar haben sie einen moralischen Rappel bekommen: „Wir sollten um der Menschenrechte willen und nicht um politischer Parteien willen wählen“, war wohl das Argument. An und für sich ist der Klubzwang ohnehin nicht wirklich durchsetzbar, weil die Abstimmung geheim ist. Aber immerhin: Die Fraktion hatte offiziell beschlossen, keine Klublinie vorzugeben. Offenbar aber zu spät, denn zu viele liberale Abgeordnete müssen dennoch für Schwimmer gestimmt haben. Hätte die liberale Fraktion geschlossen oder mit überwiegender Mehrheit für Davis gestimmt, hätte das Wahlergebnis ganz anders ausgesehen.
Was die Ursache dieser Entscheidung war – darüber kann man nur spekulieren, zumal die ILGA-Europa ja durch ihr letztes Schreiben an die Abgeordneten ihr Einlenken bekundete. Aber wahrscheinlich haben Mitgliedsorganisationen noch weiterhin Lobbying betrieben, und mittlerweile hatten auch große Mainstream-Medien die Sache aufgegriffen. Noch am Freitag vor der Wahl, am 18. Juni, erschien in der Frankfurter Rundschau ein ausführlicher Bericht mit äußerst genauen Insider- und Hintergrundinformationen über die drei KandidatInnen und ihren Wahlkampf. Dieser Artikel, in dem auch der HOSI-Wien-Obmann zitiert wird, wurde wie folgt eingeleitet:
Auch in Ehren gereifte Veteranen der europäischen Szene erleben noch Neues. Überrascht rieben sich die 291 Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und die Mitarbeiter in den Kanzleien der Außenministerien in den 41 Mitgliedsstaaten ob ungewohnter Post die Augen: Absender des Briefs war der europäische Lesben- und Schwulenverband, der Front machte gegen den österreichischen Politiker Walter Schwimmer. Der 57jährige ÖVP-Mann will nächsten Dienstag in Straßburg zum Generalsekretär der paneuropäischen Organisation gewählt werden. Das Schreiben konstatiert bei dem Kandidaten eine „mangelnde Eignung“ für dieses Amt. Schwimmers Landsmann CHRISTIAN HÖGL wirft dem in Wien und Straßburg altgedienten Abgeordneten vor, 1998 im österreichischen Parlament gegen die Aufhebung von Gesetzen gestimmt zu haben, die Homosexuelle diskriminieren. Schwimmer sei für den „menschenrechtssensiblen Job in Straßburg eindeutig disqualifiziert“, meint Högl. Der Attackierte findet die Vorwürfe „ungerecht“.
Was immer den Meinungsumschwung bei den Liberalen bewirkt haben mag – für Schwimmer hatte er katastrophale Folgen. Während ILGA-Europa im April angesichts der Stärke der einzelnen Fraktionen noch mit einem satten Überhang von rund 50 Stimmen für Schwimmer kalkulierte, schmolz dieser Polster wie Butter in der Sonne. Schwimmer kann von großem Glück reden, daß er mit der denkbar knappsten Mehrheit von zwei Stimmen schließlich die Wahl noch gewann. Bloß spekulieren kann man jetzt auch, ob eine aggressive Fortsetzung der Sink Schwimmer-Kampagne im Mai und Juni durch ILGA-Europa die Wahl des homophoben Kandidaten nicht doch noch verhindern hätte können.
Später berichtete übrigens die portugiesische Presse, daß einige sozialistische Abgeordnete die Wahl versäumten, weil sie zu spät oder gar nicht in Straßburg waren, was noch zu einiger Aufregung im Land führte, denn ihre Stimmen haben für die Wahl Davis’ zum Generalsekretär gefehlt! Aber auch die hohe Weltpolitik, nämlich der Kosovo-Konflikt spielte in die Wahl hinein: Wie der Standard vom 25. Juni berichtete, hätten auch russische Kommunisten und griechische Sozialisten von der PASOK-Partei für Schwimmer votiert, weil sie nicht für den Kandidaten aus dem Kriegstreiber- und NATO-Land Großbritannien stimmen wollten.
HOSI Wien besteht auf Taten
Die HOSI Wien gab sich im übrigen mit Schwimmers Antworten auf ILGA-Europas Kandidatenbefragung nicht zufrieden. Sie schickte ein E-Mail an Schwimmer, in dem seiner Behauptung, die Darstellung der Fakten bezüglich seines Abstimmungsverhaltens im Nationalrat seien „unbewiesene Anschuldigungen“, unmißverständlich entgegengetreten und seine Rechtfertigungsversuche entschieden zurückgewiesen wurden. Der HOSI Wien hat Schwimmer bis heute nicht geantwortet. Außerdem sandte die HOSI Wien am 22. Mai eine Presseaussendung aus, in der die sensationellen Aussagen Schwimmers zur Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen angezweifelt wurden: Allerdings sind wir äußerst skeptisch, ob Schwimmer das wirklich ernst meint oder nur in opportunistischer Weise seine Chancen, im Juni zum Generalsekretär gewählt zu werden, retten will, denn durch die europaweiten Proteste gegen seine Kandidatur und mögliche Wahl ist er ziemlich angeschlagen, hieß es da. Weiters forderte die HOSI Wien Schwimmer auf, seinen Aussagen jetzt auch Taten folgen zu lassen – und zwar noch vor der Wahl zum Generalsekretär des Europarats im nächsten Monat. Erst wenn er in seiner Partei und im Parlament die Initiative ergreift, den menschenrechtswidrigen § 209 endlich zu streichen, sind seine Beteuerungen, sich gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen einsetzen zu wollen, glaubwürdig und überzeugend. Ansonsten wird die europäische Lesben- und Schwulenbewegung keinen Anlaß sehen können, die Proteste gegen Schwimmers Kandidatur einzustellen.
Der Falter # 22/99 vom 2. Juni 1999 nahm diese Aussendung zum Anlaß, Schwimmer zum „Hero der Woche“ zu ernennen (siehe Faksimile). Ansonsten breiteten die österreichischen Medien einen großen patriotischen Mantel des Schweigens über die Proteste der europäischen Lesben- und Schwulenbewegung aus. Und selbst nach dem äußerst knappen Sieg des klaren Favoriten herrschte totales Schweigen im heimischen Blätterwald darüber, daß Schwimmers schlechtes Wahlergebnis einzig und allein auf die von der HOSI Wien vorgeschlagene und von der ILGA-Europa durchgeführte Anti-Schwimmer-Kampagne zurückzuführen ist. Und das, obwohl die HOSI Wien sofort nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses am Abend des 23. Juni eine Presseaussendung an die Zeitungsredaktionen mailte und über das OTS der APA aussenden ließ.
Internationales Medienecho
Internationale Presseagenturen hingegen vergaßen nicht, die Proteste gegen Schwimmer zu erwähnen. Wenn auch in unterschiedlicher Form. Während die Deutsche Presseagentur dpa in ihrer Meldung vom 23. Juni berichtete: Unbeliebt hat sich Schwimmer bisher nur bei Homosexuellen gemacht. Der europäische Lesben- und Schwulenverband protestierte gegen seine Kandidatur, da Schwimmer 1998 in Österreich gegen die Aufhebung eines Gesetzes über das Mindestalter für homosexuelle Handlungen gestimmt habe, wußte es Agence France Presse (ebenfalls am 23. 6.) eindeutig besser – und die Formulierung bezüglich des Mindestalters war bei AFP ebenfalls präziser, wenn auch nicht völlig korrekt:
Die Arbeit des ÖVP-Politikers in diesen Gremien [gemeint ist speziell der Ausschuß, der die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei überwacht] ist allerdings nicht unumstritten: Vertreter der linken Fraktionen in der Parlamentarier-Versammlung hielten Schwimmer wiederholt vor, seine Berichte über die Menschenrechtslage in den fraglichen Ländern seien von allzu großer diplomatischer Nachsicht geprägt. Nicht zuletzt deswegen, so ein Diplomat in Straßburg, habe sich Schwimmer die Unterstützung der meisten türkischen Abgeordneten sowie vieler Parlamentarier aus Osteuropa sichern können.
Für kritische Reaktionen hatte die Kandidatur des 57jährigen schon vorab beim Europäischen Lesben- und Schwulenverband (ILGA-Europa) gesorgt. Sie nehmen ihm übel, daß er im Wiener Parlament gegen die Abschaffung des Paragraphen 209 im österreichischen Strafgesetzbuch gestimmt hat, der unterschiedliche Mindestaltersgrenzen für homosexuelle und heterosexuelle Handlungen festlegt. Damit sei der ÖVP-Politiker für das Amt an der Spitze einer Organisation, die sich für Menschenrechte und gegen Diskriminierungen einsetzt, „nicht geeignet“, schrieb der Verband vor einigen Monaten in einem Brief an die 291 Mitglieder der Versammlung.
Was die Türkei anbelangt, so ist Schwimmer bei KurdInnen und ihren Organisationen sicherlich genauso unbeliebt wie bei Lesben und Schwulen. Überdies kann in diesem Zusammenhang angemerkt werden, daß sich Schwimmer auch bei Behindertenorganisationen FeindInnen gemacht hat. Er war nämlich auch federführend an der Ausarbeitung der Bioethik-Konvention des Europarats beteiligt, die auf heftige Widerstände bei Behindertenorganisationen gestoßen ist. Selbst seine eigene Partei, die ÖVP, hat diesen Organisationen in Österreich zugesagt, der Ratifizierung der Konvention durch Österreich im Nationalrat nicht zustimmen zu wollen, falls die Organisationen ihre ablehnende Haltung zur Konvention nicht ändern sollten.
Großer Erfolg
Obwohl das Ziel nicht ganz erreicht wurde, ist die ILGA-Europa-Kampagne ein großer Erfolg geworden. Über Monate hinweg war sie Tagesgespräch in den Couloirs des Palais de l’Europe in Straßburg. Bei den ParlamentarierInnen, den Diplomaten und den am Amtssitz des Europarats Beschäftigten ist die ILGA-Europa jetzt jedenfalls bekannt wie ein bunter Hund. Diese Kampagne war die größte und breitest angelegte in der ILGA-Geschichte – und wie die Frankfurter Rundschau richtig bemerkte – auch einzigartig in der bisherigen 50jährigen Geschichte des Europarats. Zahlreiche ILGA-Mitglieder in vielen Ländern beteiligten sich daran, wobei es keiner großen Überzeugungsarbeit bedurfte, um diese Organisationen zur aktiven Teilnahme zu motivieren: Daß ein homophober Kandidat wie Walter Schwimmer, der die Menschenrechte von Lesben und Schwulen in Österreich dermaßen mit Füßen getreten hat, die Chuzpe hatte, sich für dieses menschenrechtssensible Amt zu bewerben, stieß unter Lesben und Schwulen in ganz Europa auf größte Empörung.
Über die großartige Unterstützung, die diese Kampagne speziell durch die Bewegung in Portugal, Slowenien, Spanien und Schweden erfahren hat, haben wir schon in den beiden letzten Ausgaben der LN berichtet. Beeindruckend auch, was die französische Gruppe Homosexualités et Socialisme alles unternommen hat, um Schwimmer zu verhindern. HES schrieb an Außenminister Hubert Védrine und schaltete eine Reihe von sozialistischen Abgeordneten zur Nationalversammlung, zum Senat und zum Europa-Parlament, darunter die frühere Europarats-Generalsekretärin Catherine Lalumière ein. HES informierte die französische Liga für Menschenrechte, die nach Prüfung der Fakten und Unterlagen beschloß, die Aktion zu unterstützen und alle Ligen für Menschenrechte in den Europaratsstaaten zu informieren. HES machte die Kampagne auch zum Gegenstand eines seiner Info-Briefe, Lettre d’HES, der an alle 400 französischen Lesben- und Schwulengruppe mit der Bitte um Unterstützung versandt wurde.
All diesen Gruppen muß auch der Dank der Lesben und Schwulen in Österreich gelten. Größten Dank hat indes Nigel Warner in London verdient, der diese beachtliche Kampagne konzipiert, geleitet und koordiniert hat. Er hat präzise Arbeits- und Lobbying-Unterlagen zusammengestellt, jeden neuen Schritt gut vorbereitet und potentielle UnterstützerInnen kompetent informiert und animiert. Darüber hinaus hat er im Namen der ILGA-Europa einige tausend Briefe in dieser Sache verschickt, allein an sämtliche Mitglieder der PV und ihre StellvertreterInnen ergingen mehrere Schreiben!
Eine deutliche Warnung
Schwimmers Niederlage – auch wenn er letztlich gewählt wurde, muß man sein knappes Ergebnis als Niederlage bezeichnen – ist hoffentlich eine klare Botschaft an alle PolitikerInnen, die hohe Posten in internationalen Organisationen anstreben, daß Menschenrechte unteilbar sind, daß Lesben- und Schwulendiskriminierung kein Kavaliersdelikt ist, keine läßliche Sünde, sondern eindeutig unvereinbar mit derartigen Ämtern. So meinte auch Nico Beger in der Presseaussendung der ILGA-Europa nach der Wahl: Homophobe Personen, seien sie ParlamentarierInnen, RichterInnen oder BeamtInnen, die sich um hohe Positionen in den mit Menschenrechten befaßten Organisationen Europas bewerben, haben eine deutliche Warnung erhalten – sie werden auf entschlossenen Widerstand stoßen. Und Nigel Warner unterstrich die Bedeutung der Bewegung: Europas lesbisch/schwule Gemeinschaft hat gezeigt, daß sie sowohl die politische Unterstützung als auch die Stärke hat, sich über 41 Länder hinweg wirksam zu organisieren. Wir haben den Regierungen klargemacht, daß Europas 50 Millionen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Gender-Personen eine Macht darstellen, mit der zu rechnen ist, und es nicht zulassen werden, daß man ihre Rechte mit Füßen tritt.
Für die ÖVP wird dieses schmähliche Wahlergebnis darüber hinaus hoffentlich eine Lehre sein: Ihre lesben- und schwulenfeindlichen Haltungen sind in Europa nicht mehr mehrheitsfähig. Insofern ist der erzieherische Wert des Straßburger Votums nicht hoch genug einzuschätzen. Und auch für die SPÖ gibt es Lehren zu ziehen, auch für sie stellt dieses Ergebnis eine schallende Ohrfeige dar. Sie hatte Schwimmers Kandidatur aus unerfindlichen Gründen vorbehaltlos unterstützt – und sich damit einmal mehr zur Komplizin eines homophoben Menschenrechtsverletzers gemacht. Der Autor dieser Zeilen meinte denn auch in der erwähnten Presseaussendung der ILGA-Europa: Die österreichische Regierung, die Walter Schwimmer als Kandidaten nominiert hat, hat sich ordentlich blamiert. Nie wieder wird wohl eine europäische Regierung einen Kandidaten für ein solches Amt vorschlagen und dabei annehmen, Lesben- und Schwulenrechte könnten ganz einfach ignoriert werden.
Auch das Liberale Forum hat diesmal versagt und es verabsäumt, seinen Einfluß bei den europäischen Liberalen geltend zu machen, um Schwimmer zu verhindern. Es war trotz mehrfacher Urgenz für ILGA-Europa nicht möglich, vom LiF ein Statement zu bekommen, daß das LiF die Kandidatur Schwimmers nicht unterstützen würde. In Straßburg kursierten nämlich entsprechende gegenteilige Gerüchte.
Nachträgliche Anmerkung:
Nach seiner fünfjährigen Amtszeit kandidierte Schwimmer am 22. Juni 2004 für eine zweite Amtsperiode. Er war wohl von seinem Amtsbonus überzeugt, aber sollte sich gewaltig irren. Schwimmer bekam nur 91 Stimmen und unterlag seinem Gegenkandidaten, dem Briten Terry Davis (von der Labour Party), für den 157 Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) stimmten (vgl. dazu die Medienaussendung der HOSI Wien vom 23. Juni 2004 sowie meinen Beitrag in den LN 3/2004, S. 21).