Ist Homosexuellsein ehrenrührig?
Die Bekanntgabe der Homosexualität einer Person ist eine Ehrenbeleidigung und wegen ihrer diffamierenden Wirkung geeignet, diese Person in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen – das findet zumindest der Oberste Gerichtshof.
Obiges Zitat stammt nicht aus einer Entscheidung in einem der Outing-Prozesse, sondern aus jenem Verfahren, das Burgl Czeitschner gegen Krone-Adabei Roman Schliesser angestrengt hatte und das zu einem Pyrrhussieg für die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung wurde. Dieses OGH-Urteil vom 4. Mai 1995 ist auch für die gegen den Autor dieser Zeilen geführten Prozesse in Sachen Bischofsouting von Bedeutung, weshalb eine Analyse des OGH-Urteils geboten scheint.
Die Vorgeschichte
Am 4. Februar 1993 zieht Jörg Haider im Fernsehen am Runden Tisch Elmar Oberhausers in bewährter Manier zwar kein Taferl, aber ein Schriftstück aus der Tasche und präsentiert es triumphierend: Es handle sich um ein internes Protokoll der Leiterin der ORF-Hauptabteilung Gesellschaft, Jugend und Familie, Burgl Czeitschner. Aus diesem Protokoll gehe hervor, daß die von ihr geführte Abteilung die Parole ausgegeben habe, dem von Haider und seiner FPÖ lancierte Ausländer-Volksbegehren ab Jänner 1993 in möglichst allen Sendungen unauffällig entgegenzuarbeiten. Czeitschner tritt am nächsten Tag von ihrem Posten freiwillig zurück.
Am 7. Februar 1993 wirft ihr Roman Schliesser in seiner Adabei-Kolumne in der Kronenzeitung noch einen Prügel nach: Denn seit Jahren ist’s ein offenes Geheimnis, daß Burgl Czeitschner und Frauenministerin Johanna Dohnal dicke Busenfreundinnen waren. Das hilft, wenn man Karriere machen will… Aber das gehört wohl zum progressiven politischen Stil heutzutage, wenn sich zwei Frauen recht gern haben, daß die eine für die Familie auf die Mattscheibe klopft und die andere statt der Frauen die Männer gesetzlich zum Geschirrspülen verdonnern will. Bleibt nur die Frage offen – wer hat beim Busenteam Dohnal-Czeitschner das Geschirr abgewaschen? Da wüßte man, wer der Mann war…
In einem Interview in NEWS # 6/93 vom 11. 2. 1993 beschwerte sich Czeitschner bitterlich über diesen widerlichen homophoben Ausfall des Adabei, sah aber keine Möglichkeit, dagegen gerichtlich vorzugeben.
Ein Jahr später verfaßte Schliesser in der Kronenzeitung die Serie Die teuren Spaziergänger über die sogenannten „Weißen Elefanten“ beim ORF. Und da walzte er in der Folge vom 7. Mai 1994 (vgl. LN 3/1994, S. 17) folgende „Geschichte“ über Czeitschners Entrée beim ORF aus: Als sie sich bei Programmintendant Ernst Wolfram Marboe präsentierte, ließ sie ihn sofort wissen: „Zu Ihrer Information, ich bin lesbisch und hatte früher eine Beziehung mit Ministerin Johanna Dohnal…“ Diese Geschichte wurde dann auch im Wahlkampf 1994 von der FPÖ in ganzseitigen Zeitungsinseraten kolportiert, z. B. in der Neuen Kronenzeitung vom 18. 9. 1994 (vgl. LN 4/1994, S. 15).
Czeitschner hat bei diesem Vorstellungsgespräch Marboe gegenüber tatsächlich ihre Homosexualität erwähnt, offenbar um diesbezüglichen Gerüchten vorzubeugen, und nicht, wie es Schliesser insinuierte, um ihrer Karriere einen besseren Start zu verschaffen bzw. die Anstellung überhaupt zu bekommen, denn zum Zeitpunkt dieses Gesprächs hatte sie den Job ja schon, und zudem hatte Marboe mit ihrer Bewerbung gar nicht zu tun! Czeitschner wollte mit ihrer Klage gegen Schliesser erreichen, daß er jede zukünftige Erwähnung ihres Lesbischseins, die bei ihm ja offenkundig nur hämisch und blöde ausfallen konnte, zu unterlassen habe. Sie stand auf dem Standpunkt, ihre Sexualität wäre in jedem Fall reine Privatsache, die in der Zeitung nichts verloren hätte. Sie wollte einfach in Ruhe gelassen werden. Was verständlich und ihr gutes Recht ist.
Das Urteil
Der Oberste Gerichtshof meinte es offenbar gut mit ihr und gab ihr in diesem Ansinnen recht. Schliesser wurde zu Unterlassung und Widerruf verurteilt. Was auf den ersten Blick als Sieg gegen Schliesser und seine homophoben und in der Tat diffamierend gemeinten Äußerungen erscheint, erweist sich auf den zweiten Blick – nicht zuletzt wegen der verhatschten Begründung des OGH – als Eigentor für die lesbisch/schwule Sache.
Der OGH stellt nämlich fest: Daß aber in der öffentlichen Bekanntgabe der Homosexualität eines Menschen und ebensolcher früherer Beziehungen zu einem bestimmten Partner eine Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs. 1 ABGB liegt, kann schon deshalb nicht zweifelhaft sein, weil ungeachtet der Abschaffung der allgemeinen Strafbarkeit der „gleichgeschlechtlichen Unzucht“ … derartige geschlechtliche Praktiken nach wie vor aufgrund der in der Gesellschaft vorherrschenden Wertvorstellungen stark diskriminierend sind… Der in der beanstandeten Mitteilung enthaltene Verhaltensvorwurf in bezug auf die weibliche Homosexualität der Klägerin ist daher geeignet, diese wegen ihrer diffamierenden Wirkung in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (§ 111 StGB).
Nichts dagegen, daß der OGH die Intimsphäre der Klägerin schützen will – aber nicht mit derartigen Begründungen, durch die die Klägerin gleichzeitig zu Abschaum degradiert wird und die geeignet sind, in der Bevölkerung zweifellos noch bestehende Vorurteile gegen Homosexuelle eher einzuzementieren als zu bekämpfen! Man muß sich die ganze Tragweite dieser Feststellung einmal vergegenwärtigen: Da sagt der OGH mit anderen Worten zur lesbischen Klägerin: Ja, das, was du bist, ist so grauslich, widerlich und verwerflich, daß es eine Ehrenbeleidung ist, wenn jemand diese Wahrheit über dich sagt!
Außerdem können sich die OGH-Richter bei dieser Argumentation nur auf ihre eigenen Vorurteile stützen, aber nicht auf gesicherte wissenschaftliche Daten. Es ist sogar stark zu bezweifeln, ob derartige Wertvorstellungen tatsächlich immer noch „vorherrschen“, also mehrheitlich sind. Es gibt keine neuen empirischen Studien über die Einstellung der Bevölkerung zur Homosexualität, daher sind diesbezügliche Aussagen reine Spekulation. Daß die OGH-Richter hier bloß ihre eigenen Vorurteile reproduziert haben, ergibt sich schon aus der entlarvenden Verwendung des Wortes „diskriminierend“. Es müßte natürlich „diskriminiert“ heißen, denn „diskriminierend“ sind „homosexuelle Praktiken“ wohl nur in der Vorstellung von Homophoben.
Grundsätzlich ist diese Argumentation des OGH zu verwerfen, weil sie bedeutet, daß ein wahres, unveränderliches körperliches Merkmal oder Merkmal menschlichen Seins als Ehrenbeleidigung qualifiziert wird, nur weil eine – vermeintliche – Mehrheit in der Gesellschaft negative Vorurteile und Einstellungen diesen Merkmalen gegenüber hat. Man stelle sich eine analoge Argumentation bezüglich Frauen, Rothaariger, Körperbehinderter jüdischer BürgerInnen etc. vor!
Wenn in diesem Zusammenhang eine Ehrenbeleidigung erfolgt ist, dann geschah sie dadurch, daß der OGH die Nachrede der Homosexualität als ehrverletzend qualifizierte – denn er diskriminiert und beleidigt damit die rund eine halbe Million Lesben und Schwule in Österreich, die ihre Homosexualität auch aktiv ausleben und sich zum Teil dazu offen bekennen.
Unsichtbarkeit wird belohnt
Statt Diskriminierungen bestimmter Bevölkerungsgruppen zu verhindern und die Bundesverfassung im Sinne modernen Menschenrechtsverständnisses auszulegen, findet sich der OGH offensichtlich mit Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen aufgrund bestimmter Umstände und Merkmale – obwohl etwa die Europäische Menschenrechtskonvention derartige Diskriminierungen verbietet – nicht nur ab, sondern stellt ihnen sozusagen einen Persilschein aus. Der Bevölkerung wird suggeriert und signalisiert: Diskriminiert Lesben und Schwule ruhig weiter!
Das besagte OGH-Urteil ist aber auch aus anderen Gründen höchst problematisch, etwa wenn es darin heißt: Liegt aber eine Ehrenbeleidigung durch Verbreiten wahrer Tatsachen vor, kann deren Rechtswidrigkeit nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden. Dabei steht der Anspruch der Klägerin gemäß Artikel 8 MRK auf Achtung ihrer Intimsphäre der ebenso jedermann garantierten Meinungsfreiheit gegenüber. Die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen unterbinden zu wollen kommt einer Zensur und eben der Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gleich – auch wenn diese wahren Tatsachen für die Betroffenen unangenehm, negativ oder gar ehrverletzend sind.
Im besagten Fall fällt diese Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus, weil sie zum Zeitpunkt der Verbreitung der beanstandeten Mitteilung durch den Beklagten seit mehr als einem Jahr nicht mehr in einer die Öffentlichkeit interessierenden Funktion beim ORF tätig gewesen ist. Meint der OGH nun die Mitteilung der Homosexualität allein und will er in erster Linie die Intimsphäre schützen, dann wäre es doch unerheblich, ob Czeitschner noch im ORF tätig gewesen wäre oder nicht. Denn wenn die Sexualität generell als Intimsphäre zu schützen ist, dann hat sie konsequenterweise auch geschützt zu werden, wenn man eine die Öffentlichkeit interessierende Funktion ausübt. Betrifft aber die Interessenabwägung die Unterstellung, die Klägerin hätte sich mit dem Hinweis auf ihre frühere lesbische Beziehung zu einer Ministerin einen Vorteil bei ihrer Bewerbung um eine ORF-Anstellung verschaffen wollen, dann kann das öffentliche Interesse an solchen Umständen jedoch keinesfalls ein Ablaufdatum haben!
Noch skandalöser hat ja ein anderes österreichisches Gericht in der Sache Scholten gegen täglich alles argumentiert. Rudolf Scholten ließ bekanntlich durch eine einstweilige Verfügung von Gerichts wegen verhindern, daß über einen angeblichen homosexuellen Seitensprung von ihm berichtet wird (vgl. LN 4/1994, S. 15, und LN 4/1995, S. 8). Hier argumentierte der Richter, der genialerweise übrigens einen einzigen homosexuellen Seitensprung mit Homosexuellsein gleichsetzt (!): Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Kläger eines der höchsten Ämter der Republik Österreich innehat und die Öffentlichkeit bei den gegebenen Auffassungen jedenfalls keinen Minister … dulden würde, der homosexuell ist.
Fazit: Urteile zum Schutz von (vermeintlichen) Lesben und Schwulen werden in Österreich nur gefällt, wenn es der Systemerhaltung und ihrer Unsichtbarkeit dient. Die nach der Outing-Aktion vom 1. August 1995 von den vier Bischöfen Kapellari, Küng, Laun und Schönborn angestrengten Verfahren sind insofern ein Glücksfall, als solche Urteile und speziell das durch seine Begründung unerträgliche Erkenntnis des OGH nunmehr herausgefordert werden können, notfalls auch durch die Europäische Menschenrechtskommission und den Gerichtshof in Straßburg. Denn obwohl – wie man im folgenden Artikel sehen kann – die Klage gegen Schliesser und die Klagen der Bischöfe kaum miteinander vergleichbar sind, berufen sich die RichterInnen in den Verfahren gegen den Autor dieser Zeilen – zu Unrecht, wie noch zu beweisen sein wird – auf dieses Urteil.
Die beiden Urteile sind jedenfalls durch ihre Begründung eine Beleidigung einer halben Million Lesben und Schwuler in Österreich, die wir uns nicht unwidersprochen und widerstandslos gefallen lassen dürfen und können. Insofern sind die Outing-Prozesse ein Glücksfall.
Die Outing-Verfahren werden daher – egal, wie man zur Outing-Aktion steht – die gesamte Lesben- und Schwulenbewegung betreffen, und sie wird wohl oder übel darauf reagieren müssen. Denn Urteilsbegründungen wie im Verfahren Czeitschner gegen Schliesser können und dürfen niemanden egal sein, sondern müssen politische Aktivitäten aller hervorrufen. Vorwürfe, daß ich durch meine Aktion schuld daran bin, daß jetzt österreichische Gerichte feststellen, „homosexuelle Neigungen“ sind ehrenrührig und Mitteilungen darüber daher geeignet, jemanden in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen bzw. herabzusetzen, gehen angesichts des OGH-Urteils ins Leere. Im Gegenteil: Jetzt besteht – wie gesagt – die Chance, dieses Schandurteil revidieren zu lassen.