Nur mehr Österreich und Albanien oder: Perestrojka auch bei uns! 3. Teil
Österreich und Albanien sind die beiden letzten Ostblockländer. Dieser von mir an dieser Stelle in den LN 1/1990 aufgestellten These schließen sich immer mehr politische Beobachter an. Jüngstes Beispiel: ein Gastkommentar von Johannes Voggenhuber, Bundesgeschäftsführer der Grünen, im profil # 28 vom 9. Juli 1990. Voggenhuber beklagt, daß Österreich wieder eine Revolution verpaßt hat. Wir sind wieder leer ausgegangen und müssen uns mit den sklerotischen Strukturen abfinden. Ein Trauerspiel, ein nationales Drama.
Wer immer noch meint, ich würde schamlos übertreiben, dem/der kann ich diesmal wieder drei Beispiele geben, die obige These untermauern. Diese Beispiele haben sich alle seit der letzten Ausgabe der LN ereignet und stammen aus dem Bereich Lesben- und Schwulenpolitik – von der Allgemeinpolitik in diesem Lande will ich ja gar nicht reden, da gebe es ja noch weit mehr Beispiele (bei Voggenhuber nachzulesen).
Aber zu den Beispielen: In der Tschechoslowakei wurde am 1. Juli 1990 der § 244 aus dem Strafgesetz entfernt. Dadurch wurden folgende Tatbestände entkriminalisiert: sexuelle Handlungen einer über 18jährigen Person mit einer Person des gleichen Geschlechts, die unter 18 ist, homosexuelle Prostitution, wobei sowohl die Entgelt annehmende wie die Entgelt anbietende Person mit Strafe bedroht war, sowie die Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Geschlechtsverkehr mit einer Person desselben Geschlechts. Nun hat auch die ČSFR ein einheitliches Schutzalter für alle eingeführt (es liegt bei 15), und unser Sch***land macht überhaupt keine Anstalten, Reformen in die Wege zu leiten.
Unser Sozialminister ist ein Surm, gegen den sogar Ministerin Flemming eine Politikerin erster Güte ist. Dieser Naivling begreift nicht einmal primitivste politische Zusammenhänge. Daß Lesben- und Schwulenunterdrückung gesellschaftliche Ursachen hat, versteht er nicht. Die Repression ist halt da, weil die Leute so unverständig sind. Daß dies kein Naturgesetz ist, sondern daß das auch zu ändern wäre – ja daran hatte er noch gar nicht gedacht, das mußte er geistig erst verdauen. Ja, man ist immer wieder aufs neue über die miese Qualität des Denkens sozialistischer Politiker erstaunt.
Das letzte Beispiel gebe ich in eigener Sache. Wie in den LN 2/1990 berichtet, habe ich bei einem Prozeß gegen die HOSI die Gerichtsakten geschnappt und in eine Ecke des Verhandlungszimmers geschleudert. Und was machen diese Kretins? Sie konstruieren in bewährter stalinistischer Manier eine Anklage, der zufolge ich einem der mich festnehmenden Justizwachebeamten einen Stoß versetzt und dadurch versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet hätte. Nichts davon ist wahr, es ist alles erstunken und erlogen. Eine Richterin gibt sich dazu her, dafür auch noch als Zeugin aufzutreten! Staatsanwalt und Richter verplempern ihre Zeit und unsere Steuergelder für dieses Rachekomplott. Dieses Staat ist bis in die Grundfesten verfault. Das ist politische Verfolgung pur. Das ist Ostblock. Und dann ist das alles so stümperhaft und lächerlich! Daß diese Leute einfach keine Selbstachtung haben, daß sich Menschen für solchen kindischen Schwachsinn hergeben.
Wir brauchen eine Revolution. Allerdings bin ich skeptisch, ob bei uns eine sanfte Samtrevolution ausreichend ist…
Kurts Leidartikel LN 3/1990
Nachträgliche Anmerkungen
Bei dem erwähnten SPÖ-Sozialminister handelte es sich um Walter Geppert, mit dem GUDRUN HAUER und ich am 12. April 1990 ein Gespräch über die Rehabilitierung homosexueller NS-Opfer geführt hatten, das aber total enttäuschend verlief. Für Geppert waren sie gewöhnliche Kriminelle. Ein ausführlicher Bericht über dieses Gespräch findet sich in den LN 3/1990 (S. 13 f). Als wir dann am 6. Mai 1990 an der Befreiungsfeier im ehemaligen KZ Mauthausen teilnahmen, war der Text auf dem HOSI-Wien-Transparent entsprechend aggressiv: „Minister Geppert, sei kein Nazi-Schwein! Wiedergutmachung jetzt!”.
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Im Prozess gegen mich wegen des erfundenen Widerstands gegen die Staatsgewalt wurde ich später freigesprochen. Die erste Verhandlung am 13. Juni 1990 musste vertagt werden, weil keine/r der drei geladenen ZeugInnen erschienen war – weder Doris Trieb, die Richterin, der ich die Akten vom Tisch gefegt hatte und die behauptete, gesehen zu haben, wie ich den Justizwachebeamten gestoßen hätte, noch der angeblich von mir gestoßene Beamte noch sein Kollege.
Am 3. Oktober 1990 wurde das Verfahren fortgesetzt. Trieb behauptete mit dem Brustton der Überzeugung, ich hätte heftigen Widerstand gegen meine Abführung aus dem Verhandlungssaal geleistet und wie wild um mich geschlagen. Jener Beamte, der mich als erster packte, bestätigte diese Aussagen nicht, sondern, dass ich mich gegen das Hinausführen nicht aktiv gewehrt hätte. Erst bei der Türe habe er einen Stoß erhalten. Da sich in den Aussagen noch andere Widersprüche ergaben, blieb dem Richter nichts anderes übrig, als mich freizusprechen. Er hatte dann in seiner Urteilsbegründung noch Mühe, die Aussagen von Richterin Trieb zu relativieren, um den offensichtlichen Verdacht auf falsche Zeugenaussage zu zerstreuen.
Ich rächte mich an Trieb, indem ich die Medien einschaltete, und dort kam sie dann gar nicht gut weg. Am 9. Oktober gab’s größere Berichte in der AZ, der ehemaligen Arbeiterzeitung, die damals noch bestand, in der Neuen Kronenzeitung (Titel: „Richter bezweifelte die Aussage einer Kollegin“) und im Kurier (Titel: „Richterin im Zeugenstand: Richter glaubte ihr nicht“), der süffisant schrieb: „Richter Friedrich Fischer vertraute der Erinnerung seiner Kollegin nicht – und sprach den Akten-Schleuderer frei (…). Doris Trieb billigte er zu, ‚im Tumult einem Wahrnehmungsirrtum erlegen‘ zu sein.“
Über das Verfahren berichteten die LN 2/1990 (S. 15 ff), 4/1990 (S. 19) sowie 3/1991 (S. 14 ff). Siehe dazu auch meinen Beitrag in der Sektion „Aktionismus“.