UNO-Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien: Riesen-Erfolg für Lesben und Schwule
Sowohl das NGO-Forum als auch die UNO-Weltkonferenz über Menschenrechte fanden im Austria Center neben der Wiener UNO-City statt. Der Eingangsbereich wurde mittlerweile zweimal neu gestaltet.
FOTO: WIKIPEDIA/NEPENTHES
Wie in den LN 1/1993 (S. 31 f) ausführlich angekündigt, war von Haus aus eine rege und aktive Beteiligung von regierungsunabhängigen Organisationen, den sogenannten „NGOs“, geplant. Dazu gab es u. a. monatliche Vorbereitungstreffen im Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM), das diese NGO-Aktivitäten koordinierte. Der Autor dieser Zeilen nahm als ILGA-Vertreter an diesen regelmäßigen Treffen teil. Zu den wichtigsten NGO-Aktivitäten zählte die Abhaltung einer NGO-Konferenz unmittelbar vor der UNO-Weltkonferenz (im folgenden WCHR – World Conference on Human Rights). Der auf diesem „NGO-Forum“ verabschiedete Schlußbericht wurde der WCHR als offizieller NGO-Forderungskatalog überreicht. Überdies hielten die NGOs während der zweiwöchigen UN-Konferenz eine Reihe von Parallelveranstaltungen ab: Seminare, Workshops, Tribunale, Hearings, Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen etc. Die dritte wichtige Rolle, die die NGOs spielten, betraf ihre Teilnahme an der UNO-Konferenz selbst.
NGO-Forum: Lesben- und Schwulenrechte im Final Report
Das NGO-Forum tagte vom 10. bis 12. Juni im Austria Center. Die ILGA war durch Generalsekretär JOHN CLARK, DOUGLAS SANDERS aus Kanada und den Autor dieser Zeilen vertreten. Überdies nahmen Lesben, insbesondere aus Lateinamerika, und Schwule, die aus anderen Zusammenhängen nach Wien gekommen waren, am Forum teil. Das Forum tagte in den fünf ursprünglich vorgesehenen sowie in fünf ad hoc angesetzten Arbeitskreisen. Douglas und ich meldeten uns im Namen der ILGA in drei dieser zehn Arbeitskreise zu Wort und gaben Statements über die Lage der Menschenrechte von Lesben und Schwulen sowie die diesbezüglichen Forderungen der ILGA ab. Im NGO-Forum waren unsere Interventionen überhaupt nicht kontroversiell, die große Mehrheit der anderen NGO-VertreterInnen unterstützte diese Forderungen. In den Berichten aus vier dieser zehn Arbeitsgruppen ans Schlußplenum der NGO-Konferenz wurde dann auch die Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung erwähnt. Es waren dies die Arbeitsgruppen zur „Bewertung der auf dem Gebiet der Menschenrechte erzielten Fortschritte, der Wirksamkeit der UN-Standards und -Mechanismen“, zu den „Rechten der Frauen“, zum Thema „Nach Wien – Aufbau einer Menschenrechtsbewegung“ und zu „Rassismus, Fremdenhaß, ethnische Gewalt und religiöse Intoleranz“, wo auch die Nichtdiskriminierung von Personen mit HIV/AIDS ausdrücklich erwähnt worden ist.
Die einzelnen Berichte aus den Arbeitsgruppen wurden dann zum „Abschlußbericht“ (Final Report) zusammengestellt und vom General-Rapporteur des NGO-Forums – Manfred Nowak vom BIM – in einer Pressekonferenz am 13. Juni im LaWie in Wien-Landstraße den zahlreich anwesenden JournalistInnen aus dem In- und Ausland präsentiert, wobei er nicht darauf vergaß, die Forderung nach Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen ausdrücklich zu erwähnen. Der Final Report des NGO-Forums wurde von Nowak am 14. Juni dann auch im Plenum der UN-Weltkonferenz präsentiert – und auch hier erwähnte er ausdrücklich „sexuelle Orientierung“ als Nichtdiskriminierungskategorie bei der Respektierung von grundlegenden Menschenrechten. Das war das erste Mal, daß die Wörter „sexuelle Orientierung“ bzw. „Lesben und Schwule“ in der UNO-Konferenz ausgesprochen wurden. Es sollte nicht das letzte Mal sein! Der Final Report mit seinen vier Erwähnungen der Lesben- und Schwulenrechte wurde auf UNO-Papier gedruckt und als mehr oder weniger offizielles Konferenzdokument an alle Delegationen verteilt.
ILGA-Teilnahme an der WCHR
Die ganze Weltkonferenz (WCHR) war davon geprägt, daß die von der UNO selber aufgestellten Regeln, sofern es welche gab, ständig umgestoßen und abgeändert wurden. Das fing schon bei der Einladung und Akkreditierung von NGOs an. In der Vorbereitungsphase hatte es immer geheißen, nur jene NGOs würden zugelassen, die entweder NGO-Status beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) haben oder die an einer der Vorbereitungskonferenzen (in Tunis für Afrika, in San José für Lateinamerika, in Bangkok für Asien/Pazifik oder an der Europaratstagung in Straßburg im Jänner 1993) teilgenommen haben. Da die ILGA an der Straßburger Tagung teilgenommen hat (vgl. LN 2/1993, S. 38), wähnte sie sich schon sicher, auch in Wien teilnehmen zu können. Dann hieß es jedoch, die Straßburger Tagung zähle nicht als offizielle Vorbereitungskonferenz für die WCHR. Machte aber nichts, denn im März 1993 beschloß das dafür zuständige UNO-Komitee in New York, der ILGA Beraterstatus beim ECOSOC zu gewähren (vgl. LN 2/1993, S. 40). Doch dieser Beschluß ist noch nicht definitiv, denn er muß vom ECOSOC selbst noch bestätigt werden. Das ist an und für sich eine reine Formsache, doch inzwischen gibt es Gerüchte, daß einige islamische Staaten bei den Ende Juni 1993 in Genf beginnenden Sitzungen des ECOSOC die endgültige Zuerkennung des NGO-Status an die ILGA verhindern wollen.
Da also der NGO-Status beim ECOSOC noch nicht definitiv war, sah es kurze Zeit so aus, als ob alle unsere Stricke reißen würden. Dann aber wurde bekannt, daß die UNO alle NGOs, die um eine Einladung zur WCHR ansuchten, zu dieser zulassen würde. Und es stellte sich heraus, daß die ILGA nicht die einzige Lesben- und Schwulenorganisation war, die offiziell an der WCHR teilnahm – was sich als Vorteil erweisen sollte: Neben den ILGA-Leuten waren auch VertreterInnen von ATOBÁ – Movimento de emancipação homossexual aus Brasilien, vom Australian Council for Lesbian and Gay Rights (ACLGR) und von EGALE – Equality for Gays and Lesbians Everywhere, einer Gruppe aus Ottawa, nach Wien gekommen, und das sogar auf Kosten der EG, die die Teilnahme von NGO-VertreterInnen mit mehreren Millionen Schilling unterstützte. Die ILGA hatte vier VertreterInnen akkreditiert: REBECA SEVILLA aus Peru, MYRNA MORALES vom Lesbian and Gay Community Services Center in New York, das auch die UNO-Arbeitsgruppe der ILGA beherbergt, DOUGLAS SANDERS, Professor für internationales Recht an der Universität von British Columbia in Vancouver, und Kurt Krickler von der HOSI Wien.
Redebeiträge auf der Konferenz
Die WCHR war folgendermaßen strukturiert. Es gab während der beiden Konferenzwochen eine permanente Plenarsitzung, parallel dazu tagten ein Hauptausschuß („Main Committee“) und das Redaktionskomitee („Drafting Committee“). Darüber hinaus tagte man nach Regionen getrennt, und es gab jede Menge informelle, also für NGOs unzugängliche Treffen. Das Redaktionskomitee war für die Erstellung des Schlußdokuments der WCHR verantwortlich und für NGOs im Prinzip nicht zugänglich. Die Funktion des Main Committee war ziemlich unklar, im Prinzip passierte dort dasselbe wie im Plenum: VertreterInnen der Regierungsdelegationen und der NGOs gaben Statements am laufenden Band ab. Dem Vernehmen nach wurde es als Abstellplatz für Halima Warzazi aus Marokko eingerichtet, die sich während der Vorbereitungen der WCHR allseits unbeliebt gemacht hatte, aber nicht umgangen werden durfte. So konnte sie schließlich den Vorsitz im unnötigen Main Committee führen. Sie war auch für Lesben und Schwule keine Unbekannte. 1992 hatte sie die Human Rights Advocates, eine offizielle NGO, dafür kritisiert, daß sie es Douglas Sanders ermöglicht hatten, im August 1992 in der UNO-Subkommission zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten in Genf in einem gemeinsamen Statement der Human Rights Advocates und der ILGA über „Lesben- und Schwulenrechte“ zu sprechen. Es war dies das erste Mal, daß eine homosexuelle Person „als solche“ vor einem UN-Gremium sprach.
Und in Wien machte Warzazi uns wieder Schwierigkeiten. ILGA, EGALE und ACLGR hatten sich unabhängig voneinander in die Rednerliste des Main Committee eingetragen. Warzazi bestand darauf, daß die drei Lesben- und Schwulenorganisationen nur einmal das Wort ergreifen. Wir schalteten daraufhin die australische Regierungsdelegation ein, die versuchte, Warzazi umzustimmen, was nicht gelang. Bei dieser Gelegenheit bekannte Warzazi, es falle ihr schwer, die Wörter „Lesben“ und „Schwule“ auszusprechen. Sie habe auch ihre eigenen Ansichten zur Homosexualität – und man solle froh sein, daß sie sie im Committee nicht äußere. In ihrem Bericht ans Plenum brachte Warzazi dann zumindest die Wörter „sexuelle Minderheiten“ über die Lippen.
Unterstützung von NGOs
Schließlich bekamen die Lesben und Schulen am 22. Juni sechs Minuten Redezeit im Main Committee: RODNEY CROOME aus Tasmanien gab im Namen des Australian Council for Lesbian and Gay Rights ein Statement ab. Das vorgesehene ILGA-Statement teilten wir dann schriftlich an alle im Saal anwesenden Delegationen aus.
Was die Möglichkeit betraf, im Plenum das Wort zu ergreifen, bestand in den ersten Tagen große Konfusion. Es stellte sich heraus, daß die UNO sechsmal je fünf Minuten Redezeit an NGOs zu einzelnen Themen wie Frauen, Urbevölkerungen etc. vergab. Die einzelnen Statements sollten von den NGOs selber koordiniert werden, was zahlreiche Treffen und Meetings zur Folge hatte. Auch hier erwies es sich als Vorteil, daß mehrere Lesben- und Schwulengruppen anwesend waren. EGALE nahm in den Meetings der Gruppe der westlichen NGOs teil, die ILGA in den Meetings der Gruppe der internationalen NGOs. So kamen die Lesben und Schwulen zu zwei Rede-„Slots“, wie es im Konferenzjargon hieß. Das gemeinsame Statement der Gruppe der westlichen NGOs, abgegeben am 24. Juni von Louise Shaughnessy von der Canadian National Association of Women and the Law, beschäftigte sich mit „verletzbaren Gruppen” im allgemeinen und Lesben und Schwulen im besonderen. Die Passagen zur Nichtdiskriminierung der Lesben und Schwulen wurden von JOHN FISHER von EGALE erstellt. Das Statement der ILGA zu Lesben- und Schwulenrechten wurde ebenfalls am 24. Juni im Plenum gehalten, und zwar von Douglas Sanders. Die Tatsache, daß es eines der gemeinsamen Statements der Gruppe der internationalen NGOs war, machte es noch bedeutungsvoller. Überdies wurde es direkt von sechs internationalen NGOs unterzeichnet, der International Federation of Social Workers, der Women’s International League for Peace and Freedom, der International Alliance of Women, der World Young Women’s Christian Association, dem Organizing Committee – People’s Decade of Human Rights Education sowie dem International Council of Jewish Women.
Die Zusammenarbeit mit und Unterstützung durch andere NGOs stellen neben der Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen den Haupterfolg für uns auf dieser Konferenz dar – auch aus den Frauen-NGOs kam Unterstützung für Lesben. Die Sichtbarkeit wurde durch weitere Interventionen von Lesben und Schwulen erreicht. Die VertreterInnen der anwesenden Lesben- und Schwulengruppen hatten sich nämlich zu Beginn der WCHR vorsorglich in die Rednerliste fürs Plenum eingetragen, bevor überhaupt noch klar war, wie die Rede-Slots für die NGOs verteilt und gemanagt werden sollten. Dies kristallisierte sich erst im Laufe der ersten Tagungswoche heraus. Und so kam es dazu, daß John Fisher von EGALE am 23. Juni ebenfalls ein Statement – und zwar das erste – zu Lesben- und Schwulenanliegen im Plenum abgeben konnte. Auch die ILGA hatte noch ihren eigenen Rede-Slot, und CAROLE RUTHCHILD vom ACLGR hatte ein Statement im Namen der ILGA vorbereitet. Sie war ebenfalls am 24. in der Rednerliste vorgesehen. Leider wurde die Sitzung abgebrochen, bevor sie an der Reihe war. Am 25. Juni war die Rednerliste neu und die ILGA auf den aussichtslosen drittletzten Rednerplatz gereiht. Auf unseren Einspruch hin wurde uns gesagt, es seien all jene vorgereiht worden, die noch nicht gesprochen haben, die ILGA habe ja bereits ein Statement in der Gruppe der internationalen NGOs abgegeben. Die Plenarsitzung wurde dann auch abgebrochen, bevor Carole an der Reihe war. Wir haben daraufhin Kopien ihres Statements gemacht und an alle Regierungsdelegationen verteilt.
Daß die internationale Lesben- und Schwulenbewegung auf der WCHR vier rund fünfminütige mündliche sowie zwei schriftliche Statements abgeben konnte, ist ein sensationeller Erfolg, den sich niemand der angereisten AktivistInnen je träumen hätte lassen. Diese Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen war wohl unser größter Erfolg bei dieser Konferenz. Leider können wir aus Platzmangel die sechs Statements nicht im Wortlaut hier abdrucken.
Regierungsdelegationen erwähnen „sexuelle Orientierung“
Eine weitere wichtige Aufgabe war es, Regierungsdelegationen dazu zu bringen, in ihren offiziellen Redebeiträgen ebenfalls auf die Menschenrechte von Lesben und Schwulen und die Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung hinzuweisen. Unseres Wissens haben das fünf Länder getan: Australien, Deutschland, Kanada, die Niederlande und Österreich.
Die Niederlande haben unsere Anliegen dreimal aufgegriffen: Während Außenminister Pieter Kooijmans [1933–2013] sich im Plenum am 15. Juni auf die Mitaufzählung von „sexueller Orientierung“ beschränkte, widmete uns der stellvertretende Delegationsleiter im Main Committee am 17. Juni gleich einen ganzen Absatz: Es gibt auch kleinere Segmente der Gesellschaft, die mit diesem Problem konfrontiert sind (Mangel an Aufmerksamkeit und Problemdefinition, Anm. d. V.). Ich brauche nur auf die Verfolgung und Diskriminierung von Schwulen und Lesben verweisen. Ihre mißliche Lage ist noch nicht entsprechend als Problem anerkannt worden; deshalb sind noch keine Lösungen vorgeschlagen worden. Die fehlende Problemidentifizierung ist in der Tat ein wesentliches Hindernis bei der Verwirklichung der Menschenrechte dieser Gruppe. Ein anderes Mitglied der niederländischen Delegation, das am 21. Juni im Main Committee zum Thema „Von der Exklusion zur Inklusion“ sprach, forderte: Flexible und angemessene Antworten auf Veränderungen in der Gesellschaft sind ebenfalls wichtig. So muß etwa das Erkennen von Mängeln bei den gesetzten Standards hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung zu einer Revision dieser etablierten Standards führen.
Die Vertreterin der kanadischen Außenministerin Barbara McDougall meinte am 16. Juni im Plenum, es sei inakzeptabel, daß jemandem wegen der sexuellen Orientierung oder einer HIV-Infektion grundlegende Menschenrechte und Freiheiten vorenthalten werden.
Ein Vertreter Deutschlands sagte im Main Committee am 21. Juni: Meine Regierung stimmt vollkommen mit den Empfehlungen des NGO-Forum dieser Weltkonferenz überein, das wirksame Mechanismen fordert, um der Diskriminierung verschiedener benachteiligter Gruppen, wie etwa wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminierter Männer und Frauen, behinderter Menschen, von Menschen mit HIV/AIDS, sexuell ausgebeuteter Menschen, obdachloser Kinder oder von Kindern, die Opfer von Kriegen und Kinderprostitution sind, zu begegnen… Die Menschenrechtsorgane der Vereinten Nationen müssen den Menschenrechtsverletzungen und der Diskriminierung sowohl von Frauen als auch dieser verletzbaren Gruppen mehr Aufmerksamkeit widmen.
Eine Vertreterin Australiens ging in ihrem Beitrag im Main Committee am 23. Juni ebenfalls auf die Vernachlässigung bestimmter benachteiligter Gruppen in den Menschenrechtsdokumenten und -plattformen ein: Ich möchte hoffen, daß diese Konferenz den Beginn eines Diskussions- und Dialogprozesses markiert, der darauf abzielt zu gewährleisten, daß niemand wegen seiner/ihrer sexuellen Präferenz diskriminiert wird. Australien unterstützt solche Schritte, um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Präferenz oder des HIV-Status zu ächten.
Für Österreich sprach Frauenministerin Johanna Dohnal am 18. Juni im Main Committee. Auch sie vergaß nicht, „sexuelle Präferenz“ in der Aufzählung von Nichtdiskriminierungskategorien anzuführen.
Es gab unseres Wissens nur ein negatives Statement. Der Außenminister von Singapur meinte am 16. Juni im Plenum in seiner von vielen Seiten kritisierten Rede mit dem Titel „Die wahre Welt der Menschenrechte“ (sic!), daß die meisten Menschenrechte „immer noch ziemlich anfechtbare Vorstellungen“ darstellten – und weiter: Die Einwohner Singapurs und Menschen in vielen anderen Teilen der Welt stimmen zum Beispiel nicht damit überein, daß Pornographie eine akzeptable Manifestation freier Meinungsäußerung oder daß homosexuelle Beziehungen nur eine Frage der Wahl des Lebensstils sind. Die meisten von uns werden auch weiterhin die Ansicht vertreten, daß das Recht zu heiraten auf jene des anderen Geschlechts beschränkt ist.
Weitere Unterstützung
Aber nicht nur Staaten- und NGO-VertreterInnen erwähnten Lesben- und Schwulenrechte in ihren Wortmeldungen, sondern auch internationale Organisationen, wie etwa die International Confederation of Free Trade Unions oder die Interparlamentarischen Union. Von einer Tagung der IPU in Budapest im Mai 1993, die als Vorbereitung für Wien galt, erzählte der offen schwule kanadische Parlamentsabgeordnete SVEND ROBINSON, Mitglied der kanadischen Delegation in Wien, auf der ILGA-Parallelaktivität in der Stöbergasse (vgl. Bericht über die „Lesbisch-schwulen Festwochen ’93“ auf S. 37) folgende Anekdote: Er habe sich dafür starkgemacht, daß auch Menschenrechte von Lesben und Schwulen in das Positionspapier der IPU aufgenommen werde. Ein Abgeordneter aus dem Iran protestierte dagegen, wobei er diskriminierende Bemerkungen über Homosexuelle machte. Svend ergriff daraufhin das Wort: Er sei selbst homosexuell und fühle sich durch die Äußerungen des Iraners beleidigt. Die IPU hat auf diesem Treffen in Budapest sehr deutliche Forderungen in bezug auf Lesben und Schwule verabschiedet.
Nicht im Schlußdokument
Daß „sexuelle Orientierung“ als Nichtdiskriminierungskategorie in das Schlußdokument der WCHR aufgenommen würde, hat natürlich realistischerweise ohnehin niemand erwartet. Wir haben uns daher in unseren Lobbying-Anstrengungen auch nicht darauf konzentriert. Dennoch haben wir den Entwurf des Schlußdokuments, wie er zu Tagungsbeginn vorgelegen ist, angeschaut und konkrete Abänderungsvorschläge formuliert. Sie betrafen jene drei Stellen, wo Nichtdiskriminierungskriterien aufgezählt werden, eine Stelle im Kapitel über Frauenrechte sowie einen völlig neuen Absatz, in dem die Notwendigkeit hervorgehoben wird, der Frage der Menschenrechte von Lesben und Schwulen vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen und entsprechende Studien in Auftrag zu geben.
Dass eine Verwirklichung unrealistisch war, war von Anfang an klar. Die HOSI Wien stand ja bekanntlich schon vor der WCHR mit dem österreichischen Außenministerium in Verbindung. Von diesem hatten wir erfahren, daß auf dem vierten und letzten UNO-Vorbereitungstreffen für die WCHR, das im April 1993 in Genf stattfand, die USA und Norwegen im Entwurf für das Schlußdokument die Ergänzung der Nichtdiskriminierungskategorien um „sexuelle Orientierung“ beantragt hatten. Dieser Antrag wurde von der westlichen Regionalgruppe einschließlich Österreich unterstützt, dann aber angesichts der Vielzahl ähnlicher Anträge durch die allgemeine Klausel „oder anderer Status“ ersetzt. Ein anderer Konsens schien schon damals aussichtslos.
Dennoch führte das konsequente Lobbying der in Wien anwesenden kanadischen Schwulen – Douglas Sanders, John Fisher und Svend Robinson – dazu, daß die kanadische Delegation einen Antrag auf Ergänzung der Kategorien um „sexuelle Orientierung“ nochmals einbrachte. Dies geschah am 19. Juni. Nach einer kurzen Debatte im Redaktionskomitee einigte man sich darauf, im Paragraph 8 des Dokuments die Aufzählung der Kategorien, die bis dahin nur Rasse, Geschlecht, Sprache und Religion umfaßte, überhaupt zu streichen und durch folgende Formulierung zu ersetzen: Die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ohne Unterscheidung irgendwelcher Art ist eine grundlegende Regel der internationalen Rechtsbestimmungen zu den Menschenrechten. Diese „open-ended“-Formulierung schließt „sexuelle Orientierung“ mit ein, womit die ILGA sogar im Redaktionskomitee einen Erfolg verbuchen konnte. Wie schlecht die Arbeit am Schlußdokument ist, zeigt aber genau dieses Beispiel der Aufzählung der Nichtdiskriminierungskategorien. Da nur der Paragraph 8 entsprechend geändert wurde, enthalten die beiden anderen Stellen, wo es zu Aufzählungen kommt, nämlich die Präambel und der Paragraph 20, andere Kategorien, was natürlich inkonsequent, unlogisch und uneinheitlich ist.
Weitere Aktivitäten
Die UNO-Arbeitsgruppe der ILGA in New York hatte auch ein umfangreiches „ILGA-Dokument“ über die Lage von Lesben und Schwulen mit zahlreichen Empfehlungen ausgearbeitet. Es enthält zahlreiche Beispiele von Menschenrechtsverletzungen, in denen Länder konkret beim Namen genannt werden. Das ist aber bei UN-Konferenzen verpönt. John Clark machte sich daher an einem Wochenende die Mühe, das Dokument vor der WCHR zu überarbeiten und sämtliche Hinweise auf konkrete Länder daraus zu entfernen.
Die neue Version wurde dann dem Konferenzsekretariat zur Genehmigung vorgelegt. Diese wurde auch gegeben – und so durften wird auf eigene Kosten 370 Kopien machen, die dann durch das UNO-Konferenzsekretariat an die Delegationen verteilt wurden. Auch das ist ein wichtiger Erfolg für die ILGA.
John Clark verfaßte überdies einen Artikel für die tägliche Konferenzzeitung Terra Viva, der am 14. Uni erschien.
Die ILGA hielt am 16. Juni im Austria Center ein eineinhalbstündiges Informationstreffen für interessierte Delegierte, NGO-VertreterInnen und die Presse ab. Rund 30 Lesben und Schwule, die sich aus anderen Zusammenhängen bei der WCHR aufhielten, nahmen an diesem Treffen teil, darunter zwei aus Indien und etliche aus Lateinamerika. Am Abend des 16. Juni fand, wie vorhin erwähnt, in der VHS Stöbergasse eine weitere ILGA-Parallelaktivität statt. Während der ganzen zweiten Konferenzwoche hatte die ILGA einen Info-Tisch in einem der Korridore auf der NGO-Ebene im Austria Center.
Für die rund ein Dutzend AktivistInnen, die den Kern der internationalen Lesben- und Schwulenvertretung bei dieser Tagung bildeten, waren es ziemlich anstrengende vierzehn Tage, die aber zugleich spannend, euphorisierend und befriedigend waren. Nicht nur wegen der erzielten sensationellen Erfolge, sondern auch weil es Freude bereitet und Kraft gibt, in einer internationalen Gruppe konkrete Ziele zu verfolgen und an einem konkreten Projekt gemeinsam zu arbeiten. Da macht Lesben- und Schwulenbewegung wieder richtig Spaß!
Und zum ohnehin exzellenten internationalen Ruf der HOSI Wien hat ihr Einsatz vor und während der Tagung ohne Zweifel erneut beigetragen – ein Einsatz, der diesmal nicht nur personeller, sondern auch finanzieller Natur war: Für Kopier- und diverse andere Kosten hat die HOSI Wien rund S 15.000,– aufgewendet. Auf alle Fälle eine gute Investition.
Nachträgliche Anmerkung:
Die ILGA-Arbeitsgruppe für die UNO-Menschenrechtskonferenz hat einen detaillierten Bericht auf englisch veröffentlicht, in dem auch die erwähnten Statements im vollen Wortlaut nachzulesen sind – PDF hier.