Euro-ILGA strukturiert sich
Der in New York auf der letzten ILGA-Jahreskonferenz eingeleitete Regionalisierungsprozeß [vgl. LN 3/1994, S. 46 ff] wurde in Helsinki nunmehr in erste konkrete Schritte umgesetzt. Die Tagung beschloß, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die Statuten für die Europäische Regionale Struktur (ERS) der ILGA, kurz auch Euro-ILGA genannt, erarbeiten soll. Die ERS soll eine eigene Rechtspersönlichkeit werden. Für diese Satzungen wurden auch gleich einige wichtige Vorgaben verabschiedet: Die jährliche Europa-Konferenz soll – analog wie zur weltweiten ILGA-Struktur – das höchste entscheidende Organ der ERS sein, bei dem die Mitgliedsorganisationen wie bisher stimmberechtigt sein und für die europäische Region relevante Entscheidungen treffen werden; in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Weltkonferenzen soll die ERS in drei wesentlichen Arbeitsfeldern aktiv werden: Lobbying bei europäischen internationalen Organisationen (Europarat, EU, OSZE) sowie auf nationaler Ebene und Zusammenarbeit mit anderen nichtstaatlichen Organisationen; die Europakonferenzen werden aus Arbeitsgruppen und Komitees bestehen, die sich spezifischen Aufgaben widmen – ihre Vorschläge werden auf den Plenarsitzungen behandelt; außerdem soll die Europakonferenz in Hinkunft einen Vorstand wählen, der für die Umsetzung der Beschlüsse zwischen den Europakonferenzen verantwortlich ist. Dieser Vorstand soll aus bis zu acht VertreterInnen von Mitgliedsorganisationen bestehen, wobei auf geographische Ausgewogenheit und Geschlechterparität (50:50) zu achten ist. Aus diesem Kreis werden zudem eine Vorsitzende und ein Vorsitzender gewählt werden.
Mit dieser neuen Struktur wird zumindest der europäische Arm der ILGA gestrafft und zentralisiert. Aus dem losen Netzwerk wird ein herkömmlicher Verein, wie z. B. die HOSI Wien einer ist – mit dem Unterschied allerdings, daß in der ERS eben Vereine Mitglied sind und nicht Einzelpersonen. Erstmals in der ILGA wird auch ein aus konkreten Personen bestehendes Gremium für die Ausführung und Umsetzung von Beschlüssen verantwortlich sein, wobei dies nicht heißt, daß die ganze Arbeit vom Vorstand bzw. den Mitgliedsgruppen, denen die Vorstandsmitglieder angehören, erledigt werden muß. Der Vorstand wird auch wie bisher einzelne Gruppen mit der Durchführung bestimmter Aufgaben betrauen können.
Die in Helsinki eingesetzte Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedsorganisationen aus Dänemark, den Niederlanden, Belgien und England, wird nun bis zur nächsten Weltkonferenz im Juni 1995 in Rio de Janeiro einen Statutenentwurf ausarbeiten. Die nächste Euro-Konferenz im Dezember 1995 in Riga soll dann die Statuten definitiv beschließen, den ersten Vorstand wählen und ein Euro-Sekretariat bestimmen.
Weitere Themen
Ein wichtiges Diskussionsthema war einmal mehr die Frage, wie die ILGA ihren NGO-Status bei der UNO wiedererlangen könnte (vgl. LN 4/1994, S. 48 f). Die Stimmung war allgemein pessimistisch, Kritik wurde auch an den Entscheidungen des ILGA-Sekretariatekomitees geäußert, das ja zwischen den Weltkonferenzen Entscheidungen treffen kann. Das Sekretariatetreffen hatte Ende Oktober 1994 in Brüssel beschlossen, die ILGA-Mitgliedschaft der Münchner Gruppe VSG zu suspendieren, weil die VSG-Pädogruppe für die Entkriminalisierung (einvernehmlicher) pädosexueller Beziehungen eintritt. Obgleich diese Entscheidung mit den New Yorker Beschlüssen vereinbar ist, ist sie doch undiplomatisch und ungeschickt gewesen, weil ohne Not. Die Suspendierung der ILGA-Mitgliedschaft des VSG bringt den UNO-Status nicht unmittelbar zurück, das Sekretariatekomitee hätte aber wissen müssen, daß eine solche Entscheidung wieder böses Blut machen würde. So war dann in Helsinki auch gleich wieder von einer Hexenjagd auf ILGA-Mitglieder die Rede.
Das Sekretariatekomitee, das im Februar in Rio wieder zusammentreffen wird, wurde zudem aufgefordert, seine im Oktober getroffene Entscheidung, bis zur Klärung des UNO-Status keinen Antrag auf Erlangung eines beratenden Status beim Europarat zu stellen, zurückzunehmen: Die ILGA möge um diesen NGO-Status ungeachtet der Probleme bei der UNO einkommen!
Weitere wichtige Themen waren die Vorbereitungen für die UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking (vgl. auch S. 20) und den UNO-Sozialgipfel, der vom 6. bis 12. März 1995 in Kopenhagen stattfinden wird. Bei letzterem wird die dänische Organisation LBL die ILGA als NGO vertreten. Wie wichtig eine ILGA-Teilnahme ist, um die Anliegen der Lesben und Schwulen bei solchen Gelegenheiten öffentlich zu vertreten, zeigte sich ja bei der UNO-Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo vergangenen September (vgl. LN 4/1994, S. 5), bei der die ILGA leider fehlte, wie ULRIKE LUNACEK in einem Artikel im ILGA Bulletin # 4/94 sehr bedauerte: Ulrike, u. a. auch LN-Autorin, war als Vertreterin des ÖIE (Österreichischer Informationsdienst für Entwicklungspolitik) Mitglied der österreichischen Regierungsdelegation in Kairo und mußte dort miterleben, wie Lesben- und Schwulenanliegen einfach ignoriert und geleugnet wurden.
Überdies wurden die Entwicklungen im Bereich „eingetragene Partnerschaft“ in einzelnen Ländern diskutiert. Die nächsten Konferenzen wurden ebenfalls vergeben: Madrid 1996, Moskau 1997. Die EuroPride-Veranstalter haben ihre nächsten Austragungsorte gleichfalls bestimmt: 1996 Kopenhagen, 1997 Paris. Heuer wird es leider keinen EuroPride geben.
Die finnischen OrganisatorInnen von der Gruppe Seksuaalinen Tasavertaisuus (SETA), die übrigens ihr 20jähriges Bestehen feierte, hatten eine perfekte Konferenz organisiert. Alles klappte hervorragend. Sämtliche Tagungsunterlagen, die Protokolle aller Arbeitskreise wurden sofort ins Internet eingespeist, sodaß interessierte E-Mail-BenutzerInnen sofort am laufenden waren. Auch der Konferenzbericht wurde unmittelbar nach Tagungsende fertiggestellt und braucht jetzt nur mehr photokopiert und verschickt werden. Eine tolle Leistung, bedenkt man, daß der New Yorker Konferenzbericht nach über einem halben Jahr immer noch nicht verfügbar ist. SETA organisierte auch eine tolle Silvesterparty. Rund 1500 Personen erfreuten sich an u. a. traditioneller finnischer Tanzmusik und einer professionellen Liveshow.
PHARE/TACIS-Projekt
Am 2. und 3. Jänner 1995 trafen sich ILGA-AktivistInnen in Tallinn zu einer Besprechung über die Durchführung des Lesbian and Gay Anti-Discrimination Project, für das die ILGA von der EU rund zwei Millionen Schilling bekommen hat (vgl. LN 4/1994, S. 48). Mit diesem Geld sollen in fünf Städten des postsozialistischen Ostens (Riga, Wilna, Tallinn, St. Petersburg und Moskau) Lesben- und Schwulenprojekte finanziert werden, um damit die allgemeine Demokratisierung der Gesellschaft in diesen Ländern zu fördern. In erster Linie ist an den Ausbau geeigneter Infrastruktur gedacht (Büros, Computer, Telefonberatung etc.). Der Autor dieser Zeilen wurde als „Osteuropa-Experte“ eingeladen, an dieser Arbeitssitzung, zu der VertreterInnen der einzelnen Gruppen in den genannten Städten angereist waren, als Konsulent teilzunehmen. Das Projekt ist auf ein Jahr befristet.