Tumult im Landesgericht
Auch im folgenden geht es um einen „Ladenhüter“ aus dem gerichtlichen Verfolgungsrepertoire der Republik: Wie erinnerlich, wurde Anfang 1988 die HOSI Wien angezeigt, weil sie an die SchulsprecherInnen in Wien, NÖ und im Burgenland Rundschreiben verschickte, die als Beilagen auch verschiedene Ausgaben des Infos der HOSI-Wien-Jugendgruppe (TABU) sowie den von der Jugendgruppe herausgegebenen Jugend(ver)führer enthielten. Dies verstoße gegen § 220 StGB („Werbung“), fand ein Schuldirektor, der offenbar das Briefgeheimnis verletzt hat.
Nach Einvernahmen des damaligen Referenten der Jugendgruppe, GERALD REISNER, sowie des HOSI-Wien-Obmanns REINHARDT BRANDSTÄTTER (vgl. LN 2/1988, S. 18 f, 3/1988, S. 13 f, und 4/1988, S. 9) wurde die Anzeige gegen die HOSI Wien bzw. ihre Funktionäre am 28. September 1989 zurückgelegt. (Bei Durchsicht der letzten beiden LN-Ausgaben haben wir bemerkt, daß wir es offenbar verabsäumt haben, über diese Zurücklegung zu berichten. Das tut uns leid.)
Damit gab sich der Staatsanwalt, Hofrat Dr. Werner Olscher, aber nicht zufrieden. Er beantragte am Tag der Einstellung der Anzeige die Einziehung der TABU-Ausgaben 11–12/1987, 1–2/1988, 3–4/1988, des Jugend(ver)führers, 2. Auflage, der LN 2/1988 sowie des oben erwähnten Rundbriefes an die SchulsprecherInnen und des damals ebenfalls an alle Schülerzeitungen in Österreich versendeten Briefes gemäß Mediengesetz, weil einige Passagen in diesen Medienwerken objektiv den Tatbestand der Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts begründen würden, die Verfolgung der Verfasser jedoch nicht durchführbar sei. Letzteres ist zwar einigermaßen schleierhaft, aber offensichtlich will man kein Verfahren nach § 220 riskieren, uns aber trotzdem einschüchtern, indem man uralte Ausgaben unserer Publikationen, die nur mehr in einigen Belegexemplaren existieren, einziehen, also beschlagnahmen will.
Der Antrag des Staatsanwalts ist in jeder Hinsicht läppisch und lächerlich und wohl nur mit pathologischer Homophobie zu erklären. Offenbar ist der Hofrat in seiner eigenen Heterosexualität nicht sehr gefestigt (wie man hört, hat er auch sehr spät – in seinen 40ern – geheiratet).
Folgende Passagen wurden als Werbung inkriminiert (es handelt sich hierbei um keine Satire, sondern um ein echtes Anliege der österreichischen Strafverfolgungsbehörden, die immer so unter der Arbeitsüberlastung stöhnen!):
Nach langem Warten und schweren Geburtswehen ist ER da: Jugend(ver)führer. IHN nicht zu besitzen kann nur Sünde sein. Daher tut Buße und kauft IHN (TABU 11–12/1987);
Darüber hinaus gibt’s einiges zu berichten: Erstens der Besuch der Jugendgruppendelegation in Berlin bei den „verliebten Jungs“, die wirklich zum Verlieben sind. Höhepunkt des „Warmen Winterwochenendes“ war ein Besuch in Ostberlin. Wir knüpften Kontakte zu anderen westdeutschen Jugendgruppen, die uns im Zuge eines „homosexuellen Austauschprogramms“ demnächst besuchen werden und umgekehrt! (TABU 1–2/1988);
Des weiteren wurde eine mehr als harmlose Rezension des Films Abschiedsblicke im selben TABU inkriminiert. Oder: Wußtest du, daß … Beethoven nicht nur die Musik, sondern auch seinen Neffen Karl liebte? … Richard Löwenherz Philipp II. von Frankreich liebte? … Hans Christian Andersen sein Leben lang seinen Märchenprinzen suchte? … die bedeutendsten Feldherren (Prinz Eugen, Tegetthoff, Radetzky) schwul waren? Und so weiter und so fort. Es ist schier unglaublich, was sich die Staatsanwaltschaft hier geleistet hat.
Richterin provoziert Tumult
Am 20. März 1990 fand dann die öffentliche Hauptverhandlung statt. WALTRAUD RIEGLER, Helmut Graupner und unser Anwalt Otto Dietrich vertraten die HOSI Wien. Rund 30 interessierte ZuhörerInnen, darunter etliche Journalisten, wollten der Verhandlung beiwohnen, doch das Verhandlungszimmer bot nur etwa sieben Sitzplätze. Richterin Doris Trieb erlaubte jedoch nicht, daß die anderen der Verhandlung stehend oder am Boden sitzend beiwohnten. Sie forderte ohne weitere Diskussion alle, die keinen Sessel ergattert hatten, auf, den „Saal“ zu verlassen. Als die Leute dieser harschen Aufforderung nicht nachkommen wollten, alarmierte sie die Justizwache. Als diese eintraf, wurde sie gleich auf unseren Fotografen JOSEF GABLER gehetzt.
Ein darüber zu Recht aufgebrachter HOSIaner nahm daraufhin in berechtigter Entrüstung den Akt vom Richtertisch und schleuderte ihn in eine Ecke des Verhandlungszimmers, woraufhin sich mindestens vier Justizwachebeamte auf ihn – es handelte sich dabei um den Verfasser dieser Zeilen – stürzten und mit brutaler Gewalt die Stiegen vom 2. Stock ins Erdgeschoß hinunterstießen und ihn dabei mehrere heftige Arschtritte versetzten (ich spürte sie mindestens noch drei Wochen später, meinen dabei verstauchten kleinen Finger spüre ich noch jetzt!). FRIEDL NUSSBAUMER, geschockt über diese brutale Behandlung, wollte mir zu Hilfe kommen, woraufhin er aber selber brutal abgeführt wurde.
Angeblich soll die Justizwache gar nicht berechtigt gewesen ein, uns abzuführen, jedenfalls mußte sie erst die reguläre Polizei kommen lassen, um unsere Personalien aufnehmen zu lassen. Unsere Mitnahme auf ein Polizeikommissariat wurde höchstwahrscheinlich dadurch verhindert, daß sich die rund 30 ZuhörerInnen vor dem Justizwachezimmer, in dem Friedl und ich über eine Stunde festgehalten wurden, versammelt hatten und auf uns warteten.
Inzwischen war die Verhandlung über die Bühne gegangen (zuvor hatte die Richterin noch eine andere Verhandlung eingeschoben; als die Leute zur HOSI-Wien-Verhandlung wieder eingelassen wurden, wurden jene wenigen Personen, die man in das Zimmer vorließ, von der Justizwache perlustriert.
Der von der Richterin heraufbeschworene Tumult fand breites Medienecho, allerdings verbreitete die Austria-Presse-Agentur eine falsche Darstellung des Hergangs, sodaß jene Zeitungen, die keinen Reporter zur Verhandlung geschickt hatten, falsche Berichte veröffentlichten, was uns wieder zum Verfassen von Leserbriefen zwang (vgl. Medienschau auf S. 51 f in diesem Heft).
Die Verhandlung selbst dauerte nur kurz, unser Anwalt brachte seine Ansicht vor, daß die Sache nach dem Mediengesetz ohnehin verjährt sei. Außerdem kündigte er einen Schriftsatz an, in dem inhaltlich auf die inkriminierten Textstellen eingegangen werden soll. Die Richterin, die eigentlich kurzen Prozeß machen und dem Antrag des Staatsanwalts ohne weitere Anhörung von Argumenten stattgeben wollte, wäre da nicht das große Interesse der Öffentlichkeit gewesen, vertagte die Verhandlung schließlich auf unbestimmte Zeit.
Am 29. März 1990 lieferte unser Anwalt Otto Dietrich schließlich seine 20 Seiten umfassende schriftliche Stellungnahme bei Gericht ab. Wir werden sehen, wie es weitergeht.
Gegen mich gibt es eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, gegen Friedl und Josef wird es keine Anzeigen geben.
Im übrigen haben wir auch einen saftigen Beschwerdebrief an Justizminister Egmont Foregger [1922–2007] geschickt, in dem wir das Vorgehen der Richterin aufs schärfste verurteilen und ihn auffordern, ihr das Verfahren zu entziehen sowie dafür zu sorgen, daß bei der nächsten Verhandlung ein ausreichend großer Saal zur Verfügung steht.
Nachträgliche Anmerkung:
Über den Ausgang der beiden Angelegenheiten bzw. Verfahren berichte ich in meinem Beitrag „Aktenwerfen bei Gericht“ in der Sektion „Aktionismus“.