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Beitrag in GEDENKDIENST Nr. 2/2001

Rosa-Winkel-Häftlinge: Bis heute kein Rechtsanspruch auf Entschädigung

Veröffentlicht am 1. August 2001
„Gedenkdienst“, die Zeitschrift des gleichnamigen „Vereins zur Leistung eines Gedenkdienstes an Holocaust-Gedenkstätten“, widmete dem Thema NS-Verfolgung Homosexueller einen Schwerpunkt in ihrer Ausgabe 2/2001. U. a. verfasste ich einen Beitrag über die nicht erfolgte Entschädigung von Rosa-Winkel-Häftlingen durch die Republik Österreich.

Männliche und weibliche Homosexualität war in Österreich auch vor dem Anschluss ans Deutsche Reich verboten und blieb es nach der Befreiung bis 1971. Auch nach 1945 wurden tausende Frauen und Männer wegen homosexueller Handlungen in die Kerker der Zweiten Republik gesperrt.

Daher überrascht es nicht, dass nach 1945 es kaum jemand wagte, Entschädigung einzufordern, und auch nicht, dass das 1947 beschlossene OFG, das seither rund 50mal novelliert wurde, Wiedergutmachung nur für die politisch, religiös oder rassisch, nicht jedoch für die wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten vorsieht.

Der Gesetzgeber und das zuständige Sozialministerium argumentierten folglich, das Verbot der Homosexualität sei kein „typisch nationalsozialistisches“ Recht gewesen. Rosa-Winkel-Häftlinge galten quasi als gewöhnliche Kriminelle. Lesbische Frauen wurden übrigens in die Kategorie „Asoziale“ eingeordnet und trugen den schwarzen Winkel im KZ. In dieser Kontinuität der Verfolgung lag und liegt auch das wesentliche Motiv für diese Ablehnung begründet: Würden die Homosexuellen entschädigt werden, könnten ja auch „andere Kriminelle“, womöglich Schwer- und Berufsverbrecher, Entschädigung für ihre KZ-Haft verlangen. Außerdem fürchtet(e) man wohl, ein Einfallstor zu öffnen für mögliche – und eigentlich logische – Entschädigungsforderungen von Lesben und Schwulen, die zwischen 1945 und 1971 ins Gefängnis geworfen wurden.

 

„Straftatbestand“ auch nach 45

Obwohl natürlich schon ein Unterschied besteht: Das Einsperren von Homosexuellen mag es vorher und nachher gegeben haben, die systematische Verfolgung und Ausmerzung war indes typischerweise nationalsozialistisch, ideologisches Programm der Nazi. Den Antisemitismus haben ja auch nicht erst die Nazi erfunden, Ghettos und Judenpogrome hat es auch schon vorher gegeben. Deswegen würde trotzdem niemand ernsthaft behaupten wollen, der Holocaust sei daher nicht typisch nationalsozialistisch gewesen, und den Juden und Jüdinnen Entschädigung verwehren!

Auch der Umstand, dass viele nach Verbüßung einer vielleicht nur mehrmonatigen, von einem Gericht verhängten Haftstrafe ins KZ überstellt wurden und dort mitunter noch jahrelang inhaftiert blieben, machte für das Sozialministerium keinen Unterschied. Auch wenn diese zusätzliche KZ-Haft zwar nicht als Strafhaft zu werten sei, so sei sie dennoch als eine Zeit der Freiheitsbeschränkung anzusehen, „die auf einen Straftatbestand beruht, der auch nach der österreichischen Rechtsordnung im Zeitpunkt der Begehung strafbar gewesen wäre“, hieß es in einem Schreiben des Sozialministeriums an einen Betroffenen.

Die nie erfolgte Wiedergutmachung betraf aber nicht nur die Entschädigung für die KZ-Haft und die Ausstellung eines Opferausweises nach dem OFG, sondern auch die Anerkennung der KZ-Haft als Ersatzzeiten auf die Pension. Es gibt nur einen einzigen Fall eines Rosa-Winkel-Häftlings in Österreich, dem seine – sechsjährige – KZ-Haft auf die Pension angerechnet worden ist. Durch seine Hartnäckigkeit und die Befassung der Volksanwaltschaft und Bundeskanzlers Franz Vranitzkys gab die Pensionsversicherungsanstalt nach siebenjährigem Hinhalten schließlich nach.

Auch bei der Ersatzzeiten-Anrechnung vertrat das Sozialministerium dieselbe Position und weigerte sich, nicht nur die gerichtlich verhängte Haftdauer, sondern auch die zusätzliche KZ-Zeit als Ersatzzeiten anzurechnen. Das Ministerium berief sich dabei auf eine Nazi-Verordnung vom 11. Juni 1940, die es offenbar als rechtsgültige Grundlage für seine Entscheidung betrachtete. Diese Verordnung sah vor, dass Haftzeit wegen einer während des Kriegszustandes begangenen Tat in der Zeit des Kriegszustandes nicht als Vollzugszeit galt – Häftlinge hätten also auf das Ende des Krieges warten müssen, um ihre Strafen abzusitzen. Hintergrund war die Abschreckung: Das Regime wollte verhindern, dass sich Leute durch kriminelle Handlungen dem Einsatz an der Front entziehen.

Die Weigerung, die Zeit der KZ-Haft als Ersatzzeit auf die Pension anzurechnen, ist insofern skandalös, als Dienstzeiten bei der Waffen-SS bzw. den SS-Verfügungstruppen als Kriegsdienstzeiten angesehen werden und den SS-Angehörigen, so ihnen keine Kriegsverbrechen nachzuweisen waren, sehr wohl als Ersatzzeiten auf ihre Pension angerechnet wurden. Das heißt, die SS-Wärter erlitten im Gegensatz zu den homosexuellen KZ-Häftlingen keine Pensionseinbußen.

 

Kampf um Rechtsanspruch

Fast 20 Jahre lang hat die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien versucht, für die wegen ihrer sexuellen Orientierung vom Nazi-Regime Verfolgten Wiedergutmachung bzw. Entschädigung durch die Republik Österreich im Rahmen des Opferfürsorgegesetzes (OFG) zu erwirken. Sie scheiterte am hinhaltenden Widerstand der PolitikerInnen aller drei großen Parteien. Das begann unter einem SPÖ-Sozialminister in der SPÖ-Alleinregierung 1982, setzte sich fort unter SPÖ-Sozialministern in der Kleinen Koalition mit der FPÖ (1983-86) und in der Großen Koalition mit der ÖVP (1986-99) – und ist auch unter den FPÖ-MinisterInnen seit der FPÖVP-Regierung offenbar nicht anders.

Bei der Novelle des OFG im Jahre 1988 war die SPÖ noch dagegen, den Begünstigtenkreis auf homosexuelle NS-Opfer auszudehnen, wobei dies dem Wunsch der drei politischen Opfer- und KZ-Verbände entsprach, die sich erfolgreich dagegen wehrten, dass sie, die politisch, religiös und rassisch Verfolgten, mit homosexuellen NS-Verfolgten in einem Gesetz behandelt werden. Bis 1995 änderte sich die Haltung der SPÖ in dieser Frage, aber der damalige Versuch, das OFG entsprechend zu novellieren, scheiterte. Die Mehrheit von ÖVP und FPÖ im Nationalrat stimmte dagegen – wie zuletzt auch wieder am 6. Juni 2001, als ein Antrag auf Ausweitung des OFG zur Abstimmung vorlag. Nur die Grünen und das Liberale Forum haben diese Forderung von ihrem Einzug in den Nationalrat an konsequent unterstützt.

Am selben Tag im Juni 1995, als das OFG wieder einmal novelliert wurde, stand die Verabschiedung des Gesetzes über die Schaffung eines Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus auf der Tagesordnung des Nationalrats. Während ÖVP und FPÖ die Aufnahme homosexueller NS-Opfer ins OFG abermals ablehnten, stimmten sie der Aufnahme von sexueller Orientierung als Verfolgungsgrund in das Nationalfonds-Gesetz zu: Im § 2 Abs. 1 heißt es: Der Fonds erbringt Leistungen an Personen, 1. die vom nationalsozialistischen Regime aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstimmung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung, aufgrund eines Gesundheitsschadens oder aufgrund des Vorwurfes der sogenannten Asozialität verfolgt oder auf andere Weise Opfer typisch nationalsozialistischen Unrechts geworden sind oder das Land verlassen haben, um einer solchen Verfolgung zu entgehen…

Das war zwar ein Erfolg für die jahrelangen Bemühungen der HOSI Wien, aber dieser Fonds kann einen Rechtsanspruch nach dem OFG nicht ersetzen. In der Regel sind an die – bedürftigen – AntragstellerInnen einmalige Zahlungen in der Höhe von S 70.000,– durch den Fonds geleistet worden. Auch zwei wegen ihrer Homosexualität verfolgte Männer bekamen schließlich Entschädigungen. Wiewohl heute wohl nur noch wenige Betroffene leben, geht es darum, daß diese Opfergruppe ebenfalls voll anerkannt und ihr dieselben Rechtsansprüche gewährt werden.