Zum Tod von Franz Matscher und Ernest Maurer
LOSE SERIE: AUS DEM ARCHIV
In den letzten Wochen starben mit Franz Matscher (* 1928) und Ernest Maurer (* 1945) zwei „prominente“ erzkonservative bis reaktionäre Richter, die durch ihre Arbeit und Entscheidungen nicht unumstritten waren – und deswegen auch in die Kritik der HOSI Wien gerieten. Grund genug für mich, aus Anlass ihres Ablebens nochmals auf die negativen Seiten ihres Wirkens hinzuweisen. Denn die Medien blenden in ihren Nachrufen solche Facetten gerne aus oder verharmlosen sie. Man nennt das wohl Pietät. Doch bei allen Verdiensten, die diese Personen möglicherweise oder tatsächlich auch haben mögen, dürfen ihre antidemokratischen, menschenrechtsfeindlichen und homophoben Schattenseiten auch posthum nicht verschwiegen werden.
Franz Matscher (1928–2021)
An Franz Matscher werden sich vermutlich nicht viele Schwulen- und LesbenaktivistInnen erinnern. Als er am 18. Februar 2021 im 94. Lebensjahr verstarb, war er allerdings auch schon sehr lange nicht mehr als Richter bzw. Jurist tätig. Ich hätte ihn wohl auch längst vergessen, wäre ich im Zuge meiner Arbeiten an diesem Website nicht auf meine Artikel in den LAMBDA-Nachrichten aus 1982 und 1995 gestoßen, in denen er zu unrühmlichen Ehren kam.
Matscher war mehr als 20 Jahre – von 1977 bis 1998 – Österreichs Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg und fiel dabei nicht gerade als progressiv auf. Im Gegenteil! Als der EGMR nach etlichen früheren anderslautenden Entscheidungen im Oktober 1981 in der Beschwerde Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich eine denkwürdige und richtungsweisende Entscheidung fällte und das Totalverbot homosexueller Handlungen endlich als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wertete, war Matscher einer von vier (unter den insgesamt 21) Richtern, die gegen dieses Urteil stimmten, wie ich in den LN 3/1982, S. 14, berichtete.
Die HOSI Wien protestierte damals vehement gegen Matscher sowohl bei Außenminister Willibald Pahr als auch bei Justizminister Christian Broda (1916–1987), bekam aber nur ausweichende Antworten, die Richter seien unabhängig, würden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats bestellt und könnten nicht abgesetzt werden. Ähnliche Antworten erhielt die HOSI Wien auf ihre Beschwerdebriefe an den Generalsekretär des Europarats und den Präsidenten des Straßburger Gerichtshofs.
Dreizehn Jahre später protestierte die HOSI Wien abermals. Matscher war von der Bundesregierung für eine dritte Amtszeit als EGMR-Richter nominiert und in der Folge wiedergewählt worden. Leider hatte die HOSI Wien erst nach erfolgter Wahl davon erfahren, und so konnte sie im Februar 1995 in ihren Schreiben an Außenminister Alois Mock (1934–2017) und Justizminister Nikolaus Michalek nur ihrer Verwunderung über die neuerliche Nominierung Matschers Ausdruck verleihen.
Dass Matscher die Verwirklichung und die Weiterentwicklung der Menschenrechte nicht förderte, sondern vielmehr behinderte, war nicht nur die Einschätzung der HOSI Wien, sondern wurde damals auch durch eine Auswertung seines Abstimmungsverhaltens im Gerichtshof durch Human Rights Watch bestätigt, wie das FORVM # 493–494 vom Februar 1995 berichtete. Matscher wurde durch diese Analyse nachgewiesen, dass er die EMRK ziemlich eng und konservativ auslegte. In der LN-Ausgabe 2/1995 habe ich ausführlich darüber berichtet: „Österreich bremst das Menschenrecht“.
Ernest Maurer (1945–2021)
An Ernest Maurer, über dessen Ableben die Medien am 25. März berichteten, werden sich hingegen mehr Leute erinnern, zumal er jüngst als Lebensgefährte von Ex-Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wieder in Erscheinung trat.
Maurer war indes vor allem als williger Vollstrecker der FPÖ und später der beiden schwarzen-blau-orangen Regierungen (2000–06) bekannt und berüchtigt. Schon vor 2000 war es die Strategie der FPÖ unter Jörg Haider gewesen, GegnerInnen und KritikerInnen und auch kritische JournalistInnen in Grund und Boden zu klagen. Meist wurden diese Verfahren wegen übler Nachrede oder Ehrenbeleidigung von FPÖ-Parteianwalt Dieter Böhmdorfer bzw. – als dieser dann Justizminister in dieser bleiernen Zeit wurde – von seiner Kanzlei geführt, die sich dabei wohl auch noch eine goldene Nase verdienten. Maurer lieferte jedenfalls die gewünschten Gefälligkeitsurteile für die FPÖ am laufenden Band.
Wurden hingegen FPÖ-Politiker von linken oder fortschrittlichen Personen wegen übler Nachrede oder Ehrenbeleidigung geklagt, wandte Maurer die entsprechende großzügige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sehr weitherzig an. Dann mutete Maurer den „beleidigten“ Personen sehr wohl zu, sich als Personen des öffentlichen Lebens im politischen Diskurs andere Maßstäbe anlegen lassen zu müssen als Normalsterbliche.
Später wurde Maurer – wenn auch nicht namentlich erwähnt – von den drei EU-Weisen für diese Praxis gerügt. Sie waren bekanntlich eingesetzt worden, um Österreich und seine 14 EU-Partner ohne größeren Gesichtsverlust aus den im Jahr 2000 wegen der FPÖ-Regierungsbeteiligung verhängten bilateralen Maßnahmen gegen Österreich herauszuführen. In ihrem Abschlussbericht kritisierten sie in den Punkten 93–103 die FPÖ-Methode, politische GegnerInnen und KritikerInnen durch eine Klagsflut einzuschüchtern und mundtot machen zu wollen. Folgender Satz im Punkt 99 war offenkundig auf Maurer gemünzt: Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, daß die Rechtsprechung dieser Gerichte in diesem Bereich nicht einheitlich ist. Nicht alle scheinen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in ausreichender Weise zu berücksichtigen.
Als Maurer 2000 von der schwarz-blauen Regierung ins ORF-Kuratorium berufen wurde, war dies für Alexander Pollak und Ruth Wodak der Anlass, eine skandalöse Urteilsbegründung Maurers einer sprachwissenschaftlichen Textanalyse im Sinne der forensischen Linguistik zu unterziehen. O-Töne Maurers aus diesem Urteil: Das Eintreten für Rassenreinheit und Erbgesundheitslehre und gegen die Integration von Ausländern ist per se betrachtet nicht ehrenrührig. Oder: Die Idee vom rassenreinen und erbgesunden Volk an sich ist eine Idealvorstellung, die nicht erst vom Nationalsozialismus erfunden wurde. Das Ergebnis ihrer Arbeit publizierten Pollak und Wodak 2001 im Wiener Czernin-Verlag: „Der ausgebliebene Skandal. Diskurshistorische Untersuchung eines Wiener Gerichtsurteils“. Eine detaillierte Darstellung dieses Falls findet sich in der Buchrezension des Deutschlandfunks.
Noch einmal ordentlich in die Schlagzeilen geriet der umstrittene Richter im Dezember 2006, und auch da streifte er am Nationalsozialismus an. Maurer war Vorsitzender eines Berufungssenats am Oberlandesgericht Wien, der zwei Drittel der dreijährigen Freiheitsstrafe, die im Februar 2006 ein Geschwornensenat am Landesgericht Wien über den britischen Holocaust-Leugner David Irving wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verhängt hatte, in eine bedingte Haftstrafe umwandelte. Maurers obszöne Begründung: Irvings „bisher untadeliger Wandel“.
Pietät versus Geschichtsklitterung
Im Kurier vom 25. März 2021 ist – als perfektes Beispiel für einen oberflächlichen, milden, geschönten, eben „pietätvollen“, aber nichtsdestotrotz geschichtsfälschenden Nachruf – Folgendes über den „manchmal umstrittenen Richter“ zu lesen: Der überaus korrekte Beamte gehörte keiner Partei an. (…) Fachleute bescheinigten ihm, dass jedes seiner Urteile einer wissenschaftlichen Arbeit gleiche. (…) Vor allem seine Urteile als Medienrichter waren oft sehr umstritten, hielten allerdings stets bis zum obersten [sic!] Gerichtshof.
Allerdings nicht vor dem EGMR, was der Kurier wohl bewusst unter den Tisch fallen lässt. Am 4. November 2007 – da war der blau-schwarz-orange Spuk Gott sei Dank schon wieder vorbei – berichtete etwa der Standard über drei von ihm in Straßburg gewonnene Beschwerden: Jörg Haider, Ewald Stadler und ein Linzer Richter klagten den Standard wegen kritischer Kommentare und Berichte. Dreimal gab das Oberlandesgericht Wien unter dem Senatsvorsitz von Ernest Maurer den Klägern Recht. Dreimal widersprach nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und entschied für den Standard: In allen drei Fällen reichten den Straßburger Richtern die Begründungen aus Österreich nicht, um Eingriffe in die freie Meinungsäußerung zu rechtfertigen.
Außerdem war in Medienverfahren ein Instanzenzug bis zum OGH oder gar bis zum Verfassungsgerichtshof rechtlich gar nicht möglich, was von den drei Weisen in ihrem Bericht (Seite 28, Randnummer 99) ja ebenfalls ausdrücklich kritisiert worden war.
Ja, solcher Geschichtsglättung ist entschieden entgegenzutreten. Zu viele Menschen haben unter Maurers Entscheidungen gelitten.
ÖVP auf Spuren der FPÖ
Dies wieder in Erinnerung zu rufen erscheint mir auch deshalb so wichtig, weil sich die ÖVP in ihrer Verzweiflung und Panik angesichts ihres Totalversagens in der Corona-Krise und ihrer überall aufpoppenden Korruption gerade anschickt bzw. zumindest damit droht, KritikerInnen ihrer Politik durch Sonne und Mond zu klagen. Derartige Einschüchterungsversuche gehören natürlich sofort im Keim erstickt. Denn die jüngste Geschichte zeigt, was passieren kann, wenn es in der Justiz willige Vollstrecker reaktionärer Politik gibt. Dass die ÖVP überall in der Justiz ihre Netzwerke aufgebaut und ihre Handlanger positioniert hat, wird ja jeden Tag evidenter.
Und die von den Türkisen angedrohte Klagsflut zeigt einmal mehr, dass sich ÖVP und FPÖ mittlerweile nicht nur ideologisch, sondern auch in ihren Methoden bis zur Kenntlichkeit ähneln und eigentlich längst zu einer Partei fusionieren könnten.
Zur weiteren Lektüre
Im folgenden eine Übersicht über meine Beiträge in den LAMBDA-Nachrichten, in denen ich mich mit dem unsäglichen Wirken von Ernest Maurer als Medienrichter beschäftige:
Zum ersten Mal kam Maurer so richtig auf den Radar der HOSI Wien in Zusammenhang mit den vorhin erwähnten EU-Maßnahmen im Jahr 2000 und dem EU-Weisenrat. Ausführlich beschäftigte ich mich damit in den LN 4/2000: In einem Artikel berichtete ich über den Besuch einer von mir angeführten NGO-Delegation bei den drei Weisen in Heidelberg, in einem anderen über die enttäuschende, weil bedingungslose Aufhebung der EU-Maßnahmen gegen Österreich. Ein Kommentar rundete die Berichterstattung ab („Haiders willige Vollstrecker: Europäische Nachhilfe für Österreichs verrottete Justiz“).
Bereits eine Ausgabe später, in den LN 1/2001, befasste ich mich in ganz anderem Zusammenhang nochmals mit Maurers Urteilen. Im Oktober 2000 hatte nämlich der EGMR meine vier Beschwerden gegen die Urteile der österreichischen Gerichte in den sogenannten Bischofsouting-Verfahren für nicht zulässig erklärt. Zuvor, im März 2000, war bereits Andreas Wabl mit seiner Beschwerde in Straßburg gescheitert; er war wegen des Vorwurfs, die Kronen-Zeitung betreibe „Nazi-Journalismus“, von dieser geklagt und von allen Instanzen in Österreich verurteilt worden. Beide Entscheidungen waren Indizien dafür, dass der EGMR in Sachen Meinungsfreiheit wieder konservativer werden und seine bisherige Judikatur wieder zurücknehmen könnte, während sich zur gleichen Zeit die drei EU-Weisen in ihrem Bericht zur FPÖ noch voll auf diese etablierte Rechtsprechung berufen hatten (einer der drei Weisen, Jochen Frowein, war früher selbst Mitglied der Europäischen Menschenrechtskommission gewesen). Ich machte mir daher Sorgen um die vielen Haider- und Maurer-Opfer, sollte der EGMR in seiner Spruchpraxis tatsächlich dauerhaft den Rückwärtsgang einlegen. Jedenfalls habe ich in diesem LN-Bericht über den Ausgang meiner Outing-Verfahren auch die Willkür der Maurer-Urteile („Österreichs verrottete Justiz, Teil II“) ausführlich dargelegt.
Meine Sorgen sollten sich indes als unberechtigt erweisen, wie sich dann anhand der drei vorhin erwähnten EGMR-Beschwerden zeigte, die vom Standard gewonnen wurden. Diesen Urteilen widmete ich in den LN 1/2007 einen Beitrag samt Buchtipp Pollak/Wodak („Republik Österreich in Straßburg verurteilt: Sieg für die Meinungsfreiheit“) sowie einen Kommentar („Recht(lich)er Dreck“). Der Umstand, dass der EGMR nun das Maurer-Unwesen in der österreichischen Rechtsprechung in die Schranken gewiesen hatte, machte mich noch optimistischer, das vom ÖVP-Abgeordneten Walter Tancsits gegen die HOSI Wien und mich angestrengte und damals noch anhängige Verfahren zu gewinnen. Was auch geschah: Der Prozess endete mit einem vollen Freispruch. In der Folge scheint auch Maurer etwas zurückhaltender geworden zu sein, wie der Falter # 31/07 vom 1. August 2007 zu berichten wusste.
Als Brigitte Bierlein 2019 Bundeskanzlerin wurde, wurde auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt, dass sie mit Ernest Maurer liiert war. Darauf ging ich in meinem Blog-Beitrag vom 31. August 2019 ein. Anlass war ein oberflächliches Interview mit Bierlein in der neuen LAMBDA, Ausgabe 1/2019, das von Paul Yvon geführt wurde. Meine Kritik daran wurde in der Ausgabe 2/2019 samt Anmerkungen der Redaktion abgedruckt. Diese Anmerkungen kommentierte ich in einem zweiten Blog-Beitrag am 31. August 2019. Paul Yvon, ehemaliger profil-Journalist, erwies sich einmal mehr als gefälliger PR-Journalist, der bei mindestens zwei Gelegenheiten als Verteidiger Maurers aufgetreten war (wofür ich ihn bereits in meinem Beitrag in den LN 1/2001 kritisiert hatte).
Na ja, heute wird alles „Rechte“ niedergemacht, alles von den Linken angeprangert, natürlich mit der „Unschuldsvermutung“. So kann man auch Existenzen zerstören. Was die Schilling abgelassen hat, wird nur von zwei Zeitungen („Standard“ und „oe24“) richtiggestellt, sonst findet keine Zeitung etwas dabei, dass man Männer als Schläger darstellt. Ups, war ja nur aus Sorge (Verantwortung von Schilling). Heute läuft vieles auf der falschen linken Bahn…
Mit freundlichen Grüßen, R. S.
Ich sehe zwar den Zusammenhang zwischen meinem Beitrag über Matscher und Maurer und der „Affäre Lena Schilling“ nicht, aber ich veröffentliche gerne Ihren Kommentar. Was meinen Beitrag betrifft, referiert er nachweisbare und dokumentierte Fakten und stellt somit fundierte Kritik dar.