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Kommentar der anderen im Standard

Böses Blut?

Veröffentlicht am 29. Mai 2021
In letzter Zeit werden die spezifischen Voraussetzungen für das Blutspenden schwuler Männer immer vehementer als „Diskriminierung“ kritisiert. In einem Kommentar im Standard widerspreche ich, denn ich halte die geltenden Regeln für pragmatisch und sachlich gerechtfertigt. Diese Ansicht hatte ich übrigens schon vor 14 Jahren in einem Que(e)rschuss in den LN vertreten.

Die Voraussetzungen fürs Blutspenden sorgen immer aufs Neue für Ärger. Dabei muss man sich als Schwuler nicht diskriminiert fühlen. Geht es doch um statistische Wahrscheinlichkeiten und pragmatisches Handeln.

Seit 38 Jahren beschäftige ich mich als schwuler Mann mit dem Thema HIV/Aids beziehungsweise beschäftigt es mich – genauso lange bin ich selbst HIV-positiv. Es hat mir immer Unbehagen bereitet, wenn von einem Teil der Schwulenbewegung der Ausschluss von Homosexuellen vom Blutspenden als „Diskriminierung“ bezeichnet worden ist. Denn das Wort „Diskriminierung“ hat eine ganz bestimmte Konnotation im Zusammenhang mit unserem Kampf um Gleichstellung und Gleichberechtigung. Ein Grundrecht, dass das eigene Blut einer fremden Person transfundiert wird, besteht jedoch nicht.

Tatsache ist, dass in Österreich Schwule oder Männer, die Sex mit Männern haben, die Hauptrisikogruppe für HIV darstellen und als solche die höchste Durchseuchungsrate aufweisen. Von den 400 bis 500 Neuinfektionen jedes Jahr erfolgen immer noch mehr als die Hälfte in dieser Gruppe. Das mag in absoluten Zahlen nicht dramatisch viel sein, aber bei der Bewertung der HIV-Prävalenz muss man die Akkumulation der Infektionen über die Jahre hinweg berücksichtigen.

 

Pragmatischer Zugang

Da sich eine HIV-Infektion nicht sofort durch Tests nachweisen lässt, gilt es, Blutspenden Frischinfizierter auszusondern. Den dafür zuständigen Stellen sollte dabei die Auswahl der Mittel unbenommen bleiben, immerhin tragen sie die Letztverantwortung. Wenn man mit dem pauschalen Ausschluss von Männern, die in den zwölf Monaten vor der Spende Sex mit einem Mann hatten – wie dies derzeit in Österreich vorgesehen ist –, die Hälfte des Problems aus der Welt schafft, dann spricht für mich absolut nichts gegen eine solche Grobaussortierung.

Es geht hier um rein statistische Wahrscheinlichkeiten und eine pragmatische und effiziente Vorgangsweise. Auch bei anderen Gruppen hat man die Ausschlusskriterien willkürlich festgelegt, ohne individuelle Faktoren zu berücksichtigen, zum Beispiel Erstspende nur bis zum Alter von 60 Jahren; alle Personen, die von 1980 bis 1996 insgesamt mehr als sechs Monate im Vereinigten Königreich lebten. Von diesen Gruppen ist indes noch kein Vorwurf der Altersdiskriminierung oder der „Britophobie“ erhoben worden.

Es drängt sich mir daher tatsächlich die Frage auf, warum sich ausgerechnet manche Schwule dermaßen diskriminiert und als Opfer fühlen. Durch die spezifischen Kriterien werden sie ja keineswegs unter Generalverdacht gestellt, HIV-Träger zu sein oder einen promiskuitiven Lebenswandel zu führen, was indes in der Empörung immer mitschwingt, speziell wenn dabei – etwas spießig – betont wird, dass ja viele Homosexuelle in monogamen Beziehungen lebten. Offenbar spielen da eigene unreflektierte Fantasien und Projektionen eine große Rolle. Überdies ist zu bedenken: Wer sich mit so viel Vehemenz dagegen verwahrt, mit HIV-Infektion und Promiskuität in Verbindung gebracht zu werden, der sendet das klare Signal aus, dies selbst als negativ zu empfinden.

 

Ideologischer Druck

In Sachen Treue in einer vermeintlich monogamen Beziehung kommt indes die statistische Wahrscheinlichkeit wieder ins Spiel. Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass Schwule ihre Partner mindestens genauso häufig betrügen wie heterosexuelle Männer ihre Partnerinnen. Und da macht es einen statistisch relevanten Unterschied, ob 50 Prozent der (Neu-)Infektionen unter 5 Prozent oder unter 95 Prozent der Bevölkerung diffundieren.

Der Druck auf und der Anreiz für Schwule, sich durch die Blutspendekriterien des Roten Kreuzes diskriminiert zu fühlen, entsteht oder verstärkt sich nicht zuletzt durch die LSBT-Bewegung (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen), die hier ein entsprechendes Angebot macht. Sie ist aufgrund ihres eigenen Erfolgs – alle „großen“ und wesentlichen Forderungen konnten mittlerweile durchgesetzt werden – nicht nur in eine Sinnkrise geraten, sondern muss ihre weitere Existenzberechtigung unter Beweis stellen.

Die einzelnen Organisationen stehen zudem unter Konkurrenzdruck, die LSBT-Gruppierungen von SPÖ, Grünen und Neos wiederum buhlen um die Gunst der LSBT-Wählerschaft. Da kann es sich kein Verein und keine der genannten Parteien leisten, vom ideologischen Bewegungs-Mainstream auch nur ein Jota abzuweichen. Selbst die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien, die größte Lesben- und Schwulenorganisation des Landes, für die der Blutspendeausschluss bis 2018 eigentlich kein Thema war und die bis dahin Verständnis für die Haltung des Roten Kreuzes gezeigt hatte, konnte und wollte sich dieser Dynamik nicht länger entziehen und hat mittlerweile umgeschwenkt.

Sicherlich gibt es ressourcenintensivere Methoden für eine Feinaussiebung von Spenderinnen und Spendern, wodurch sich die Sicherheit der Blutspenden allerdings nicht unbedingt erhöhen würde. Zudem stellt sich die Frage, ob diese Methoden den Spenderinnen und Spendern tatsächlich zumutbar sind und sich der Mehraufwand dafürsteht. Fragt man statt nach dem Geschlecht der Sexualpartnerinnen und -partner etwa nach den Sexualpraktiken – wie das ernsthaft vorgeschlagen wird –, dann hieße dies, dass alle – egal, ob homo, bi oder hetero – die eigenen Sexualgewohnheiten vor dem Roten Kreuz darlegen und im Falle von Zweifeln und Unklarheiten mit dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das individuelle Risikoverhalten erörtern müssten. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele dann lieber aufs Blutspenden verzichten, als ihr Sexualleben detailreich vor dem Roten Kreuz auszubreiten. Man könnte es ihnen nicht verdenken.

Überdies ist die objektive Selbsteinschätzung generell eine eher problematische Sache und stellt bei einem komplexen Thema wie sicherem Sex zweifellos einen großen Unsicherheitsfaktor dar – bedenkt man, dass viele Menschen schon mit viel harmloseren Dingen überfordert sind. Das zeigt sich gerade anschaulich in der Corona-Pandemie, in der sich seit mehr als einem Jahr täglich hunderte Menschen in Österreich mit dem Covid-19-Virus anstecken, weil sie ihr Risikoverhalten falsch einschätzen.

 

Anmerkung: Eine etwas längere Version dieses Kommentars habe ich als Blog-Beitrag veröffentlicht.

Link zum Original-Beitrag: https://www.derstandard.at/story/2000127004297/boeses-blut