40 Jahre Lesben- und Schwulenbewegung
Österreich vom Schlusslicht zur Spitze Europas aufgerückt
Bereits aus Anlass des 20-Jahr-Jubiläums der HOSI Wien habe ich ein ganz persönliches Resümee über mein damals 20-jähriges Engagement gezogen. Es erschien in den LAMBDA-Nachrichten # 4/1999 (S. 19 ff) – siehe weiter unten.
Als ich im Zuge der Zusammenstellung der Texte für diesen Website wieder auf dieses damalige Resümee stieß, bin ich fast erschrocken, wie aktuell es teilweise immer noch ist – nicht nur, was die politischen Grundbedingungen in diesem Land anbelangt, sondern etwa auch die Frage, was einen eigentlich antreibt, sein „ganzes Erwachsenenleben“ – immerhin jetzt weitere 20 und insgesamt also 40 Jahre – „mit Lesben- und Schwulenbewegung zugebracht und den Kampf für die Gleichberechtigung zu seinem Lebensinhalt gemacht zu haben“.
Nun: Trotz aller Widerstände wurde in den letzten 20 Jahren seit diesem Resümee sehr viel erreicht und umgesetzt – man konnte die Früchte der ersten 20 Jahre Engagement endlich ernten: U. a. wurde § 209 StGB abgeschafft, die eingetragene Partnerschaft eingeführt und die Ehe geöffnet. Und natürlich sind die gesellschaftliche Situation und die Einstellung in der Bevölkerung viel besser geworden und kaum mehr zu vergleichen mit vor 40 Jahren. Wir haben Österreich in diesen vier Jahrzehnten in Sachen Gleichstellung und Gleichberechtigung von der Schlusslichtposition ins Spitzenfeld Europas katapultiert. Aber die Umstände, das Wie, und auch, dass es dermaßen lange Zeit dafür gebraucht hat, machen die Sache letztlich dennoch irgendwie unbefriedigend…
Großer Trost in diesem Zusammenhang ist mir aber auf alle Fälle, dass wir uns in all den Fragen – Strafrechtsreform, Streichung von Homosexualität als Krankheit aus dem Diagnoseschlüssel, Anerkennung der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung als Asylgrund in Österreich, Antidiskriminierungsbestimmungen, Anerkennung der homosexuellen NS-Opfer im Opferfürsorgegesetz, eingetragene Partnerschaft, Öffnung der Ehe usw. – gegen den erbitterten und vehementen Widerstand von ÖVP (und natürlich FPÖ) schließlich durchgesetzt haben. Diese Erfolge sind nicht nur ein später Sieg, sondern (m)ein wahrer Triumph über die ÖVP und ihre Borniertheit, über die ich mich in meinem Resümee vor 20 Jahren so bitter beklagt habe.
Ich muss daher auch meine äußerst pessimistische Schlussfolgerung aus 1999 revidieren – ich hatte geschrieben: „Die Lehre, die wahrscheinlich nicht nur ich aus diesen 20 Jahren Engagement ziehe, ist, daß man in Österreich mit friedlichen Mitteln sozialen Engagements nicht wirklich Wesentliches verändern kann.“
Ich habe mich geirrt. Man kann. Es hat zwar nochmals 20 Jahre gedauert, aber die Ergebnisse sind augenfällig und evident. Das versöhnt mich zwar mit dem Land Österreich und seiner Gesellschaft – nicht aber mit der ÖVP. Für mich ist und bleibt sie eine autoritäre Partei. Und unter Sebastian Kurz wurde es sogar wieder schlimmer. Ihr größter Sündenfall ist ja, dass sie aus reinem Machtstreben sowohl 2000 als auch 2017 im Bund eine Koalition mit der FPÖ eingegangen ist.
20 Jahre HOSI Wien
Dieses Land ist hoffnungslos
Aus LAMBDA-Nachrichen, Ausgabe 4/1999
Ich war 19, hatte gerade im ersten Semester in Wien zu studieren begonnen, als ich im März 1979 im Falter WOLFGANG FÖRSTERs Anzeige las – er wollte eine Schwulengruppe gründen. Zum ersten Treffen konnte ich dann nicht kommen, weil ich wieder einmal in Dänemark war. Im Juni zuvor hatte ich auf dem Christopher Street Day in Kopenhagen Sten kennengelernt – mit ihm hatte ich meine erste Beziehung. Die Lesben- und Schwulenbewegung in Dänemark, die sprichwörtliche skandinavische Toleranz und Offenheit haben mir sehr imponiert. Diese „dänischen Erfahrungen“ haben mich auch sehr geprägt. Ein bißchen sollten diese später auch auf die HOSI-Arbeit abfärben – Stichworte: Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit, Kontinuität, sich für nichts und von niemandem vereinnahmen zu lassen.
Damals dachte ich jedenfalls in meiner jugendlichen Naivität, man könnte auch in Österreich mit Aufklärung, Information, Überzeugungsarbeit und vernünftigen Argumenten Meinungs- und Haltungsänderungen in der Bevölkerung, speziell aber bei PolitikerInnen, und damit auch rechtliche Änderungen herbeiführen. In geradezu patriotischer Weise wollte ich durch mein politisches Engagement in der HOSI dafür arbeiten, daß auch Österreich progressiv, modern und aufgeschlossen gegenüber Lesben und Schwulen werde und es sich in diesem Land erträglicher leben ließe. Heute, 20 Jahre später, sehe ich natürlich ein, daß das eine Illusion war. Rückblickend betrachtet, tut es mir einerseits leid, damals meine Zelte in Österreich nicht abgebrochen zu haben und nicht nach Dänemark ausgewandert zu sein, denn der Output, der von seiten der Gesellschaft und Politik zurückgekommen ist, steht in keinem Verhältnis zu meinem Input in diesen fast 20 Jahren. Aber andererseits: siehe später!
In Österreich wird immer noch Norm mit Recht, Mehrheit bzw. Demokratie mit Menschenrechten verwechselt.
Österreich ist eben nicht Dänemark. Hier hat die katholische Kirche stets jedes humanistische Gedankengut im Keim erstickt, und auf dem von den Nazis zusätzlich verheerten und ausgedörrten geistigen Boden konnte keine tolerante und offene Gesellschaft gedeihen. In Österreich fällt einem ja ein Stein aus der Krone, änderte man seine Meinung aufgrund vernünftiger Argumente oder akzeptierte man einfach Vielfalt in der Lebensgestaltung. Es fehlt hier das fundamentale Bewußtsein dafür, daß es Unrecht ist, Personen zu unterdrücken und zu benachteiligen, nur weil sie anders sind, nicht der Norm entsprechen. In Österreich wird immer noch Norm mit Recht, Mehrheit bzw. Demokratie mit Menschenrechten verwechselt. Die ÖVP und FPÖ verschließen sich seit 20 Jahren jeglicher Vernunft und argumentieren unbeeindruckt weiterhin mit Vorurteilen und ihrer Familienideologie. Dafür hasse und verachte ich sie und ihre VertreterInnen zutiefst.
Große Veränderungen durch soziales Engagement abseits der etablierten Parteien herbeiführen zu wollen funktioniert in Österreich also nicht. Offenbar ist schwul/lesbische Graswurzel-Emanzipation auch nicht ganz das, was sich Andreas Khol in seinem „politischen Credo“ unter dem „Aufbruch zur Bürgergesellschaft“ vorstellt. Daß das „dänische Modell“ in Österreich nicht funktioniert, liegt in erster Linie an der einmaligen Borniertheit österreichischer PolitikerInnen, die Politik immer noch mit Machtausübung und Herrschaft über die Menschen verwechseln. Die Lehre, die wahrscheinlich nicht nur ich aus diesen 20 Jahren Engagement ziehe, ist, daß man in Österreich mit friedlichen Mitteln sozialen Engagements nicht wirklich Wesentliches verändern kann.
Ein anderes Beispiel: In Dänemark und Schweden wurde die „Lesben- und Schwulenehe“ unter konservativen Regierungen eingeführt, weil sich Regierungs- und Oppositionsparteien in dieser Frage zu parlamentarischen Mehrheiten zusammengefunden haben – in Österreich wäre das ein unerhörter und unvorstellbarer Vorgang – und dementsprechend sieht ja die Politik in diesem Land aus!
Selbst die enorm wichtige AIDS-Arbeit, die die Schwulen- und Lesbenbewegung in diesem Land geleistet hat und wodurch sie gezeigt hat, welch „staatstragende“ und gesellschaftlich bedeutsame Rolle sie zu spielen imstande ist – immerhin ist es hauptsächlich ihr zu verdanken, daß AIDS zu keiner größeren Katastrophe für dieses Land wurde –, hat nicht die geringsten Auswirkungen auf das Bewußtsein konservativer PolitikerInnen gehabt. Diese Arbeit ist völlig unbedankt geblieben und hat sich in keinerlei Verbesserung der rechtlichen oder gesellschaftlichen Lage niedergeschlagen. Keine andere Gruppe, die soviel für die Gesellschaft geleistet hat, hätte man sich so zu behandeln gewagt, wie man es mit Schwulen und Lesben getan hat. Aber: Auch keine andere hätte sich das gefallen lassen!
Ich habe indes keineswegs resigniert. Mein persönlicher „Trost“ über das Scheitern des Versuchs, in Österreich in einem absehbaren Zeitraum – und das sind 20 Jahre ja wohl – „dänische Verhältnisse“ zu schaffen, ist der Umstand, daß ich mich persönlich aus diesem Gemeinwesen, diesem Staat total verabschiedet, ausgeklinkt habe. Außer meine Energie im Kampf gegen Lesben- und Schwulenunterdrückung habe ich in dieses Land nichts investiert. Das ist mir eine große Genugtuung, denn nichts wäre mir unerträglicher als der Gedanke, für die Diskriminierung und Ungleichbehandlung auch noch zu bezahlen. Nicht, daß ich persönlich über große Diskriminierungserfahrungen berichten könnte (sieht man davon ab, daß mir die Möglichkeit, meinen Partner zu heiraten, vorenthalten wird; in meinen beiden langjährigen Beziehungen ist es im übrigen immer ein großer finanzieller Vorteil gewesen, nicht verheiratet gewesen zu sein). Aber darum geht es nicht, es geht ums Prinzip. Die Vorstellung, daß sich der Staat, die Parteien, PolitikerInnen und sonstige ZeitgenossInnen erdreisten, mir Rechte vorzuenthalten, mich nicht gleichbehandeln (= diskriminieren), bringt mich auch nach 20 Jahren noch in Rage und auf die Palme. Diese unglaubliche Anmaßung der Gesellschaft werde ich nie akzeptieren. Der Umstand, daß ich nunmehr seit über 17 Jahren mit HIV lebe, hat mich auch nicht versöhnlicher oder nachsichtiger gestimmt, im Gegenteil: Ich bin abgeklärter geworden, vielleicht zu abgeklärt, aber dadurch auch kompromißloser, unerbittlicher, intransigenter und intoleranter gegenüber Intoleranz, Borniertheit, präpotenter Dummheit, Kleingeistigkeit – und der Überbewertung des Unwichtigen, der Feindin aller Positiven, die mit ihrer Zeit geizen müssen. Ich muß keine Rücksicht mehr nehmen, niemandem in den Arsch kriechen, mir nichts mehr gefallen lassen. Ein tolles Gefühl.
Zu bereuen gibt es nichts. Die 20 Jahre Mitarbeit in der HOSI möchte ich nicht missen. Sie waren eine Schule des Lebens, abwechslungsreich, spannend, lehrreich, sicherlich auch anstrengend und mitunter mühsam. Es ist einfach wahnsinnig viel passiert in diesen 20 Jahren in der HOSI – wo hat man schon die Möglichkeit, so viele verschiedene Erfahrungen zu sammeln, so viele verschiedene Dinge zu tun, so viele Leute kennenzulernen – unvergeßlich die Begegnungen mit Josef Kohout (dem Mann hinter der Figur Heinz Hegers) und Pierre Seel, zwei schwulen KZ-Überlebenden? Ich erinnere mich mit Freude an all die vielen Menschen, mit denen ich zu tun hatte und habe, von denen einige Freunde, Familie geworden sind, an die vielen Projekte, an denen ich mitgearbeitet habe: die drei Bücher, die wir herausgegeben haben, die 21 Jahrgänge LAMBDA-Nachrichten, die drei ILGA-Konferenzen, die AIDS-Arbeit, die vielen frechen Aktionen, die Medienarbeit, das politische Lobbying, die Gespräche mit PolitikerInnen, die vielen Veranstaltungen, die Foto-Serie und Ausstellung mit Gudrun Stockinger, die Filmfestivals, und nicht zuletzt die Osteuropa- und die internationale Arbeit. Heute kann ich in jede europäische Hauptstadt fahren und bei FreundInnen wohnen. Oft denke ich mir, in keinem stinknormalen bürgerlichen Beruf hätte ich soviel Spaß und Abwechslung gehabt. Und auch Erfüllung, denn auch wenn drei wichtige Projekte noch zu verwirklichen sind (Aufhebung des § 209, Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes und der eingetragenen Partnerschaft), hat die HOSI Wien doch ganz viele Erfolge aufzuweisen, an denen ich mitgewirkt habe. Und dann gibt es eine Reihe von Dingen, die ich mir sogar ganz persönlich an den Hut stecken kann – und auf die ich sehr stolz bin, etwa daß es ziemlich unmittelbar auf meine Gespräche auf einer OSZE-Tagung in Warschau zurückzuführen ist, daß in Moldawien das Totalverbot der Homosexualität aufgehoben worden ist, oder daß das Europa-Parlament im September 1998 eine Entschließung gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen angenommen hat, die im wesentlichen ich getextet habe. Oder daß auf meine Vermittlung hin der offenbar einzige heute noch vorhandene Original-Rosa-Winkel, jener des Josef Kohout, im Holocaust Memorial Museum in Washington ausgestellt ist. Diese Dinge entschädigen einen dann wieder für Frustrationen, die man in diesem Land erleben muß.
Natürlich denke ich mir manchmal, daß es irgendwie pervers ist, sein ganzes Erwachsenenleben – 20 Jahre – mit Lesben- und Schwulenbewegung zugebracht und den Kampf für die Gleichberechtigung zu seinem Lebensinhalt gemacht zu haben. Andererseits: warum nicht? Wenn man bedenkt, womit andere ihr Leben verbringen. Sicherlich wird man dabei einseitig, verkehrt kaum noch im Heterosexuellenmilieu, aber ich vermisse es eigentlich nicht. Mir macht die Sache immer noch Spaß, ich fühle mich überhaupt nicht ausgebrannt, daher habe ich auch vor, noch ein paar Jährchen weiterzumachen.
Daß es die HOSI jetzt 20 Jahre gibt, ist zumindest eine Entwicklung und ein Erfolg à la danoise in Österreich, über den ich mich sehr freue, denn ein wichtiger Umstand für den Erfolg der skandinavischen Bewegung ist, daß sie kontinuierlich gearbeitet hat und damit zu einem Faktor in der Politik geworden ist. Und das ist auch einer der wichtigsten Aspekte der Existenz der HOSI Wien: Während andere Vereine kommen und gehen, ist sie ein Faktor geblieben, der aus der alternativen und der Mainstream-Politik nicht mehr wegzudenken und mit dem zu rechnen ist. Alle Hoffnungen, die HOSI Wien sei ohnehin nur eine ephemere Erscheinung, müssen endgültig begraben werden!