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Ulrike, wen sonst?

Erschienen am 15. September 2017

Als ULRIKE LUNACEK 2009 zum ersten Mal fürs Europäische Parlament kandidierte, wählte ich schon damals diesen Titel für meine Kolumne (vgl. LN 3/2009, S. 20 f) – offenkundig als Antwort auf die implizit gestellte Frage: Wen wählen? Als Ulrike fünf Jahre später abermals bei den Wahlen zum Europa-Parlament antrat, gab es nicht den geringsten Grund für mich, meine Stimme nicht wieder ihr zu geben – im Gegenteil, denn Ulrike hatte eindrucksvoll bewiesen, dass das Vertrauen in sie mehr als gerechtfertigt war. Ich schrieb damals in einem Beitrag zu den EU-Wahlen (LN 2/2014, S. 9 f) folgende Zeilen, die nichts an aktueller Gültigkeit eingebüßt haben, weshalb ich sie an dieser Stelle einfach wiederhole:

„Die grüne EU-Abgeordnete hat uns nämlich wirklich nicht enttäuscht, im Gegenteil: Sie hat in diesen fünf Jahren paradigmatisch unter Beweis gestellt, wie Politik und Politikmachen auch aussehen können und hebt sich insgesamt von der Masse ihrer KollegInnen wohltuend ab. Ulrike ist engagiert, kompetent, voller Einsatzbereitschaft, uneigennützig, unbestechlich, geerdet, nicht abgehoben, in ständigem Kontakt mit der sogenannten Basis, ihren WählerInnen, der Sache verpflichtet – mit anderen Worten: die idealtypische Politikerin, wie wir sie uns ja allen Beteuerungen zufolge immer wünschen.“

 

Das Versprechen der WählerInnen

Und wenn Ulrike nun als Spitzenkandidatin der Grünen bei der Nationalratswahl antritt, lautet für mich aus genau diesen Gründen die Antwort auch diesmal: Ulrike, wen sonst? Und ich wiederhole meine damalige Begründung: Man muss auch als Wähler konsequent sein. Wenn man schon hohe moralische und andere Ansprüche an PolitikerInnen stellt, dann sollte man gefälligst auch jene wählen, die diesen Ansprüchen gerecht werden, und seine Stimme nicht Blendern, Dampfplauderern oder quereinsteigenden C- und D-Promis geben. Wenn die WählerInnen ihrerseits ihr Versprechen, nur die kompetentesten und integersten PolitikerInnen zu wählen, nicht einlösen, sondern ihre Stimme erst recht wieder politischen Scharlatanen, das Blaue vom Himmel versprechenden Hochstaplern, verunfallten SportlerInnen oder Ex-Wein- oder -Schönheitsköniginnen geben, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn die Parteien diese – offenbar ohnehin nicht ernst gemeinten – Ansprüche komplett ignorieren. Man braucht sich ja bloß die Lebensläufe von Ulrike und etwa Sebastian Kurz anschauen – der Vergleich macht einen sicher!

Wobei ich dazusagen muss, dass ich auch Christian Kern für sehr integer und wählbar halte und ich selten mit so großem Bedauern meine Stimme nicht der SPÖ gegeben habe(n werde). Es gab ja schon Zeiten, da ich die SPÖ bloß zähneknirschend als kleineres Übel gewählt habe. Diesmal ist es wirklich ein veritables Dilemma!

Natürlich steht hinter jedem noch so integren Politiker eine Partei und deren Programm, die man mit wählt. Aber mit den beiden Parteien und ihren Programmen habe ich keine gravierenden Probleme. Natürlich stört es mich, dass die Grünen in Tirol, Vorarlberg und Salzburg eine Koalition mit der ÖVP eingegangen sind und sich die SPÖ im Burgenland mit der FPÖ ins Bett gelegt hat. Ja, für mich sind ÖVP und FPÖ immer schon gleich schlimm gewesen. Ich fand die ÖVP ja immer autoritär und im Grunde anti-demokratisch und die Grund- und Menschenrechte (nicht zuletzt von uns Lesben und Schwulen) verhöhnend; sie hat halt nie die reaktionäre Sau so offensichtlich raushängen lassen wie die Blauen, erst in den letzten Wochen hat sie ihre bürgerliche Maske endgültig fallengelassen, und ihr wahres Gesicht ist für alle sichtbar zum Vorschein gekommen.

 

Nicht perfekt

Mich stört auch wahnsinnig, dass weder Grüne noch SPÖ der schleichenden Re-Religionisierung unserer Gesellschaft entschieden entgegentreten, sondern im Gegenteil mit ihrer zum Teil gegenaufklärerischen Attitüde die säkularen Kräfte auch noch schwächen. Eigentlich dachte ich, dass spätestens zur Jahrtausendwende der klerikale Einfluss auf den weltlichen Staat und seine Politik auch in Österreich so halbwegs zurückgedrängt und überwunden gewesen wäre – um mir dann in den letzten fünfzehn Jahren ständig ungläubig die Augen darüber reiben zu müssen, welche mittelalterlichen religiösen Debatten (und das ernsthaft!) in diesem Land wieder geführt werden, diesmal halt nicht unter christlichen, sondern islamischen Vorzeichen – wirklich unfassbar! Diese Geschichte scheint sich ebenfalls zu wiederholen – ja, das Leben kann manchmal anstrengend sein.

Ich habe mich in diesem Zusammenhang auch furchtbar über Christian Kern geärgert, der im März 2017 auf Kurz-Linie eingeschwenkt ist (vgl. meinen Que(e)rschuss in den LN 1/2017, S. 14 f) und der Entfernung von Kreuzen und Kruzifixen aus öffentlichen Gebäuden eine Absage erteilte – und das, nachdem sich zuvor sogar die Richtervereinigung für eine vollständige Verbannung religiöser oder weltanschaulicher Symbole aus den Gerichtssälen ausgesprochen hatte! Aber wenigstens wurde das Verbot der Totalverschleierung im öffentlichen Raum beschlossen. Mit Burka und Nikab herumzulaufen ist für mich mindestens genauso obszön, eigentlich noch anstößiger, als komplett nackt durch die Gegend zu rennen, was ja auch nicht erlaubt ist.

Und irgendwie ist es ja fast symbolisch und symptomatisch, dass bei den Grünen die einzigen Kämpfer gegen den grassierenden und immer heftiger um sich greifenden religiösen Wahn und die damit verbundene Untergrabung des demokratischen Rechtsstaates – Efgani Dönmez und Peter Pilz – hinausgemobbt wurden. Wobei Dönmez sich als herbe Enttäuschung entpuppte, da er danach ausgerechnet bei Kurz anheuerte und jüngst einem offenbar nicht ausreichend überprüften Gerücht aufsaß und peinliche Fake-News in die Welt setzte (über Kerns Marokko-Reise, die nie stattfand). Ja, Dönmez muss man keine Träne nachweinen, aber um Pilz ist es echt schade – er war neben Ulrike eigentlich der einzige Grund, warum ich früher mitunter grün wählte.

 

Ideologische Übereinstimmung

Aber das perfekte Parteiprogramm für jede/n einzelne/n Wähler/in gibt’s ja ohnehin nicht. Und letztlich sind all diese Kritikpunkte Peanuts im Vergleich zu den ideologischen Gräben, die mich von anderen Parteien trennen: Eine Partei, die den Sozialstaat zerschlagen will, die keine Reichen-, Erbschafts- und Maschinensteuer einführen will, die trotz der jüngsten dramatischen Erfahrungen (Finanzkrise 2008) immer noch nicht von ihrem neoliberalen Trip heruntergekommen ist, die sich gegen ein Levelling-up im Antidiskriminierungsrecht ausspricht, das ja eigentlich wichtiger wäre als die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare, ist für mich grundsätzlich nicht wählbar, daher würden ÖVP, NEOS oder FPÖ meine Stimme sowieso nie bekommen.

Und auch das größte Bedenken, das mich vor vier Jahren davon abhielt, bei der Nationalratswahl grün zu wählen, ist inzwischen zerstreut. Meine Horrorvorstellung war ja, grün zu wählen und dann mit einer schwarz-grünen Koalition aufzuwachen (vgl. LN 4/2013, S. 10 f). Diese Befürchtung erwies sich schon damals als grundlos, und diesmal ist ein solcher Wahlausgang noch unwahrscheinlicher. Daher kann ich getrost wieder Ulrike meine Stimme geben – wem sonst?

Im übrigen bin ich der Meinung, dass 31 Jahre ÖVP ununterbrochen in der Bundesregierung genug sind!

Que(e)rschuss LN 4/2017