Sten Rosted Hansen
Sten (* 1949) war meine erste Beziehung. Wir lernten uns im Juni 1978 beim CSD in Kopenhagen kennen. Wegen der Matura endete das Schuljahr für mich in jenem Jahr schon Mitte Juni, und so konnte ich früher als sonst zu meiner jährlichen Interrail-Reise aufbrechen. Durch Zufall kam ich gerade rechtzeitig zum Gay Pride in die dänische Hauptstadt, der immer Ende Juni stattfand (weshalb ich ihn in den Jahren zuvor immer versäumt hatte).
Sten am Gråbrødretorv (Franziskanerplatz) in Kopenhagen – damals einer der schönsten Plätze der Stadt (heute mit Gastro total zugestellt und verschandelt)
FOTO: KK
In Dänemark existierte bereits damals eine bedeutsame Lesben- und Schwulenbewegung (1948 gegründet!), und seit 1971 fanden CSD-Veranstaltungen statt. Während es in Österreich 1978 nichts (mehr) gab, bestand in Dänemark hingegen schon damals neben der Mainstream-Bürgerrechtsbewegung (Forbundet af 1948/LBL) auch eine radikalere, die bürgerlichen Normen ablehnende Bewegung, die Schwulen-Befreiungsfront BBF (Bøssernes Befrielsesfront), die ihr Hauptquartier in der legendären Freistadt Christiania hatte.
Die Pride-Veranstaltung am 24. Juni 1978 im Fælledpark machte jedenfalls nachhaltigen Eindruck auf mich, und der beeinflusste nicht unwesentlich mein Coming-out und mein späteres Engagement in der Bewegung – eine Erfahrung, die ich in einem Beitrag für das EuroPride-Magazin für Zürich 2009 beschrieb, weil sie mir so universell erscheint, auch für heutige und zukünftige Generationen – und als schlagendes Argument dafür, warum Paraden nie überflüssig sein werden…
Nach dem Pride ging ich mit Sten nach Hause. Er studierte Romanistik an der Uni Kopenhagen und arbeitete in einem Studentenreisebüro. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, nach Dänemark zu übersiedeln. Da ich aber keinen Job fand, entschloss ich mich, in Wien zu bleiben, und begann im Herbst 1978 mit dem Studium, was mir erlaubte, Sten regelmäßig zu besuchen.
Im Mai 1979 lernte ich Reinhardt kennen. Wie ich an anderer Stelle erzähle: Wir waren damals beide jung, hatten wenig Erfahrungen, wir waren „alternativ“ und wollten auf keinen Fall spießig sein. Ich kam gar nicht auf die Idee, die Beziehung mit Sten zu beenden – bloß, weil ich nun auch eine mit Reinhardt einging.
Ich fuhr weiterhin regelmäßig nach Kopenhagen, meist für ein, zwei Wochen. Länger als drei Wochen im Stück konnte ich allerdings nie bleiben. Sten besuchte mich zweimal in Österreich, bei der Gelegenheit stellte ich ihn meinen Eltern vor. Zuvor hatte ich bereits Stens Eltern kennengelernt, die auf Bornholm lebten, wo Sten aufgewachsen war. Wir hatten sowohl Weihnachten als auch Ostern bei ihnen verbracht. Bei einem seiner Wien-Besuche lernte Sten auch Reinhardt kennen.
Sommer 1981: Sten auf Christiansø, einer der „Erbseninseln“, Ertholmene, Dänemarks östlichster Außenposten in der Ostsee, 18 Kilometer nordöstlich von Bornholm
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Im September 1979 fuhren Sten und ich gemeinsam nach Paris. Im August 1980 trafen wir uns in Dijon, wo ich einen einmonatigen Französisch-Sprachkurs auf der Uni belegt hatte. Im Sommer 1981 fuhren wir noch einmal nach Bornholm, anschließend zur schwul/lesbischen Befreiungswoche nach Stockholm. In dieser Zeit wurde es immer klarer, dass sich unsere Beziehung immer mehr in bloße Freundschaft verwandelte, weil die Beziehung mit Reinhardt – trotz der regelmäßigen Besuche bei Sten – einfach zu dominant wurde. Nach diesem Sommer brach Sten jeden Kontakt zu mir ab.
Im März 1982 nahm sich Sten das Leben.
Bornholm von oben – aufgenommen auf einem Flug von Göteborg nach Wien am 2. September 2021
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