Gastbeitrag im Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa
Zivilgesellschaft und Homophobie in Österreich
Allgemein gültige Aussagen zum Ausmaß von Homophobie in einem Land bzw. in einer Gesellschaft zu treffen ist sicherlich schwierig, da hier viele Faktoren mitspielen: Wie definiert man Homophobie? Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle? Darf bzw. kann man von individuellen Erfahrungen so einfach Schlüsse ziehen für die Situation der gesamten Gruppe, zumal umfassende empirische Daten ja aus naheliegenden Gründen gar nicht zu erheben wären? Und muss man in einer generell aggressiver werdenden Gesellschaft mit einem Grundpegel an homophober Belästigung im öffentlichen Raum nicht nur rechnen, sondern einen solchen gar voraussetzen und ihn daher nur problematisieren, wenn er dramatisch höher ist als vergleichbare Phänomene, die sich gegen andere Gruppen richten, bzw. als jene Aggression, die sich in Großstädten mitunter blindwütig entlädt, ohne dass sie sich ein Objekt wegen eines bestimmten Attributs sucht?
Die Situation zu beschreiben ist und bleibt wohl eine Gratwanderung zwischen Alarmismus, der niemandem hilft, weil er Lesben und Schwule verunsichert und womöglich davon abhält, immer und überall offen zu leben, und Verharmlosung, die auch keine gute Ratgeberin ist, weil ein bisschen Vorsicht und Hausverstand für die eigene Sicherheit etwa im „Großstadtdschungel“ nie schaden kann.
Auf jeden Fall kann man vorausschicken, dass es in Österreich keinen homophoben Hassdiskurs gibt, der etwa zu Gewalt gegen Lesben und Schwule aufrufen würde. Im Übrigen ist eine Verhetzung gegen eine Gruppe u. a. aufgrund der sexuellen Orientierung ein Straftatbestand gemäß § 283 Strafgesetzbuch (er wurde wegen homophober Verhetzung meines Wissens bisher noch nicht angewendet). Homophob motivierte Gewalttaten kommen zwar durchaus immer wieder vor, es handelt sich dabei aber um Einzelfälle. Das österreichische Strafrecht sieht übrigens vor, dass bei u. a. homophob motivierten Straftaten die zu verhängende Strafe aus diesem Grund erhöht werden kann.
Definiert man Homophobie klassisch als die Ablehnung von Homosexualität, dann sind die Gegnerinnen in der gesellschaftlichen und politischen Arena in Österreich schnell und eindeutig ausgemacht: die römisch-katholische Amtskirche und die konservativen Parteien, die sich in den letzten 35 Jahren, seit es eine organisierte Lesben- und Schwulenbewegung in Österreich gibt, zäh und vehement, aber letztlich erfolglos gegen jeglichen rechtlichen und auch gesellschaftlichen Fortschritt gestemmt haben. Die Amtskirche ist letztlich an ihrer eigenen Heuchelei und all den Missbrauchsskandalen gescheitert. Ihr Einfluss auf die österreichische Innenpolitik ist dramatisch zurückgegangen – Ende der 1980er Jahre reichte noch ein Telefonanruf eines Bischofs bei einer Bundesministerin, um eine bereits von den Regierungsparteien vereinbarte Gesetzesreform im letzten Moment zum Scheitern zu bringen! Das hat sich drastisch geändert. Heute gibt es nur vereinzelt Hard-Core-Bischöfe, die bei jeder Gelegenheit betonen, Homosexualität sei Sünde und könne auch überwunden werden, wenn man sich nur bemühte. Da ohnehin niemand mehr diese schrulligen Aussagen ernst nimmt, hat auch die Lesben- und Schwulenbewegung längst aufgehört, darauf zu reagieren, um solchen allgemein belächelten Äußerungen nicht auch noch Bedeutung beizumessen.
Dasselbe gilt für fundamentalistische religiöse Grüppchen, die etwa vor drei Jahren begonnen haben, anlässlich der jährlichen Regenbogenparade in Wien, die mittlerweile über 100.000 Menschen auf der Ringstraße versammelt, eine Gegendemo mit ein paar Dutzend Leuten zu organisieren. Auch hier lautet die Haltung der Paradenveranstalterin, der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien: „Nicht einmal ignorieren!“, denn in Wirklichkeit geht es diesen Gruppen doch darum, mediale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu bekommen, und deshalb hoffen sie, diese im Kielwasser der Parade durch Protest dagegen zu erheischen. Die HOSI Wien tut diesen irrelevanten Splittergruppen jedoch nicht den Gefallen, sie durch Beachtung aufzuwerten. Im Gegenteil – und auch aus ehrlicher Überzeugung – sagt sie: Meinungs- und Versammlungsfreiheit gilt auch für diese Gruppen, sollen sie doch gegen die CSD-Parade demonstrieren – das ist ihr gutes Recht. Jede/r soll sagen dürfen, Homosexualität sei Sünde und eine Gefahr für die Familie, wenn er oder sie dieser Ansicht ist. Hier soll der Wettstreit der Argumente die Menschen überzeugen. Und gerade auf diesem Gebiet ist ja in diesen 35 Jahren irrsinnig viel passiert durch Aufklärung in der Öffentlichkeit, durch die Massenmedien, durch Kunst und Kultur. Diesen Wettbewerb der Argumente hat die progressive Zivilgesellschaft ja eindeutig für sich entschieden.
Im Spektrum der politischen Parteien Österreichs tritt die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) am offensten homophob auf. Aber auch hier geht es oft um gezielte Provokation, um Medienaufmerksamkeit zu erlangen – genau wie mit vielen ähnlichen provozierenden Äußerungen zu anderen Themen. Daher ist hier ebenfalls immer abzuwägen: Reagiert man überhaupt darauf und riskiert damit, den von der FPÖ beabsichtigten Medienhype auszulösen, oder lässt man sie ins Leere laufen und ihre bewusste Provokation unter all den anderen Meldungen des Tages einfach untergehen? Meist entscheidet man sich sinnvollerweise für die zweite Option. Und sollte es einmal doch zu bunt werden, reicht ein lapidarer öffentlicher Hinweis der HOSI Wien, der „legendäre“ Parteiführer Jörg Haider, der selber schwul war, würde sich im Grab umdrehen angesichts der homophoben Auslassungen irgendeines FPÖ-Funktionärs aus der dritten Reihe, um die Sache wieder im Keim zu ersticken.
Diffiziler ist es da mit der christlich-konservativen Volkspartei (ÖVP), die ihren hinhaltenden Widerstand gegen jegliche Gesetzesreform subtiler ausgeführt hat. Ob Strafrechtsänderung, ob Rehabilitierung der homosexuellen NS-Opfer, ob Antidiskriminierungsbestimmungen, ob eingetragene Partnerschaft – in jeder einzelnen dieser Fragen bedurfte es immer eines mehr als 20-jährigen Kampfes der Zivilgesellschaft, sprich der Homo-Bewegung, um die ÖVP, die seit 1986 – also fast dreißig Jahre – ununterbrochen an der Bundesregierung beteiligt ist, zu entsprechenden Reformen zu bewegen. In diesen drei Jahrzehnten hat es immer eine rechtskonservative Mehrheit im Nationalrat gegeben. Gegen die ÖVP gab es daher nie eine parlamentarische Mehrheit für progressive Reformen, auch wenn die ÖVP in einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten mitregiert hat. Reformen hingen daher vom Willen der führenden Personen in der ÖVP ab, und so musste erst der richtige Zeitpunkt abgewartet werden, bis eher liberalere Verantwortungsträger das Sagen in der Partei hatten; mitunter musste aber auch das Verfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bemüht werden.
Der langanhaltende Widerstand der ÖVP hatte aber auch etwas Positives: In wohl keinem anderen Land Europas wurden Homosexualität und schwul/lesbische Themen in den Medien und in der Öffentlichkeit über so viele Jahre so ausführlich in einem politischen Zusammenhang diskutiert – und dadurch die Öffentlichkeit so umfassend auf die Reformen vorbereitet. Über Jahre hinweg war etwa die „Homo-Ehe“ das Sommerlochthema schlechthin in den österreichischen Massenmedien. Die Bewegung war schon richtiggehend entnervt angesichts der immer gleichen Fragen der JournalistInnen und ihres ständigen Wunsches, ihnen „heiratswillige Pärchen“ für Interviews zu vermitteln. Und vermutlich hat so mancher Politiker in der ÖVP seinen Widerstand letztlich aufgegeben, damit endlich der Medienhype um das Thema aufhört. Als 2010 die eingetragene Partnerschaft schließlich eingeführt wurde (im Gegensatz zu Deutschland war sie bis auf Adoption und künstliche Befruchtung von Anfang an im Wesentlichen mit der Ehe rechtlich gleichgestellt), gab es jedenfalls keine homophoben Angriffe irgendwelcher Art – oder gar Massendemonstrationen, wie dies etwa in Frankreich nach der Öffnung der Ehe der Fall war.
Neben dieser politischen und gesamtgesellschaftlichen Ebene gibt es natürlich die soziale bzw. individuelle Ebene, auf der sich Homophobie manifestiert. Und hier ist – wie schon eingangs erwähnt – eine Verallgemeinerung schwierig bis unmöglich. Glaubt man den Ergebnissen der 2012 EU-weit durchgeführten Studie über Diskriminierungserfahrungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen, landet Österreich bloß im europäischen Mittelfeld.
Ohne diese individuellen Erfahrungen relativieren zu wollen, muss man sie aber doch in Relation zu verwandten Phänomen – etwa Sexismus oder Xenophobie – setzen, und im Vergleich dazu sind vermutlich homophobe Belästigungen oder Verbalattacken sogar seltener. Mobbing in der Schule („Bullying“) ist nach neuesten Untersuchungen offenbar gleichfalls ein generelles Problem in Österreich, von der eine Mehrheit (!) der SchülerInnen betroffen ist und unter dem keineswegs besonders lesbische und schwule Jugendliche zu leiden haben.
Homophobe Gewalttaten bzw. körperliche Übergriffe sind hingegen eher selten. Das scheint mit der Mentalität der ÖsterreicherInnen zusammenzuhängen: Einerseits gilt für sie eher die Devise „Leben und leben lassen“, andererseits ist man – selbst in der „raueren“ Großstadt Wien – weniger aggressiv und gewaltbereit als in vergleichbaren Metropolen, was möglicherweise aber auch mit Feigheit zu tun hat – man fürchtet die Konsequenzen strafbarer Handlungen. Dieser „Befund“ zeigt sich übrigens anschaulich etwa daran, dass es in Österreich in den letzten Jahren – im Gegensatz zu Deutschland – kaum gewalttätige Angriffe oder Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat.
In den letzten 30–40 Jahren hat Österreich eine sehr positive Entwicklung in Sachen Gleichberechtigung und Akzeptanz von Lesben und Schwulen genommen, was nicht zuletzt einer sehr aktiven Zivilgesellschaft, in diesem Fall eben einer sehr aktiven Lesben- und Schwulenbewegung zu verdanken ist, die dabei natürlich wichtige Unterstützung von fortschrittlichen Parteien, allen voran der Sozialdemokratie und den Grünen, aber auch von aufgeschlossenen Medien sowie von prominenten UnterstützerInnen aus Kunst und Kultur erfahren hat. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl Conchita Wurst, die durch ihren Sieg beim Eurovision Song Contest 2014 und mit ihrer positiven und sympathischen Ausstrahlung einen ganz wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich diese positive Entwicklung auch nachhaltig verfestigt hat. Ein wichtiger Faktor für diesen Erfolg war sicherlich die Kontinuität der führenden Organisationen, nicht nur in Wien, sondern auch in den Bundesländern. Auch die als selbständige Vereine organisierten Homosexuellen Initiativen in Salzburg, Linz und Tirol sind mittlerweile über 30 Jahre alt und stellten über diesen langen Zeitraum hinweg eine verlässliche Konstante nicht nur in der Unterstützung von Lesben und Schwulen, sondern auch als Ansprechpartner für Politik und Medien dar.
Die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung hat im Übrigen immer über ihren Tellerrand geschaut und sich als Teil einer breiteren Zivilgesellschaft verstanden, was einfach auch dem Zeitgeist zum Zeitpunkt ihres Entstehens entsprach, wiewohl die Zivilgesellschaft damals noch „Alternativbewegung“ hieß. Die HOSI Wien ist in dieser Hinsicht stets gut vernetzt und solidarisch gewesen und hat sich gemeinsam mit anderen Bewegungen für eine bessere Welt engagiert, ob etwa in der Friedensbewegung in den frühen 1980er Jahren, ob im Kampf gegen fremdenfeindliche Entwicklungen in den 1990er Jahren (Stichwort: „Lichtermeer 1993“) oder ob in der sogenannten Widerstandsbewegung gegen die „schwarz-blaue“ Regierungsbildung Anfang der 2000er Jahre. In diesem Sinne heißt es auch im offiziellen Leitbild des Vereins: Die HOSI Wien versteht sich als Teil der Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Welt und gegen Ausbeutung, Armut, Unterdrückung und Gewalt kämpft. Sie ist daher sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene solidarisch mit allen Gruppen und Initiativen, die sich gegen Sexismus, Heterosexismus, Transphobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und verwandte Ausgrenzungsphänomene wenden und diese bekämpfen.
Österreichs Lesben- und Schwulenbewegung kann daher als Teil einer breiteren Zivilgesellschaft durchaus mit Stolz auf ihre Erfolge blicken. Sie hat mit Beharrlichkeit und Engagement große Veränderungen sowohl in der Politik, im Recht als auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit erreicht.