Kommentar der anderen im Standard
Menschenrecht ist keine Frage der Subsidiarität
Welch ein vertrautes Bild: Kaum hatte das Europaparlament in der Vorwoche eine Entschließung zur Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen verabschiedet, bemühten sich ÖVP und FPÖ umgehend, diese Initiative durch „Nestbeschmutzer-“ und „Ampel-Probeleuchten“-Geschrei herunterzuspielen. Zugleich wird suggeriert, die Abstimmung in Straßburg wäre eine rein österreichische gewesen. In Wahrheit haben fünf Fraktionen den Antrag eingebracht, darunter zwei, denen gar keine österreichischen Abgeordneten angehören.
Es ist auch eine ziemlich provinzielle Vorstellung, 208 SP-Abgeordnete im Europaparlament ließen sich von ihren sechs österreichischen FraktionskollegInnen für innenpolitisches Hickhack mißbrauchen. Dem Antrag ging vielmehr ein EU-weites Lobbying des europäischen Lesben- und Schwulenverbandes voraus.
Das Europaparlament verurteilte Österreich im übrigen nicht nur wegen § 209, sondern bekräftigte, „daß es dem Beitritt keines Staates seine Zustimmung geben wird, der in seiner Gesetzgebung oder Politik die Menschenrechte von Lesben und Schwulen verletzt“. Und gerade um hier glaubwürdig zu bleiben, mußte Österreich aufgefordert werden, sein – laut Entscheid der Europäischen Menschenrechtskommission – menschenrechtswidriges Sonder-Mindestalter für homosexuelle Beziehungen aufzuheben.
Außerdem mußten die EP-Abgeordneten, wollten sie nicht völlig ihre Selbstachtung verlieren, auf den Affront des Nationalrats vom 17. Juli 1998 reagieren, als dieser trotz zweifacher vorheriger Aufforderung durch das Europaparlament den § 209 wieder nicht abschaffte.
Menschenrechte können niemals eine Frage von Subsidiarität, demokratischer Mehrheit oder Bürgernähe sein. Was Menschenrechte sind und was nicht, bestimmt weder irgendeine Mehrheit im Parlament noch die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung – Gott sei Dank!
Das EP will übrigens gar kein bestimmtes Mindestalter vorschreiben, sondern bloß dasselbe für beide Geschlechter und alle sexuellen Orientierungen, wie es die Menschenrechtskonvention verlangt, auf deren Einhaltung das EP sehr wohl zu achten hat. Nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags umso mehr, als Artikel 6 dies von den Mitgliedsstaaten ausdrücklich verlangt. Artikel 7 sieht Sanktionen für jene EU-Staaten vor, die permanent die Menschenrechte verletzen.
Sobald der Vertrag in Kraft ist, wird ILGA-Europa alles daran setzen, daß man gegen Österreich ein Verfahren nach Artikel 7 einleitet, falls der § 209 dann immer noch besteht.