Beitrag im EUROPRIDE GUIDE für Wien 2001
Westliche Überheblichkeit ist nicht angebracht
In einigen Jahren wird sich die Europäische Union nach Osten und Süden erweitern. Beitrittswillige Staaten warten auf Aufnahme. Was bedeutet das für Lesben und Schwule in diesen Ländern?
Die großen und einschneidenden Veränderungen des EU-Beitritts werden Lesben und Schwule wohl in erster Linie als „gewöhnliche“ StaatsbürgerInnen erfahren. Was ihre sexuelle Orientierung betrifft, werden sich die Auswirkungen eher in Grenzen halten, denn in dieser Hinsicht sind die meisten Kandidatenländer ohnehin bereits im europäischen Mainstream angekommen. Manche Länder sind den diesbezüglichen Nachzüglern in der EU weit voraus.
Das galt übrigens schon zu Zeiten des Kommunismus. Ungarn und die Tschechoslowakei etwa haben bereits 1961 (zehn Jahre vor Österreich) das Totalverbot homosexueller Handlungen aufgehoben. Während wir uns hierzulande noch mit dem § 209 herumschlagen, haben das lettische und das tschechische Parlament sich bereits mit Gesetzesentwürfen zur eingetragenen Partnerschaft befasst, wenn auch bisher erfolglos. Ungarn behandelt seit 1996 verschieden- und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften rechtlich völlig gleich. Tschechiens schwul/lesbische Community ist besser organisiert als jene in so manchen EU-Ländern, inklusive Österreich. „Westliche“ Überheblichkeit ist also völlig unangebracht.
Dennoch bieten die Beitrittsambitionen dieser Länder die Möglichkeit, vor allem die rechtliche Lage in einigen von ihnen zu verbessern. Die 1993 von der EU beschlossenen Kopenhagener Beitrittskriterien sehen nämlich als Bedingung die Achtung der Menschenrechte vor. Das heißt, lesben- und schwulendiskriminierende und damit menschenrechtswidrige Strafgesetze müssen vor dem Beitritt abgeschafft werden. Dabei handelt es sich konkret um höhere Mindestaltersgrenzen in Bulgarien, Estland, Litauen, Rumänien, Ungarn und Zypern sowie das „Bekehrungs-“ und Vereinsverbot in Rumänien. Allerdings hat die EU hier ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, denn eine vergleichbare Bestimmung existiert ja auch in Österreich, das bei seinem Beitritt 1995 leider nicht auf die Kopenhagener Kriterien hin überprüft worden ist und sich daher trotz des menschenrechtswidrigen § 209 in die EU quasi hineinschwindeln konnte.
Die bedeutendste Verbesserung für Lesben und Schwule wird jedoch die neue EU-Richtlinie Nr. 78/2000 bringen, die einen umfassenden Diskriminierungsschutz u. a. aufgrund der sexuellen Orientierung in Beschäftigung und Beruf vorsieht. Diese Richtlinie müssen nicht nur die 15 derzeitigen EU-Staaten bis Dezember 2003 in nationales Recht umsetzen, sondern auch alle Kandidatenländer, da sie zum Rechtsbestand der Gemeinschaft, dem so genannten Acquis communautaire, gehört. Und auch in Sachen Schutz vor Diskriminierung haben die Beitrittsländer noch aufzuholen.
Der EU-Beitritt bedeutet für die breite Bevölkerung in diesen Ländern wohl eine allgemeine Öffnung im Sinne einer Erweiterung des eigenen Horizonts, des Geistes und der Einstellungen. Dieser nicht wirklich quantifizierbare und sicherlich mittel- bis langfristige Prozess wird wohl indirekt auch die Lebenssituation von Lesben und Schwulen positiv beeinflussen.