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40 Jahre Gedenkstein in Mauthausen

LOSE SERIE: AUS DEM ARCHIV

Veröffentlicht am 6. Dezember 2024

Der Gedenkstein in Mauthausen

Die Errichtung des Gedenksteins war ein Projekt im Rahmen des von der International Gay Association (IGA) für 1984 ausgerufenen „Internationalen Lesbisch-Schwulen Aktionsjahres“.

GUDRUN HAUER und REINHARDT BRANDSTÄTTER sprachen im Rahmen der Einweihungsfeier am 9. Dezember 1984.

JOHANNES WEIDINGER (links) und ARTUR SINGER im Film „Wiener Brut" (1984)

Vor genau 40 Jahren haben die Homosexuellen Initiativen Österreichs im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen den weltweit ersten Gedenkstein für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus angebracht und am 9. Dezember 1984 feierlich enthüllt.

Aus Anlass dieses Jubiläums wollte ich die genauere Geschichte erzählen, wie dieses Projekt in die Welt kam. Leider musste ich bei meinen Recherchen feststellen, dass die Quellenlage dazu äußerst dürftig ist. Selbst in den LAMBDA-Nachrichten, die üblicherweise über die Aktivitäten der HOSI Wien ausführlich berichtet haben, findet sich dazu ganz wenig. Und meine eigenen Erinnerungen sind längst verblasst, obwohl ich involviert war.

Gesichert ist jedenfalls, dass die Beschäftigung mit der Verfolgung der Homosexuellen im Dritten Reich von Anfang an einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien darstellte. Das lag einerseits natürlich aufgrund „unserer“ Geschichte nahe, andererseits wurde die Auseinandersetzung damit durch den Umstand befördert, dass sich bereits zu Beginn Mitstreiter engagierten, die den Nationalsozialismus miterlebt hatten, etwa Otto Langbein alias FRANZ SCHNEIDER (1910–1988), der im Widerstand gegen das Dollfuß- und Naziregime gekämpft hatte, was ihm mehrere Haftstrafen eingetragen hatte (vgl. Nachruf in den LN 1/1989, S. 4). Sein Bruder war der Spanien- und Widerstandskämpfer und KZ-Überlebende Hermann Langbein (1912–1995).

Ob Zufall oder nicht: Das allererste öffentliche Auftreten des Vereins erfolgte bei einer großen antifaschistischen Demonstration durch die Wiener Innenstadt am 26. April 1980 – dank riesiger Transparente unübersehbar (vgl. hier). Und am 26. Oktober desselben Jahres nahm die HOSI Wien zum ersten Mal an einer Gedenkfeier im ehemaligen KZ Mauthausen teil (vgl. Bericht von RUDOLF KATZER in den LN 3–4/1980, S. 6).

 

Schwerpunkt von Anfang an

Bereits sehr früh begann die HOSI Wien auch mit ihren Lobbying-Aktivitäten für die Anerkennung und Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer. 1982 hatte sich erstmals ein Rosa-Winkel-Häftling um Unterstützung an den Verein gewandt. Allerdings fiel die HOSI Wien mit diesem Fall auf die Nase (ausführliche Berichte finden sich hier).

Die Aufklärungs- und Gedenkarbeit sowie der Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung der homosexuellen NS-Opfer zählten also von Anfang an zu einem der wichtigsten Arbeitsbereiche der HOSI Wien, der in den ersten 40 Jahren ihrer Vereinsgeschichte kontinuierlich und konsequent bearbeitet wurde. Die HOSI Wien hat hier unglaublich viel geleistet und erreicht (in zehn Unterkapiteln habe ich übrigens hier auf meinem Website diese Arbeit zusammengefasst – anzusteuern sind sie am besten über die Einleitung zur Sektion „Nationalsozialismus“).

Jedenfalls steht zu vermuten, dass die Idee und der spätere Plan für einen Gedenkstein letztlich auf die Teilnahme an der erwähnten Gedenkfeier im Oktober 1980 zurückgehen. Auf dem Gelände stehen riesige Monumente und Mahnmale für die Opfer aus den verschiedenen Nationen, an der Lagermauer sind Gedenksteine für viele weitere Nationen und zahlreiche Opfergruppen angebracht. Das war vermutlich die Inspiration. Wann die Umsetzung der Idee tatsächlich dann Fahrt aufnahm, ist nicht wirklich überliefert.

Die erste konkrete Information zum Projekt Gedenkstein findet sich erst in den LN 2/1984 (S. 3 f): Im Bericht über die HOSI-Wien-Generalversammlung am 31. Jänner 1984 ist nachzulesen, dass der Antrag der HOSI Linz, wonach die HOSI Wien die Errichtung eines Mahn- und Denkmals für die in den KZ ermordeten Rosa-Winkel-Häftlinge gutheißen und vorantreiben soll, beschlossen wurde. Eine informelle Arbeitsgruppe, die sich mehr oder weniger regelmäßig traf, wurde zu diesem Zweck gebildet. Wie in derselben LN-Ausgabe (S. 10) berichtet wurde, trafen sich Aktivisten aus der HOSI Wien und der HOSI Linz am 17. März 1984 zu einem Lokalaugenschein in der KZ-Gedenkstätte. Bei der Gelegenheit wurde entschieden, nur eine Gedenktafel auf der Innenseite der KZ-Mauer gleich neben dem Eingang und den anderen Gedenktafeln anzubringen. Dort würde er sicherlich weit mehr Beachtung finden als auf dem freien Gelände außerhalb der Mauern, wo die riesigen nationalen Mahnmale stehen.

 

Unbürokratische Unterstützung

Details der weiteren Vorgangsweise sind nicht überliefert. Aber einige Personen haben bei der Verwirklichung des Projekts eine wichtige Rolle gespielt: DIETER SCHMUTZER etwa, dem der Kontakt zu den Mitarbeitern in der damals zuständigen Abteilung IV/4 des Innenministeriums zu verdanken ist. Dieses war damals für die Verwaltung der Gedenkstätte Mauthausen verantwortlich. Als Angestellter der Wiener Volkshochschule in der Urania gestaltete Dieter deren Kursprogramm. Der Historiker Helmut Fiereder aus besagter Abteilung hielt an der Urania Vorträge über den Nationalsozialismus, und so wurde auch der Kontakt zu Hofrat Kurt Hacker (1920–2001) hergestellt, der im Innenministerium von 1976 bis 1986 die Gedenkstätte Mauthausen leitete. Ihm, der selbst Überlebender des KZ Auschwitz war, galt der besondere Dank der HOSI Wien, denn er genehmigte die Anbringung des Gedenksteins völlig unbürokratisch. Erst vier Wochen vor der geplanten feierlichen Enthüllung richtete die HOSI Wien ihren offiziellen Antrag ans Innenministerium. Da war der Gedenkstein vermutlich schon in Produktion. Die schriftliche Genehmigung durch Kurt Hacker erfolgte postwendend und war reine Formsache.

Offenkundig war im Vorfeld alles mündlich besprochen und vereinbart worden – federführend wohl durch den damaligen Obmann REINHARDT BRANDSTÄTTER (1952–1992), unterstützt von Vizeobmann JÜRGEN TIEDGE (1928–1998). Ich habe die gegenständliche Korrespondenz mit Hofrat Hacker hier hochgeladen, weil sie in der Tat ein einmaliges Dokument dafür ist, wie ein derartig bedeutsames Projekt auf kurzem Weg und völlig unbürokratisch umgesetzt und bewilligt werden kann. Es war dies auch insofern sensationell, wenn man bedenkt, dass der im Jahr darauf für die KZ-Gedenkstätte Dachau angefertigte Gedenkstein zehn Jahre auf eine adäquate Aufstellung warten musste, weil eine solche vom internationalen Komitee der ehemaligen Dachau-Häftlinge abgelehnt worden war (vgl. hier).

Zu nennen ist weiters ERNST STROHMEYER von der HOSI Linz, dem – wenn ich mich richtig erinnere – auch der Text für den Gedenkstein einfiel: „TOTGESCHLAGEN – TOTGESCHWIEGEN“. (Übrigens: Wer weitere Informationen oder zweckdienliche Hinweise über die Entstehungsgeschichte des Gedenksteins hat, möge sie bitte via Kommentarfeld unter diesem Text bekanntgeben).

 

Finanziert durch einen Mäzen

Die für die Umsetzung des Projekts wichtigste Person war JOHANNES WEIDINGER (1949–2023), denn er finanzierte die Sache. Die Kosten für den Stein waren weit jenseits der finanziellen Möglichkeiten der noch jungen Vereine, und so wurde ein Spendenaufruf an ihre Mitglieder erst gar nicht in Erwägung gezogen, da es von vornherein als unrealistisch eingeschätzt wurde, soviel Geld aufzustellen. Der Familie Weidinger gehörte der Steinbruch Hollitzer in Bad Deutsch-Altenburg, Österreichs größter Steinbruch – worauf auch Johannes’ Spitzname in der Szene zurückzuführen war: „Schotterbaronin“. Johannes war von 1981 bis 1983 Vorstandsmitglied der HOSI Wien und Kurzzeit-Ensemble-Mitglied der HOSIsters.

Der spätere Gedenkstein stammte allerdings nicht aus seinem Steinbruch, denn es handelt sich dabei um skandinavischen Granit bzw. um einen Nordlandfelsen. Aber Johannes wickelte den Kauf, die Produktion, die Steinmetzarbeiten sowie die Befestigung des Steins an der KZ-Mauer in Mauthausen über seine Firma ab. Um diese organisatorischen und logistischen Dinge musste sich die HOSI Wien also gar nicht kümmern. Johannes unterstützte übrigens als Mäzen auch etliche andere schwule Projekte (siehe später).

Im Vorfeld der Gedenkstein-Errichtung setzte die HOSI Wien auch einen Schwerpunkt Aufklärung und Information. Für die LAMBDA-Nachrichten 1/1984 verfasste GUDRUN HAUER (1953–2015) einen zehnseitigen Beitrag über Homosexuelle im Faschismus. Abgerundet wurde dieser durch einschlägige Dokumente, die das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau zur Verfügung gestellt hatte – und zwar auf Anfrage des Osteuropa-Informationspools (EEIP), den die HOSI Wien von 1982 bis 1990 im Auftrag des Internationalen Lesben- und Schwulenverbands IGA betreute. Die Enthüllung des Gedenksteins war übrigens – neben der Herausgabe ihres Buches Rosa Liebe unterm roten Stern über die Lager der Lesben und Schwulen in Osteuropa – die zweite große Aktivität, die die HOSI Wien im Rahmen des von der IGA für 1984 ausgerufenen Internationalen Lesbisch-Schwulen Aktionsjahres durchführte.

 

Feierliche Enthüllung

Bei der feierlichen Enthüllung des Gedenksteins am 9. Dezember 1984 schilderte Gudrun in einem Referat die Situation von Schwulen und Lesben im Nationalsozialismus, den KZ-Alltag der Rosa-Winkel-Häftlinge und ging dabei insbesondere auf das KZ Mauthausen ein. Reinhardt  wiederum spannte den Bogen zur Gegenwart, dankte den Verantwortlichen des Innenministeriums, betonte aber gleichzeitig, dass die Republik Österreich damit ihre Schuld gegenüber den homosexuellen Opfern noch nicht abgetragen habe, denn noch immer verweigere sie ihnen nicht nur materielle, sondern sogar jegliche ideelle Wiedergutmachung. Und so gab er im Namen der HOSI Wien das Versprechen ab: Wir werden aber nicht eher ruhen, bis die Republik Österreich zumindest diese ideelle Wiedergutmachung an den homosexuellen KZ-Opfern leistet. Die HOSI Wien hat dieses Versprechen eingelöst, auch wenn es lange gedauert und Reinhardt es nicht mehr erlebt hat. Und die HOSI Wien hat schließlich sogar die materielle Entschädigung erkämpft – durch das Opferfürsorgegesetz allerdings erst 2005 (vgl. hier).

Für die LN 1/1985 verfasste Dieter einen ausführlichen Bericht über die Einweihungsfeier; Reinhardts Rede wurde ebenfalls abgedruckt. Fotos von der Feier finden sich auch in meinem Zeitreise-Eintrag.

Das Projekt in Mauthausen fand bald viele Nachahmer. Hier eine (nicht vollständige) Liste von ähnlichen Gedenksteinen und Denkmälern weltweit.

Ergänzend sei erwähnt, dass RAINER HOFFSCHILDT später im Zentralen Staatsarchiv in Prag Eingangs- und Totenbücher des KZ Mauthausen einsehen und auf Informationen zu Rosa-Winkel-Häftlingen durchforsten konnte. Die Ergebnisse seiner Archivrecherchen veröffentlichte er in den LN 1/1994 (S. 36 ff).

 

Johannes Weidinger

Da nach seinem unerwarteten und plötzlichen Tod im Vorjahr keine Nachrufe über Johannes (eigentlich: Hans Ernst) Weidinger erschienen sind, die auch sein Mäzenatentum für die schwule Sache erwähnt hätten (zumindest ist mir kein einziger bekannt), will ich diese Gelegenheit nutzen, um auf diesen Aspekt einzugehen, denn ich finde es wichtig, dass seine Rolle als Förderer schwuler Projekte nicht in Vergessenheit gerät. Ich will einige erwähnen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – zumal mir dazu auch die genauere Kenntnis fehlt.

Er unterstützte 1982 die Flitzeraktion beim Neujahrskonzert, 1983 RUDOLF KATZERs Wahlkampf als Kandidatin Gloria („Popolitik ist mehr“) für die Alternative Liste Österreich (ALÖ) bei der Nationalratswahl (vgl. LN 2–3/1983, S. 26 f), 1984 die Produktion des legendären sozialkritischen Films Wiener Brut von HANS FÄDLER (1948-1987); darin hatte Johannes außerdem eine Hauptrolle übernommen (vgl. LN 2/1985, S. 44). Der Film wurde mit dem Max-Ophüls-Publikumspreis 1985 ausgezeichnet.

Großzügige Anstoßfinanzierung ließ Johannes u. a. Projekten wie der Rosa Lila Villa, der Österreichischen AIDS-Hilfe (bei der er zu Beginn auch Rechnungsprüfer war – vgl. LN 4/1985) oder der Buchhandlung Löwenherz zuteilwerden. Die Produktion des US-Dokumentarfilms Paragraph 175 von Rob Epstein und Jeffrey Friedman aus 2000 unterstützte er ebenfalls finanziell.

Johannes hätte es verdient, dass sein nicht nur finanzieller Einsatz für die Aktivitäten der Schwulen- und Lesbenbewegung aufgeschrieben und damit der Nachwelt erhalten wird. Vielleicht findet sich ja jemand, der ihn näher kannte und über die entsprechenden Informationen verfügt, der das tut.