Neue Farbkombinationen
Waren viele politische KommentatorInnen früher der Ansicht, Österreich müsse erst einmal eine schwarz-blaue Koalition über sich ergehen lassen, bevor die Zeit reif wäre für eine rot-grüne, so tun sich durch die Spaltung der FPÖ und die Gründung des Liberalen Forums ganz neue Möglichkeiten auf, die diese Ansicht obsolet machen.
Wie das Wochenmagazin NEWS in seiner Ausgabe 11/93 zu berichten wußte, wären neue Optionen für eine Regierungsbildung offen: SPÖ, Grüne und Liberales Forum hätten zusammen eine Mehrheit und könnten eine sogenannte Ampelkoalition eingehen. Die SPÖ hätte also eine Alternative zur großen Koalition mit der ÖVP. Eine bürgerliche Koalition ist hingegen nicht mehr realistisch. ÖVP und FPÖ kommen gemeinsam nicht auf 50 Prozent, und weder das Liberale Forum noch die Grünen werden wohl in eine Koalition mit einer Haider-FPÖ eintreten.
Brächten die nächsten Nationalratswahlen tatsächlich ein Ergebnis wie in der Meinungsumfrage von NEWS, dann müßte die SPÖ Farbe bekennen, ob sie einen „linken“, also fortschrittlichen, liberalen und grünen Kurs steuern möchte oder mit einer konservativen bis reaktionären ÖVP diese Zombie-Dinosaurier-Koalition weiterführen will. Die Verlockung für letzteres scheint durchaus zu bestehen, ist es doch bequemer, in den alten, eingefahrenen Schienen weiterzufahren als sich mit standhaft-konsequenten Grünen herumzuplagen – speziell für eine SPÖ, die seit der Kanzlerschaft von Sinowatz und Vranitzky ideologisch derart abgewirtschaftet hat, und außerdem steht ja nach den nächsten Wahlen der EG-Beitritt an – und ein solcher scheint mit den Grünen in einer Regierung eher unmöglich.
Jetzt – das stellen wir ja immer wieder fest – kann sich die SPÖ auf alle Fälle leicht auf die ÖVP ausreden, wenn in Sachen Durchsetzung der Menschenrechte von Lesben und Schwulen nichts weitergeht – da kann sich’s die SPÖ in ihrer Geiselhaft durch die Koalitionspartnerin recht gemütlich machen…
Schwul/lesbische Stimmen wahlentscheidend
Aus schwulen- und lesbenpolitischer Sicht kann aber nichts Besseres passieren, als daß die ÖVP von der Last der Regierungsverantwortung befreit wird. Denn eine ÖVP ist in jedem Fall Haupthemmschuh und Haupthindernis für jede weitere Verbesserung der rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Lage von Lesben und Schwulen. Die ÖVP wird sich weiter querlegen bei der Strafrechtsreform – sonst könnte sie ja jederzeit ein Signal setzen, daß sie den § 209 abschaffen will –, und solange die ÖVP mitregiert, wird – let’s face it! – die eingetragene Partnerschaft für Lesben und Schwule nach dänischem Modell eine Utopie bleiben.
Es wird an den Lesben und Schwulen dieses Landes selbst liegen, ob die ÖVP nach der nächsten Nationalratswahl an der Macht bleibt oder nicht, denn die vereinten schwul/lesbischen Stimmen dieses Landes machen zehn Prozent aus und können wahlentscheidend sein. Gerade bei der nächsten Wahl wird es wichtiger denn je sein, daß die Lesben und Schwulen nicht ÖVP, sondern entweder rot, grün oder gelb (Liberales Forum) wählen, damit eine ÖVP-freie Regierungsbildung möglich werden kann! Österreichs Homosexuelle haben schon einmal gezeigt, daß sie wahlentscheidend sein können: 1971, als Kreisky nach einem Jahr Minderheitsregierung Neuwahlen ausschrieb und er und sein Justizminister Broda u. a. die Aufhebung des Totalverbots homosexueller Handlungen versprochen haben. Er gewann eine absolute Mehrheit. Und die Wahl Bill Clintons zum US-Präsidenten ist ein ganz aktuelles Beispiel, daß Lesben und Schwule eine Wahl entscheiden können. Ohne die Stimmen der Lesben und Schwulen wäre Clinton nicht Präsident geworden.
Bei der nächsten Nationalratswahl gilt es daher, möglichst viele Lesben und Schwule zu mobilisieren, nicht ÖVP, ihre Unterdrückerin, zu wählen. Da es durch das Liberale Forum nun eine bürgerliche Alternative gibt, sind die Chancen, daß dies gelingt, größer denn je.
Viele Lesben und Schwule sind konservativ und ÖVP-WählerInnen. So tragisch und schlimm das ist – es ist eine Tatsache. Aber sie sollten sich wirklich überlegen, ob sie die Selbstunterdrückung wirklich soweit treiben möchten, eine politische Partei zu unterstützen und zu wählen, die ihnen niemals die vollen Menschenrechte und die volle Gleichberechtigung geben wird, für die sie Menschen zweiter oder dritter Klasse sind. Einer Partei, die verlängerter Arm der katholischen Kirche ist, deren Bischöfe bei manchen MinisterInnen nur anzurufen brauchen, um ihren Willen durchzusetzen.
Bei den nächsten Wahlen geht es also darum – wie es ÖVP-Obmann Busek immer so kokett-provokant formuliert –, mit dem Stimmzettel eine Änderung herbeizuführen, wenn einem die Einstellungen und die Politik der ÖVP nicht passen, schließlich haben die Wahlen in einer Demokratie u. a. diesen Zweck. Ja, tun wir es! Wählen wir einmal nicht unsere Unterdrücker, sondern geben wir einer andersfarbigen Koalition die Chance zu beweisen, daß sie tatsächlich die Diskriminierung und Benachteiligung von Lesben und Schwulen aus der Welt schaffen will!
In diesem Zusammenhang ist es gar nicht schlecht, wenn der § 209 StGB in dieser Legislaturperiode nicht fällt. Denn dadurch werden hoffentlich die Wut, der Zorn und die Frustration bei Österreichs Lesben und Schwulen groß genug, damit eine breite Mobilisierung, nicht die ÖVP zu wählen, zustande kommen kann. Wird der 209er nämlich doch abgeschafft, werden viele „unpolitische“ Lesben und Schwule nicht motiviert sein, bei einer derartigen Mobilisierung mitzumachen. Was wollt ihr – die ÖVP reformiert eh mit! Daß die mögliche Zustimmung der ÖVP zur Abschaffung des lächerlichen § 209 StGB aber keineswegs heißt, daß sie auch für die Einführung der eingetragenen Partnerschaft in der nächsten Legislaturperiode eintreten wird, wird dabei möglicherweise übersehen oder verdrängt.
Hier kommt ja auch eine Komponente zum Tragen, die oft unterschätzt wird: die Selbstunterdrückung. Viele Lesben und Schwule sind froh, wenn sie in Ruhe gelassen werden, fügen sich in ein vermeintlich unvermeidliches Schicksal („Wir sind eben anders, fallen aus der Norm, daher mögen uns die ‚Normalen‘ nicht, damit müssen wir uns abfinden, seien wir froh, daß sie uns nichts tun!“) oder leugnen schlichtweg eine Unterdrückung („Ich werde nicht unterdrückt, ich habe nirgends Schwierigkeiten, natürlich muß man es nicht jedem auf die Nase binden, wenn man diskret ist…“ – und sich versteckt).
Jene Lesben und Schwulen, die mehr in ihrem Leben wollen, als von den Heteros in Ruhe gelassen und gnädig geduldet zu werden, würden jedoch die Solidarität all jener, die mit dem Erreichten zufrieden sind, verdienen. Und diese Solidarität könnte bei der nächsten Wahl durch entsprechende Stimmabgabe zum Ausdruck kommen!
Kurts Kommentar LN 2/1993
Nachträgliche Anmerkungen
Bekanntlich wurde nichts aus einer Ampelmehrheit bei den Nationalratswahlen am 9. Oktober 1994 – siehe meine Kommentare in den Ausgaben 3/1994 und 4/1994.
Und auch die These, nach einer schwarz-blauen Regierung käme dann fast logisch auch einmal eine rot-grüne, hat sich leider nicht erfüllt. Inzwischen haben wir schon wieder eine schwarz-blaue.
Und auch die „Angst“, der § 209 StGB könnte noch vor der Wahl 1994 abgeschafft werden, war völlig unbegründet. Justizausschussvorsitzender Michael Graff (ÖVP) torpedierte erfolgreich eine rechtzeitige Behandlung einer entsprechenden Gesetzesvorlage vor der Sommerpause und damit vor dem Ende der Legislaturperiode. Die SPÖ setzte dem nichts entgegen und scheute sich selbst drei Monate vor den Neuwahlen, die Koalitionsvereinbarung aufzukündigen und gegen die ÖVP zu stimmen! SPÖ, Grüne und LiF hatten seit der Abspaltung des LiF von der FPÖ im Frühjahr 1993 eine Mandatsmehrheit im Nationalrat und hätten in diesem Zeitraum die Strafrechtsparagraphen zu Fall bringen können. „Dank“ der Koalitionstreue der SPÖ wurde diese einmalige Chance nicht genützt.
Die Grünen waren, was viele heute nicht wissen bzw. vergessen haben, vehemente Gegner eines Beitritts Österreichs zur Europäischen Union, die im Juli 1993, als dieser Kommentar erschien, in der Tat noch EG (Europäische Gemeinschaften) hieß. Erst mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags am 1. November 1993 wurden die EG zur EU.