Lesben- und Schwulenrechte sind Menschenrechte
Daß es ein Menschenrecht ist, in Übereinstimmung mit seiner sexuellen Orientierung zu leben, ohne rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt zu sein, ist eine relativ neue Vorstellung, die sicherlich noch lange Zeit brauchen wird, um sich – auch international – durchzusetzen. Sexuelle Orientierung meint hier hetero-, bi- und homosexuell, jedoch nicht bestimmte sexuelle Präferenzen oder Fetischismen, die ja unabhängig von der sexuellen Orientierung auftreten und – mit Ausnahme der Pädophilie – normalerweise, so sie unter einverständigen Erwachsenen im privaten Bereich ausgelebt werden, vom Strafrecht oder anderen Normen, die mit den individuellen Menschenrechten kollidieren könnten, nicht tangiert werden.
Warum sexuelle Orientierung bisher in kein einziges Menschrechtsdokument explizit aufgenommen worden ist, liegt auf der Hand und erklärt sich aus der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte der letzten 2000 Jahre. Sexualität ist bislang ein zu großes Tabu gewesen, und Homosexualität galt als Sünde, Verbrechen oder bestenfalls als Krankheit, letzteres sogar für die Weltgesundheitsorganisation WHO offiziell bis 1991. Heutzutage, da man sich von diesen Vorstellungen zu trennen beginnt, Sexualität generell enttabuisiert wird und man im speziellen Homosexualität als gleichwertige Variante menschlichen Sexualverhaltens zu akzeptieren anfängt, scheint die Forderung, das (Aus)Leben der sexuellen Orientierung genauso als grundlegendes Menschenrecht anzuerkennen wie etwa die Überzeugungs- und Religionsfreiheit, nur logisch und einleuchtend, zumal sich niemand die sexuelle Orientierung aussuchen kann – genausowenig wie Geschlecht, Rasse, Hautfarbe oder soziale Herkunft – und sie auch nicht zu ändern ist – man kann die eigene Homosexualität höchstens verdrängen und unterdrücken! Überdies hat man erkannt, daß der befriedigende Umgang jeder Person mit ihrer Sexualität auch ein wesentlicher Faktor für ihre seelische und damit auch körperliche Gesundheit ist.
Als Lesben und Schwule in nationalen und internationalen Zusammenhängen begannen, die Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung einzufordern, wurde ihnen, sofern sie nicht ohnehin auf totale Ablehnung stießen, bedeutet, die bestehenden Konventionen deckten dies ohnehin ab, etwa durch die Formulierung „oder sonstige Umstände“ (Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) bzw. „oder sonstiger Status“ (Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention) im Anschluß an die Aufzählung der Nichtdiskriminierungskategorien. Andere wiederum meinen, daß die Nichtdiskriminierung der sexuellen Orientierung auch durch das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts gewährleistet sei. Und das stimmt: Wenn einem Mann sexuelle Beziehungen zu einem Mann verboten werden, einer Frau jedoch nicht, wenn ein Mann eine Frau, eine Frau jedoch keine Frau heiraten darf, dann ist das tatsächlich in erster Linie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
In der Praxis – nämlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – haben sich beide Sichtweisen jedoch nicht als erfolgreich erwiesen. Entsprechende von Homosexuellen eingebrachte „Testfälle“ scheiterten in Straßburg, da die Richter den Argumenten der Politiker in der Auslegung der Konvention nicht folgten. Deshalb bemühen sich jetzt auch einige Abgeordnete zum Europarat, „sexuelle Orientierung“ durch ein Zusatzprotokoll ausdrücklich als Schutzkategorie in die Konvention aufzunehmen. In einer entscheidenden Frage hat jedoch auch der Straßburger Gerichtshof schon in drei Beschwerden erkannt: Ein strafrechtliches Verbot der Homosexualität zwischen Erwachsenen verletzt das Recht auf Achtung des Privatlebens. Großbritannien, Irland und Zypern wurden deswegen verurteilt. Das strafrechtliche Verbot homosexueller Handlungen besteht noch in vielen Staaten der Erde, in manchen fundamentalistisch-islamischen Staaten wird die in der Scharia dafür vorgesehene Todesstrafe auch exekutiert (z. B. Iran).
Das Fehlen jeglicher strafrechtlichen Verfolgung von Lesben und Schwulen heißt aber noch lange nicht, daß es keine Verfolgung im Alltag gibt. Denn Homosexuelle mußten immer schon als Sündenböcke herhalten, und gemeinsam mit anderen Minderheiten waren und sind sie die ersten, die in autoritären oder totalitären Regimen von der staatlichen Unterdrückung betroffen sind.
Aber nicht nur staatliche Repression richtet sich gegen Lesben und Schwule. In Südamerika sind sie auch bevorzugte Zielscheibe der sogenannten Todesschwadronen. Eine kolumbianische Organisation dokumentierte 328 Morde an Homosexuellen zwischen 1986 und 1990. Und auf der Wiener Menschenrechtskonferenz präsentierte ein Vertreter einer brasilianischen Gruppe ein Dossier über 2000 Morde an Lesben und Schwulen in den vergangenen elf Jahren.
Neben diesen eklatanten Menschenrechtsverstößen gibt es eine Reihe von weiteren Bereichen, in denen Lesben und Schwule wegen ihrer Sexualität oft benachteiligt werden: in der Ausbildung, bei der Inanspruchnahme sozialer und kultureller Rechte, im Wohnrecht, in der Arbeitswelt oder im Gesundheitswesen.
Der internationale Dachverband von Lesben- und Schwulenorganisationen ILGA (International Lesbian and Gay Association) bemüht sich daher in Zusammenhängen wie KSZE, Europarat und UNO-Menschenrechtskonferenz darum, daß die Existenz lesben- und schwulenspezifischer Verfolgungen und Menschenrechtsverletzungen überhaupt einmal wahrgenommen wird und daß konkrete Schritte zu deren Beseitigung getan werden. Erste Fortschritte und Erfolge stimmen optimistisch. Und die HOSI Wien kann einmal mehr stolz darauf sein, daß sie durch den Einsatz ihrer MitarbeiterInnen in diesen internationalen Zusammenhängen an vorderster Stelle mitkämpft und involviert ist.