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Vereinte Nationen: NGO-Status der ILGA definitiv

Veröffentlicht am 5. Oktober 1993
Nach der erfolgreichen Teilnahme an der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien im Juni 1993 (vgl. LN 3/1993, S. 48ff) konnte die International Lesbian and Gay Association (ILGA) einen weiteren Erfolg bei der Weltorganisation verbuchen: Im Juli 1993 wurde ihr endgültig beratender Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zuerkannt, wie ich in den LN 4/1993 berichtete. Leider sollte die Freude darüber nicht lange währen.

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Mein Akkreditierungs-Badge für den UNO-Amtssitz in Wien sollte bald obsolet werden, da der beratende Status der ILGA im September 1994 suspendiert wurde.

Im Juli 1993 gab es noch einmal das große Zittern bei der ILGA, weil der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) auf seiner diesjährigen Sitzung vom 28. Juni bis 30. Juli in Genf endgültig über die Zuerkennung des beratenden Status der Kategorie II („Roster”) an die ILGA befinden sollte und es Gerüchte gab, daß einige Staaten diese Zuerkennung im letzten Augenblick verhindern wollten. Üblicherweise ist die endgültige Aufnahme der vorher vom zuständigen NGO-Komitee in New York akzeptierten Organisationen durch den ECOSOC selbst eine reine Formsache. Wie berichtet (vgl. LN 2/1993, S. 40), hatte das New Yorker Gremium am 29. März 1993 in einer Kampfabstimmung mehrheitlich dafür gestimmt, daß die ILGA offiziell als NGO (Nichtregierungsorganisation) bei der UNO anerkannt wird. Für die ILGA war es der zweite Anlauf, denn 1991 war ihr Antrag aufgrund des Vetos Libyens vertagt worden (vgl. LN 2/1991, S. 54 f).

Im ECOSOC sind 54 Staaten vertreten, darunter zur Zeit auch Österreich. Grund genug für die HOSI Wien, Außenminister Alois Mock am 5. Juli, während der ECOSOC in Genf schon tagte, wegen der geplanten Absichten einiger islamischer Länder zu alarmieren und ihn zu ersuchen, die österreichische Delegation in Genf entsprechend zu instruieren, damit diese sich für die endgültige Zuerkennung des beratenden Status an die ILGA einsetze, was auch geschah, wie uns Mock in seiner Antwort mitteilte.

Die Gerüchte bewahrheiteten sich schließlich. Als der ECOSOC über die 43 vorliegenden Anträge von NGOs befinden sollte, sprach sich Syrien gegen jene der Human Rights Watch und der ILGA aus.

Nach einigen prozeduralen Manövern wurde schließlich zur Abstimmung geschritten. Allein dies ist als Sensation zu werten, denn bisher wurden – wie auch im New Yorker NGO-Komitee – diese Entscheidungen im Konsens (oder gar nicht) getroffen. Das Abgehen von der Konsens-Tradition wurde dann auch von einigen Staaten tief bedauert. Die Abstimmung am 30. Juli ging schließlich mehrheitlich für die ILGA aus: vier Staaten (Malaysia, Swaziland, Syrien und Togo) stimmten gegen einen Roster-Status für die ILGA, 22 dafür (Argentinien, Australien, Belarus, Belgien, Brasilien, Chile, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Kuba, Mexiko, Norwegen, Österreich, Peru, Russland, Spanien, Ukraine, das Vereinigte Königreich und die USA), 17 Staaten enthielten sich der Stimme, darunter China, Kolumbien, Indien und Nigeria, nicht zuletzt, weil sie überhaupt gegen eine Abstimmung waren. Andere erklärten sich für nicht anwesend (Marokko) und ernteten allgemeines Gelächter, andere wiederum waren tatsächlich (und absichtlich) abwesend.

Die „westliche Gruppe“ stimmte also geschlossen für die ILGA und erhielt dabei kräftige Unterstützung aus Osteuropa und Lateinamerika. Unter den westlichen Staaten setzten sich vor allem Australien, Kanada, das Vereinigte Königreich und Frankreich für die ILGA ein. Frankreichs Vertreter erklärte vor der Abstimmung, er werde für die ILGA votieren, weil deren Ziel, gegen Diskriminierung zu kämpfen, die Unterstützung des Wirtschafts- und Sozialrats erfahren solle. Für die australische Delegation hatte die ILGA-Sache höhere Priorität als jeder andere Tagesordnungspunkt auf der diesjährigen ECOSOC-Sitzung. Das oft wegen seiner Lesben- und Schwulenpolitik kritisierte Kuba erklärte gegenüber einem ILGA-Vertreter, Kuba habe aus seinen Fehlern gelernt. Malaysia erklärte nach der Abstimmung, es wende sich gegen die „von dieser Organisation vertretenen ethischen und moralischen Werte“.

 

UNO-Geschichte geschrieben

Die Vereinten Nationen haben erstmals in ihrer Geschichte einer Lesben- und Schwulenorganisation ständigen beratenden Status als NGO verliehen. Ein wahrlich historisches Ereignis, an dem auch die HOSI Wien Anteil hat, in erster Linie durch das Lobbying und die zweimalige Anwesenheit ihres Mitarbeiters JOHN CLARK in New York anläßlich der Anhörungen im NGO-Komitee – John war ja bekanntlich drei Jahre lang ILGA-Generalsekretär.

Bei der ESOSOC-Sitzung in Genf war die ILGA durch den UNO-erprobten Rechtsprofessor DOUGLAS SANDERS aus Kanada vertreten, der zuvor in Wien an der UNO-Weltkonferenz über Menschenrechte teilgenommen hatte (vgl. LN 3/1993, S. 48 ff). Sanders betonte nach der denkwürdigen Entscheidung, daß es von größter Bedeutung war, daß einige Staaten auf eine Abstimmung bestanden hatten. Wäre man vom Konsensprinzip nicht abgewichen, hätte das Veto eines einzigen Landes genügt, um die Anerkennung der ILGA zu verhindern. Dann hätte die ILGA wohl noch bis weit ins nächste Jahrtausend auf den NGO-Status warten können. So aber „haben nunmehr 22 Staaten bekräftigt, daß die ILGA einen nützlichen Beitrag zur Menschenrechtsarbeit der UNO leisten kann. Endlich, endlich, endlich sind wir als Lesben und Schwule auch in den Vereinten Nationen aus unserem Schrank herausgekommen“, kommentierte Sanders diesen Erfolg.

 

UNO-Arbeitsgruppen der ILGA in allen UN-Städten gegründet

Die Zuerkennung des NGO-Status an die ILGA machte es auch erforderlich, nunmehr in allen UN-Sitzen ILGA-Arbeitsgruppen einzurichten, die für die ILGA-Arbeit in den drei UNO-Zentren verantwortlich sind und an den für NGOs zugänglichen Veranstaltungen und Aktivitäten teilnehmen sollen. Dies wurde bereits auf der UNO-Konferenz in Wien unter den anwesenden ILGA-AktivistInnen diskutiert und auf der ILGA-Jahreskonferenz in Barcelona [vgl. S. 52 ff] beschlossen. Während in New York bereits seit einiger Zeit im Lesbian and Gay Community Services Center eine UNO-Arbeitsgruppe bestanden hat, die auch weiterarbeiten wird, gab es in Genf und Wien bis dahin keine. Dort wurden sie neu gegründet. In Genf besteht die UNO-Arbeitsgruppe aus Douglas Sanders, JAN HANSEN, einer US-Amerikanerin, und YVES DE MATTEIS, einem Mitarbeiter der Genfer Gruppe Dialogai. In Wien setzt sich die UNO-Arbeitsgruppe der ILGA aus den HOSI-Wien-AktivistInnen GUDRUN HAUER, WALTRAUD RIEGLER, John Clark und Kurt Krickler zusammen, die bereits beim UNO-Amtssitz in Wien als ILGA-VertreterInnen akkreditiert wurden.

 

Erstes offizielles ILGA-Auftreten

Sechs Tage nach der Zuerkennung des NGO-Status konnte die Genfer UNO-Gruppe der ILGA bereits offiziell in Aktion treten. Douglas Sanders gab am 5. August 1993 im Rahmen der diesjährigen Sitzung der UNO-Subkommission zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten, die den ganzen August in Genf tagte, das erste Statement als offizieller ILGA-Vertreter in einem permanenten Menschenrechtsgremium der UNO ab (die Weltkonferenz in Wien war ja nur eine einmalige Veranstaltung; und als Sanders ein Jahr zuvor in der Subkommission ein Statement über Lesben- und Schwulenrechte abgab, mußte er dies in einem den Human Rights Advocates zugeteilten Rede-Slot tun, vgl. LN 3/1993). Eine Woche später gaben auch Jan Hansen und Yves de Matteis vor dieser Subkommission Statements im Namen der ILGA ab.

Die drei ILGA-VertreterInnen sprachen zu den Tagesordnungspunkten „Förderung, Schutz und Wiederherstellung von Menschenrechten auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene“, „Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten“ sowie „Recht auf Freizügigkeit“ über die Lage von Lesben und Schwulen in aller Welt, über strafrechtliche Diskriminierungen, Anti-Diskriminierungsgesetze, über die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen, über Einwanderungs- und Flüchtlingsfragen, über Lesben und Schwule in den Armeen, über die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, anti-homosexuelle Gewalt usw. Wie schon auf der UNO-Weltkonferenz in Wien drehten sich auch in Genf die Köpfe der anwesenden StaatenvertreterInnen nach den SprecherInnen der ILGA um: Wie sehen diese offenen Lesben und Schwulen aus? Die Regierungen werden sich daran gewöhnen müssen, daß Lesben und Schwule ab nun an ihren internationalen Sitzungen teilnehmen werden.

 

UNO-Studie gefordert

Wie schon 1992 forderte Professor Sanders in seinem heurigen Statement abermals, die Subkommission möge einen Sonderberichterstatter ernennen und mit der Durchführung einer Studie über die Lage der Menschenrechte von Lesben und Schwulen betrauen. Es ist nämlich die gängige UNO-Praxis, jede Erörterung neuer Menschenrechtsaspekte mit einer Studie einzuleiten. Sanders’ Forderung wurde am 13. Juli vom Mitglied der französischen Delegation Louis Joinet aufgegriffen, der den Vorschlag einbrachte, das Mandat einer Studie über Rassismus solle auf andere aktuelle Formen der Diskriminierung, darunter eben aufgrund der sexuellen Orientierung, erweitert werden. Der Vertreter Nigerias, die diese Studie zu erstellen hat, meinte jedoch, eine Studie über Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung solle ein eigenes Vorhaben sein. Die Sache wurde nicht weiter diskutiert, sodaß auch nichts weiter in dieser Frage passierte.

Aber der Umstand, daß dieser Vorschlag zum ersten Mal nicht nur von einem ILGA-Vertreter, sondern von einem Mitglied der Subkommission gemacht worden ist, stellt einen weiteren kleinen, aber wichtigen (Fort-)Schritt dar. Im nächsten Jahr wird die ILGA den Vorschlag erneut einbringen – und vielleicht ist dann schon die Zeit reif dafür, daß er angenommen wird.

Im übrigen hat der Sonderberichterstatter Danilo Türk aus Slowenien in seinem 1992 veröffentlichten UNO-Bericht über die „Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte“ darauf hingewiesen, daß vermehrte Aufmerksamkeit Gebieten diskriminierender Behandlung zu widmen sei, die im allgemeinen auf internationaler Ebene ignoriert werden, darunter der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

 

Die Arbeit geht weiter

Der Erfolg der ILGA bei internationalen Organisationen – neben der UNO sind ja noch der KSZE-Prozeß, der Europarat und die EG zu erwähnen – stellt stets weitere Anforderungen an die begrenzten Ressourcen der ILGA und ihrer Mitgliedsorganisationen. Ein Erfolg bzw. Durchbruch bei einer dieser Organisationen bedeutet nämlich in der Praxis immer auch zusätzliche Arbeit. Auf UNO-Ebene wird die ILGA im Februar und März 1994 an der regulären Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission teilnehmen. 1995 stehen zwei weitere Großereignisse ins Haus: am 11. und 12. März wird der UNO-Gipfel über soziale Entwicklung in Kopenhagen stattfinden, vom 4. bis 15. September die 4. UNO-Welt-Frauenkonferenz in Peking. Große Herausforderungen erwarten also die ILGA, und damit auch die HOSI Wien, deren Lesbengruppe beispielsweise bereits von Frauenministerin Johanna Dohnal eingeladen worden ist, bei den österreichischen Vorbereitungen für Peking mitzuarbeiten.

Um eine bessere Kommunikation innerhalb der ILGA über ihre UNO-Arbeit sicherzustellen, wird übrigens Douglas Sanders regelmäßig einen internen Newsletter zusammenstellen und an die interessierten bzw. an dieser Arbeit beteiligten ILGA-Mitgliedsgruppen aussenden. Diese Art des Informationsflusses hat sich bei den ILGA-Arbeitsgruppen für KSZE/Europarat und für die EG sehr bewährt. Das monatliche Info zu diesen Arbeitsbereichen wird vom dänischen Lesben- und Schwulenverband LBL zusammengestellt und verschickt.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Die ILGA sollte sich nicht lange an ihrem NGO-Status erfreuen. Denn im September 1994 suspendierte ihn ECOSOC für drei Jahre wieder (vgl. LN 4/1994, S. 48 f, sowie davor LN 1/1994, S. 59 ff, und LN 3/1994, S. 46 ff). Nach den drei Jahren verfiel der Status. 2000 wurde der ILGA empfohlen, einen neuen Antrag zu stellen. Es sollte insgesamt 17 Jahre dauern, bis die ILGA ihren Status wiedererlangte. Die LN berichteten in der Ausgabe 4/2011, S. 18:

Am 25. Juli 2011 stimmte ECOSOC, der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, endgültig dem Antrag der ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) auf Zuerkennung des Beraterstatus bei dieser Organisation zu. Der Antrag war zuvor jahrelang vom zuständigen – „vorgelagerten“ – NGO-Ausschuss blockiert, vertagt und schließlich abgelehnt worden. Das Votum im „vollen“ ECOSOC war dann überraschend eindeutig: 29 Staaten stimmten dafür (Argentinien, Australien, Belgien, Chile, Deutschland, Ekuador, Estland, Finnland, Frankreich, Indien, Italien, Japan, Kanada, Lettland, Malta, Mexiko, Mongolei, Nicaragua, Norwegen, Peru, Schweiz, Slowakei, Spanien, Südkorea, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich, USA, Venezuela), 14 dagegen (Ägypten, Bangladesch, China, Ghana, Irak, Kamerun, Katar, Marokko, Namibia, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Sambia, Senegal) und fünf enthielten sich der Stimme (Bahamas, Elfenbeinküste, Guatemala, Philippinen, Ruanda); sechs stimmten gar nicht ab bzw. waren nicht anwesend: Gabun, Guinea-Bissau, Komoren, Malawi, Mauritius, Saint Kitts und Nevis.

Bereits 1993 hatte ILGA als erster internationaler LSBT-Verband diesen Status erhalten, ein Jahr später wurde er jedoch suspendiert. Seither hat sich die ILGA bemüht, diesen Status wiederzuerlangen. In der Zwischenzeit haben rund ein Dutzend Mitgliedsorganisationen der ILGA diesen Beraterstatus erhalten (vgl. zuletzt LN 1/2007, S. 24). Der diesbezügliche Antrag der HOSI Wien wurde im NGO-Komitee bereits zweimal vertagt und wird im Februar 2012 ein drittes Mal in diesem Ausschuss behandelt werden (vgl. LN 1/2011, S. 35, sowie LN 3/2011, S. 29).

Über diesen 17 Jahre währenden Kampf um neuerliche Zuerkennung des NGO-Status an die ILGA berichteten die LN u. a. auch in den Ausgaben 1/1995 (S. 49 f), 3/1995 (S. 59 f), 3/2002 (S. 31 ff), 3/2006 (S. 24 f) und 5/2006 (S. 26 f).

Über die endgültige Zuerkennung des NGO-Status an die HOSI Wien berichtete ich in den LN 3/2013, S. 32 (vgl. auch Aussendung der HOSI Wien vom 26. Juli 2013).