ILGA-Konferenz in New York: Pädo-Frage entschieden
Die KonferenzorganisatorInnen, das ILGA-Komitee des New Yorker Lesbian and Gay Community Services Center, war umsichtig genug, den zum Stonewall-March angereisten KonferenzteilnehmerInnen einen Tag Verschnaufpause vor dem Beginn der ILGA-Konferenz zu gönnen. Für unverbesserliche und unermüdliche KongressistInnen, die keine Pause machen wollten, gab es jedoch eintägige themenspezifische Vorkonferenzen, so etwa am 24. Juni für Lesben und Schwule mit Behinderung, am 25. für Frauen und am 27. für „people of color“. Die beiden österreichischen Teilnehmer, PETER SCHEUCHER von den Rosaroten Panthern und der Autor dieser Zeilen, die entgegen anderslautenden Gerüchten nicht zur Kategorie „unermüdliche KongressistInnen“ gehören, hatten dennoch eine Abendverpflichtung an diesem freien Tag: Der Präsident des niederländischen Lesben- und Schwulenverbands NVIH-COC, CEES VAN WIJK [1944–2012], und der Presse- und Kulturkonsul des niederländischen Generalkonsulats in New York, Henry Kol, luden die niederländischen KonferenzteilnehmerInnen und einige ausländische ILGA-VIPs zu einem Empfang in Kols Residenz ein, in der unmöglich Platz für alle Delegierten gewesen wäre.
Das Center-ILGA-Komitee war auch sonst sehr umsichtig und wohl organisiert, es klappte alles wie am Schnürchen, die MitarbeiterInnen der Gruppe waren hilfsbereit und schienen alles unter Kontrolle zu haben, dennoch – oder gerade deshalb – hörte man, daß die zwei Jahre Vorbereitungen nach der Tagung auch einige Burn-out-Opfer zurücklassen würden…
Die Konferenz tagte im Fashion Institute of Technology mitten in Manhattan, die Leute waren im Studentenheim der Hochschule untergebracht. In die regenbogenbeflaggten Stadtteile Chelsea und Greenwich Village – sie haben einen hohen Anteil an schwul/lesbischen EinwohnerInnen und ebensolcher Infrastruktur, angefangen von Restaurants und Bars – konnte man zur Not auch zu Fuß laufen.
Rund 300 Lesben und Schwule aus rund 50 Ländern nahmen an der Tagung teil – ein neuer Rekord. Dank der Fundraising-Bemühungen der VeranstalterInnen konnte vielen aus der dritten Welt und aus Osteuropa die Teilnahme ermöglicht werden. Zum erstenmal war auch ein Schwuler aus der Volksrepublik China dabei, der direkt aus Peking anreiste. Der Frauenanteil betrug 35 Prozent und war damit für eine Jahreskonferenz sehr hoch.
Nach der Begrüßung durch den Obmann des Community Services Center, RICHARD BURNS, sprachen als EröffnungsrednerInnen TOM DUANE, offen schwuler und HIV-positiver Stadtrat in New York, CHARLOTTE BUNCH, langjährige Lesbenaktivistin und Vorsitzende des Center for Women’s Global Leadership an der Rutgers-Universität, sowie SIMON NKOLI [1957-1998], ANC- und Schwulenaktivist aus Südafrika.
Für Ausschluß von Pädo-Gruppen
Am Nachmittag gab es dann den Arbeitskreis zur Pädophilie, in dem einmal mehr die bekannten Argumente pro und kontra Pädophilie und pro und kontra Ausschluß von drei Pädophilengruppen aus der ILGA diskutiert wurden. Die Debatte setzte sich dann komprimiert zwei Tage später in der eigens angesetzten Plenarsitzung fort. Schließlich wurde die Debatte zum vereinbarten Zeitpunkt abgebrochen und zur Abstimmung geschritten. Noch nie in der ILGA-Geschichte waren so viele Stimmen mobilisiert worden, auch durch Stimmenübertragung von Gruppen, die nicht in New York teilnehmen konnten. Zur Annahme des Antrags auf Ausschluß der drei Pädo-Gruppen (NAMBLA und Project Truth/Free Will aus den USA sowie Vereniging Martijn aus den Niederlanden) bedurfte es nicht nur einer einfachen, sondern einer 80-Prozent-Mehrheit. Obwohl die Stimmung schon früher eindeutig mehrheitlich für einen Ausschluß war, waren die meisten skeptisch, daß eine 80-Prozent-Mehrheit überhaupt erreichbar wäre. Die Abstimmung ging dann wie folgt aus: 214 Stimmen für den Ausschluß, 30 dagegen, 7 Enthaltungen, was eine Mehrheit von 87 Prozent bedeutet. Die Entscheidung fiel damit doch sehr klar aus.
Zusätzlich wurde auch folgender Antrag angenommen: Gruppen oder Vereinigungen, deren hauptsächliches Ziel es ist, Pädophilie zu unterstützen oder zu befürworten, sind mit der zukünftigen Entwicklung der ILGA nicht vereinbar.
Eine seit Jahren andauernde Diskussion ist somit beendet worden. Sicherlich hat bei der jetzigen eindeutigen Entscheidung der Umstand mitgespielt, daß von der ILGA Erreichtes durch die Mitgliedschaft von Pädo-Gruppen wieder gefährdet war. Die Entscheidung zeigt deutlich den Meinungswandel in den letzten fünfzehn Jahren in der Pädo-Frage. Der Dämpfer, den die Mißbrauchsdiskussion der letzten Jahre der ersten Euphorie über die sexuelle Befreiung in den 70er Jahren aufgesetzt hat, hat jetzt auch in der ILGA seine Wirkung gezeigt.
Offenbar lassen sich immer weniger Menschen davon überzeugen, daß sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und vorpubertären Kindern doch nicht so harmlos und unschuldig sind, wie Pädo-Vertreter, die sich genauso vehement gegen Mißbrauch von Kindern aussprechen, behaupten. Eine große Mehrheit traut offenkundig einem vorpubertären Kind nicht zu, aufgrund des Machtungleichgewichts eine authentische Einwilligung zu Erwachsenensexualität überhaupt geben zu können.
Einige Gruppen haben angekündigt, wegen dieser Entscheidung die ILGA zu verlassen, wie etwa der deutsche Bundesverband Homosexualität (BVH). Das ist zwar schade, aber der Fortbestand der ILGA in ihrer jetzigen Form ist durch diesen Beschluß erst gesichert worden.
Daß die Debatte endlich vorbei war, war dann auch eine große Erleichterung, denn sie schien wirklich viele andere Dinge zu lähmen. Offenbar waren nicht nur die ersten Konferenztage voll von diesem Thema eingenommen – man hörte ständig nur NAMBLA aus den Gesprächsfetzen, die man überall aufschnappte –, sondern sogar das ganze letzte halbe Jahr. So stellte sich heraus, daß im so wichtigen Bereich der Regionalisierung der ILGA überhaupt nichts geschehen war, wir waren exakt dort, wo wir auch vor einem Jahr in Barcelona waren [vgl. LN 4/1993, S. 52 f].
Regionalisierung
Schließlich haben die Lesben mit der Regionalisierung ernst gemacht. Da die dänische Gruppe LBL das Frauensekretariat abgegeben hat, haben die Lesben beschlossen, kein neues zu wählen, sondern das Lesbensekretariat zu regionalisieren. Auch die AIDS-Arbeit der ILGA wird regionalisiert und hat in JEFFREY STANTON, der zur Zeit ein schwules AIDS-Präventionsprojekt in Kolumbien leitet, einen hervorragenden Koordinator gefunden. Die HOSI Wien bleibt übrigens Mitglied der Arbeitsgruppe AIDS, wir haben aber unsere interimistische Koordinationsfunktion, die wir anläßlich des Sekretariatetreffens in London im Jänner dieses Jahres übernommen haben, wieder abgegeben.
Die Arbeitsgruppe Regionalisierung wird jedenfalls weitermachen und hoffentlich bis zur nächsten Jahreskonferenz in Rio de Janeiro einen Vorschlag ausarbeiten. Vorsorglich wurde bereits heuer beschlossen, ab 1995 Weltkonferenzen nur mehr im Zwei-Jahres-Rhythmus abzuhalten. 1996 soll zum Jahr der Regionalisierung ausgerufen werden, die einzelnen Regionen sollen dieses Jahr für regionale Konferenzen nützen.
Zum neuen Finanzsekretariat der ILGA wurde die schwedische Organisation RFSL gewählt. Ansonsten gab es keine Veränderungen bei den Sekretariaten. REBECA SEVILLA und HANS HJERPEKJØN [1943–2012] wurden, da es keine GegenkandidatInnen gab, per Akklamation als Generalsekretärin bzw. Generalsekretär wiedergewählt.
In den Arbeitskreisen wurden u. a. wichtige Projekte besprochen, wie die weiteren ILGA-Aktivitäten bei UNO, KSZE, Europarat und EU. Für die Lesben ist die UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ein vorrangiges Projekt. Das Ansuchen um Beraterstatus beim Europarat wird jetzt nach der NAMBLA-Entscheidung ebenfalls finalisiert und abgeschickt. Für die im Oktober in Budapest beginnende Überprüfungskonferenz der KSZE wird die HOSI Wien die ILGA-Vorbereitungen übernehmen bzw. koordinieren. Etliche Protestaktionen wurden ebenfalls beschlossen. Dank des schlagkräftigen Aktionssekretariats bei der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) in San Franzisko werden die ILGA-Aktionen immer erfolgreicher.