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Internationales Menschenrechtstribunal: 1945–1995 – 50 Jahre Unterdrückung von Lesben und Schwulen in Österreich

Veröffentlicht am 25. Juli 1995
In die offiziellen Jubelfeiern zum 50. Geburtstag der 2. Republik wollte die Lesben- und Schwulenbewegung Österreichs nicht kritik- und gedankenlos einstimmen. Im Gegenteil: Sie sah wenig Grund zum Feiern, da die Menschenrechte von Lesben und Schwulen in diesem Land auch heute noch mit Füßen getreten werden. Ich berichtete ausführlich über das Tribunal in den LN 3/1995.

Cover des Folders zum „Internationalen Menschenrechtstribunal" (für die Gesamtansicht wie immer draufklicken)

Freda Meissner-Blau (Mitte) und Gerhard Oberschlick (li) führten den Vorsitz des Tribunals souverän. Rechts neben Freda: Friedrun Huemer, in der zweiten Reihe von links nach rechts: Alfred Noll, Martin Schenk und Richard Soyer.

Senat Arbeitswelt (v. l. n. r.): Sibylle Summer, Rainer Klien, Gerfried Schultheis, Manfred Wolf und Hikmet Kayahan

Ein weiterer prominent besetzter Senat (v. l. n. r.): Kurt Lüthi, Trautl Brandstaller, Gerhard Oberschlick, Heimrad Bäcker und Josef Haslinger, in der zweiten Reihe dahinter Claus Tieber und Doron Rabinovici.

„Falter“-Kolumnist und TV-Talkshowmaster Hermes Phettberg berichtete im Zeugenstand – hier mit den Vorsitzenden Gerhard Oberschlick und Freda Meissner-Blau.

Auch ich legte Zeugnis über Menschenrechtsverletzungen ab – hier im Bild (v. l. n. r.): Gloria G., Christian Michelides, Beate Soltész, Helga Widtmann und Hedwig Pepelnik-Gründler.

Urteilsverkündung im Rahmen einer Pressekonferenz mit (v. l. n. r.): Manfred Nowak, Gerhard Oberschlick, Friedrun Huemer und Alfred Pritz

Also veranstaltete die Bewegung unter Federführung des Österreichischen Lesben- und Schwulenforums und der HOSI Wien vom 9. bis 12. Juni 1995 ein internationales Menschenrechtstribunal, dessen Ziel die Bestandsaufnahme der vielfältigen Diskriminierungen war, denen Lesben und Schwule in den letzten 50 Jahren ausgesetzt waren und immer noch sind. Erfreulicherweise schloß sich auch die Transgender-Bewegung dem Tribunal an, sodaß auch die Verletzungen der Menschenrechte von Transgender-Personen zur Sprache kamen. Allerdings erfolgte dies zu einem Zeitpunkt, als der offizielle Name und das Logo des Tribunals bereits in Verwendung waren, wodurch „Transgender“ im Titel nicht vorkam. Das Tribunal verstand sich überdies als eine Aktivität im Rahmens des von der UNESCO ausgerufenen internationalen Jahres der Toleranz sowie der Europaratskampagne gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz „all different – all equal“.

Das Tribunal war an die Bertrand-Russell-Tribunale der 1970er Jahre und an ein herkömmliches Gerichtsverfahren angelehnt. Es bestand aus einer Anklage, die von den VertreterInnen der Lesben- und Schwulenbewegung bestritten wurde, und aus RichterInnen-Senaten, die sich aus prominenten Persönlichkeiten zusammensetzten, die auch die Urteile fällten. Und natürlich wurde die Republik Österreich eingeladen, sich zu verteidigen. Sowohl Parlament, Regierung als auch der Bundespräsident lehnten dies jedoch ab. Einzig eine mit der Transsexuellenfrage befaßte Beamtin des Innenministeriums sowie SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim traten zwar nicht als VerteidigerInnen der Republik, aber zumindest als eine Art amici curiae auf.

 

Prominenter Vorsitz

Den Vorsitz über das Tribunal und speziell über die RichterInnen-Senate führten zwei prominente Menschenrechtskämpfer: Freda Meissner-Blau [1927–2015], ehemalige Präsidentschaftskandidatin 1986 und Grün-Abgeordnete, sowie Gerhard Oberschlick, Herausgeber der Zeitschrift FORVM. Beide leiteten das Tribunal professionell und souverän – und mit großem Engagement und persönlichem Einsatz, wofür ihnen an dieser Stelle nochmals höchste Hochachtung gezollt werden muß. Wie alle anderen Beteiligten arbeiteten sie an diesen vier Tagen für Gottes Lohn, da für eine Bezahlung oder auch nur eine Aufwandsentschädigung keine Mittel vorhanden waren. Wir alle sind Freda und Gerhard wirklich zu großem Dank verpflichtet.

Als Veranstaltungsort stellte der Republikanische Club sich in den Dienst der Sache und seine Räumlichkeiten in der Wiener Innenstadt zur Verfügung. Unser besonderer Dank gilt Sibylle Summer, die die Organisation des Tribunals vor Ort managte.

 

Internationales Komitee

Über dem Tribunal stand noch ein internationales Patronanzkomitee, dem eine Ehrenschutzfunktion zukam. Hintergedanke dabei war natürlich, das Tribunal auch im Ausland bekannt zu machen. Unsere Anfragen bei international renommierten MenschenrechtskämpferInnen und PolitikerInnen, ob sie nicht dem Patronanzkomitee angehören möchten, boten uns Gelegenheit, die Verletzungen der Menschenrechte in diesem Personenkreis publik zu machen. Deshalb schrieben wir auch an PolitikerInnen, von denen wir von vornherein wußten, daß sie eine solche Funktion gar nicht übernehmen könnten:

Daniel Tarschys, der Generalsekretär des Europarats, wurde ebenso ins Komitee eingeladen wie sein österreichischer Stellvertreter Peter Leuprecht und die Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Miguel Martínez, des Europäischen Gerichtshofs, Rolv Ryssdal [1914–1998], und der Europäischen Kommission für Menschenrechte, Carl Aage Nørgaard [1924–2009]. Tarschys, Ryssdal und Nørgaard bedauerten in ihren Antworten, unsere Einladung nicht annehmen zu können – aufgrund ihrer Funktionen ginge dies grundsätzlich nicht. Sie machten uns aber auf die Möglichkeit aufmerksam, gegen eventuelle Menschenrechtsverletzungen Beschwerde bei ihren Institutionen einzulegen.

Eingeladen wurde auch EU-Kommissionspräsident Jacques Santer, der nicht antwortete, und die dänische EU-Kommissarin Ritt Bjerregaard [1941–2023], die ebenfalls mitteilte, aus grundsätzlichen Erwägungen eine Ehrenschutzfunktion nicht übernehmen zu können, unsere Anliegen jedoch unterstütze, und uns „allen Erfolg“ für unsere Bemühungen wünschte. Auch die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland sandte uns ihre „besten Wünsche für eine erfolgreiche Veranstaltung“, nahm aber unsere Einladung aus ähnlichen Gründen wie Bjerregaard nicht an. Einladungen ergingen u. a. auch an den Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau, Luchino Cortese, den Vorsitzenden von Amnesty International, Pierre Sané, den langjährigen Präsidenten der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, Fürst Karl Schwarzenberg [1937–2023], oder Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú.

Einige Persönlichkeiten wollten wir aus bestimmten Gründen unbedingt dabei haben, aber sie antworteten nicht: die dänische Königin Margrethe II. als Oberhaupt jenes Staates, der die progressivste Situation für Lesben und Schwule unter allen Ländern der Welt aufweist, Nelson Mandela [1918–2013] als Oberhaupt jenes Staates, der als erster „sexuelle Orientierung“ ausdrücklich als Schutzkategorie in der Verfassung verankert hat, und Salman Rushdie, weil er wegen satanischer Verse verfolgt wird und wir wegen sodomitischer.

Viele österreichische Persönlichkeiten, die wir eigentlich für die RichterInnen-Senate gewinnen wollten, die aber aus Zeitgründen nicht kommen konnten, erklärten sich bereit, zumindest eine Ehrenschutzfunktion zu übernehmen. So umfaßte das Patronanzkomitee schließlich über 40 prominente Persönlichkeiten des In- und Auslands, darunter Abgeordnete des Europäischen, kanadischen und österreichischen Parlaments und den vom Papst als Bischof von Évreux geschaßten Jacques Gaillot [1935–2023] (vgl. Interview in den LN 2/1995, S. 51 ff). Das Tribunal stieß bei vielen auf großes Interesse, teilweise waren die Eingeladenen über die Rechtslage in Österreich erstaunt und erschüttert. Die vollständige Liste der Mitglieder des Komitees findet sich in nebenbestehendem Kasten.

 

Prominente RichterInnen

Auch mit der Auswahl der Mitglieder der einzelnen Geschwornenjurys war beabsichtigt, neue Verbündete für unsere Anliegen zu gewinnen, MeinungsbildnerInnen und Prominente anzusprechen und auf die Thematik aufmerksam zu machen. Die Zusammenstellung der Senate lag maßgeblich in den Händen von Irene Brickner und Jutta Zinnecker. In mühevoller Kleinarbeit haben sie Adressen und Telefonnummern recherchiert und sind in zahlreichen Telefonaten der österreichischen Prominenz nachgejagt.

Folgende Personen haben schließlich ihre Wochenendfreizeit in den Dienst der guten Sache gestellt und sich in den sieben Sitzungen zu den Themenbereichen

  • Strafrecht
  • Lebensgemeinschaften und Familie
  • Wiedergutmachung für NS-Verfolgung
  • AIDS
  • Diskriminierung durch staatliche Institutionen (wie Gefängnis, Psychiatrie, Bundesheer, Polizei)
  • Arbeitswelt sowie
  • Öffentlichkeit

die Anklagen der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Bewegung sowie die ZeugInnen angehört und ihre Urteile gefällt:
Bruno Aigner, Heimrad Bäcker [1925–2003], Dennis Beck, Trautl Brandstaller [1939–2024], Irene Brickner, Rudolf Burger [1938–2021], Mercedes Echerer, Francesca Ferraris, Norbert Gerstberger, Josef Haslinger, Friedrun Huemer, Hikmet Kayahan, Rainer Klien, Volker Kier [1941–2023], Nadja Lorenz, Kurt Lüthi [1923–2010], Alfred Noll, Rotraud Perner, Alfred Prinz, Doron Rabinovici, Katharina Riese, Martin Schenk, Dieter Schrage [1935–2011], Gerfried Schultheis, Richard Soyer, Karl Stojka [1931–2003], Sibylle Summer, Claus Tieber, Manfred Wolf, Johanna Würth und Jutta Zinnecker.

 

BündnispartnerInnen für unsere Anliegen

Unser Ziel, BündnispartnerInnen für unsere Anliegen in der Menschen- und Bürgerrechtsbewegung Österreichs zu gewinnen, verfolgten wir auch dadurch, daß wir eine Reihe anderer Organisationen einluden, als Mitveranstalterinnen des Tribunals aufzutreten. Und in dieser Hinsicht waren wir wirklich äußerst erfolgreich.

Neben zahlreichen Lesben- und Schwulen- sowie Transgender-Gruppen konnten folgende Vereinigungen zu diesem Zweck gewonnen werden: Frauengruppen, wie AUF – Eine Frauenzeitschrift, CheckArt (Herausgeberin der an.schläge), Frauensolidarität oder der Verein „Frauenrechte Menschenrechte“, Menschenrechtsvereinigungen, wie das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte, gesellschaftspolitische Gruppen, wie die Initiative Minderheiten, der Republikanische Club, aber auch die Evangelische Akademie Wien, die Grüne Bildungswerkstatt und die Bewegung Rotes Wien. Andere Gruppen wiederum waren durch VertreterInnen in den RichterInnen-Senaten bzw. im Patronanzkomitee repräsentiert, etwa SOS Mitmensch durch Martin Schenk oder Amnesty International durch Francesca Ferraris.

Wohl keine schwul/lesbische Veranstaltung in Österreich hat je zuvor dermaßen viele Verbündete gewinnen und Allianzen begründen können wie dieses internationale Menschenrechtstribunal. Für die Umsetzung unserer Forderungen sind gerade solche Bündnisse von großer Bedeutung. Wir hoffen, daß sich durch die Konfrontation vieler Außenstehender mit unseren Anliegen eine Art Schneeballeffekt in der Bewußtseinsbildung ergibt, die weit über die Lesben- und Schwulengemeinde hinausstrahlen wird. Und so wie es aussieht, werden wir in unserem Kampf gegen die ÖVP in Sachen Strafrechtsreform noch eine Menge Verbündeter dringend brauchen.

 

Die Anklagepunkte

Die Anklagepunkte brauchen wohl in den LN nicht näher dargelegt werden, da es sich ja um unsere jahrelangen Forderungen handelt. Das Tribunal beschäftigte sich aber auch mit den strafrechtlichen Diskriminierungen nach 1945, nämlich dem Totalverbot bis 1971, dem zufolge allein 13.046 (!) Urteile zwischen 1950 und 1971 gefällt wurden (bis 1950 gab es keine Statistik). Es ging zudem um den fehlenden aktiven Diskriminierungsschutz, etwa in den Bereichen Arbeitswelt, Dienstleistungen und in der Öffentlichkeit, und nicht zuletzt um die nicht erfolgte Wiedergutmachung für homosexuelle NS-Opfer. Der Republik wurde vorgeworfen, durch ihre Gesetze folgende Artikel des UNO-Menschenrechtspaktes verletzt zu haben: 2, 3, 17, 18, 19, 21, 22, 23, 25 und 26, nämlich u. a. Grundsatz der Gleichbehandlung, das Rechts auf Schutz vor erniedrigender Behandlung, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Gedanken- und Gewissensfreiheit, auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, und das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern.

Die Anklagepunkte wurden, wie erwähnt, von VertreterInnen der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Bewegung vorbereitet und vorgetragen, wobei Christian Michelides den Löwenanteil im schwul/lesbischen Bereich leistete. Unterstützt wurde er vom Autor dieser Zeilen. Als AnklägerInnen traten auch Gudrun Hauer [1953–2015], Hedwig Pepelnik-Gründler, Waltraud Riegler, Beate Soltész und Helga Widtmann auf. Teilweise traten die AnklägerInnen auch selbst in den Zeugenstand.

 

Erschütternde Zeugenaussagen

Betroffene berichteten dem Tribunal als ZeugInnen – und zur Untermauerung der Anklage – über persönlich erlittene Diskriminierungen. Ihre Aussagen waren zum Teil beklemmende und bedrückende Zeugnisse der Verfolgung, der Lesben, Schwule und Transgender-Personen in den letzten 50 Jahren ausgesetzt waren und sind. Besonders erschütternd waren die Aussagen von Friedemann [Hoflehner, 1946–2020, Nachruf hier], wie er in der Zeit des Totalverbots als junger Mann in die Mühlen der Justiz kam (bloß wegen seiner Homosexualität –  ohne konkreter Handlungen angeklagt zu sein), über seine Erfahrungen im Arbeitslager in den 1960er Jahren, wo man unvermittelt meinte, er erzählte über ein Arbeitslager während der Nazi-Zeit.

Ins Mittelalter zurückversetzt vermeinte man sich bei der Aussage Josef Mayrs, der über seinen Ausschluß aus einer evangelikalen Freikirche erzählte, nachdem seine Homosexualität dort bekannt geworden war. Besonders eindringlich war die Schilderung des Roma-Vertreters Karl Stojka, der selbst KZ-Häftling war und über die Ermordung von Rosa-Winkel-Häftlingen berichtete.

Zahlreiche AktivistInnen der Bewegung traten ebenfalls als ZeugInnen auf, etwa Rainer Bartel, Alexander Christoforetti, Henning Dopsch, Roman Fischer, Alfred Guggenheim [1926–2014], Karl Helmreich, Pater Clemens Kriz, Johannes Langer, Elke Schüttelkopf, aber auch Hermes Phettberg oder Schwule, die vor 1971 im Gefängnis saßen, sowie die VertreterInnen der Transgender-Gruppen, allen voran Elisabeth Piesch, Gloria G., Andrea Gaudy, Hans Mariacher und Petra Rücker, die auch die Anklage für den Transgender-Bereich vorbereiteten.

Spätestens nach dem Hören dieser vielen persönlichen Berichte der ZeugInnen waren wohl auch jene umgestimmt, die vorher gemeint hatten, es wäre zu radikal und überzogen, ein Tribunal abzuhalten – ein Vorwurf, den wir auch von vielen Außenstehenden, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bewegung, hörten. Die meisten dieser KritikerInnen haben es dann aber vorgezogen, gar nicht beim Tribunal zu erschienen. Damit haben sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, sich vor Ort ein Urteil zu bilden.

 

Die Urteile

Das Tribunal erkannte die Republik Österreich schließlich schuldig, in den letzten 50 Jahren die Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen durch aktive rechtliche Diskriminierung und durch die Einschränkung grundlegender Bürgerrechte massiv verletzt zu haben. Die Urteile wurden am 12. Juni im Rahmen einer Pressekonferenz verkündet, an der Alfred Pritz, der Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, Manfred Nowak, der Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, die Nationalratsabgeordnete Doris Pollet-Kammerlander (Grüne) und Friedrun Huemer, Wiener Landtagsabgeordnete der Grünen, teilnahmen.

Da Freda Meissner-Blau am Montag bereits andere Verpflichtungen in Schweden nachzukommen hatte, berichtete daher Gerhard Oberschlick für den Vorsitz, daß die von der Anklage vorgetragenen Menschenrechtsverletzungen durch die Republik Österreich bei den RichterInnen-Senaten im wesentlich unstrittig waren. Der Senat zum Thema Arbeitswelt verbesserte die Urteilsanträge der Anklage sogar entscheidend und erhob – wie die anderen Senate im übrigen auch – konkrete Vorschläge für die Behebung der gegenwärtigen Situation.

Im wesentlichen beinhaltete die von den Senaten in Richtung Regierung und Parlament vorgeschlagenen Maßnahmen dieselben Forderungen, die wir seit Jahren erheben:

  • die strengsten anti-homosexuellen Strafrechtsbestimmungen in ganz Europa (§§ 209, 200 und 221) endlich aufzuheben
  • gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und Lebensformen rechtlich anzuerkennen und gegenüber anderen Lebensformen in keiner Weise zu diskriminieren
  • die Nichtdiskriminierung von Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in den Artikel 7 der Bundesverfassung aufzunehmen
  • Nichtdiskriminierung in allen Gesetzesbereichen zu verwirklichen, insbesondere auch im Bereich der Arbeitswelt
  • wegen ihrer Homosexualität vom NS-Regime Verfolgte ausdrücklich als Opfergruppe ins Opferfürsorgegesetz aufzunehmen und zu entschädigen.

 

Das Resümee

Alfred Pritz stellte auf der Pressekonferenz u. a. fest, daß es keine wissenschaftliche Grundlage für das immer noch bestehende Vorurteil und die darauf beruhend Existenz des § 209 StGB gibt, bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren könnte es eine Prägung zur Homosexualität geben.

Für Manfred Nowak war es unbegreiflich, daß die objektiv nicht rechtfertigbare Diskriminierung von Lesben und Schwulen in den diversen Rechtsbereichen immer noch besteht: „Der Schutz der Privatheit und der Diskriminierungsschutz sind Eckpfeiler jedes freiheitlich-demokratischen Staatswesens.“ Überdies dürfe der Staat nicht nur nicht aktiv diskriminieren, sondern hätte vielmehr die wichtige Pflicht, positive Schutzmaßnahmen zu setzen und das Recht, anders zu sein, zu garantieren.

Doris Pollet-Kammerlander berichtete, daß ihre Fraktion bereits Schritte zur Umsetzung der Urteile gesetzt hätte: „Ein Antrag auf Aufhebung der §§ 209, 220 und 221 StGB und ein Antrag auf Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften sind bereits im Parlament eingebracht worden.“ Die Grünen würden diese Reformen in dieser Legislaturperiode intensiv betreiben.

 

Keine finanzielle Unterstützung

Obwohl wir bei vielen Stellen um Förderung des Projekts angesucht haben, gab es nur negative Antworten, wobei wir allerdings noch auf die Antwort von der EU-Kommission in Brüssel sowie von Wissenschaftsminister Rudolf Scholten (SPÖ) warten. Eine Förderung abgelehnt haben bisher Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) und Bürgermeister Michael Häupl bzw. die Stadt Wien. Deshalb mußte das Tribunal auch in einer kostengünstigen Variante stattfinden und konnte niemand für ihren/seinen Einsatz bezahlt werden. Der Republikanische Club stellte die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung. Finanzielle Unterstützung gab es allerdings von der Grünen Bildungswerkstatt, der Bewegung Rotes Wien, der HOSI Linz, der HOSI Tirol, der Buchhandlung Löwenherz und durch private SpenderInnen.

 

Auswertung

Das Material, das durch das Tribunal zusammengetragen wurde – Gerhard Oberschlick sorgte für eine lückenlose Tonband-Aufzeichnung des Anklagevortrags und der Zeugenaussagen –, ist sicherlich geeignet, um für eine Dokumentation ausgewertet zu werden. Diesen Wunsch äußerten etliche Anwesende, die vom Tribunal begeistert waren. Im übrigen waren die BesucherInnen im großen und ganzen vom Tribunal sehr angetan, speziell von den Aussagen der ZeugInnen. Viele hielten es für schade, wenn diese Berichte nur für den Augenblick gewesen wären und für die Nachwelt nicht erhalten blieben.

Wir werden daher weiter nach Geldquellen suchen, um die Herausgabe einer Publikation über das Tribunal finanzieren zu können. Wir werden es diesmal beim Kulturamt der Stadt Wien sowie einigen Ministerien versuchen. Vielleicht besteht jetzt weniger Scheu und Panik, weil das Tribunal selbst schon vorbei ist.

 

Medienecho

Nicht zufrieden können wir mit dem Medienecho sei, obwohl wir wirklich eine umfangreiche Medienarbeit geleistet haben – u. a. schickten wir vier Presseaussendungen aus. Aber offenbar wollten sich die Medien in diesen weihrauchgeschwängerten Feier-Zeiten besonders staatstragend geben – auf daß kein Wölkchen den Jubiläumshimmel trübe. Das fast totale Ignorieren des Tribunals durch die Medien – trotz etwa Freda Meissner-Blau als Vorsitzende – muß man wohl als bewußten Boykott auffassen.

Hier die – dürftige – Übersicht über die aufrechten Medien, die das Tribunal nicht totgeschwiegen haben: Nach der ersten Ankündigung berichteten passend am 27. April, dem Tag der Republiksfeiern, die Wiener Zeitung, die Volksstimme und CITY sowie der Standard am 28. 4. Den Beginn des Tribunals vermeldeten nur die Wiener Zeitung am 10. Juni sowie das Bulletin des Republikanischen Clubs (# 4, Juni/Juli 1995), über das Urteil war nur in CITY und in der Volksstimme in der Woche 24 sowie in der Juni-Ausgabe der AUF (# 88) zu lesen.

Elisabeth Piesch vom Forum Trans-Gender und der Autor dieser Zeilen waren am 12. Juni Studiogäste bei Radio FM4, Freda Meissner-Blau wurde am 14. Juni von Blue Danube Radio interviewt. Hermes Phettberg, selbst Zeuge beim Tribunal, erwähnte es im Freyzeichen auf Ö3 am 7. Juni und in seinem Predigtdienst im Falter # 25. Die an.schläge berichteten ausführlich in ihrer Sommerausgabe. Das Tribunal war auch Gesprächsstoff in Peter Huemers Sendung Im Gespräch auf Ö1 am 22. Juni.

 

Nachträgliche Anmerkung:

Waltraud Riegler verschriftlichte später dankenswerterweise die erwähnten Tonband-Aufzeichnungen teilweise, allerdings wurden sie nie publiziert. Diese unveröffentlichte Dokumentation des Tribunals findet sich indes im Archiv der HOSI Wien.