Warum nicht gleich? – Sozialdemokraten stimmen Resolution im Europa-Parlament doch zu!
Nach dem Scheitern des Entschließungsantrags zur Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen in der EU im Juli (siehe Bericht ab S. 17) startete ILGA-Europa eine EU-weite Lobbying-Kampagne, um die sozialdemokratischen EP-Abgeordneten umzustimmen – mit großem Erfolg: Am 17. September wurde eine entsprechende Resolution schließlich doch angenommen.
Die HOSI Wien wollte sich mit Ergebnis der Juli-Abstimmung im EP nicht abfinden und nutzte den Sommer, einen neuen Anlauf vorzubereiten. Der Autor dieser Zeilen faßte die drei im Juli nicht auf die Tagesordnung gesetzten Entschließungsanträge zu einem neuen Antrag zusammen und schlug seinen VorstandskollegInnen der ILGA-Europa vor, diesen neuen Antrag bei den „freundlichen“ Fraktionen neuerlich zu ventilieren und in einer gemeinsamen EU-weiten Lobbying-Kampagne die sozialdemokratische Fraktion (SPE) umzustimmen und auf den Antrag einzuschwören. Der ILGA-Vorstand stimmte dem Vorschlag zu, und so schickte ILGA-Europa am 27. August an (fast) alle 214 SPE-Abgeordneten eine E-Mail-Nachricht, in dem das Bedauern über das Abstimmungsverhalten der SPE im Juli zum Ausdruck gebracht und der Appell an die Abgeordneten gerichtet wurde, sie mögen in einer der Herbstsitzungen das Thema nochmals aufgreifen und dann einer solchen Resolution zustimmen, überdies sei seit der letzten Antragseinbringung erschwerend hinzugekommen, daß das österreichische Parlament am 17. Juli die Streichung des § 209 einmal mehr verhinderte, und das trotz zweifacher diesbezüglicher Aufforderung des EP [vgl. Bericht LN 4/1998, S. 7 ff]. Der im Namen der ILGA-Europa ausgearbeitete Entwurf wurde ebenfalls mitgeschickt. An die Präsidentin der SPE, Pauline Green, und den Vizepräsidenten der Intergruppe zur Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen, Richard Howitt (beide von der britischen Labour Party), wurde ein eigenes Schreiben gemailt, um sie um die Unterstützung für dieses Anliegen innerhalb der SPE zu ersuchen.
Gleichzeitig wurde der neue Entwurf für einen Entschließungsantrag den wohlgesinnten Fraktionen bzw. deren Abgeordneten, die im letzten Jahr Interesse an der Arbeit der Intergruppe bekundet haben (KVEL/NGL, Grüne, Liberale), übermittelt. LiF-Abgeordneter Friedhelm Frischenschlager reagierte als erster und kündigte an, sich trotz des Flops im Juli nochmals in der Sache engagieren zu wollen. Am 9. September beschloß seine Fraktion (LIBE) bei einer Klubsitzung in Venedig, den Antrag – mit nur einer textlichen Ergänzung (Punkt H wurde um die britische Oberhaus-Abstimmung ergänzt) – einzubringen. (Die Originalsprache des Entwurfs war Englisch, die deutsche Übersetzung wurde vom Übersetzerdienst des Parlaments angefertigt und ist in einigen Punkten nicht ganz präzise, so wurde „gays“ mehrfach mit „Homosexuelle“ statt mit „Schwule“ übersetzt, auch ist vom „Mündigkeitsalter“ statt vom Mindest- bzw. Schutzalter die Rede.)
EU-weites Lobbying
Aber ohne SPE würde es natürlich keine Mehrheit geben. Daher hat ILGA-Europa auch AktivistInnen und Mitgliedsorganisationen in allen 15 EU-Staaten kontaktiert und sie um Unterstützung beim Lobbying der SPE-Abgeordneten ihrer Länder gebeten. Und das hat ausgezeichnet funktioniert. Die französischen, spanischen, italienischen, deutschen, dänischen, finnischen, schwedischen, britischen und österreichischen SPE-Abgeordneten wurden von ihren nationalen Gruppen kontaktiert (möglich, daß es auch in anderen Ländern funktioniert hat, Rückmeldungen liegen jedoch aus anderen Ländern keine vor). Die HOSI Wien und die HOSI Linz haben auch nochmals an die sechs EP-Abgeordneten der SPÖ geschrieben und sie aufgefordert, sich innerhalb der SPE für die Resolution einzusetzen.
Als bekannt wurde, daß die LIBE-Fraktion den Antrag einbringen würde, hat ILGA-Europa am 10. September nochmals wichtige SPE-Abgeordnete angemailt, um ihre Unterstützung einzufordern. Die Grünen haben dann ihren Juli-Antrag ebenfalls nochmals eingebracht. Daß der neuerliche Anlauf gleich in der ersten Sitzung nach der Sommerpause versucht werden sollte, damit hatte ILGA-Europa gar nicht gerechnet. Aber umso besser. Am 16. September wurde dann wieder zuerst darüber abgestimmt, ob die beiden Anträge überhaupt auf die Tagesordnung der Dringlichkeitsdebatte kommen sollen. Diesmal stimmten die anwesenden SPE-Abgeordneten bis auf eine Enthaltung geschlossen dafür. Mit 169 gegen 146 Stimmen bei acht Enthaltungen wurden die beiden Anträge auf die Tagesordnung der Debatte am 17. September gesetzt. Auch fünf Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP-CD) stimmten dafür, allerdings keine österreichischen. Von der FPÖ schwänzten außer Klaus Lukas alle die Abstimmung, er stimmte dagegen.
Das war natürlich ein gutes Omen für einen Gesinnungswandel bei der SPE und eine positive Abstimmung am nächsten Tag. Der Autor dieser Zeilen befand sich zu diesem Zeitpunkt schon in Straßburg, weil er gemeinsam mit Ko-Herausgeber NICO BEGER den EU-Bericht der ILGA-Europa (vgl. LN 3/1998, S. 41 ff) am Nachmittag in der Intergruppe präsentieren sollte. Ich nützte daher die Gelegenheit, an den zwei Tagen noch fleißig Lobbying bei den Abgeordneten zu betreiben. Die Debatte war ja erst für den kommenden Tag um 16 Uhr, die Abstimmung für 17 Uhr 30 angesetzt. Bis dahin würden die Fraktionen auch noch an einem gemeinsamen neuen Text feil(sch)en. Es war daher wichtig, auch diesen Formulierungsprozeß noch zu „überwachen“. Ich traf auch Maria Berger von der SPÖ, die noch immer traumatisiert von meinen heftigen Attacken nach der Juli-Abstimmung war und nur widerwillig mit mir redete. Nun ja, ich werde es verschmerzen, daß sie mich nicht grüßt. Ich traf auch kurz noch Frischenschlager, betonte in der Intergruppensitzung, in der übrigens Frischenschlager zum vierten Vizepräsidenten der Intergruppe gewählt wurde (jede vertretene Fraktion stellt einen Vizepräsidenten), wie wichtig die Verabschiedung der Resolution sei, traf am Donnerstag zufällig Voggenhuber in der Kantine zum Mittagessen und tauschte Informationen mit den niederländischen Grünen und den nordischen Linken aus. Es kristallisierte sich dann heraus, daß die SPE den Antrag der Liberalen unterstützen und miteinbringen würde, wobei Berger auf einer kosmetischen Veränderung bestand: Aus dem „tief entsetzt/entrüstet über“ im Punkt G betreffend die Nationalratsabstimmung vom 17. Juli wurde ein „im Bedauern darüber“. Dem Text schlossen sich dann auch die Grünen sowie die KVEL/NGL und die Fraktion der Radikalen Europäischen Allianz (REA) an. Der HOSI-Wien- bzw. ILGA-Europa-Text wurde somit ein gemeinsamer Entschließungsantrag von fünf Fraktionen.
ÖVP in Panik
Nach der Abstimmung am 16. 9. geriet die ÖVP in Panik. Noch am selben Tag schickte Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat eine Presseaussendung aus, in dem sie Frischenschlager ein „eigentümliches Demokratieverständnis“ vorwarf. Die Einbringung der Resolution sei eine „Mißachtung einer Mehrheitsentscheidung des österreichischen Gesetzgebers“. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, daß die SPE sich dem Antrag anschließen würde. Auf dieses unglaubliche Menschenrechtsverständnis von Rauch-Kallat (für sie sind Menschenrechte offenbar eine Angelegenheit von demokratischen Mehrheitsbeschlüssen – da verwechselt die Gute einiges!) nahm die HOSI Wien dann auch in ihrer Presseaussendung am 18. 9. bezug. Rauch-Kallat sollte später die HOSI-Vorwürfe in einer eigenen Pressaussendung am 21. September zurückweisen.
Ampelprobe und Nestbeschmutzung
Als dann am nächsten Tag bekannt wurde, daß Hannes Swoboda und Maria Berger MiteinbringerInnen des Antrags waren, rasteten auch ÖVP-Delegationsleiterin Ursula Stenzel und der FPÖ-Abgeordnete Gerhard Hager aus. Noch vor der Abstimmung schickten sie Presseaussendungen aus und hoben zu einem Ampel-Probeleuchten- und Nestbeschmutzergeschrei an. Auch Stenzel kritisierte das eigenartige Demokratieverständnis Frischenschlagers, der sich offensichtlich auf Geheiß seiner Parteichefin Heide Schmidt zum Lobbyisten für radikale Aktivisten der Homosexuellenbewegung gemacht habe, keifte sie und wies in diesem Zusammenhang auf die eben dieser Tage erfolgte Wahl Frischenschlagers zum Vizepräsidenten der Intergroup für gleiche Rechte für Homosexuelle hin, hieß es in der Aussendung weiter. Dabei verschwieg sie dezent, daß auch ihre Fraktion, die EVP-CD, einen Vizepräsidenten dieser Intergruppe stellt – aber Manipulation und das gezielte einseitige Verschweigen von Tatsachen scheint überhaupt ihre Stärke und ihr Markenzeichen zu sein – das hat sie wohl beim ORF gelernt! So gelang es ihr auch nach der Abstimmung, die Sache in und durch die österreichischen Medien als eine Art innenpolitisches Hickhack darstellen zu lassen, als ob die Abstimmung in Straßburg eine rein österreichische Sache gewesen wäre. Offensichtlich kommt es hier in Straßburg zu einem Probeleuchten der österreichischen Ampelkoalition, keppelte Stenzel weiter und drohte verzweifelt: Wir werden das Stimmverhalten der österreichischen SPÖ-Abgeordneten heute sehr genau beobachten. Die EVP beantragte auch die namentliche Abstimmung. Doch die SPÖ blieb wenigstens einmal standhaft.
Hager wiederum setzte sich auf die Netzbeschmutzerwelle, die in jenen Tagen gerade von der Neuen Kronenzeitung ausgehend die Grünen überrollte. Die hatten es gewagt, das berüchtigte Matzka-Papier aus dem Innenministerium zu kritisieren, in dem mehr oder weniger die Aufkündigung der Genfer Flüchtlingskonvention angeregt wurde. Die schlechte Nachred’ im Ausland wurde den Grünen und nicht dem Herrn Matzka angekreidet. Für Hager ist es jedenfalls „Netzbeschmutzung“, in Österreich demokratisch zustandegekommene Gesetze aus dem Ausland zu kritisieren.
Die Debatte
Zur Lesben- und Schwulenresolution haben sich sechs Abgeordnete zu Wort gemeldet, der Autor dieser Zeilen verfolgte die Debatte von der Besuchergalerie aus und kann bestätigen, daß die ÖVP-Abgeordneten „gesprungen“ sind. Stenzel, schon ganz aus der ORF-Moderatorinübung gekommen, überschlug es die Stimme bei ihrer Rede, Marilies Flemming saß in ihrer Bank und keppelte wie ein altes Waschweib ständig dazwischen, wenn die BefürworterInnen des Antrags sprachen (eine Unsitte, die in Straßburg nicht in dem Maß üblich ist, wie wir sie aus dem Nationalrat kennen).
Aufgrund der drastischen Redezeitbeschränkungen waren die Statements (von „Reden“ zu sprechen ist übertrieben) sehr kurz. Hier Auszüge:
Friedhelm Frischenschlager: (…) Die Europäische Union wird ja stets als Wertegemeinschaft bezeichnet, und die Menschenrechte gehören dazu. Daher halte ich es gerade bei Menschenrechtsfragen für wirklich verwerflich, wenn bei einer derartigen Debatte der Einwand der Einmischung in eine innere Angelegenheit verwendet wird. Das ist in diesem Fall geschehen, und ich halte es für wichtig, daß das Europäische Parlament in Menschenrechtsfragen konsequent bleibt und seine Stimme erhebt, auch wenn dies für mein eigenes Land unangenehm ist. Die Menschenrechte sind wesentlicher Bestandteil der Europäischen Union, und gerade im Hinblick auf die EU-Erweiterung ist es wichtig, daß die jetzigen Mitglieder in Sachen Menschenrechte eine reine Weste haben.
Johannes Voggenhuber: Während wir hier im Europäischen Parlament diskutieren, werden die Verfasser dieser Entschließung in Österreich von den Christdemokraten in der Öffentlichkeit als Nestbeschmutzer beleidigt. Dieser Verleumdungen ungeachtet glauben wir, daß die Menschenrechte unteilbar sind. Dieses Parlament ist eine verläßliche Stimme für die Menschenrechte, aber manchmal hat man den Eindruck, daß die Lautstärke dieser Stimme mit dem Quadrat der Entfernung wächst und daß sie leiser wird, je näher der Ort der Menschenrechtsverletzung liegt, und wenn es dann in den eigenen Reihen passiert, wird diese Stimme oft beinahe unvernehmlich.
Dieses Parlament, die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europarat haben die verschiedenen Mindestalter für hetero- und homosexuelle Handlungen bereits in zahlreichen Entschließungen und Erklärungen als Verletzung der Menschenrechte bezeichnet. Es ist nicht akzeptabel, daß Länder sich diesen Menschenrechten entziehen und ihre traditionellen Ressentiments, ihre moralisierende Vermessenheit und Hybris weiter an unschuldigen Menschen praktizieren und die Privatsphäre von Menschen auf das äußerste verletzen, um ihre Ressentiments weiter zu pflegen.
Ich glaube, daß es an der Zeit ist, diese Parteien im Europäischen Parlament mit derselben Unduldsamkeit zu behandeln, wie wir andere Menschenrechtsbrecher auf der Welt behandeln!
Eindeutig Menschenrechtsverletzung
Maria Berger: Im Namen meiner Fraktion darf ich ausdrücklich die Tatsache begrüßen, daß es heute zu einer Diskussion über jene Diskriminierungen kommt, die aufgrund der sexuellen Orientierung noch immer bestehen, sowohl in einigen unserer Mitgliedsstaaten als auch in den beitrittswilligen Staaten. Als österreichische Abgeordnete bedauere ich es – ebenso wie meine Vorredner –, daß es auch in meinem Land bisher nicht gelungen ist, eine der zentralen Diskriminierungen, nämlich die des unterschiedlichen Schutzalters für Hetero- und Homosexuelle, aus dem Strafgesetzbuch zu eliminieren.
Frau Kollegin Flemming [die ständig dazwischenruft, Anm.] der Schutz der Mädchen sollte uns genauso ein Anliegen sein wie der Schutz der Jungen. Wiederholte Versuche in unserem Parlament sind am Widerstand der konservativen Parteien gescheitert. Das führt dazu, daß wir allein in Österreich jährlich noch ca. 20 gerichtliche Verurteilungen nach diesem diskriminierenden Tatbestand haben. Wir geben damit kein gutes Beispiel für jene Länder, die der Union beitreten wollen und von denen wir auf diesem wie auf vielen anderen Gebieten immer wieder die Einhaltung höchster Standards fordern.
In der Debatte wird von gewissen politischen Gruppen immer verneint, daß es sich beim Recht auf Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung um ein Menschenrecht handelt. Nicht erst seit der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission im Fall Sutherland ist diese Frage aber eindeutig positiv beantwortet, und es wurde klargestellt, daß ein unterschiedliches Schutzalter gegen den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Ebenso wenig kann ich die Argumentation nachvollziehen, daß sich Organe der EU und speziell das Europäische Parlament mangels Kompetenz mit dieser Frage nicht beschäftigen dürfen. Wir waren als Union schon bisher der Achtung der Menschenrechte verpflichtet und sind es ab dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags noch viel mehr. Wir werden damit – wenn auch unzureichende – Umsetzungsmöglichkeiten haben.
Bekanntlich könnte der Rat in Zukunft – wenn auch nur einstimmig – geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Dafür wird die Kommission ein Vorschlagsrecht haben. Abschließend daher meine Frage an die Kommission: Gibt es bereits Vorbereitungen innerhalb der Kommission, um von diesem Vorschlagsrecht Gebrauch zu machen?
Zu diesem Zeitpunkt werden die ersten Schülergruppen (wohl wegen des heiklen Themas) von ihren Lehrern wieder von der Besuchertribüne getrieben. Sehr zum Mißfallen einiger, die die Debatte offenbar bis dahin spannend fanden. – Mit ihrer Frage spielte Berger auf Artikel 13 an. Man muß sich wirklich fragen: Warum nicht gleich so, SPÖ? Aber die SPÖ sollte auch von Stenzel ihr Fett abbekommen:
Ursula Stenzel: (…) Es geht uns nicht um die Diskriminierung Homosexueller. Es geht uns hier nicht um einen Verstoß gegen Grundrechte und Menschenrechte. Die Frage des Schutzalters ist jedenfalls – das ist unbestritten – eine nationale und keine europäische Rechtsmaterie. (…) Was hier passiert und weshalb wir diese Dringlichkeit ablehnen, hat nichts damit zu tun, daß wir Homosexuelle diskriminieren wollen, sondern wir wollen uns nicht von unserer eigenen Rechtsprechung entfernen. Wir wollen aber auch ein deutliches Signal dagegen setzen, daß österreichische Innenpolitik von Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten in der Absicht in das Europäische Parlament hineingetragen wird, Österreich, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, zu diskreditieren. Es geht hier weniger um die Diskriminierung von Homosexuellen als vielmehr um die Diskriminierung der österreichischen Ratspräsidentschaft. Ich beobachte mit Befremden das unterschiedliche Verhalten meiner sozialdemokratischen Kollegen in dieser Frage, die sich bei der Verabschiedung des Gesetzes im österreichischen Nationalrat der Stimme enthalten haben und hier nun das Gegenteil tun.
Recht geschieht der SPÖ
Das hat die SPÖ jetzt davon: Am 17. Juli [vgl. Bericht LN 4/1998, S. 7 ff] wollte sie der ÖVP nicht wehtun und verließ bei der Abstimmung den Plenarsaal – jetzt reibt ihr das die ÖVP unter die Nase. Recht hat sie! Genauso recht wie wir mit unserer Kritik am Verhalten von Berger & Co am 15. Juli. Die SPÖ muß endlich erkennen, daß sie in Lesben- und Schwulenfragen konsequent Stellung beziehen muß und nicht wischi-waschi herumlavieren darf. Das kann nur schiefgehen. Hoffentlich wird sie endlich gescheiter und setzt sich kompromißlos und konsequent ein!
Stenzel faselte dann nochmals, daß die Mindestaltersgrenze eine subsidiäre Angelegenheit sei, und behauptete frech: Wir haben in unserer EVP-Fraktion volle Unterstützung für diese Haltung erhalten, obwohl alle wissen, daß es gerade im heiklen Bereich der Diskriminierung von Homosexuellen sehr wohl unterschiedliche Meinungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten gibt. Also gibt es doch eine Diskriminierung? Sieben EVP-Abgeordnete sollten dann der ÖVP bei der Abstimmung allerdings die Gefolgschaft verweigern: Fünf stimmten für die Resolution (Mary Banotti, Irland, Johanna Maij-Weggen, Niederlande, Marianne Thyssen und Leo Tindemans, Belgien, Helena Vaz da Silva, Portugal), zwei enthielten sich (John Corrie, Großbritannien, und Jan Sonneveld, Niederlande).
Es muß wohl wirklich eine fixe Idee von Stenzel sein, hinter dieser Sache eine innenpolitische Auseinandersetzung zu sehen. Aber das ist vielleicht Teil der Verdrängung, auch der Tatsache, daß die ÖVP auf verlorenem Posten steht. Jedenfalls kann doch gerade Stenzel nicht ernsthaft annehmen, 208 SPE-Abgeordnete ließen sich von den sechs österreichischen FraktionskollegInnen für ein österreichinternes Hickhack mißbrauchen. Außerdem haben zwei Fraktionen (KVEL/NGL, REA) die Anträge miteingebracht, denen gar keine ÖsterreichischerInnen angehören! Dieses Argument ging offenbar auch der nächsten Rednerin auf die Nerven, denn sie ging darauf gleich im ersten Satz ein. Es handelte sich um Aline Pailler, französische Kommunistin, die den Bericht über die Achtung der Menschenrechte in der EU für 1996 verfaßt hat und – wie LN-LeserInnen erinnerlich – darin auch § 209 StGB kritisiert hat. Mit der Verabschiedung ihres Berichts im Februar 1998 wurde bekanntlich Österreich ein zweites Mal vom EP aufgefordert, § 209 StGB zu streichen (vgl. LN 2/1998, S. 13 f).
Keine Frage der Subsidiarität
Aline Pailler: Ich bin keine Österreicherin, aber ich möchte Frau Stenzel schon sagen, daß Homophobie weder eine Meinung ist noch eine läßliche Sünde, sondern ein Verbrechen an den Menschenrechten.
Die Nichtdiskriminierung ist jetzt im Vertrag von Amsterdam festgeschrieben, und ich finde, man wird sie eines Tages auch auf das anwenden müssen, was einem nicht gefällt. Denn uns von der vereinigten europäischen Linken erscheint es leider viel zu oft, daß diese Anwendung bei wirtschaftlichen und sozialen Fragen nicht geschieht. Und ich sehe nicht ein, warum in Hinblick auf die Menschenrechte das Parlament plötzlich die Subsidiarität gelten lassen sollte. (…) Wir sind gegenüber den beitrittswilligen Ländern nicht glaubwürdig, von denen wir einen Tugendpaß verlangen, einen Tugendpaß wohlgemerkt hinsichtlich der Menschenrechte und deren Einhaltung.
Ich möchte, daß man mir erklärt, warum eine Frau und ein Mann das Recht haben, mit einem gewissen Alter sexuelle Beziehungen zu haben. Warum zwei Frauen mit demselben Alter dieses Recht auch haben, aber warum das plötzlich etwas anderes ist, wenn es sich um zwei Männer handelt. Was hat das zu bedeuten? Sind die österreichischen Männer im Vergleich zu den Frauen dermaßen infantil und in ihrer Entwicklung zurückgeblieben?
Verwechseln Sie hier nicht wohl – und das ist vielleicht der Kern der Sache – Homosexualität mit Pädophilie? Wenn das der Fall ist, dann machen Sie sich sachkundig, holen sie psychologische oder psychiatrische Informationen ein. Und begreifen Sie, daß auch Mädchen Opfer von Pädophilen sein können und daß auch Frauen Pädophile sein können. Und so frage ich mich, ob wir nicht eines Tages hier eine Anhörung abhalten sollten, weil das tun wir ja so gerne, und dazu z. B. die österreichische Ratspräsidentschaft und auch einige andere unserer MitbürgerInnen einladen sollten, die von derselben Homophobie geplagt werden. Denn diese Ablehnung, diese sogenannte Subsidiarität hat nur einen Namen: Homophobie, und die Homophobie verdeckt leider oft viele andere Diskriminierungen, viele andere Menschenrechtsverletzungen, die in der Vergangenheit und jüngsten Geschichte unseres Europas vehement verurteilt worden sind. (Aus dem Französischen übersetzt vom Autor dieses Berichts)
Nach Pailler sprach noch der fraktionslose Belgier Frank Vanhecke vom rechtsradikalen Vlaams Blok. Er beteuerte einleitend auch, nicht alle Homosexuellen über einen Kamm scheren zu wollen mit jenen, die sich – Ausdruck schlechten Geschmacks – auf den Gay-Pride-Paraden hervortun. Er respektiere das Privatleben jedes Menschen und niemand könne ihm Homophobie vorwerfen. Aber es gäbe wichtigere Fragen zu erörtern, z. B. Tibet, den Iran oder Kambodscha. Er meinte auch, die unterschiedlichen Traditionen der verschiedenen Länder in Sachen Mindestaltersgrenzen sollten respektiert werden. Als jemand, der selber Kinder im Alter von 13 oder 14 Jahren hat, glaubt er, daß man wirklich gut darüber nachdenken müsse, ob man diese Kinder in sexuelle Experimente mit z. B. 17- oder 18jährigen (?) hineingezogen sehen will. Er für seinen Teil schämt sich nicht, auch wenn es altmodisch sein mag, zu meinen, daß das nicht gut ist. – Nun ja, die Fraktionslosen, zu denen ja auch die FPÖler zählen, scheinen alle nicht gerade Intelligenzbestien zu sein.
Nach den Statements der Abgeordneten antwortete auch der Vertreter der Kommission auf deren Fragen. Es war dies der portugiesische Kommissar João de Deus Pinheiro. Auf Bergers konkrete Frage, ob es von seiten der Kommission schon konkrete Vorbereitungen zur Umsetzung des Artikels 13 gebe, führte dieser aus, es hätten ja alle EU-Mitgliedsstaaten die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die Kommission werde auf all den im Artikel 13 aufgezählten Gebieten tätig werden, und er hoffe, daß Rumänien bald den § 200 aus seinem Strafrecht streichen werde. Kein Wort zu Österreich!
Die Abstimmung
Zur Abstimmung wurde es noch spannend. Es war bereits nach 18 Uhr, Donnerstagabend, das EP hatte sich schon ziemlich entvölkert. Das machte den Ausgang relativ ungewiß. Allerdings: Die leeren Sessel waren gleichmäßig über den Saal verteilt, und so konnte man hoffen, daß auch die Absenzen gleichmäßig über die Fraktionen verteilt waren. Der Antrag wurde schließlich mit 110 gegen 89 Stimmen bei sechs Enthaltungen verabschiedet – von 626 Abgeordneten nahmen nur 205 an der Abstimmung teil. Und so stimmten die österreichischen Abgeordneten: Frischenschlager, Voggenhuber, Berger, Herbert Bösch, Ilona Graenitz und Swoboda stimmten dafür (Harald Ettl und Hilde Hawlicek von der SPÖ schwänzten); alle anwesenden FPÖler (Hager und Heinz Sichrovsky) sowie alle anwesenden ÖVPlerInnen (Flemming, Karl Habsburg-Lothringen, Paul Rübig, Stenzel) stimmten dagegen.
Beschämendes Medienecho
Trotz einer Reihe von Presseaussendungen fand die Verabschiedung der Resolution nur geringen Widerhall in Österreichs Medien. Die Ö3-Nachrichten brachten die Meldung, HOSI-Wien-Obfrau WALTRAUD RIEGLER wurde von Radio RTL am 18. 9. zur Sache interviewt. Winzige Meldungen im Kurier, im Standard, in den Salzburger Nachrichten, ein paar Zeilen mehr in der Wiener Zeitung am 19. September. In den SN auch eine saublöde Glosse, die einseitig die Stenzelsche Sichtweise wiedergibt. Ein Leserbrief vom Autor dieser Zeilen erging daher an die SN. Die Neue Kronenzeitung öffnete ihre Spalten für einen Gastkommentar von Stenzel am 23. 9., in dem sie auf infame und perfide Weise das Thema manipulierte. Abgesehen von den bereits weiter oben kritisierten Behauptungen und Verdrehungen brachte Stenzel in einem Atemzug bzw. Satz Homosexualität mit „Kinderpornographie“ und „Mißbrauch von Jugendlichen im Internet“ in Verbindung. Und im letzten Satz entlarvte sie sich dann gänzlich, wenn sie schreibt: Und hier ist mir doch die ungestörte Entwicklung Jugendlicher und die Verringerung der Gefahr, in frühen Jahren umgepolt zu werden, wichtiger, als das Absenken der Sanktionsschwelle. Stenzel glaubt also auch noch an die Verführungstheorie!
Ich vermisse den großen Aufschrei in der Bewegung. Dieser Gastkommentar ist für unsere Sache sicherlich weitaus gefährlicher und schädigender als Kurt Diemans Ausdünstungen im „13“. Dennoch ist die Bewegung bereit, für letztere eine Viertelmillion Schilling oder mehr auszugeben, um dieses Blatt, das ohnehin unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheint, bekannter zu machen. Stenzel scheint hingegen ungeschoren davonzukommen. Der Autor dieser Zeilen hat jedenfalls einen Brief an die Chefredaktion der Kronenzeitung geschrieben. Ein Leserbrief soll in der Krone noch erschienen. Am 28. 9. druckte die Krone Friedhelm Frischenschlagers Replik ab. Wegen dieser Infamie wurden auch andere Medien von der HOSI Wien „bearbeitet“, der Falter kürte Stenzel in der # 40 vom 30. 9. zum „Dolm der Woche“. Der Standard druckte am 30. September einen Kommentar des Autors dieser Zeilen ab. profil wollte in den nächsten Wochen ebenfalls noch etwas zu dieser Sache bringen.
Ein weiterer Tiefpunkt war die Aussendung Karl Habsburg-Lothringens, die ebenfalls keinen Aufschrei provozierte. Er meinte darin: Offensichtlich sind die Antragsteller der Meinung, der Kinderschänder von Bad Goisern, der nach diesem Schutzparagraphen verurteilt ist, soll weiter seine perversen Neigungen an unschuldigen Kinderseelen ausleben dürfen. Habsburgs jenseitiger Vorschlag, das Mindestalter generell auf 18 Jahre hinaufzusetzen, wurde wenigstens von SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim in einer Aussendung zurückgewiesen
Großer Erfolg
Die Verabschiedung der Resolution war jedenfalls ein großer Erfolg für ILGA-Europa und die europäische Lesben- und Schwulenbewegung. Glückwünsche trafen aus ganz Europa ein, nur österreichische Vereine und ihre VertreterInnen verkniffen sich jedes anerkennende Wort. Die HOSI Wien hat jedenfalls allen Grund, stolz zu sein, denn nicht nur die Idee zu dieser Resolution im Juni ist auf „ihrem Mist“ gewachsen, sondern auch der Textentwurf, der fast unverändert vom Europa-Parlament angenommen worden ist. Das ist zweifellos ein weiterer Höhepunkt in der an Höhepunkten ja nicht gerade armen, nun bald 20jährigen Geschichte der HOSI Wien.
Daß die SPÖ zur Vernunft gekommen ist und sich nun doch für diese Entschließung stark gemacht hat, sollte uns wieder mit ihr versöhnen. In diesem Sinne sollten auch Kurts Kommentar und der vorstehende Bericht gelesen werden, die vor der Abstimmung am 17. September verfaßt wurden.