Entschädigung für homosexuelle NS-Opfer – Pink Triangle Coalition
Die Delegation der Pink Triangle Coalition (PTC) nach der Anhörung beim Special Master (Richter) im Rahmen der „Holocaust Victims Assets Litigation (Swiss Banks)“ am 9. August 2001 in New York (v. l. n. r.): KATHERINE ACEY (Astraea Lesbian Action Foundation, New York City), MICHAEL ADAMS (Lambda Legal Defense and Education Fund, New York City), RALF DOSE (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin), SCOTT LONG (International Gay and Lesbian Human Rights Commission, New York City), JULIE DORF (IGLHRC, San Francisco), Kurt Krickler (Homosexuelle Initiative Wien), GERARD KOSKOVICH (Mémorial de la déportation homosexuelle, Paris)
Wie berichtet (vgl. LN 2/1998, S. 34f), ist die HOSI Wien im Februar 1998 der Pink Triangle Coalition (PTC) beigetreten, einer internationalen Arbeitsgruppe „zur Koordination von Angelegenheiten bezüglich der Verfolgung von Schwulen und Lesben durch die Nazis“. Die Mitgliedschaft in diesem Zusammenschluß ist auf internationale und nationale Schwulen- und Lesbenverbände beschränkt, die besondere Erfahrungen in Entschädigungsfragen haben oder mit bestehenden Entschädigungsfonds in Verbindung stehen.1
Die Aktivitäten der Arbeitsgruppe reichen ins Jahr 1997 zurück, als die Schweizer Regierung gemeinsam mit der Schweizer Wirtschaft den mit 273 Millionen Franken dotierten „Schweizer Fonds zugunsten bedürftiger Opfer von Holocaust/Shoah“ schuf. Diese Mittel sollten bedürftigen Überlebenden des Holocaust, egal aus welchen Gründen sie verfolgt wurden, zur Verfügung gestellt werden. Im Beirat des Fonds erhielt auch ein Vertreter der Schweizer Schwulenorganisation Pink Cross, BEAT WAGNER, einen Sitz (vgl. LN 2/1997, S. 37, und 3/1997, S. 39). Er bemühte sich, Informationen über diesen Fond zu verbreiten und mit homosexuellen Überlebenden der NS-Verfolgung in Kontakt zu treten. Zu diesem Zweck kontaktierte er Gruppen und Einzelpersonen, die in Sachen NS-Entschädigung Erfahrungen hatten bzw. Überlebende kannten, darunter auch die HOSI Wien. Im Oktober 1997 fand zu diesem Zweck eine erste Telefonkonferenz der befaßten Personen statt – und außerdem stand damals die Londoner Raubgold-Konferenz unmittelbar bevor (siehe später).
Die HOSI Wien stellte daraufhin Kontakt zu einem ihr bekannten homosexuellen Überlebenden der NS-Verfolgung in Linz her. Er hatte zuvor als einer von bisher zwei homosexuellen NS-Opfern Entschädigung aus dem 1995 eingerichteten Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus erhalten (vgl. LN 3/1997, S. 17). Obwohl wir aus diesem Anlaß im Juni 1997 in einer Presseaussendung einen Aufruf verbreiteten, daß vom NS-Regime verfolgte Schwule und Lesben unbedingt beim Nationalfonds um eine Entschädigung einkommen und mit uns in Kontakt treten sollten, meldeten sich keine weiteren homosexuellen NS-Opfer in Österreich. Die internationale Arbeitsgruppe konnte schließlich insgesamt elf Überlebende ausfindig machen, aber nur neun erklärten sich bereit, einen Antrag an den Schweizer Fond zu stellen. Jeder von ihnen erhielt 2000 Franken aus diesem Fond (vgl. LN 1/1998, S. 55, und 2/1998, S. 34 f).
Formell gegründet hat sich die Arbeitsgruppe schließlich im Februar 1998 bei einem Treffen in Berlin. Dabei hat sie sich – auf Vorschlag des Autors dieser Zeilen – den Namen Pink Triangle Coalition (PTC) gegeben und sich im wesentlichen zwei Aufgaben gestellt:
- sicherzustellen, daß die homosexuellen NS-Opfer gegenüber den verschiedenen neugeschaffenen internationalen Fonds vertreten sind, damit möglichst viele Ressourcen für Projekte im Bereich der Bildung bereitgestellt werden und die faire Verteilung all dieser Ressourcen gewährleistet wird;2
- Informationen über die Verfolgung von homosexuellen Männern und Frauen durch die Nazis zu sammeln und zu verbreiten, wobei weitere nichtstaatliche Organisationen (NGOs) in die von der Koalition unternommenen Anstrengungen eingebunden und eine strukturierte Herangehensweise gefördert werden sollen.3
Nazi-Raubgold
Im Dezember 1997 hatten sich Vertreter von 23 Regierungen in London getroffen, um darüber zu beraten, was mit den Restbeständen des Raubgolds geschehen sollte, das von den Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkriegs konfisziert und von der sogenannten Tri-Partite Gold Commission (bestehend aus den USA, Großbritannien und Frankreich) verwaltet worden war. Dieses Gold hatten die Nazis den Nationalbanken der von ihnen besetzten Länder geraubt. Als Ergebnis der Londoner Konferenz wurde der Internationale Fonds für bedürftige Opfer der Nazi-Verfolgung (International Nazi Persecutee Relief Fund) geschaffen, um Projekte im Bereich der Bildungs- und Aufklärungsarbeit über die Nazi-Greuel und zum Gedenken an die Verfolgten zu finanzieren. Ein von der damals noch informellen Arbeitsgruppe verfaßtes Papier über die NS-Verfolgung der Homosexuellen wurde in den Konferenzbericht aufgenommen.
Die einzelnen Staaten verpflichteten sich, bestimmte vereinbarte Beträge diesem Fond zur Verfügung zu stellen, wobei sie aber über die Verwendung dieser Mittel jeweils selber entscheiden würden. Österreichs Anteil an diesem Fond beträgt 109 Millionen Schilling und wird vom vorhin erwähnten Nationalfonds verwaltet (vgl. LN special 2/2001, S. IV).
Die ersten Anträge der PTC im Rahmen dieses International Nazi Persecutee Relief Fund wurden an die niederländische Regierung gestellt, die sie jedoch im Juni 2000 ablehnte. 2001 stellte sie allerdings fast € 1,6 Millionen aus anderen Budgetmitteln für die Erforschung und Dokumentation der NS-Verfolgung von Homosexuellen sowie für entsprechende Ausstellungsprojekte bereit.
Die britische Regierung wies ebenfalls einen Antrag der PTC ab. 2000 gewährte die US-Regierung aus ihrem Anteil an diesem Fond der PTC 70.000 US-Dollar, und zwar für die direkte finanzielle Unterstützung der vorhin erwähnten homosexuellen Überlebenden (zwei der neun waren mittlerweile verstorben) sowie für ein in Berlin ansässiges Projekt, das nach weiteren Überlebenden forschen sollte. Insgesamt hat die PTC jedem dieser sieben noch lebenden Opfer aus offiziellen Schweizer und amerikanischen sowie privaten schweizerischen Quellen bisher rund 9000 US-Dollar vermittelt, wobei in diesem Betrag individuelle Entschädigungszahlungen aus dem Schweizer Bankenvergleich, dem deutschen Zwangsarbeiterprogramm (siehe später) bzw. dem österreichischen Nationalfonds nicht enthalten sind.
Im Mai 2001 erhielt die PTC die bisher größte Unterstützung: US $ 528.000, abermals von der US-Regierung. Dieser Betrag ist für ein internationales Projekt und zwei Projekte in Deutschland gewährt worden und wird von der Astraea Lesbian Action Foundation in New York verwaltet und abgewickelt.
Das eine Projekt wird dafür sorgen, daß die Dokumentation „Paragraph 175“ der mit dem Academy Award ausgezeichneten Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman in aller Welt gezeigt werden kann. Davon profitierte bereits das Identities-Queer-Filmfestival in Wien vergangenen Juni, auf dem der Film seine Österreich-Premiere erlebte.
Das zweite Projekt widmet sich dem „virtuellen“ und realen Gedenken der von den Nazis ermordeten Homosexuellen sowie der vom NS-Regime zerstörten Einrichtungen der Homosexuellenbewegung, und zwar in Form einer Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin, begleitet von einer CD-ROM und einem Internet-Website für Bildungszwecke.
Das dritte Projekt sieht die Herausgabe eines Erinnerungsbuchs mit den Namen von Berliner Schwulen und Lesben, die von den Nazis ermordet wurden, vor. Die beiden deutschen Projekte werden von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft durchgeführt.
Die HOSI Wien erhielt heuer, wie berichtet (LN special 2/2001, S. IV, und LN 3/2001, S. 6 ff), für ihre Ausstellung Aus dem Leben S 500.000,– aus dem österreichischen Anteil am International Nazi Persecutee Relief Fund. Dem Buchprojekt Der andere Blick stellte der Nationalfonds S 400.000,– aus diesen Mitteln zur Verfügung (vgl. LN 3/2001, S. 52 f).
Vereinbarung mit den Schweizer Banken
Nachdem gegen Schweizer Banken wegen der rund 50.000 sogenannten namenlosen Konten (die NS-Opfern gehört hatten) in den USA Sammelklagen angestrengt worden waren, willigten die Banken 1999 schließlich einem Vergleich und der Zahlung von 1,25 Milliarden US-Dollar (fast 19 Mrd. Schilling) zu. Diese Vereinbarung, auch als Holocaust Victim Assets Litigation bekannt,4 sieht auch die Zahlung von Entschädigungen für die ungerechtfertigte Bereicherung an Vermögen vor, das die Nazis ihren Opfern geraubt hatten bzw. das aus Zwangsarbeit stammt. Die Vereinbarung wird von einem Gericht in New York abgewickelt.
1999 hat das US-Gericht die Opfer eingeladen, ihre individuellen Ansprüche einzubringen. Die Mitglieder der PTC haben die entsprechenden Informationen verbreitet. Auch die LN veröffentlichten den Aufruf (3/1999, S. 21). Darüber hinaus hat die PTC im Februar 2000 einen von der ILGA-Europa ausgearbeiteten Antrag auf Zuerkennung einer sogenannten Cy-pres-Entschädigung gestellt (PDF hier). Da nur sehr wenige schwule und lesbische Überlebende der NS-Verfolgung heute noch am Leben sind, hat die PTC im Namen dieser Opfergruppe ein Prozent der Gesamtsumme der Vereinbarung beantragt und vorgeschlagen, eine Stiftung zu gründen, die diese Gelder dann zur Unterstützung bestimmter Aktivitäten verteilen würde.
Im Juni 2001 hat die PTC erfahren, daß weit weniger Einzelpersonen als angenommen Forderungen im Rahmen dieser Vereinbarung gestellt hatten, wodurch der nicht beanspruchte Betrag viel höher als erwartet ist. Unter den bisher Entschädigten waren weniger als 20 homosexuelle Überlebende. Das New Yorker Gericht hat die Einreichfrist nunmehr bis 31. Dezember 2001 verlängert.
Das Gericht erwägt nun auch, das übriggebliebene Geld in Form von Cy-pres-Entschädigungen an Organisationen auszahlen, die die in der Vereinbarung genannten Opfergruppen vertreten. Der PTC wurde mitgeteilt, daß ihr Antrag mit zusätzlicher Dokumentation ergänzt werden sollte. In ihrem überarbeiteten Antrag bezeichnet die PTC außerdem die in New York ansässige Astraea Lesbian Action Foundation nunmehr als Verwalterin des vorgeschlagenen PTC-Fonds. Die ursprüngliche Absicht, zu diesem Zweck eine neue eigene Stiftung zu gründen, wurde auf Anraten eines in diesen Fragen spezialisierten Anwalts aufgegeben.
Treffen mit dem „Special Master“
Am 9. August 2001 traf die PTC in New York mit Judah Gribetz, dem sogenannten „Special Master“, zusammen, der vom Gericht dazu bestellt worden ist, Empfehlungen für die Zuteilung der übriggebliebenen Gelder auszuarbeiten.
Die Delegation setzte sich zusammen aus den PTC-VertreterInnen Julie Dorf und Scott Long (IGLHRC), Ralf Dose (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft), Gerard Koskovich (Mémorial de la déportation homosexuelle) und dem Autor dieser Zeilen, der bis dahin nicht nur die HOSI Wien, sondern auch die ILGA-Europa in der PTC vertrat, sowie aus Katherine Acey von der Astraea Foundation und Michael Adams vom Lambda Legal Defense and Education Fund in New York, der auch die Medienarbeit und die Pressekonferenz nach dem Treffen mit dem Special Master organisierte.
Bei diesem Gespräch wurde dem Special Master und seinen Mitarbeiterinnen der Antrag unterbreitet und ausführlich begründet. Das Gericht wird die Empfehlungen des Special Master zu Beginn des Jahres 2002 erhalten und danach die weiteren Entscheidungen treffen.
Die PTC hat in ihrem Antrag auf eine Cy-Pres-Entschädigung folgende vier Verwendungszwecke vorgeschlagen: die Gewährung finanzieller Unterstützung an schwule und lesbische Überlebende, die Unterstützung wissenschaftlicher Forschung, die Förderung von Projekten im Bereich Bildung und Aufklärung, darunter auch Gedenkstätten (beides ausschließlich bezogen auf die NS-Verfolgung von Schwulen und Lesben) sowie die Förderung von Bemühungen zur Vermeidung anti-homosexueller Verfolgung in der Welt von heute.
Sollte dem Antrag der PTC stattgegeben werden, wäre wohl jeder dann zugeteilte Betrag, selbst wenn das Gericht sich für weniger als das von der PTC beantragte eine Prozent der Gesamtsumme entschiede (das wären zum heutigen Dollarkurs fast 190 Millionen Schilling), sicherlich der größte, der jemals zur Unterstützung schwul/lesbischer Anliegen zur Verfügung stünde. Das wäre natürlich ein toller Erfolg für die PTC und ihre Mitglieder – darunter die HOSI Wien –, die jetzt vier Jahre lang in diesem Bereich wichtige Arbeit geleistet haben.
Deutsches Zwangsarbeiter-Entschädigungsprogramm
Im Vorjahr wurde ein neuer, mit zehn Milliarden D-Mark dotierter Entschädigungsfonds eingerichtet. Gestiftet wurde er zu gleichen Teilen von der deutschen Regierung und der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen des Dritten Reichs.
Entschädigungsberechtigt sind Personen, die in einem KZ, einem Ghetto oder einer anderen Haftstätte unter vergleichbaren Bedingungen gefangengehalten und zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Diese SklavenarbeiterInnen können bis zu 15.000 DM erhalten. Weiters werden Personen entschädigt, die nach Deutschland oder in ein von Deutschland besetztes Gebiet deportiert wurden, wo sie zur Zwangsarbeit herangezogen wurden und besonders schlechten Lebensbedingungen ausgesetzt waren. Diese ZwangsarbeiterInnen können bis zu 5.000 DM erhalten (solche, die in der Landwirtschaft zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, bis zu DM 2.000).
Für Anträge nicht-jüdischer Opfer an diesen deutschen Fonds ist die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf zuständig, die zugleich auch Anträge nach dem Schweizer Bankenvergleich (siehe oben) entgegennimmt und bearbeitet. Im September 2001 hat IOM eine PR-Kampagne gestartet, um diese beiden Entschädigungsmöglichkeiten insbesondere unter den nicht-jüdischen Opfergruppen bekanntzumachen, darunter ausdrücklich auch den wegen ihrer Homosexualität verfolgten Personen. IOM hat auch ein Büro in Wien eröffnet und hier am 11. September eine Pressekonferenz abgehalten, an der auch der Autor dieser Zeilen teilnahm – nicht zuletzt, um mit der Leiterin des Wiener Büros zu sprechen, sie über die bisherige Arbeit der PTC zu informieren und ihr unsere Zusammenarbeit anzubieten. Trotz der dominierenden Berichterstattung über die Terroranschläge in den USA am nächsten Tag fand sich etwa im Kurier ein Bericht, in dem unter den entschädigungsberechtigten Gruppen ausdrücklich Homosexuelle genannt wurden.
Steht zu hoffen, daß sich doch noch weitere überlebende Homosexuelle melden und ihre Ansprüche stellen. Leider kommen diese Entschädigungsmöglichkeiten um Jahrzehnte zu spät.
Fußnoten:
1 Zur Zeit gehören folgende zehn Organisationen der PTC an: Agudah (Association of Gay Men, Lesbians, and Bisexuals in Israel), Europäischer Regionalverband der International Lesbian and Gay Association (ILGA-Europa), Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien, International Association of Lesbian and Gay Children of Holocaust Survivors, USA, International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC), USA, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Deutschland, Mémorial de la déportation homosexuelle, Frankreich, Pink Cross, Schweiz, Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), World Congress of Gay, Lesbian, Bisexual, Transgender Jewish Organizations (WCGLBTJO).
2 Im Jahr 2000 nahm ein Vertreter der PTC auch als offizieller Beobachter an der Holocaust Era Assets-Konferenz in Washington teil.
3 Im Februar 2000 organisierte die PTC gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine historische zweitägige Konferenz in Berlin, das Rosa-Winkel-Kolloquium, das Wissenschaftler, homosexuelle Überlebende der NS-Verfolgung, MenschenrechtsaktivistInnen und Politiker zusammenbrachte, um die Bewußtseinsbildung zu verstärken und neue Dokumente über die Verfolgung homosexueller Männer und Frauen in Nazi-Deutschland zu präsentieren. Mehr als 200 Personen aus Europa und Nordamerika nahmen an der Tagung teil.
4 Dabei handelt es sich nicht um den vorhin erwähnten Schweizer Fonds für bedürftige Holocaust/Shoah-Opfer.