GVU in Österreich – Leitbild wird entwickelt
Etwas später als in anderen EU-Staaten, etwa in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und im Vereinigten Königreich, sind jetzt auch in Österreich systematische Aktivitäten zur „gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (GVU)“ angelaufen.
Industriellenvereinigung (IV), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) haben gemeinsam die Initiative „CSR Austria“ ins Leben gerufen und verstehen diese als Beitrag zur österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie. Eine eigene Homepage wurde geschaffen, auf der sich Hintergrundinformationen über die Initiative und deren Ziele sowie GVU-Aktivitäten diverser Organisationen und Praxisbeispiele der Wirtschaft aus dem internationalen und nationalen Bereich (mittlerweile mehr als 100) finden. Hier können sich interessierte Unternehmen informieren und für ihre eigenen GVU-Maßnahmen Anregungen holen. Außerdem dient der Website für den Gedanken- und Meinungsaustausch im Sinne eines österreichischen Stakeholder-Dialogs zu GVU.
Eine weitere Aktivität der Initiative ist die Erstellung eines Leitbilds der österreichischen Unternehmen mit dem Titel Wirtschaftlicher Erfolg mit gesellschaftlicher Verantwortung. Zu diesem Zweck wurde auf einer von der IV, der WKÖ und dem BMWA veranstalteten eintägigen Konferenz am 30. September 2003 in Vösendorf ein erster Entwurf diskutiert. Eingeladen waren VertreterInnen aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, der Sozialpartner, Wissenschaft sowie zahlreicher NGOs, darunter als einziger Organisation der Lesben- und Schwulenbewegung der HOSI Wien. Sie wurde vom Autor dieser Zeilen vertreten, der sich bereits zuvor mit dem Thema beschäftigt hat: Für den europäischen Lesben- und Schwulenverband ILGA-Europa hatte ich an der vom dänischen EU-Ratsvorsitz am 21. und 22. November 2002 in Helsingør veranstalteten Konferenz Mainstreaming Corporate Social Responsibility across Europe – Challenges and Opportunities of a Common Frmework sowie an der vom Völklinger Kreis, dem deutschen Bundesverband Gay Manager, und von der Lesben-Informations- und Beratungsstelle LIBS am 26. Juni 2003 veranstalteten Diversity-Konferenz Unsichtbare Potentiale – Diversity Management und sexuelle Identitäten am Arbeitplatz teilgenommen. Letztere wurde von der Deutschen Bank gesponsort und fand in ihrem Hauptquartier in Frankfurt/Main statt.
In Vösendorf wurden in fünf Workshops die einzelnen Abschnitte des österreichischen Leitbild-Entwurfs ausführlich erörtert. Bei einem solchen Leitbild kann natürlich nicht ins Detail gegangen werden, sondern es muß eher allgemein gehalten werden. Dennoch war es wieder einmal bezeichnend, daß im Abschnitt „Beseitigung von Benachteiligungen“ unter den potentiell betroffenen Gruppen Lesben und Schwule als einzige fehlten, legt man etwa als Maßstab die EU-Rahmenrichtlinie für Beschäftigung und Beruf an (vgl. Beitrag auf S. 18). Zur entsprechenden Verbesserung des Textes reichte es indes bereits, die beiden Wörter „sexuelle Orientierung“ aufzunehmen, was die HOSI Wien auch vorschlug, sodaß die Textpassage wie folgt lautet: Die österreichischen Unternehmen sind Vorreiter in Fragen der gesellschaftlichen Offenheit und engagieren sich in der Beseitigung von sozialer Benachteiligung und Ungerechtigkeit. Dies gilt insbesondere für Fragen der Frauenförderung, Beseitigung von Diskriminierung (z.B. aufgrund von Behinderung oder der sexuellen Orientierung), Maßnahmen zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Integration von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Ein Redaktionsteam wird nun anhand der eingebrachten Ergänzungs- und Abänderungsvorschläge einen neuen Entwurf erstellen und nochmals an die TeilnehmerInnen zur Stellungnahme aussenden. Anfang Dezember 2003 soll dann die endgültige Fassung des Leitbilds bei einem Festakt der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Man darf gespannt sein, ob der HOSI-Wien-Vorschlag aufgegriffen und sexuelle Orientierung ausdrücklich erwähnt wird. Daß eine explizite Nennung wichtig ist, wissen wir aus anderen Zusammenhängen nur zu gut. Die wenigsten Unternehmen würden wohl von sich aus daran denken, sich bei ihren etwaigen GVU-Maßnahmen auch mit sexueller Orientierung auseinanderzusetzen. Daß dies aber Bestandteil jeglicher ernsthafter GVU-Aktivitäten sein muß, liegt wohl auf der Hand: Nicht nur wegen des Diskriminierungsverbots der EU-Richtlinie, sondern allein schon wegen des Umstands, daß es rund zehn Prozent der ArbeitnehmerInnen „betrifft“.
In der folgenden LN-Ausgabe 1/2004, im Special auf S. XI, berichtete ich dann über die weiteren Entwicklungen:
Unternehmen ächten Diskriminierung
Am 3. Dezember 2003 wurde auf einer Veranstaltung in den Börsensälen in Wien das Leitbild der österreichischen Wirtschaft zur „gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“ (Corporate Social Responsibility – CSR) präsentiert. Die Ausarbeitung dieses Leitbilds – „Erfolgreich wirtschaften. Verantwortungsvoll handeln“ – erfolgte im Rahmen eines intensiven Dialogs zwischen VertreterInnen der Wirtschaft, der Sozialpartner und von NGOs. Koordiniert wurde die Erstellung des Leitbilds von CSR-Austria, einer Initiative der Industriellenvereinigung, der Wirtschaftskammer Österreich und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Aus der Lesben- und Schwulenbewegung war die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien in diesen Prozess eingebunden. Ihr ist es auch zu verdanken, daß die Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung schließlich berücksichtigt wurde, denn im Erstentwurf des Leitbilds hatte noch jeglicher Hinweis darauf gefehlt.
„Wir freuen uns, daß unser Vorschlag aufgegriffen wurde“, erklärte dazu HOSI-Wien-Obfrau HELGA PANKRATZ in einer Medienaussendung am 4. Dezember. „Wir hoffen, daß die österreichischen Unternehmen auch diesen Aspekt der Leitlinie ernst nehmen werden, wobei sich im Zusammenspiel mit dem Verbot der Diskriminierung in der Arbeitswelt, wie es die EU-Richtlinie 78/2000 festschreibt, echte Chancen für eine spürbare und nachhaltige Verbesserung der Situation von Lesben und Schwulen in ihrer Arbeitsumwelt ergeben.
„Einige Unternehmen haben bereits erkannt, daß ein diskriminierungsfreies Umfeld die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen und damit auch ihre Produktivität erhöht“, verweist Obmann CHRISTIAN HÖGL auf die Anstrengungen einer leider noch kleinen Avantgarde von Firmen, die durch sogenanntes Diversity-Management die Vielfalt ihrer Belegschaft positiv im Sinne aller nutzen. „Sie sollten anderen Unternehmen als Vorbild dienen. Für Firmen, die glauben, auf Maßnahmen in diesem Bereich verzichten zu können, könnte sich dies bald als nicht unbedeutender Wettbewerbsnachteil erweisen.“
Hier der genaue Wortlaut der Passage aus dem Leitbild. Im Abschnitt „Die gesellschaftliche Integration fördern“ heißt es:
Keine Diskriminierung: Soziales und ökologisches Engagement eröffnet den Unternehmen neue Möglichkeiten, die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels zu meistern. Dabei bietet sich ihnen die Chance, soziale Errungenschaften zu sichern und zugleich ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Folgerichtig setzen sich Österreichs Unternehmen für gesellschaftliche Integration, soziale Gerechtigkeit und Gleichbehandlung ein. Dies gilt insbesondere für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf allen Ebenen. Ebenso selbstverständlich wirken die Unternehmen auch gegen andere Formen der Diskriminierung: gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen oder von Minderheiten, gegen die Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Herkunft, ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer politischen oder religiösen Überzeugung. Darüber hinaus sind die Integration ausländischer Mitbürger und die Einbindung Jugendlicher, beispielsweise durch die Bereitstellung geeigneter Arbeitsplätze, den österreichischen Unternehmen ernsthafte Anliegen.
Nachträgliche Anmerkung:
Die Initiative „CSR Austria“ wurde später zu respACT, dem Austrian Business Council for Soustainable Development. Besagtes Leitbild wurde in der Folge weiter verfeinert.