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Interview in den LAMBDA-Nachrichten Nr. 4/2003

„Sieben Jahre sind genug!“

Veröffentlicht am 17. Oktober 2003
Seit der Gründung des europäischen Lesben- und Schwulenverbands ILGA-Europa im Dezember 1996 war ich Mitglied in dessen achtköpfigem Vorstand und auch dessen – männlicher – Ko-Vorsitzender gewesen. Auf der 7. Jahreskonferenz der ILGA-Europa, die vom 16. bis 19. Oktober 2003 in Glasgow stattfand, habe ich nicht mehr kandidiert. Für WALTRAUD RIEGLER Anlass, mich für die LN nach meinen Gründen und meiner Bilanz zu befragen.

LN: Warum hörst du auf?

Kurt: Es gibt mehrere Gründe. Erstens hat es in der ILGA keine Tradition, dermaßen lange eine Funktion zu bekleiden.

Zweitens hat ILGA-Europa jetzt ein funktionierendes Büro in Brüssel mit vier Vollzeit-Angestellten. Dadurch hat sich meine Funktion und Arbeit in den letzten beiden Jahren stark verändert. In den ersten Jahren des Aufbaus mußte ja der ehrenamtliche Vorstand im Prinzip die ganze Arbeit selber machen. Jetzt wird die meiste Arbeit vom Büro erledigt, und für mich, der eher ein praktischer Arbeiter ist, ist die Vorstandsfunktion daher nicht mehr so interessant und spannend.

Und drittens – und das ist eigentlich der Hauptgrund – hat einfach meine Lebensqualität schon sehr gelitten – bei allem Spaß und aller Lust, die mir die Sache natürlich gemacht hat. Ich hatte in den letzten sieben Jahren fast kein Privatleben mehr, kaum ein freies Wochenende und nur einen einzigen Urlaub von zwei Wochen im Stück.

Also habe ich gefunden, „Sieben Jahre sind genug!“ und meinen Rückzug aus dem Vorstand letztes Jahr in Lissabon angekündigt. Aber das heißt nicht, daß ich mich völlig zurückziehe, ich habe ja auch vor der Gründung der ILGA-Europa, schon seit 1981, viel in der ILGA gemacht, ohne irgendeine offizielle Funktion. Ich werde also für manche Dinge auch in Zukunft quasi als „funktionsloser“ Ehrenamtlicher zur Verfügung stehen.

Du warst auch viel unterwegs…

Ja, ich habe nachgezählt. Ich war in diesen sieben Jahren über 80mal in Brüssel, rund 20mal in Straßburg, und dazu kamen noch zahlreiche andere Reisen, meistens zu Tagungen im jeweiligen EU-Vorsitzland. Im Durchschnitt waren’s wohl zwei Auslandsreisen pro Monat. Das war natürlich auch sehr anstrengend. Und Ich habe auch keine einzige der 41 Vorstandssitzungen versäumt!

Du hast in dieser Zeit wesentlich die Geschicke der europäischen Lesben- und Schwulenbewegung mitbestimmt. Welche Erfolge würdest du als die bedeutendsten hervorheben?

Das wichtigste, weil Grundvoraussetzung für jede weitere Tätigkeit, ist wohl, daß sich ILGA-Europa als respektierte NGO und als die LSBT-Lobby in Brüssel bzw. Straßburg etablieren konnte, die sowohl bei den EU-Institutionen als auch in der NGO-Szene hohes Ansehen genießt. Immerhin bekommt der Verband von der EU-Kommission eine jährliche Basisförderung für seine Tätigkeit.

Einer unserer größten Erfolge war ohne Zweifel, daß „sexuelle Orientierung“ als Diskriminierungsgrund in der EU-Rahmenrichtlinie 78/2000 Berücksichtigung fand, denn das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß es ab Mai 2004 in 25 Ländern Europas verboten sein wird, Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt zu diskriminieren.

Weitere bedeutende Erfolge waren die Aufnahme von „sexueller Orientierung“ ins Diskriminierungsverbot der EU-Charta der Grundrechte (Artikel 21) und die Berücksichtigung wesentlicher Forderungen im Entwurf für die zukünftige EU-Verfassung.

Durchaus als historisch kann man auch den Umstand werten, daß es gelungen ist, die EU-Erweiterung dazu zu nutzen, alle Beitrittsländer zur Aufhebung noch vorhandener lesben- und schwulendiskriminierender Strafrechtsbestimmungen zu zwingen.

Als Schwuler aus Österreich bist du sicher immer wieder auf die österreichische Situation angesprochen worden. War oder ist Österreich ein Musterbeispiel für einen homophoben Staat in Europa?

Als der 209er noch in Kraft war, schon. Und da war meine Funktion in der ILGA-Europa sehr von Vorteil, z. B. in Zusammenhang mit den insgesamt sechs Entschließungen des Europa-Parlaments, in denen Österreich aufgefordert worden ist, § 209 StGB abzuschaffen. Sie spielte auch eine Rolle in der europaweiten Kampagne, den ÖVP-Politiker Walter Schwimmer 1999 als Generalsekretär des Europarats zu verhindern, was uns ja fast gelungen ist, oder als eine Delegation österreichischer NGOs im August 2000 in Heidelberg mit den sogenannten drei Weisen zusammentraf, die wegen der EU-14-Maßnahmen gegen die blau-schwarze Regierung die Menschenrechtssituation in Österreich überprüften. Vor der Aufhebung des § 209 war Österreich sicherlich negatives Schlußlicht in Europa.

Welchen Einfluß haben die Veränderungen in den europäischen Ländern und auf EU-Ebene auf die Situation von Lesben und Schwulen in Österreich?

Für uns Lesben und Schwule sicherlich einen äußerst positiven: Das erwähnte Diskriminierungsverbot in der Arbeitswelt z. B. hätten wir ohne EU unter Schwarz-Blau nie bekommen. Mit immer mehr EU-Staaten, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich anerkennen, baut sich natürlich auch in diesem Bereich ein gewisser Druck auf. Allerdings bleibt abzuwarten, wie das dann nach dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedsstaaten aussehen wird. Die EU wird dadurch insgesamt sicherlich konservativer bzw. schwerfälliger werden, was unsere Anliegen betrifft.

Österreichs Beitritt zur EU hat also nur positive Auswirkungen auf das Leben von österreichischen Lesben und Schwulen?

Für unsere Situation als Lesben und Schwule war der Beitritt absolut positiv, aber als gewöhnlicher Staatsbürger möchte ich mich als EU-Gegner outen. Ich habe 1994 bei der Volksabstimmung gegen den Beitritt gestimmt und würde wahrscheinlich auch heute für einen Austritt Österreichs aus dieser EU stimmen, gäbe es ein Referendum.

Warum?

Die EU, speziell die Kommission, geriert sich immer mehr als neoliberale Speerspitze für die internationalen Konzerne und will in ihrem Privatisierungswahn diesen letztlich sogar die sogenannte Daseinsvorsorge (Wasser, Nahverkehr, Bildung, Gesundheitswesen etc.) in den Rachen werfen. Ich halte das für eine ganz gefährliche und katastrophale Entwicklung für die Demokratie und für unser Gemeinwesen. Dasselbe macht die EU auf globaler Ebene, aber Gott sei Dank ist sie damit bei der WTO-Tagung in Cancún gescheitert. Diese EU steht für das Primat der Wirtschaft und des Kapitals über die Menschen.

Als ich in den achtziger Jahren bei ILGA-Konferenzen teilnahm, war fortwährender Diskussionspunkt die Sichtbarmachung von lesbischen Aktivistinnen und Aktivitäten. Zum einen bestanden die Konferenzen oft zu zwei Dritteln aus männlichen Delegierten, zum anderen dominierten oft schwulenbezogene – oft sehr kontroverse – Themen, wie z. B. die Pädophilie-Debatte. Sind dir Veränderungen in bezug auf Lesbenpolitik und -engagement aufgefallen?

Also kontroversielle Themen gibt es bei der ILGA-Europa nicht, das Pädo-Thema ist längst passé, gegessen. Auf Geschlechterparität wird natürlich nach wie vor großer Wert gelegt, auch in der Vertretung nach außen. Im Vorstand gibt es ja vier Frauen und vier Männer. Das Geschlechterverhältnis unter den KonferenzteilnehmerInnen kann der Vorstand in erster Linie durch die Vergabepraxis bei den Teilnahmestipendien beeinflussen, und das hat er auch immer getan. Wiewohl immer noch mehr Männer als Frauen an den Tagungen teilnehmen, ist das Verhältnis ausgewogener als früher. Und eben weil die Themen nicht mehr so männerzentriert sind, sehen die Frauen diese Unausgewogenheit heute wohl weniger problematisch.

Gibt es beim Lobbying Unterschiede zwischen Österreich und auf EU-Ebene?

Ja, auf jeden Fall, und zwar insofern, als die EU-Institutionen rationaler und zielorientierter funktionieren, speziell die Kommission. Da gibt’s keine dogmatische, verbohrte, ideologische Blockade wie bei politischen Parteien – also, wenn ich da an die ÖVP und die FPÖ denke – kein Vergleich! Die Arbeit ist dadurch natürlich viel befriedigender – im Gegensatz zur Frustration in Österreich.

Und was völlig fehlt, sind diese Eifersüchteleien, dieser Neid und diese kleinlichen Anfeindungen, die ich oft in Österreich in der Bewegung erlebt habe. Also da ist die Arbeit auf europäischer Ebene schon sehr viel angenehmer. Und es hat mir daher auch immer große Genugtuung bedeutet, soviel Zustimmung und Anerkennung von so vielen Lesben- und Schwulenorganisationen zu bekommen, gerade auch von den großen Verbänden in Skandinavien, den Niederlanden, Großbritannien usw.

Welche Entwicklungen erwartest du für Lesben und Schwule in Europa? Und welche Arbeit wird in Zukunft im Mittelpunkt der ILGA-Europa stehen?

Als unverbesserlicher Optimist erwarte ich, daß sich die Lage weiter positiv entwickeln wird.

Die ILGA-Europa wird ihre bisherigen Arbeitsfelder weiter bearbeiten, ein Schwerpunkt wird der verstärkte Einsatz in jenen Ländern Osteuropas sein, die 2004 nicht beitreten. ILGA-Europa hat heuer von einer britischen Stiftung 120.000 Pfund für diese Arbeit erhalten. Es ist geplant, ab Jänner 2004 einen neuen Mitarbeiter anzustellen, der sich speziell darum sowie um die Bereiche Europarat und Transgender kümmert, und ein Osteuropabüro mit drei MitarbeiterInnen in der Region zu eröffnen.

Welche Idealvorstellung hast du bzw. wünscht du dir für uns europäische Lesben und Schwule?

Ein Europa der völligen Gleichstellung und Gleichberechtigung für alle. Ohne jegliche Benachteiligung oder Diskriminierung. Dafür lohnt es sich, auch weiterhin zu kämpfen.

Was wirst du jetzt mit deiner vielen Freizeit machen?

Tja, ich werde mich sicher nicht langweilen – mehr Freizeit genießen; meine Motorräder gehören auch mehr gefahren, die verrosten schon vor lauter Herumstehen, und für die HOSI Wien werde ich auch wieder mehr Zeit haben. Und dann würde mich wieder mehr direct action à la Rosa Wirbel sehr reizen! Denn Spaß muß sein – und ich muß ja dann nicht mehr auf meine ILGA-Europa-Funktion Rücksicht nehmen!

Danke für das Gespräch – und vor allem: danke für dein unermüdliches Engagement!