Beitrag im deutschen Magazin zum CSD 05
Österreich – Schlusslicht in Europa
Österreich zählt traditionell auch in Sachen Homosexualität zu den rückständigsten Staaten Europas. Fünf Jahre ÖVP-FPÖ-Regierung haben die Situation weiter verschärft.
Diese Rückständigkeit hat einerseits historische Ursachen: Das Land ist überwiegend katholisch geprägt, hat nie eine echte bürgerliche Revolution erlebt oder gar eine liberale Tradition entwickelt. Die NS-Zeit hat die Sache auch nicht besser gemacht, im Gegenteil: Die homophobe Gehirnwäsche, der die Bevölkerung ausgesetzt war, wirkt bis heute nach. Andererseits verfügen die beiden Rechtsparteien ÖVP und FPÖ seit 1983 über eine Mehrheit im Parlament, wo sie jeglichen Fortschritt mit einer bemerkenswerten Hartnäckigkeit, die mitunter ans Lächerliche und Groteske grenzt, verhindert haben; die ÖVP auch während der „Großen Koalition“ mit der SPÖ (1986–1999) – und in den letzten fünf Jahren sowieso.
Erst 2002 wurde der letzte Sonderparagraph gegen Schwule im Strafrecht (§ 209) abgeschafft. Er sah eine höhere Mindestaltersgrenze von 18 Jahren für Beziehungen zwischen Männern vor (im Gegensatz zu 14 für heterosexuelle und lesbische Beziehungen) und war gemeinsam mit drei anderen Strafrechtsbestimmungen, darunter einem „Werbe-„ und Vereinsverbot, 1971 eingeführt worden, als Österreich das Totalverbot der – weiblichen und männlichen – Homosexualität als einer der letzten Staaten Europas aufhob.
Die Fortschritte wurden meist – wie im Fall des § 209 – nicht auf politischer Ebene erkämpft, sondern vor den Höchstgerichten bzw. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten – etwa 2003 das Recht auf Gleichgestellung von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften im Mietrecht. Oder die Verbesserungen sind der EU zu verdanken, wie das Diskriminierungsverbot aufgrund sexueller Orientierung in der Arbeitswelt. Aber auch in diesem Fall hat die schwarz-blaue Koalition in Wien – anders als Rot-Grün in Deutschland – nur das von der EU geforderte Minimum umgesetzt und sich geweigert, das Diskriminierungsverbot auf andere Lebensbereiche auszudehnen.
Gewöhnliche Kriminelle
Ein trauriges Kapitel, das musterbeispielhaft illustriert, mit welchen Methoden die ÖVP Reformen jahrzehntelang hintertreibt, stellt der mittlerweile mehr als 20 Jahre dauernde Kampf um Anerkennung und Entschädigung der homosexuellen KZ-Opfer dar. Bis heute weigert sich die ÖVP, ihnen wie anderen Opfergruppen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung im Opferfürsorgegesetz (OFG) einzuräumen. Denn das Verbot der Homosexualität wird nicht als typisches NS-Unrecht gewertet, homosexuelle NS-Opfer sind für die ÖVP gewöhnliche Kriminelle. Ein Schicksal, das sie im Übrigen mit den Wehrmachtsdeserteuren teilen, da Fahnenflucht auch nach österreichischem Recht strafbar war und ist. Dass Österreicher, die aus der Wehrmacht desertiert sind, aus einer fremden Armee und nicht aus dem österreichischen Bundesheer desertiert sind, stört die Logik der ÖVP dabei genauso wenig wie die Tatsache, dass Homosexualität heute eben nicht mehr strafbar ist. Die Nichtanerkennung im OFG führte dazu, dass den KZ-Häftlingen ihre Haftzeit nicht als so genannte Ersatzbeitragszeiten auf die Rente angerechnet worden sind. Sie haben dadurch einen erheblichen Pensionsverlust, den sie bis an ihr Lebensende jeden Monat spüren. Nicht so ihre SS-Bewacher – ihnen wurden die „Dienstzeiten“ im KZ sehr wohl auf die Pension angerechnet. Anträge der Opposition auf entsprechende Änderung des OFG scheiterten 1995, 2001 und zuletzt 2002 an ÖVP und FPÖ. Ein 2003 neuerlich eingebrachter Antrag wurde 2004 im Sozialausschuss des Parlaments auf Eis gelegt, und im März 2005 lehnte die schwarz-blaue Mehrheit im Nationalrat eine Behandlung des Antrags neuerlich ab.
Unter diesen politischen Vorzeichen ist es kaum überraschend, dass auch in Sachen eingetragene Partnerschaft oder Öffnung der Zivilehe vollkommener Stillstand herrscht, wiewohl sich inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung dafür ausspricht. Sozialdemokratie und Grüne unterstützen im Wesentlichen die Forderungen der Lesben- und Schwulenbewegung. Voraussetzung dafür, dass Österreich vom Schlusslicht in Europa an die Spitze aufschließen kann, ist daher eine rot-grüne Mehrheit nach den nächsten Wahlen. Sollte es diese geben, ist wohl damit zu rechnen, dass sämtliche anstehenden Reformen im schwul/lesbischen Bereich innerhalb einer Legislaturperiode über die Bühne gehen.