CSD in Europa: Déjà-vu in Moskau
Als der britische Aktivist PETER TATCHELL, die italienische Abgeordnete VLADIMIR LUXURIA, die Europa-Abgeordneten Marco Cappato und Sophie in’t Veld den internationalen Medien auf dem Platz vor dem Rathaus Interviews gaben, kam es zum Tumult: Während Luxuria und in’t Veld von einem Duma-Abgeordneten aus der Gefahrenzone gebracht wurden, wurde Tatchell von einem Faustschlag ins Gesicht getroffen und Cappato (Bild oben) von der Bereitschaftspolizei OMON festgenommen...
FOTO: KURT KRICKLER
Die Ereignisse und Vorfälle rund um die wieder nicht genehmigte Gay-Pride-Parade am 27. Mai 2007 in Moskau erinnerten frappant an jene des Vorjahres (vgl. LN 4/2006, S. 25 f). Der einzige Unterschied lag am Wetter: Während es im Vorjahr in Strömen regnete, stöhnten die TeilnehmerInnen heuer bei 35 Grad unter der Hitze.
Am Tag vor der geplanten Parade fand im selben Luxushotel wie im Vorjahr – es ist offenbar das einzige Hotel in der Stadt, das angesichts der Drohungen nicht vor den Sicherheitsproblemen kapituliert – wieder eine Tagung statt, bei der russische und ausländische Delegierte, darunter der Autor dieser Zeilen, Referate hielten. Danach gab es abermals eine von den Medien geradezu gestürmte Pressekonferenz: Eine Batterie von Kamerateams aus halb Europa baute sich vor dem Podium auf. Dabei wurde angekündigt, am nächsten Tag im Rathaus Bürgermeister Juri Luschkow eine u. a. von zahlreichen Abgeordneten des Europäischen Parlaments unterschriebene Petition zu überreichen, in der dieser aufgefordert wird, das Recht auf Versammlungsfreiheit auch von Lesben und Schwulen zu respektieren. Die von Luschkow erneut untersagte Parade würde indes nicht stattfinden.
Doch selbst die geplante Übergabe der Petition wurde von den Sicherheitskräften im Keim erstickt. Wie im Vorjahr wurde ein offensichtlich vom Putin-Regime und der Moskauer Exekutive geduldeter Mob gezielt auf die russischen AktivistInnen und die ausländischen Gäste losgelassen, um danach einmal mehr die Untersagung der Parade mit diesen Ausschreitungen zu rechtfertigen. Nur so ist es zu erklären, dass diese Provokateure und Gegendemonstranten durch die Absperrungen gelangen konnten, die die Polizei weiträumig rund um den Platz und den Boulevard vor dem Rathaus errichtet hatte.
VOLKER BECK, offen schwuler Bundestagsabgeordneter der Grünen, und NIKOLAJ ALEKSEJEW, Mastermind der verhinderten Parade, sowie mehrere andere Aktivisten wurden beim Eintreffen vor dem Rathaus sofort von der Polizei festgenommen. Später kam es wie im Vorjahr zu Handgreiflichkeiten durch Gegendemonstranten. Speziell Personen, die den Medien Interviews gaben, wurden angegriffen. Während es beim Haupt-Medientross rund um die Parlamentsabgeordneten zum Tumult kam, konnten GEBI MAIR und ich dem ORF-Korrespondenten Georg Dox völlig ungestört ein Interview geben.
Danach nahmen wir aber sein Angebot gerne an, den Schauplatz im Auto des ORF-Teams zu verlassen. Wir stiegen ein paar Straßen weiter aus und gingen dann zu Fuß nach Hause. Immerhin hatte ich im Vorjahr negative Erfahrungen gemacht: Damals wurde ich beim Verlassen des Platzes von Jugendlichen verfolgt und angegriffen, die mich dabei beobachtet hatten, wie ich zuvor dem dänischen Fernsehen DR ein Interview gab. Ich bin ja nicht feig, muss aber nicht jedes Jahr ein blaues Auge abbekommen.
Peinliche Anbiederung
Die HOSI Wien kritisierte am Tag nach den Ereignissen in Moskau auch neuerlich die österreichische Politik: „Angesichts des Verbots der Parade und der gestrigen Vorfälle, die ja nur ein kleines Mosaiksteinchen der systematischen Unterdrückung der Zivilgesellschaft, von NGOs und der freien Medien sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland darstellen, muss es umso peinlicher erscheinen, dass Putin bei seinem Staatsbesuch in Österreich vor fünf Tagen von allen SpitzenpolitikerInnen Österreichs – vom Bundespräsidenten Heinz Fischer abwärts – sowie von der gesamten Wirtschaft des Landes hofiert wurde, ohne dass die Menschenrechtssituation in Russland ernsthaft angesprochen wurde“, hieß es in unserer Aussendung. „Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung hier kein überzeugenderes Engagement an den Tag legt, sondern aus Rücksicht auf Wirtschaftsinteressen Menschenrechte offenbar nur der Form halber und als lästige Pflichtübung anspricht.“
„Das hat leider Tradition, die allerdings nicht unbemerkt bleibt“, betonte ich weiters. „So hat die niederländische EP-Abgeordnete Sophie in’t Veld am Samstag in ihrem Referat auf der Konferenz über LSBT-Menschenrechte, die der geplanten Parade in Moskau vorausging, kritisiert, dass auch im Vorjahr der damalige EU-Ratspräsident Schüssel und Kommissionspräsident Barroso nur wenige Tage vor der untersagten Parade und den gewalttätigen Ereignissen mit Putin in Sotschi zusammentrafen, ohne diese Menschenrechtsfragen anzusprechen.“
Bürgermeister Häupl gefordert
„Wir würden uns vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der offenbar enge freundschaftliche Kontakte zu seinem Moskauer Amtskollegen Luschkow pflegt, mehr Einsatz für die Menschenrechte in Russland wünschen“, kritisierte ich weiter. „Wie im Vorjahr findet auch heuer nur wenige Tage nach der verbotenen Parade der ‚Wiener Ball‘ in Moskau statt, über den Häupl wieder den Ehrenschutz übernommen hat. Angesichts der Angriffe des Moskauer Bürgermeisters auf die Versammlungsfreiheit von Lesben und Schwulen in seiner Stadt fordern wir Häupl daher ganz dringend auf, bei Luschkow entsprechend zu intervenieren und als erstes Zeichen seiner Solidarität mit Russlands Lesben und Schwulen den Ehrenschutz über den 5. Wiener Ball in Moskau zurückzuziehen. Auf ein diesbezügliches Schreiben der HOSI Wien nach den Vorfällen in Moskau im Vorjahr hat uns Häupl leider nicht einmal geantwortet.“
Häupl hat bedauerlicherweise auch dieses Jahr kein Zeichen gesetzt – im Gegenteil: Er ließ sich am 8. Juni bei diesem 5. „Wenskij Bal“ von Luschkow sogar einen Orden an die Brust heften. Und auf unser Schreiben haben wir auch diesmal trotz mehrfacher Urgenz in seinem Büro bis heute keine Antwort bekommen!
Warschau, Riga, Bukarest
Die anderen „gefährdeten“ Paraden in Osteuropa gingen heuer indes erfolgreich und ohne gröbere Zwischenfälle über die Bühne. Die Parade für Gleichheit – Parada Równości – in Warschau am 19. Mai 2007 war mit rund 5000 TeilnehmerInnen überhaupt die größte, die jemals in Polen stattfand. Sie wurde von einem großen Polizeiaufgebot geschützt. Es gab nur eine kleine Gegendemonstration.
Auch der CSD in der lettischen Hauptstadt am 3. Juni im Rahmen der „Freundschaftstage“ wurde von der Polizei diesmal professionell geschützt. Die Kundgebung fand auf einem hermetisch abgeriegelten Areal im Vērmanes dārzs, einem großen Park im Zentrum Rigas statt. GegendemonstrantInnen hatten keine Chance.
Ebenso wenig in Bukarest am 9. Juni. Am Vormittag hatten die GegnerInnen zwar zu einer Demonstration aufgerufen, wurden aber selbst von linken, nicht jedoch LSBT-AktivistInnen mit Plakaten konfrontiert, auf denen der Slogan der Europaratskampagne „Alle anders – alle gleich“ zu lesen war. Am Nachmittag wurden dann die rund 400 TeilnehmerInnen des Marsches von rund doppelt so vielen Polizisten geschützt, die auch dafür sorgten, dass die U-Bahn von den GegnerInnen, Neonazis und anderen gewaltbereiten Extremisten geräumt war, bevor sie die ParadenteilnehmerInnen nach der Veranstaltung benutzen durften. Im Vorjahr fanden die meisten Übergriffe auf Lesben, Schwule und Transgender-Personen erst nach der Parade in den U-Bahnstationen und -zügen statt. Heuer wurden hingegen keine Gewalttätigkeiten nach der Parade gemeldet. Von den ParadenteilnehmerInnen eher unbemerkt kam es hinter den Polizeilinien zu Zusammenstößen zwischen Rechtsextremisten und der Polizei, die über 100 Paradengegner festnahm.
Nachträgliche Anmerkung:
Der 1936 geborene Juri Luschkow war von 1992 bis 2010 Bürgermeister der russischen Hauptstadt. Er verstarb im Dezember 2019 in München.