30 Jahre HOSI Wien – Lange Demo-Tradition
Eigentlich wollten wir unsere lose Serie anlässlich des 30-jährigen Bestehens der HOSI Wien* ja bereits in der Ausgabe 6/2009 mit diesem Beitrag über die Demokultur der HOSI Wien beenden, aber dann gab es mit den Berichten zur eingetragenen Partnerschaft und über das 30-Jahr-Fest der HOSI Wien im Parlament soviel Material, dass die letzte Ausgabe ohnehin um acht Seiten umfangreicher als üblich wurde und wir diesen Text daher für diese Ausgabe aufheben mussten. Hiermit schließen wir aber nun endgültig unseren Rückblick auf unsere ersten drei Jahrzehnte ab und starten motiviert und voll Elan ins vierte Vereinsjahrzehnt.
Das Thema „Demokultur“ ist aber nicht nur aktuell, sondern für die HOSI Wien auch immer ganz wichtig, ja geradezu identitätsstiftend gewesen. Aktuell ist es wegen eines anderen „Jubiläums“, dem in den letzten Wochen unverdient viel Medienaufmerksamkeit zuteilwurde, nämlich des 10. Jahrestags der Angelobung der ersten Regierung Schüssel im Februar 2000. Damals begann ja eine ganz neue Demonstrations-Ära: Der riesigen Massenkundgebung von rund 300.000 Menschen am Heldenplatz am 19. Februar 2000 gegen Blau-schwarz sollten ja wöchentliche Donnerstagsdemos folgen, die zwei Jahre nicht abreißen sollten – in dieser Form ein echtes Novum in Österreich und auch weltweit.
Sichtbarkeit
In den Anfangsjahren waren Kundgebungen für die HOSI Wien ein wichtiges Mittel, um öffentlich in Erscheinung zu treten, sichtbar zu werden und überhaupt auf ihre Existenz hinzuweisen. Demonstrationen waren von Anfang an das Mittel der Wahl, um – mit Transparenten und Spruchtafeln – öffentlich Forderungen zu erheben und Protest zu artikulieren, wobei wir uns zu Beginn an Demos anhängten, die von anderen Gruppierungen und Initiativen organisiert wurden.
Erst im Laufe der Zeit organisierten wir unsere eigenen Kundgebungen – mitunter gemeinsam mit anderen schwul/lesbischen Vereinen – zu rein lesbisch/schwulen Themen. Inzwischen hat sich das ja völlig geändert: Wir machen zwar nach wie vor bei anderen Demos mit, sind aber längst nicht mehr auf andere angewiesen, sondern organisieren nicht zuletzt mit der Regenbogenparade mittlerweile unsere „eigene“ Großdemo, die inzwischen von anderen, kleineren und nicht unbedingt schwul-lesbischen Initiativen genützt werden, um auf ihre spezifischen Anliegen aufmerksam zu machen – ja, so haben sich die Zeiten geändert!
Teil der Alternativbewegung
Die Teilnahme an Demos und die damit verbundene Vernetzung mit anderen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) bzw. Initiativen der „Alternativbewegung“, wie die Zivilgesellschaft vor 30 Jahren bezeichnet wurde, hatten indes auch großen Einfluss auf das Selbst- und Politikverständnis der HOSI Wien.
Die Vernetzung mit anderen Gruppen und die Auseinandersetzung mit deren Forderungen und Anliegen führte dazu, dass sich die HOSI Wien von Anfang an als Teil dieser Alternativbewegung für eine andere Gesellschaft, in der die Menschenrechte aller gewahrt und geachtet werden, wahrnahm und stets über den eigenen schwul-lesbischen Tellerrand blickte und sich solidarisch mit anderen Bewegungen und deren Zielen zeigte – und dies klar jenseits jener Bereiche, wo es offensichtlich ohnehin Überlappungen gab, weil Lesben und Schwule da unmittelbar betroffen waren, etwa mit der Frauenbewegung, in der lesbische Frauen stark involviert waren, oder in der antifaschistischen Bewegung. Diese grundlegende Haltung der HOSI Wien drückt sich am besten in ihrem offiziellen Leitbild aus, in dem es heißt:
Die HOSI Wien versteht sich als Teil der Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Welt und gegen Ausbeutung, Armut, Unterdrückung und Gewalt kämpft. Sie ist daher sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene solidarisch mit allen Gruppen und Initiativen, die sich gegen Sexismus, Heterosexismus, Transphobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und verwandte Ausgrenzungsphänomene wenden und diese bekämpfen.
Das erste sichtbare Auftreten der HOSI Wien in einer größeren Öffentlichkeit fand etwa im Rahmen einer antifaschistischen Kundgebung statt, die am 26. April 1980 über die Wiener Ringstraße zog. Am 1. Mai desselben Jahres begann die HOSI Wien eine Tradition, die sie noch bis in die 1990er Jahre fortsetzen sollte: Wir schlossen uns mit eigenen Transparenten dem 1.-Mai-Aufmarsch an, der ebenfalls über die Ringstraße zog – es handelte sich dabei um den dritten der Aufmärsche (ja, damals gab es noch drei Mai-Aufmärsche in Wien): Dem Umzug der SPÖ und dem der KPÖ folgte der gemeinsame bunte Zug aus u. a. linken Gruppierungen, wie der Gruppe revolutionärer Marxisten (GRM), feministischen Gruppen, kurdischen Exilvereinigungen und eben der HOSI Wien – später schlossen sich auch AktivistInnen der Rosa Lila Villa an.
Bald darauf standen die großen Friedens- und Abrüstungsdemos im Vordergrund. Wieder mischte sich die HOSI Wien mit ihren unübersehbaren Transparenten unter die 100.000 TeilnehmerInnen, die damals (am 15. Mai 1982 und am 22. Oktober 1983) für diese Sache mobilisiert werden konnten.
Mauthausen-Gedenken
Nachdem die Homosexuellen Initiativen Österreichs im Dezember 1984 im ehemaligen KZ Mauthausen den weltweit ersten Gedenkstein für die homosexuellen NS-Opfer enthüllt hatten, nahmen Abordnungen der HOSI Wien ab 1985 regelmäßig an der jährlich stattfindenden Befreiungsfeier in Mauthausen teil. Unser erster Auftritt mit Transparenten und der Forderung nach offizieller Anerkennung und Rehabilitierung der homosexuellen Opfer stieß damals nicht gerade auf große Gegenliebe – im Gegenteil: Wir wurden aufgefordert, unsere Transparente einzupacken, was wir natürlich nicht taten [vgl. auch Sektion zum Nationalsozialismus auf dieser Website]. Später entspannte sich das Verhältnis, aber unsere Forderung blieb bis 2005 aktuell – und ebenso penetrant unsere unübersehbaren Transparente, etwa im Jahr 2003, als unter Blau-Schwarz das neuerrichtete Besucherzentrum der Gedenkstätte eingeweiht wurde und die HOSI Wien die Feierlichkeiten für ihren unbequemen Protest nutzte, oder 2005, als wir uns mit unserem Riesenbanner prominent vor der Bühne und damit den ORF-Kameras aufpflanzten.
Gegen die reaktionären Kräfte
1993 rief die HOSI Wien mit auf zum legendären Lichtermeer, und ihre AktivistInnen bildeten eine eigene schwul-lesbische Insel unter den rund 300.000 TeilnehmerInnen, die auf den Heldenplatz und die angrenzenden Straßen und Gassen des 1. Bezirks geströmt waren, um gegen Fremdenfeindlichkeit im allgemeinen und das von Jörg Haider initiierte Anti-Ausländer-Volksbegehren im besonderen zu demonstrieren [vgl. LN 2/1993, S. 23].
Nach Amtsantritt der blauschwarzen Regierung vor zehn Jahren (vgl. auch Que(e)rschuss auf S. 19 f) lief die jahrzehntelang erprobte Demokultur der HOSI Wien zur Hochform auf. Am 19. Februar 2000 führte die HOSI Wien ihre Anti-ÖVP/FPÖ-Transparente bei der Massendemo gegen Blau-Schwarz am Ring und am Heldenplatz aus – wieder hatten sich 300.000 Menschen in der Wiener Innenstadt eingefunden, um gegen die reaktionären Kräfte zu protestieren und ein Zeichen des „anderen“ Österreichs zu setzen.
In den letzten zehn Jahren hat die HOSI Wien verstärkt vor ausländischen Botschaften oder anderen Einrichtungen gegen Missstände in den betreffenden Ländern demonstriert, ob gegen Hinrichtungen im Iran oder Paradenverbote in Polen, Moldau oder Russland – meist gemeinsam mit anderen lesbisch-schwulen Initiativen wie der Rosa Lila Villa oder den Grünen andersrum. Insgesamt ist eine große Vielfalt von Themen für uns Anlass gewesen, auf die Straße zu gehen: Ob gegen § 209 oder für die eingetragene Partnerschaft, ob gegen Diskriminierung im Fremdenrecht oder für Menschenrechte in den genannten Ländern.
Demonstrationskultur hat also nicht nur eine lange Tradition innerhalb der HOSI Wien, sondern ist wesentlicher und fixer Bestandteil der Vereinsaktivitäten in den letzten 30 Jahren gewesen. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, zumal wir mit der Regenbogenparade auch eine jährliche Großdemo durchführen.
* Bisher erschienen: „Wie alles begann“, LN 2/2009, S. 6 f; „Der CSD vor der Regenbogenparade“, LN 4/2009, S. 19 ff; „Rosa Wirbel und anderer Aktionismus“, LN 5/2009, S. 12 ff; „22 Jahre Kampf für die ‚Homo-Ehe‘“, LN 6/2009, S. 18 f.