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AIDS 2010: Fulminanter Marsch für Menschenrechte

Veröffentlicht am 30. Juli 2010
Nach der Welt-AIDS-Konferenz in Wien im Juli 2010 berichtete ich in den LN 3/2010 ausführlich über die vielfältigen Aktivitäten der HOSI Wien im Rahmen dieser Großkonferenz. Sie war u. a. Hauptorganisatorin des Menschenrechtsmarsches. Das NAMES Project Wien wiederum war maßgeblich an einem Gemeinschaftsprojekt im „Global Village“ beteiligt.

Pressekonferenz u. a. mit Kurt Krickler, Annie Lennox und Alan Brotherton (1963–2015), dem Director of Policy and Communications der International AIDS Society (IAS), am 20. Juli 2010

Spruchtafeln wurden zu Beginn der Demo an die TeilnehmerInnen ausgegeben.

Beim Demo-Treffpunkt gaben Schuhplattler eine Tanzvorführung zum besten.

Viel Prominenz führte den Demozug an, darunter Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely und Gesundheitsminister Alois Stöger.

Emotionaler und umjubelter Höhepunkt war der Live-Auftritt von Annie Lennox bei der Abschlusskundgebung am Heldenplatz.

Viel und ausführlich haben Österreichs Medien im Vorfeld und während der 18. Welt-AIDS-Konferenz berichtet, die vom 18. bis 23. Juli 2010 in Wien stattfand. Deshalb wollen wir uns in unserer Berichterstattung auf jene Bereiche beschränken, in denen die HOSI Wien aktiv war. In erster Linie handelte es sich dabei um den Beitrag des NAMES Project Wien, einer Arbeitsgruppe der HOSI Wien, im „Globalen Dorf“ (siehe Kasten auf S. 31 – bzw. Beitrag nachstehend) und den Menschenrechtsmarsch, der quasi am Rande der Tagung am 20. Juli über die Ringstraße führte und mit einer Abschlusskundgebung am Heldenplatz endete. Über die Hintergründe der Demonstration als Teil der Kampagne Menschenrechte und HIV/AIDS: Heute mehr denn je haben wir schon umfassend in den LN 2/2010 (S. 21 ff) berichtet.

Die HOSI Wien hatte aufgrund ihrer Paradenerfahrung die praktische Organisation und Logistik der Demo und der Abschlusskundgebung übernommen und zweieinhalb Wochen nach der Regenbogenparade quasi dieselbe Routine noch einmal abgespult. Wir arbeiteten dabei eng mit unseren PartnerInnen zusammen – zum einen mit der AIDS-Hilfe Wien, die sich vor allem um die Medienarbeit kümmerte, aber auch viele Freiwillige mobilisierte, die beim Demostart den Infobereich verstärkten, sowie zum anderen mit dem Open Society Institute (OSI) in New York, das einerseits das Projekt finanzierte und andererseits vor allem das Bühnenprogramm und den Live-Auftritt von Annie Lennox sowie die internationale Medien- und Kooperationsarbeit mit den anderen Partnern koordinierte. Gemeinsam rührten wir auch die Werbetrommel – mit eigenem Website, Inseraten, Plakaten, Flyern, Postkarten, T-Shirts und anderen Materialien – und vor allem durch direkten Kontakt zu den TeilnehmerInnen der AIDS-Konferenz, die schon im Vorfeld eingeladen wurden, im Global Village Spruchtafeln vorzubereiten.

 

Bunte Demo

Und das bunte Meer von Transparenten und Spruchtafeln machte die Demo dann auch für Wiener Verhältnisse so ungewöhnlich und einmalig. Speziell die ausländischen TeilnehmerInnen sorgten insgesamt dafür, dass die Kundgebung ein buntes, ausgelassenes und dabei äußerst friedliches Spektakel wurde, das nicht nur die lokalen Medien, die voll des Lobs für die hervorragende Organisation waren, und die einheimischen MitdemonstrantInnen tief beeindruckte, sondern auch viele positive Rückmeldungen gerade bei den Konferenzdelegierten hervorrief. Für viele stellte der Menschenrechtsmarsch einen, wenn nicht den Höhepunkt der Tagung dar. Viele waren natürlich von der Kulisse – der Ringstraße vom Schottentor bis zum Heldentor, darunter die riesige rote AIDS-Schleife am Parlamentsgebäude – und des Heldenplatzes sehr angetan, andere kamen aus dem Staunen nicht heraus, dass kaum Polizei zu sehen war – und die wenigen PolizistInnen auch nur den Autoverkehr sperrten.

Viel Prominenz führte die Demo an, etwa aus Österreich Gesundheitsminister Alois Stöger, Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, Europa-Abgeordnete ULRIKE LUNACEK, SP-Nationalratsabgeordnete Petra Bayr oder GERY KESZLER sowie von internationaler Ebene u. a. Julio Montaner, der Konferenzvorsitzende und Präsident der International AIDS Society (IAS), und Michel Kazatchkine, der Generaldirektor des Global Fund to Fight AIDS, TB and Malaria.

Auf der Bühne am Heldenplatz sprachen neben einigen der genannten Promis dann auch UNAIDS-Generaldirektor Michel Sidibé sowie VertreterInnen von NGOs, bevor die international gefeierte Sängerin, Songwriterin und AIDS-Aktivistin Annie Lennox mit ihrem Live-Auftritt für den emotionalen und umjubelten Höhepunkt des Abends sorgte. Sie sang jedoch nicht nur einige ihrer bekanntesten Lieder, sondern präsentierte auch berührende Videos über die Arbeit ihrer SING-Kampagne in Südafrika und ergriff auch selbst das Wort, wobei sie ihre Kritik an Österreich wiederholte, weil das Land erst ein einziges Mal in den vorhin erwähnten Global Fund eingezahlt hat, nämlich 2002 einen beschämend niedrigen Betrag von einer Million Doller, damals nicht einmal 800.000 Euro, während vergleichbare Länder wie Irland oder Finnland im letzten Jahrzehnt rund 150 Millionen zum weltweiten Kampf gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria beigetragen haben. Annie Lennox hatte diese Kritik am selben Vormittag auf einer Pressekonferenz im Medienzentrum des AIDS-Kongresses geäußert, auf der die HOSI Wien durch den Autor dieser Zeilen vertreten war. Auch ich bezeichnete es bei dieser Gelegenheit „als peinlich für das Gastgeberland, so wenig zum Kampf gegen HIV und AIDS beizutragen“.

 

PR-Desaster

Diese Kritik an Österreich zog sich von der Eröffnungszeremonie bis zur Schlussfeier wie ein roter Faden durch die Tagung. Diese Unbedachtheit und Unsensibilität der österreichischen Stellen, sich diese Blöße zu geben, müssen wahrlich als PR-Desaster bezeichnet werden. Man hätte sich das wirklich ersparen können, zumal das Community Forum Austria (vgl. LN 2/2010, S. 21 ff) schon im Vorfeld ein intensiveres Engagement Österreichs im Rahmen des Global Fund eingemahnt hatte – aber diese Forderung wurde ignoriert. Und so hat es diesen negativen Wermutstropfen gegeben, denn ansonsten hat sich Wien von seiner besten Seite gezeigt, und die meisten KonferenzteilnehmerInnen waren wohl von der Präsenz des Themas in der ganzen Stadt beeindruckt – vom Life Ball über den Menschenrechtsmarsch bis hin zur Kuss-Aktion vor dem Schloss Belvedere und das breite Kulturprogramm aus Anlass der Tagung, aber auch vom vorbildlichen Drogenersatzprogramm, das auch den TeilnehmerInnen aus dem Ausland, die es benötigten, zur Verfügung gestellt wurde. Überhaupt hat sich Österreich insgesamt von einer ungewöhnlich nicht-diskriminierenden Seite gezeigt, wie es Washington, wo die nächste Konferenz im Juli 2012 stattfindet, vermutlich nicht gelingen wird. Zwar haben die USA die Einreisebeschränkungen für HIV-Positive aufgehoben (was Voraussetzung dafür war, dass die USA nach mehr als zwei Jahrzehnten überhaupt wieder den Zuschlag für die Tagung bekommen haben), aber SexarbeiterInnen und DrogengebraucherInnen stehen nach wie vor auf der Liste jener Personengruppen, die mit einem Einreiseverbot in die USA belegt sind.

 

Dichtes Programm

Man musste sich erst gar nicht vom dichten Programm der Hauptkonferenz „erschlagen“ lassen, um nach einer intensiven Kongresswoche völlig erschöpft zu sein. Eigentlich reichten dafür auch schon die vielfältigen Aktivitäten im globalen Dorf samt den vielen Empfängen und Side-Events. Jedenfalls zog ich letztere vor, und so stand in meinem persönlichen Tagungskalender u. a. der Empfang in der Residenz des norwegischen Botschafters aus Anlass des Besuchs von Kronprinzessin Mette-Marit in Wien, die zwischen Gala-Diner im Parlament und Red-Ribbon-Kotillon im Burgtheater kurz in der Botschaft vorbeischaute, um die Gäste zu begrüßen, die feierliche Eröffnung des Global Village, die Grill-Party, zu der die niederländische Lesben- und Schwulenorganisation COC auf das Gelände der Pratersauna geladen hatte, der Empfang des Open Society Institute in der Sky-Bar und die Verleihung der internationalen Red Ribbon Awards in der Remise im zweiten Bezirk im Rahmen eines gesetzten Dinners für rund 250 Personen. Und zum Drüberstreuen nahm ich am Tag nach der Konferenz noch als einer von drei ReferentInnen an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Mitarbeiterfortbildung des in Wien ansässigen Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) teil [siehe PDF hier, S. 3].

Die HOSI Wien hat jedenfalls durch ihre Aktivitäten einmal mehr ihre Bedeutung innerhalb der österreichischen Zivilgesellschaft unter Beweis gestellt, was sich übrigens auch in der Berichterstattung der Medien niederschlug, und vor allem durch die perfekte und professionelle Arbeit ihres bewährten Paradenorganisationsteams für den Menschenrechtsmarsch die internationalen Partner schwer beeindruckt. Und das NAMES Project Wien hat gemeinsam mit dem Positiven Dialog und PulsHiv einen tollen Beitrag im Rahmen des Global Village geleistet. Darüber hinaus haben wir auch andere Initiativen nach besten Kräften unterstützt, etwa das Condom Project, das u. a. 150.000 Kondome und 15.000 T-Shirts auf der Konferenz verteilt hat und dem wir das HOSI-Zentrum in der Novaragasse ein Monat lang als Lager, Aktionsbasis und „Werkstatt“ überlassen haben, oder die ganztägige BE HEARD!-Vorkonferenz über MSM (Männer, die Sex mit Männer haben) am 17. Juli. Wir können also einmal mehr sehr stolz auf unsere Arbeit sein.

 

 

Eindrücke von der Quilt Factory im Global Village; FRIEDL NUSSBAUMER sprach bei der offiziellen Abschlussveranstaltung.

QuiltFactory & QuiltExhibition

Das Global Village war jener Teil der AIDS-Konferenz, der allgemein und kostenfrei zugänglich war und in dem u. a. Selbsthilfegruppen und Graswurzelinitiativen aus aller Welt ihre Projekte und Anliegen präsentierten. Das NAMES Project Wien, der Positive Dialog und PulsHiv haben als Gemeinschaftsprojekt im Global Village die QuiltExhibition, die QuiltFactory und das CommunityCafé betreut.

Die Quilt-Ausstellung bestand aus neun Quilt-Quadraten des österreichischen NAMES Project und drei Quilt-Quadraten der Stichting NAMENproject Nederland, die während der Konferenzwoche permanent präsentiert wurden.

Darüber hinaus wurde den KonferenzteilnehmerInnen und BesucherInnen des Global Village in der Quilt-Werkstatt (QuiltFactory – The AIDS 2010 Memorial Quilt) die Möglichkeit geboten, Erinnerungstücher herzustellen. Der AIDS-Memorial-Quilt erinnert an das Leben von Menschen, die an den Folgen von HIV/AIDS verstorben sind. LebensgefährtInnen, Angehörige und FreundInnen haben dadurch die Möglichkeit, das Andenken an die geliebten Verstorbenen aufrechtzuerhalten.

Die Abmessungen der Erinnerungstücher wurden gegenüber dem internationalen Vorbild auf ein Viertel – das heißt auf 1 x 0,5 m reduziert –, um eine realisierbare Umsetzung während der Konferenzwoche zu gewährleisten. Das Angebot der QuiltFactory wurde erfreulicherweise äußerst gut angenommen. In den vier Konferenztagen entstanden 124 Erinnerungstücher, die in vier Quilt-Quadraten zu je 4 x 4 m zusammengenäht wurden. Es entstanden wunderschöne Kunstwerke, die die Liebe an die Verstorbenen eindrucksvoll zum Ausdruck brachten.

Der AIDS 2010 Memorial Quilt durfte dann im Rahmen der offiziellen Schlussfeier den Medien und den TeilnehmerInnen präsentiert werden. FRIEDL NUSSBAUMER ergriff dabei auch das Wort, zeigte sich stolz über die rege Beteiligung an dem Projekt und dankte allen, die die beeindruckenden Tücher kreiert haben, für ihre Anteilnahme und schöpferische Kraft. „Beim Betrachten dieser wunderschönen Kunstwerke spürt man eure Liebe für jene, die ihr an AIDS verloren habt. Irgendwie sind sie dadurch heute unter uns. Manchmal sind die kleinen Dinge, die wir tun, am allerwichtigsten. Vielen Dank, dass ihr die Erinnerung wachhaltet!“