Russland: Hexenjagd auf Schwule
Das im Juni 2013 verabschiedete Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ (vgl. LN 3/2013, S. 33 und S. 36) hat im Sommer hohe Wellen geschlagen (siehe auch die Beiträge auf S. 3 und S. 31 in diesem Heft). Das lag einerseits daran, dass internationale Sportereignisse, wie die Leichtathletik-WM in Moskau im August und die Winterolympiade 2014 in Sotschi ein Schlaglicht auf die Menschenrechte in Russland ganz allgemein und auf jene von Lesben und Schwulen im besonderen geworfen haben und noch weiter werfen werden. Zudem mehrten sich Berichte über gewalttätige Übergriffe auf Schwule – zum Teil wurden diese Gewalttaten gefilmt und ins Internet gestellt. Der Schluss lag nahe, dass von bestimmten Personen und Gruppen das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda als Freibrief für eine regelrechte Hexenjagd auf Schwule „missverstanden“ wird.
Die Macht der Bilder
Die schockierenden und abstoßenden Video-Clips von den demütigenden und gewalttätigen Übergriffen auf Schwule empörten und mobilisierten viele Menschen in der ganzen Welt. Viele Medien in aller Welt berichteten in den letzten Wochen ausführlich über die triste Lage von LSBT-Personen in Russland. Die Macht dieser Bilder löste zahlreiche Initiativen und Kampagnen gegen dieses Gesetz und die staatlich geförderte Homophobie in Russland aus. Bereits Ende August kam es in vielen Städten – darunter besonders beeindruckend in Berlin („ENOUGH is ENOUGH! – OPEN YOUR MOUTH!“) – zu Demonstrationen vor russischen Einrichtungen. Am 8. September gab es einen weiteren internationalen Aktions- und Protesttag mit Kundgebungen vor russischen Botschaften und Konsulaten – auch die HOSI Wien unterstützte die Demo in der Nähe der russischen Botschaft in Wien (siehe Seite 21).
Die ILGA-Europe forderte in ihrem Aufruf „Keep Hope Alive“ die TeilnehmerInnen des G20-Gipfels in St. Petersburg am 5. und 6. September auf, ihrem Gastgeber Wladimir Putin die Leviten zu lesen. US-Präsident Barack Obama betonte schon in Stockholm bei seinem Zwischenstop auf dem Weg an die Newa, „that our gay and lesbian brothers and sisters must be treated equally under the law“.
Kurz vor seiner Heimreise traf Obama dann am 6. September mit neun VertreterInnen verschiedener russischer Menschenrechts-NGOs zusammen. An diesem Treffen nahm auch Igor Kotschetkow vom Russian LGBT Network teil (vgl. LN 5/2012, S. 32 f). Er drängte gegenüber Obama darauf, die Menschenrechtslage in Russland vehementer anzusprechen. Kotschetkow lobte Obama dafür, dass dieser ein klares Signal ausgesandt habe, dass die Menschenrechte nicht ohne die Probleme der LSBT-Community diskutiert werden könnten. Die Zunahme von Fremdenhass, Homophobie und anti-westlicher Einstellungen habe miteinander zu tun.
Auch die Rufe nach einem Boykott russischer Produkte, vor allem bekannter Wodkamarken, und der Olympischen Winterspiele in Sotschi wurden immer lauter. In New York gossen AktivistInnen medienwirksam Wodka der Marke Stolichnaya auf die Straße. Die Herstellerfirma, die SPI Group mit Sitz in Luxemburg, sah sich sogar veranlasst, in einem offenen Brief an die LSBT-Community am 25. Juli 2013 klarzustellen, dass sie keine russische Firma sei und ihr Wodka in Lettland hergestellt werde. Die Firma wies auf ihre langjährige Unterstützung der LSBT-Community hin und erwähnte u. a. Durban Gay Pride, den Tel Aviv Pride, die Pride-Parade in Wien und namentlich auch die „HOSI, die größte LSBT-Organisation in Österreich“ – wobei die Zusammenarbeit jedoch mit dem CSD Vienna erfolgte, Stolichnaya Vodka war Sponsor des Pride Village!
Inzwischen haben auch ehemalige OlympiateilnehmerInnen und aktive SpitzensportlerInnen eine Initiative – „The Olympic Spirit“ – ins Leben gerufen: Mit ihren Testimonials prangern sie die Untätigkeit des Internationalen Olympischen Komitees an und fordern es auf, Russland zur Einhaltung der Menschenrechte und Olympischen Charta zu zwingen oder die Konsequenzen zu ziehen und dem Land die Winterspiele zu entziehen. Auch Elvira Fischer, zweifache Olympionikin aus dem österreichischen Schwimmteam, hat ihr Testimonial bei dieser Internetkampagne gepostet.
Die Proteste und Aktionen haben mittlerweile eine Dynamik entwickelt, dass es unwahrscheinlich ist, dass das IOC und auch das Österreichische Olympische Comité (ÖOC) ihre beschwichtigende bis ablehnende Haltung zu den Forderungen nach Respektierung der Menschenrechte bis Sotschi aufrechterhalten werden können, ohne beträchtlichen Schaden zu nehmen.
Eine äußerst interessante Analyse des Phänomens dieser meist mit Handys gefilmten und dann ins Internet gestellten Übergriffe auf Schwule liefert der US-Aktivist und Menschenrechtsverteidiger Scott Long auf seinem Blog A Paper Bird. Er beschreibt, dass dieses Phänomen nicht erst mit dem Inkrafttreten des Werbeverbots aufgetreten ist, sondern schon viel länger existiert hat – und eine äußerst negative Variante der Auswüchse der neuen Medien, Reality TV und ähnlichem darstellt. „Pionier“ auf diesem Gebiet war Maksim Marzinkewitsch mit dem Spitznamen „Tesak“ (= das Beil), der diese widerlichen Filmchen auf VK (В Контакте = „in Kontakt“), Russlands Antwort auf Facebook, postete. Wobei sich Marzinkewitsch in den Nullerjahren mit seiner Gruppe Format18 vorerst nur rassistisch betätigte und die sozialen Medien nutzte, um die Übergriffe der Gruppe auf Ausländer und Migranten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. 2008 wurde er wegen Verhetzung verurteilt, er kam ins Gefängnis, Format18 zerfiel in der Folge. Nach seiner Haftentlassung 2011 begann er dann, dieselben Methoden gegen Homosexuelle anzuwenden, wobei er bewusst Homosexualität und Pädophilie vermengte. Marzinkewitsch, testosterongesteuerter Macho, dem die verkappte und verdrängte eigene Homosexualität aus jeder Hautpore zu strömen scheint, rekrutierte zu diesem Zweck Skinheads für eine Bewegung, die sich Occupy Pedophilia (Оккупай Педофилия) nennt.
So verabscheuungswürdig jeder einzelne Übergriff ist, und selbst wenn es Nachahmungstäter geben mag, sollte dennoch nicht der Eindruck entstehen, dass sei die alltägliche Erfahrung aller oder vieler Schwuler in Russland. Man darf auch nicht vergessen, dass das Land über 140 Millionen Einwohner hat. Was jedoch ein massives Problem ist, ist der Umstand, dass schwule Opfer von Kriminellen kaum Verständnis oder gar Unterstützung seitens der Polizei zu erwarten haben. Im Gegenteil: Diese diskriminiert und verhöhnt die Opfer in der Regel ein zweites Mal, wenn sie Anzeige erstatten.
Nachträgliche Anmerkung:
Maksim Marzinkewitsch wurde später zu fünf Jahren Straflager verurteilt, wie ich in den LN 4/2014, S. 24, berichtete:
Russland: Homophober Hetzer verurteilt
Äußerst selten, aber doch erreichen uns auch erfreuliche Nachrichten aus Russland. Maksim Marzinkewitsch, jener homophobe Hetzer mit dem Spitznamen „Tesak“ (= das Beil), der hinter dem Phänomen jener widerlichen und abstoßenden Video-Clips steht, die demütigende und gewalttätige Übergriffe auf russische Schwule zeigen und im Internat auf VK (В Контакте = „in Kontakt“), Russlands Antwort auf Facebook, gepostet wurden (vgl. LN 4/2013, S. 27 ff), ist im August 2014 von einem russischen Gericht zu fünf Jahren Straflager verurteilt worden.
Wie berichtet, hatte sich Marzinkewitsch in den Nullerjahren mit seiner Gruppe Format18 vorerst nur rassistisch betätigt und die sozialen Medien genutzt, um die Übergriffe der Gruppe auf Ausländer und Migranten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. 2008 wurde er wegen Verhetzung verurteilt, er kam ins Gefängnis, Format18 zerfiel in der Folge. Nach seiner Haftentlassung 2011 begann er dann, dieselben Methoden gegen Homosexuelle anzuwenden, wobei er bewusst Homosexualität und Pädophilie vermengte. Marzinkewitsch rekrutierte zu diesem Zweck Skinheads für eine Bewegung, die sich Occupy Pedophilia (Оккупай Педофилия) nannte.
Im Dezember 2013 flüchtete er vor der Strafverfolgung nach Kuba, wurde aber dort verhaftet und im Jänner 2014 an Russland ausgeliefert. Weiteren Mitgliedern der Gruppe Occupy Pedophilia wird derzeit noch der Prozess gemacht.