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Gastkommentar im Falter Nr. 14/2024

Fahnenflucht im Krieg der Sternchen

Veröffentlicht am 3. April 2024
In diesem Gastkommentar erkläre ich, warum ich nach 35 Jahren wieder damit aufhöre, mit Binnen-I zu „gendern“.

Seit rund vier Jahrzehnten wird geschlechtergerechte Sprache angewendet. Als das Thema aufkam, ging es darum, Frauen auch in der Sprache sichtbarer zu machen. Nach 40 Jahren darf man Bilanz ziehen: Hat es etwas gebracht? Ich würde meinen, ja, teilweise: Das allgemeine Bewusstsein wurde sicherlich nachhaltig geschärft, aber für die konkrete Gleichstellung von Frauen sind wohl andere Faktoren maßgeblich.

Diese Ernüchterung ist vermutlich ein Grund, warum widerstandslos zugeschaut wird, wie dieses Anliegen von anderen Gruppen gekapert und in sein Gegenteil verkehrt wird. Durch Erweiterung hin zu „gendergerechter“ Sprache will man nun auch einer subjektiv empfundenen Geschlechtsidentität sprachliche Sichtbarkeit verleihen.

Das führt dazu, dass Frauen zum Teil zurück in die Unsichtbarkeit gestoßen werden – etwa durch die meist lächerlichen Versuche, flächendeckend geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden, etwa Forschende, Arbeitnehmende, Fremdenführende oder Dichtende.

Wenn also der ursprüngliche Zweck wegfällt, stellt sich die Frage, ob man sich „das Gendern“ nicht gänzlich sparen kann. Denn das Sichtbarmachen von Geschlechtsidentitäten jenseits des biologischen Geschlechts erscheint in diesem sprachlichen Zusammenhang völlig willkürlich.

In diesem Sinne stehen Asterisk (*), Unterstrich (_) oder Doppelpunkt (:) strenggenommen nur für intergeschlechtliche Menschen, die weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind – in Österreich keine 2000 Personen. Alle anderen haben ein eindeutiges Geschlecht, auch wenn manche dessen biologische Definition für sich ablehnen.

Jedenfalls gibt es keine wirklich überzeugende Begründung, warum man die Menschen ausgerechnet in ihrer Geschlechtsidentität – als non-binär, genderqueer, Eunuch, androgyn, cisgenderfluid, a-, demi-, libra-, neuro-, pan- und xenogender oder was auch immer – ansprechen bzw. sichtbar machen soll – es gäbe genug andere Identitätsmerkmale.

Darüber hinaus werden neuerdings beim „non-binären Gendern“ Grammatik und Rechtschreibung bewusst ignoriert. Eine Entwicklung, die schleichend und von der breiteren Öffentlichkeit unbemerkt vor sich geht. Die einschlägigen Leitfäden aus dem Hause der Frauenministerinnen Johanna Dohnal und Barbara Prammer haben sprachliche Anforderungen – Stichwort: Weglassprobe – noch hochgehalten. Heute gelten diese nicht mehr – offenbar, weil es zu kompliziert wird.

Als ich mich etwa bei der Österreichischen Post AG über die in mehrfacher Hinsicht missglückte Anrede „Lieber*liebe Kund*in“ beschwerte und ersuchte, als „Kunde“ angesprochen zu werden, wurde mir vom Pressesprecher und von der Diversity-Abteilung mitgeteilt, man habe sich für diese Form „inklusiver“ (sic!) Sprache entschieden, denn diese sei „wertschätzend“, „respektvoll“ und „diskriminierungsfrei“ allen (sic!) Geschlechtern gegenüber – ich möge mich doch gefälligst im Gendersternchen wiederfinden.

Korrekte Genitiv- und Dativformen werden ebenfalls bewusst ignoriert, etwa „des*der Mitarbeiter*in“ statt „des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin“ – gesehen in Texten von Billa, Erste Bank oder ÖBB. Auf der Homepage des Parlaments scheitert man ebenfalls kläglich am „non-binären Gendern“, etwa in der Formulierung: „zum Verhältnis des Parlaments zum/zur Bundespräsident:in“ statt „zum Bundespräsidenten/zur Bundespräsidentin“ – wobei die Artikelpräposition („zum/zur“) hier nur binär gegendert wird – vermutlich, weil „zu:m:r“ oder ähnliche Formen doch zu bescheuert wären.

Da ein entsprechendes grammatisches Instrumentarium, etwa eigenständige non-binäre Artikel, Fürwörter und Artikelpräpositionen, fehlt, kann eine in sich logische und konsistente Umsetzung des non-binären Genderns niemals gelingen. Obige Beispiele sind indes nur einige von vielen Folgeproblemen.

Daher empfiehlt der Rat für deutsche Rechtschreibung, die einzig zuständige Instanz in dieser Frage, keine Formen mit Sonderzeichen zu verwenden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich diese Formen nicht aussprechen lassen. Man fragt und wundert sich, warum sich staatliche Institutionen vom österreichischen Parlament abwärts über derartige Empfehlungen hinwegsetzen.

Ebenso inakzeptabel ist die Anmaßung diverser Diversity-Abteilungen großer Konzerne, neue Grammatik- und Sprachstandards etablieren zu wollen. Es muss die Hölle sein in diesen Firmen: Wer nach den offiziellen Empfehlungen des Rechtschreibrats schreiben will und das Gender-Geschwurbel ablehnt, es gebe mehr als zwei Geschlechter (dies und non-binäres Gendern bedingen ja einander und kommen daher stets im Doppelpack daher), muss fürchten, hinausgemobbt zu werden.

Nicht weniger problematisch ist es, dass man in Österreich offenbar kaum mehr einen akademischen Grad erwerben kann, wenn man darauf besteht, seine wissenschaftlichen Arbeiten nach den Empfehlungen des Rechtschreibrats zu verfassen.

Im staatlichen bzw. öffentlichen Bereich und im Schulunterricht sollten diese Empfehlungen gesetzlich vorgeschrieben werden, wie dies in Niederösterreich oder Bayern bereits der Fall ist. Ebenso muss man gesetzlich vor Nachteilen bei Beachtung dieser Empfehlungen geschützt werden. Die Möglichkeit, mit der Paarform (männlich/weiblich), also binär zu gendern, bleibt davon ja unberührt.

Wir können gerade in Echtzeit miterleben, mit welcher Dynamik sich illiberale Gesinnung undemokratisch Bahn bricht. Missionarisches Sendungsbewusstsein macht sich dabei verblendeten Altruismus, opportunistisches Mitläufertum und apathische Gleichgültigkeit zunutze.

Ich selber habe jetzt rund 35 Jahre lang das Binnen-I verwendet. Angesichts der aktuellen Diskussion und der Bilanz darüber, was durch 40 Jahre „Gendern“ mit Binnen-I letztlich (nicht) bewirkt wurde, kehre ich wieder zum generischen Maskulinum zurück, speziell wenn das Geschlecht der angesprochenen Personen unbekannt oder irrelevant ist. Wenn es inhaltlich geboten ist, werde ich in Zukunft die Paarform verwenden.

 

Anmerkungen:

Dieser Kommentar ist die Kurzfassung eines ausführlicheren Blog-Beitrags vom 10. März 2024.

Link zum Original-Beitrag (Bezahlschranke): https://www.falter.at/zeitung/20240402/der-aktivist-kurt-krickler-gibt-nach-35-jahren-das-binnen-i-auf-warum