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Reisen

Mit dem (Allein-)Reisen begann ich ziemlich früh: 1974 – mit 15 – fuhr ich das erste Mal Interrail – einen Monat allein durch Skandinavien und Finnland. Ich reiste dann jeden Sommer bis inklusive 1979 und dann noch einmal 1984 mit Interrail, wobei ich den Monat immer zur Hälfte zwischen Nordeuropa und jeweils anderen Gegenden in Europa aufteilte. Praktischerweise wurde das Interrail-Höchstalter immer wieder rechtzeitig hinaufgesetzt, zuerst von 19 auf 21, dann auf 26 Jahre, sodass ich nie zu alt dafür wurde. Später wurde die Altersgrenze ganz aufgehoben, und ich löste noch ein paar Mal ein Interrail-Ticket – nicht zuletzt auch für meine „Dienstreisen“.

Interrail war (und ist) eine tolle Möglichkeit, preiswert Europa kennenzulernen – und eine Alternative zum Trampen per Autostopp, was ich für längere Reisen daher eher selten tat, eigentlich nur 1977 quer durch Dänemark und 1978 auf Island. Wenn es sich ergab bzw. die Umstände erforderten, legte ich im Rahmen einer größeren Reise jedoch mitunter die eine oder andere Strecke per Anhalter zurück. Natürlich gehörte zum Interrail-Reisen, in Jugendherbergen zu schlafen oder die Übernachtungskosten überhaupt zu sparen und den Nachtzug zu nehmen – allerdings im Sitzwaggon. Und vor 40 Jahren waren die Nachtzug-Verbindungen im Vergleich zu heute sensationell – man konnte mit Nachtzügen kreuz und quer durch Europa fahren!

Spitzbergen, Juli 2002

Die Reiselust könnte ich von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt haben. Sie reiste auch gerne und lud mich zum ersten Mal 1973 ein, als Reisebegleiter zwei Wochen mit ihr in den Süden zu fliegen. In den nächsten 20 Jahren waren wir vierzehn Mal gemeinsam auf Urlaub, das letzte Mal 1992, da war sie schon über 80. Ich suchte dabei mit Vorliebe für mich damals exotische Ziele aus, wie Zypern, Malta, die Kerkennah-Inseln in Tunesien, Albanien unter Enver Hoxha (1982) oder die Schwarzmeerküste zu Zeiten der Sowjetunion (1985). Ich „kann“ daher auch Pauschalreisen, ziehe es jedoch vor, auf eigene Faust herumzureisen, denn eigentlich ist für mich der Weg das Ziel.

Später kam mir meine Lust am Reisen in meinen Funktionen als Auslands- bzw. Generalsekretär der HOSI Wien, als Mitarbeiter der Österreichischen AIDS-Hilfe, als Vorstandsmitglied von ILGA-Europe, EuroCASO, ÖAIDZ, Club Plus–Menschen und AIDS sowie EPOA sehr zupass, denn es gab stets zahlreiche „Dienstreisen“ zu Tagungen und Veranstaltungen zu absolvieren.

Zweimal war ich als Mitarbeiter der LAMBDA-Nachrichten zu einer Journalistenreise eingeladen: 1991 von einem belgischen Reiseveranstalter zur ersten schwulen Kreuzfahrt in Europa – in acht Tagen ging es ab Venedig über Athen durchs östliche Mittelmeer nach Kuşadası und über Mykonos, Korfu und Dubrovnik wieder zurück nach Venedig (mein Reisebericht findet sich in den LN 3/1991, S. 82). Im März 2007 luden in Vorbereitung der dritten Auflage von Rīgas Praids die lettische LSBT-Organisation Mozaīka und ihr Kooperationspartner Pride London VertreterInnen schwul/lesbischer Medien zu einem zweitägigen Besuch nach Riga ein. Mein Reisebericht erschien im deutschen CSD 07-Magazin und in den LN 3/2007 (S. 26 f).

Nachitschewan (Aserbaidschan), März 2018

Gegeneinladung an meine Gastgeber CARSON PHILLIPS und ALBERTO VOLPATO zum Regenbogenball 2017, links von mir Andreas Schnitzer aus Kärnten

Herberge bei FreundInnen

Gerade in der „Frühzeit“ der internationalen Bewegung in den 1980er und 1990er Jahren fuhren die meisten Leute (auch ich) auf eigene Kosten zu den Tagungen, und so war es üblich, bei Bekannten und FreundInnen gratis zu übernachten, um diese Ausgaben niedrig zu halten. Heute nennt man das wohl „couch surfing“, aber eben unter Fremden.

In meiner besten Zeit gab es kaum eine Hauptstadt in Europa, wo ich nicht bei befreundeten Aktivisten und Aktivistinnen absteigen konnte. Bei manchen tue ich das bis heute, etwa bei KJELL RINDAR, einem ehemaligen langjährigen Aktivisten beim schwedischen Verband RFSL. Er gab mir 1981 das erste Mal Quartier, und seither wohne ich immer bei ihm, wenn ich in Stockholm aufschlage. Fast ebenso lang ist PÉTER BOKOR mein Gastgeber in Budapest, und in Lissabon ist es seit über zwei Jahrzehnten ANTÓNIO SERZEDELO – um nur einige zu nennen.

 

Die von mir am meisten in Anspruch genommene Gastfreundschaft ist jene ALBERTO VOLPATOs, der mich in meiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der ILGA-Europa (1997–2003) ständig beherbergte, wenn ich in Brüssel zu tun hatte, was über 80mal der Fall war. Er überließ mir seine Wohnungsschlüssel auf Dauer, und so kam und ging ich, wann immer ich wollte. Später war Alberto in Moskau stationiert (er arbeitete für die EU-Kommission), und ich nutzte die Gelegenheit, ihn dort zwischen 2006 und 2014 zehnmal zu besuchen, nicht nur zum Gay Pride, sondern auch privat. Er hat mir die Stadt gezeigt, die seither neben Kopenhagen und Stockholm (und natürlich abgesehen von Wien, der lebenswertesten Stadt der Welt) zu meinen absoluten Lieblingsstädten gezählt hat.

In Genf fand ich Unterschlupf bei HELMUT EICHINGER (1949–2022), in New York bei ADRIAN COMAN und CLAY HAMILTON und in Toronto bei CARSON PHILLIPS. Daraus sind Freundschaften entstanden, Alberto und Adrian waren zudem einige Zeit gemeinsam mit mir im Vorstand der ILGA-Europa tätig. Diese Gastfreundschaften waren sehr wichtig, um überhaupt die vielen Lobbying-Aktivitäten durchführen zu können, denn weder ich noch die HOSI Wien noch die ILGA-Europa hätte dies damals in dem Umfang finanzieren können.

 

TIraspol (Transnistrien), Mai 2005

Bermuda, April 2009

Das Quartiergeben beruht selbstverständlich auf Gegenseitigkeit – ich habe ebenfalls oft Gäste aus dem Ausland bei mir beherbergt und tue das bis heute: Die „Pension Krickler“ ist nach wie vor populär, wenn auch nicht so gut „ausgelastet“ wie früher.

Ab 1986 unternahm ich viele Reisen mit dem Motorrad. Seit ich mit dem Motorradfahren aufgehört habe, reise ich viel (zu viel) mit dem Flugzeug, weil es am billigsten ist. Meine Interrail-tågskryt früherer Jahre ist dadurch allerdings der flygskam gewichen. In Sachen Fliegen bin ich zum echten Schnäppchenjäger geworden. Und so habe ich es in meiner mittlerweile mehr als 50-jährigen Reise-Tätigkeit auf mehr als 1500 (Einzel-)Flüge gebracht und dabei mehr als 580 Flughäfen und Flugplätze heimgesucht, was natürlich einen furchtbaren ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Ich habe deswegen auch ein ganz schlechtes Gewissen, tröste mich aber damit, dass ich ansonsten ein total spartanisches, asketisches und ressourcenschonendes Leben führe, da ich ein überzeugter und bekennender Konsumverweigerer bin. In den 2010er Jahren habe ich es geschafft, im Durchschnitt rund 90 Tage pro Jahr auf Auslandsreisen zu sein. 2020 waren es dann coronabedingt nur mehr 25 Tage, 2021 aber immerhin schon wieder 48 und 2022 80 Tage.

 

Viele Reisegewohnheiten von damals habe ich bis heute nicht abgelegt. Ich nehme statt eines Rollkoffers noch immer lieber den Rucksack – heute natürlich einen, der auf die Handgepäcksmaße der Billigfluglinien geeicht ist. Und wenn es der(en) Flugplan verlangt, verbringe ich auch schon einmal eine Nacht auf einer Flughafenbank – inzwischen kann ich dazu Erfahrungsberichte zu einigen Dutzend Flughäfen beisteuern (ganz schlimm Athen: Beschallung mit schrecklicher und lauter Musik die ganze Nacht!). Und noch heute übernachte ich in Jugendherbergen, um das Reisebudget zu schonen. Mein absolutes Lieblingsreiseziel ist ja bis heute Nordeuropa geblieben, und die fünf nordischen Länder zählen bekanntlich nicht unbedingt zu den preiswertesten Destinationen. Aber irgendwie bin ich da süchtig und bekomme Entzugserscheinungen, wenn ich ein paar Monate nicht im Norden gewesen bin.

 

Solowezki-Inseln im Weißen Meer (Russland), Juli 2014

Pantelleria (Italien), Februar 2009

Beirut, Jänner 2012

Fogo (Kapverden), Jänner/Februar 2014

Miquelon (Saint-Pierre-et-Miquelon), Juli/August 2006

Gotska Sandön (Schweden), Juli 2012