EuroCASO – Europäischer Dachverband nichtstaatlicher AIDS-Organisationen
Begonnen hat alles mit der Ersten Internationalen Tagung über AIDS-Service-Organisationen und ihre Rolle in der HIV/AIDS-Politik und in HIV/AIDS-Programmen, die Anfang März 1989 in Wien stattfand (vgl. LN 2/1989, S. 29). Die Weltgesundheitsorganisation WHO wollte ihre Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen AIDS-Hilfen intensivieren, denn auch ihr war nicht entgangen, daß in vielen Ländern der Welt nicht die Regierungen bzw. die Gesundheitsbehörden die führende Rolle im Kampf gegen AIDS spielten, sondern private, nichtstaatliche Einrichtungen. Die WHO finanzierte die Tagung zwar, wollte aber nicht als offizielle Veranstalterin auftreten, um die regierungsunabhängigen AIDS-Hilfen nicht zu verschrecken. Als Partnerin für dieses Vorhaben bot sich damals die Österreichische AIDS-Hilfe (ÖAH) an, die die Tagung schließlich mitorganisierte.
Bei diesem ersten Wiener Treffen (es sollten weitere folgen) wurde eine gemeinsame Erklärung über die Anliegen, Ziele und Probleme sowie über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen AIDS-Service-Organisationen (kurz: ASOs) und WHO verabschiedet (Dokument WHO/GPA/-INF/89.10). Eine weitere wichtige Entscheidung der rund 50 anwesenden VertreterInnen von AIDS-Hilfe-Organisationen war, sich international zu vernetzen und zusammenzuschließen. Die in Wien erarbeiteten Ergebnisse sind später in eine Resolution eingeflossen, die die 42. Weltgesundheitsversammlung, eine Art Parlament der WHO, im Mai 1989 in Genf verabschiedete. In dieser Resolution Nr. 42.34, Nongovernmental Organizations and the Global AIDS Strategy, wurden erstmals von einer so wichtigen Organisation wie der WHO die Bedeutung und die Arbeit der AIDS-Hilfen im Kampf gegen AIDS gewürdigt und die Mitgliedsstaaten der WHO aufgefordert:
– VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (kurz: NGOs) in nationale AIDS-Komitees und andere staatliche Institutionen, die sich dem Kampf gegen AIDS widmen, aufzunehmen,
– den bedeutenden Beitrag anzuerkennen, den nichtstaatliche Organisationen bei der Erstellung, Umsetzung und Evaluierung von nationalen AIDS-Plänen leistet können,
– relevanten nichtstaatlichen Organisationen angesichts ihrer Bedürfnisse und ihrer finanziellen und technischen Ressourcen Unterstützung zu gewähren.
Im Juni 1989 fand dann unmittelbar vor der V. Internationalen AIDS-Konferenz in Montréal ein weiteres internationales Treffen von MitarbeiterInnen in NGOs, ASOs und CBOs (community-based organizations), wie sie in Nordamerika auch genannt werden, statt. Dabei wurde das sogenannte Manifest von Montréal verabschiedet, eine Erklärung der allgemeinen Rechte und Bedürfnisse von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken. Der Wiener Vorschlag, einen Internationalen Rat von AIDS-Service-Organisationen (ICASO) zu gründen, wurde aufgegriffen und weitergeführt. Ein neunköpfiges Komitee aus VertreterInnen der verschiedenen Weltregionen wurde gewählt, um den Plan zu konkretisieren.
Die europäischen TeilnehmerInnen – wie auch jene aus anderen Kontinenten – kamen aber auch zur Ansicht, daß parallel eine regionale Vernetzung erfolgen sollte. Zu diesem Zweck vereinbarte das WHO-Europabüro mit der ÖAH, ein regionales europäisches Workshop zu veranstalten. Dieses fand im Oktober 1989 in Wien statt. Regionale ASO-Tagungen fanden 1989/90 auch in Südamerika, Afrika und im asiatisch-pazifischen Raum statt. Auf dem zweiten Wiener Treffen wurde beschlossen, einen Europäischen Rat von AIDS-Hilfe-Organisationen (ECASO, später EuroCASO) ins Leben zu rufen. Ein siebenköpfiges Ad-hoc-Komitee wurde bestellt. Wie im ICASO-Komitee war auch in diesem ein Mitarbeiter der ÖAH vertreten.
Als eine der ersten wichtigen konkreten Aufgaben der beiden Netzwerke ergab sich zu dieser Zeit die Organisierung des weltweiten Boykotts der VI. Internationalen AIDS-Konferenz in San Francisco im Juni 1991. Bekanntlich zwingen die US-Einreisebestimmungen HIV-Positive dazu, ihren HIV-Status den Konsularbehörden bekanntzugeben und um eine Ausnahmegenehmigung für die Einreise anzusuchen (vgl. LN 2/1990, S. 55). Aus Protest gegen diese Bestimmungen wurde die Konferenz von nichtstaatlichen Gruppen und auch von einigen Regierungen boykottiert. Aus diesem Grund mußte auch die geplante internationale ASO/NGO/CBO-Konferenz abgesagt werden, die wie ein Jahr zuvor unmittelbar vor der „großen“ Konferenz stattfinden hätte sollen. Sie wurde dann Anfang November 1990 in Paris nachgeholt. ICASO und EuroCASO haben es im übrigen auch immer als eine ihrer Hauptaufgaben betrachtet, das inhaltliche Programm internationaler Mainstream-Konferenzen in einer Weise zu beeinflussen, daß es auch die Arbeit und Realität der ASOs und der Betroffenen widerspiegelt bzw. für diese interessant wird.
Im Oktober 1990 hatte die ÖAH wieder ein europäisches ASO-Workshop organisiert, das in Form einer Zukunftswerkstatt ablief. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die EuroCASO-Charter, sozusagen die Statuten, angenommen. Die ÖAH, die schon bisher informell als Sekretariat fungiert hatte, wurde offiziell als solches bestimmt. Ein neues Arbeitskomitee, dem auch ein Vertreter der ÖAH als Sekretariat angehörte, wurde gewählt. Zwischen den beiden europäischen Workshops in Wien fanden auch vier europaweite themenzentrierte, von den Europäischen Gemeinschaften finanzierte Seminare für ASO-MitarbeiterInnen statt. Die EG und die WHO stellen die wichtigsten Zusammenarbeitspartner für EuroCASO dar. Zur Aufgabe des Sekretariats gehört es vor allem, den Informationsaustausch durchzuführen. Zu diesem Zweck wurden regelmäßig Aussendungen an alle Gruppen verschickt, die sich EuroCASO angeschlossen haben. Später wurde diese Aussendungen durch ein Bulletin ersetzt, den EuroCASO Newsletter, von dem mittlerweile vier Ausgaben erschienen sind. Der Newsletter berichtet über wichtige Ereignisse in den einzelnen Ländern, über Diskriminierungen, ruft zu Protestaktionen auf; er dient als Projektbörse, als Bazar bzw. Flohmarkt, um Angebote und Suchanzeigen aufzugeben und Zusammenarbeiten zu initiieren, als Kontaktstelle und Relaisstation. Der Newsletter informiert ferner über bevorstehende Kongresse und Veranstaltungen.
Mit der Auflösung der ÖAH konnte das EuroCASO-Sekretariat nicht länger in Wien bleiben und übersiedelte provisorisch nach Oslo. Auf der dritten EuroCASO-Tagung, die vom 21. bis 26. Oktober 1991 in Prag stattfand, wurde beschlossen, das Sekretariat bei der Northern Ireland AIDS Helpline in Belfast anzusiedeln. In Prag konnten die Mitglieder des Arbeitskomitees, das sich zwischen den jährlichen Tagungen in der Regel zweimal trifft, auch recht Erfreuliches berichten: Eine Vertreterin war eingeladen worden, am Treffen der nationalen AIDS-KoordinatorInnen aller europäischen Länder, also der Verantwortlichen in den Gesundheitsministerien, teilzunehmen und die Anliegen und Vorstellungen der ASOs einzubringen. EuroCASO wird auch in Zukunft an diesen Tagungen teilnehmen, ebenso wie an den zweimal im Jahr stattfindenden gemeinsamen Treffen von verantwortlichen ExpertInnen des WHO-Europabüros, der EG und des Europarats, die von diesen internationalen Organisationen nunmehr institutionalisiert worden sind. Dies stellt einen ganz wichtigen Erfolg in der Lobbyarbeit auf europäischer Ebene dar.
In Prag wurde auch wieder ein neues, sechsköpfiges Arbeitskomitee gewählt, das in den zwölf Monaten bis zur nächsten EuroCASO-Tagung die Geschäfte führen soll. Diesem Komitee gehören zwei Osteuropäer (Zsuzsa Szabó von der Budapester Positivengruppe Pluss und Igor Jewsjukow von der Moskauer Organisation Anti-SPID Pljus, einer Einrichtung von Crocus International), zwei Vertreter aus EG-Ländern (Petra Narimani von der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin und Davide Austin von der Filiale der Lega italiana per la lotta contro l’AIDS (LILA) in Vicenza) sowie zwei Vertreter vom Rest Europas (Michael Häusermann von der AIDS-Hilfe Schweiz und ich vom Österreichischen AIDS-Informations- und Dokumentationszentrum (ÖAIDZ) an.
Als besonders wertvoll hat sie EuroCASO für Organisationen in Osteuropa und kleinen Staaten, in denen es kaum eine Tradition der privaten, nichtstaatlichen sozialen Arbeit gibt, etwa in Zypern, herausgestellt. Auch die Zusammenarbeit mit der WHO hat unübersehbare Früchte getragen. Das Europabüro setzt immer mehr auf die Zusammenarbeit mit NGOs und AIDS-Hilfen. So empfiehlt die WHO, 15 % der Geldmittel, die für AIDS-Programme in den osteuropäischen Ländern zur Verfügung stehen, NGOs für deren Aktivitäten zu überlassen. Die WHO achtet verstärkt darauf, daß osteuropäische ASO-VertreterInnen zu Mainstream-Tagungen eingeladen werden, speziell zu solchen, die von der WHO mitveranstaltet werden, so etwa einer Tagung über Telefonberatung (AIDS hotlines) in Warschau im Dezember 1991.
Der anfangs erwähnten Resolution 42.34 und dem Manifest von Montréal aus dem Jahre 1989 folgten zahlreiche weitere Empfehlungen und Entschließungen diverser AIDS-Konferenzen und Institutionen, in denen die Rolle der ASOs unterstrichen und die Rechte der Betroffenen sowie deren Schutz vor Diskriminierung festgeschrieben worden sind, so zuletzt die Prager Erklärung. Sie wurde auf der Paneuropäischen Konsultation über HIV/AIDS im Kontext öffentliches Gesundheitswesen und Menschenrechte, die vom 26. bis 27. November 1991 in Prag stattfand, verabschiedet. An dieser von der International Association of Rights and Humanity in Zusammenarbeit mit dem WHO-Europabüro organisierten Konsultation nahmen AIDS-KoordinatorInnen aus 22 europäischen Staaten teil. Wenn auch all diese Empfehlungen keinen bindenden Charakter für die einzelnen Staaten haben, so stellen sie doch ein wichtiges Werkzeug für die Arbeit von Positivengruppen, AIDS-Hilfen, Selbsthilfegruppen, Lesben- und Schwulenorganisationen usw. dar. Sie sind wertvolle Argumentationshilfen. Welche GesundheitsbeamtInnen möchten schon ernsthaft offen anderer Meinung sein als die ExpertInnen der WHO oder als die KollegInnen im Ausland? Einzelne Gesundheitsbehörden werden sich auch schwer tun, gegen den Rest der Welt zu argumentieren. Die Kenntnis der internationalen Entwicklungen, der Einstellungen und Meinungen sowie der internationalen Dokumente zum Schutz von Hauptbetroffenengruppen, HIV-Infizierten und AIDS-Kranken ist dabei aber unabdingbare Voraussetzung. EuroCASO hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Informationen europaweit zu streuen und den Mitgliedsorganisationen, zu denen auch die HOSI Wien zählt, zugänglich zu machen. Denn Wissen ist Macht.