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Hoffnung in Rumänien

Veröffentlicht am 16. Juli 1992
Im Mai 1992 reiste eine internationale „Besuchsdelegation“ nach Bukarest, um mit VertreterInnen der ersten, jüngst gegründeten Lesben- und Schwulengruppe Total Relations zusammenzutreffen und sich einen Einblick in die aktuelle Lage für Lesben und Schwule in Rumänien zu verschaffen. Ich berichtete darüber ausführlich in den LN 3/1992.

Pressekonferenz im rumänischen Gesundheitsministerium (v. l. n. r.): Dr. Zolotusca (Ministerium), HENNING MIKKELSEN (WHO), ich (EuroCASO) und RUSS GAGE (IGLHRC)

Russ, ich und John vor dem Eingang des Justizministeriums

Mit AktivistInnen von „Total Relations“, des ersten rumänischen Lesben- und Schwulenvereins, der am 11. März 1992 offiziell zugelassen wurde.

Am Flughafen Bukarest-Otopeni: HENNING MIKKELSEN, ich, JEAN GUTUNOI, RĂZVAN TEODORESCU, RUSS GAGE und JOHN CLARK

Rumänien war bekanntlich bis zum Sturz Nicolae Ceaușescus hinsichtlich der Unterdrückung von homosexuellen Frauen und Männern das repressivste Land in Europa (vgl. LN 1/1985, S. 35 ff, sowie LN 1/1988, S. 41). Das Totalverbot lesbischer und schwuler Handlungen wurde bis heute nicht aufgehoben. Da seit der Revolution auch sonst keine einschlägigen Nachrichten aus Rumänien nach Westen drangen, lag es nahe, selbst hinzufahren, um die Situation vor Ort zu erkunden. Wie bereits in den LN 2/1992 (S. 48 f) angekündigt, waren HOSI-Wien-Mitarbeiter mit von der Partie.

Vorbereitet wurde diese Fact-Finding-Mission von der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC), einer international tätigen Lesben- und Schwulengruppe in San Franzisko, und zwar von einem schwulen Exil-Rumänen, der für diese Gruppe arbeitet und dem die HOSI Wien Kontakte zu Schwulen in Rumänien vermittelte. Unterstützt wurde er dabei von der International Lesbian and Gay Association (ILGA), für die ihr Generalsekretär JOHN CLARK für vier Tage in die rumänische Hauptstadt reiste. Für IGLHRC war RUSS GAGE nach Europa gekommen, er blieb am längsten (zwei Wochen) in Rumänien. Die ILGA konnte auch HENNING MIKKELSEN vom Europabüro der Weltgesundheitsorganisation WHO in Kopenhagen dafür gewinnen, ebenfalls an diesem „Visit“ teilzunehmen, um AIDS-spezifische Themen in die offiziellen Gespräche einzubringen. Allerdings hatte er nur zwei Tage Zeit für diese Mission. Ich, der als Vertreter des European Council of AIDS Service Organisations (EuroCASO) [vgl. LN 1/1992, S. 55 ff] an dem gemeinsamen internationalen Besuch teilnahm, hielt mich hingegen sechs Tage in Bukarest auf. Letzte Vorbereitungsgespräche zwischen den ausländischen Besuchern und drei VertreterInnen der jüngst gegründeten rumänischen Lesben- und Schwulengruppe Total Relations (vgl. LN 2/1992, S. 49) konnten am Rande der 6. ILGA-Osteuropatagung geführt werden, die vom 1. bis 3. Mai in Preßburg stattfand (vgl. Bericht auf S. 46 f) und zu der alle Beteiligten angereist waren.

Auf dem Besuchsprogramm in Rumänien standen nicht nur ein Treffen mit unseren „GastgeberInnen“, den Lesben- und SchwulenaktivistInnen von Total Relations, sondern auch Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen, Parlamentariern, der erst vor kurzem gegründeten AIDS-Hilfe sowie mit hochrangigen Vertretern des Gesundheits- und Justizministeriums.

Die wichtigsten offiziellen Gespräche waren ohne Zweifel jene im Gesundheitsministerium, die Henning Mikkelsen arrangiert hatte. Wir trafen mit Vizeminister Dr. Beldescu und seinen für AIDS zuständigen Beamten Dr. Zolotusca zusammen. Die beiden sind sich klar darüber, daß in der AIDS-Prävention viel zu tun wäre, aber angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage stehen nicht einmal genügend Mittel zur Verfügung, um HIV-Test-Kits einzukaufen. Im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung wissen sie auch, daß AIDS in Rumänien in Zukunft keine auf vernachlässigte Babys beschränkte, sondern ebenfalls eine in erster Linie sexuell übertragbare Krankheit sein wird.

Auf Vermittlung Dr. Zolotuscas trafen wir auch mit der engagierten Leiterin der erst im April 1992 gegründeten Anti-AIDS-Vereinigung ARAS (Asociația Română Anti-SIDA) zusammen. Obwohl sie Leiterin des staatlichen Instituts für Hygiene und öffentliches Gesundheitswesen ist, ist ARAS ein unabhängiger Verein, in dem etliche engagierte StudentInnen ehrenamtlich mitarbeiten und der bereits ein beachtliches Konzept entwickelt hat, das in Hinblick auf die darin enthaltenen Ansätze sowie auf die ihnen zugrunde liegenden Philosophie und Ideologie keinen Vergleich mit westlichen Programmen zu scheuen braucht. ARAS möchte auch verstärkt mit den neuentstandenen unabhängigen Radios zusammenarbeiten, weil das staatliche Radio und Fernsehen so schwerfällig ist. Dies sollten wir später selbst merken.

Und dann gelang es uns, alle an einen Tisch zu kriegen: die Beamten aus dem Gesundheitsministerium, die MitarbeiterInnen der ARAS und die Schwulenaktivisten. Da letztere immer noch sehr vorsichtig agieren, wurde ein neutraler Ort als Treffpunkt gewählt: der Platz vor einem Hotel in Bukarest. Wie dann alle nach einander eintrudelten, mutete wie eine Szene aus einem mittelmäßigen Spionagefilm an. Als sich schließlich alle miteinander bekannt gemacht hatten, setzten wir uns – wohl zu fünfzehnt – in das naheliegende Café im Hotel Continental. Und alle verstanden sich sofort prächtig – wenn der Schein nicht trog, wurde dort der Grundstein für eine gute Zusammenarbeit zwischen rumänischer AIDS-Hilfe und Schwulen- und Lesbenbewegung gelegt.

Am nächsten Tag, dem 14. Mai, lud das Gesundheitsministerium zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Vertretern von ARAS, WHO, IGLHRC und EuroCASO/ILGA ein. Das Ministerium lockte die Medien mit dem aufsehenerregenden Titel „AIDS, Homosexualität und Strafrecht“. Und die Medien kamen zahlreich, darunter zwei Kamerateams des rumänischen Fernsehens. Doch – wie uns „unsere“ engagierten Gastgeber, RĂZVAN TEODORESCU und JEAN GUTUNOI, die beiden Initiatoren von Total Relations, prophezeiten – brachte keines der Medien irgendeinen Bericht darüber – dafür war das Thema immer noch zu heiß! Erst am 19. Mai kam dann ein kurzer Bericht in einer Tageszeitung, die gar keinen Reporter zur Pressekonferenz geschickt hatte. Ein zweiter Bericht erschien später in einer medizinischen Wochenschrift [Viața Medicală vom 22. Mai 1992]. Das Interesse der erschienenen JournalistInnen war zwar sehr groß, allerdings ließen ihre Fragen und Kommentare erkennen, daß der allgemeine Informationsstand zur Homosexualität etwa demjenigen in Österreich vor 40, 50 Jahren entspricht.

Ein weiteres wichtiges Gespräch führten Russ, John und ich sowie CAMELIA DORU von Total Relations mit hochrangigen Beamten des Justizministeriums, darunter Unterstaatssekretär Lucian Stîngu. Sie erklärten uns, daß § 200 des rumänischen Strafgesetzes seit der Revolution von 1989 nicht mehr angewendet werde und daß alle nach diesem Gesetz verurteilten Personen im Zuge der allgemeinen Amnestie aus den Gefängnissen entlassen worden wären. Eine Auskunft, die die AktivistInnen von Total Relations bestätigten. Mit einer baldigen Abschaffung des § 200 sei allerdings nicht zu rechnen, denn die Regierung ist nur mehr kurz im Amt (Wahlen sind für Juli 1992 vorgesehen) und werde in diesem Bereich sicher nichts mehr tun – und das Parlament ist mit seinem Arbeitsprogramm so heillos in Verzug, daß auch von dort keine entsprechenden Initiativen zu erwarten sind. Niemand wird sich jetzt in den Vorwahlzeiten an einem solchen heißen Eisen die Finger verbrennen wollen. Stîngu selbst bezweifelt, daß er nach den Wahlen noch auf seinem Posten sitzen werde. Für den Fall, daß er nicht abgelöst wird, versprach er uns, daß der Paragraph bei unserem nächsten Rumänien-Besuch nicht mehr existieren werde.

Das einzige, was kurzfristig Abhilfe schaffen könnte, sei im übrigen internationaler Druck, gaben die Herren unumwunden zu. Würde der Europarat, um dessen Mitgliedschaft Rumänien sich bewirbt, die Aufhebung des § 200 zur Bedingung machen, wäre dieser am nächsten Tag abgeschafft!

Weitere Gespräche wurden mit Cazimir Ionescu, dem Sekretär der Abgeordnetenkammer, sowie mit MitarbeiterInnen der Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (Liga Apărării Drepturilor Omului, LADO) und einzelnen Journalisten geführt. Die LADO-Leute hatten sich mit dem Thema Lesben- und Schwulenrechte noch nicht beschäftigt, was angesichts der Lage der Menschenrechte in Rumänien irgendwie sogar nachvollziehbar ist, sagten aber zu, dies in Zukunft zu tun.

Was die aktuelle alltägliche Lage von Lesben und Schwulen betrifft, so hat sich nicht viel verändert. Zwar ist das früher allgegenwärtige Damoklesschwert über ihren Köpfen gewichen, aber die Menschen sind nach wie vor mißtrauisch und vorsichtig. Der neuen Regierung und dem jetzigen Präsidenten traut man nicht. Solange das Gesetz existiert, kann es jederzeit angewendet werden. Deshalb gibt es kaum rumänische Lesben und Schwule, die offen leben. Die meisten sind verheiratet. Es gibt keine Treffpunkte, auch die AktivistInnen von Total Relations kommen in Privatwohnungen zusammen. In der Bevölkerung herrschen die alten Vorurteile, die die Indoktrinierung der Ceaușescu-Ära so verfestigt hat. In den Medien ist das Thema immer noch ein großes Tabu, obwohl immerhin vereinzelt Artikel über Homosexualität erschienen sind. Für Rumäniens Lesben und Schwule wird es noch ein langer dornenvoller Weg sein, bis sie wenigstens das erreicht haben werden, was wir uns schon errungen haben.

Die gemeinsame „Mission“ von ILGA, IGLHRC, WHO und EuroCASO nach Bukarest war sicherlich eine wichtige Unterstützung, deren Auswirkungen erst in der Zukunft zu spüren sein werden. Und dennoch war er nur einer von noch vielen zu machenden Schritten. Und das muß uns klar sein: Nur mit diesen vielen kleinen Schritten werden wir ans Ziel kommen. Sie sind die Mosaiksteinchen, die dann irgendwann das gewünschte Bild ergeben werden.

Und dieser gemeinsame Besuch hat auch gezeigt, welche fruchtbringende und befriedigende Zusammenarbeit zwischen den einzelnen internationalen Gruppen möglich ist. In dieser Hinsicht war der Rumänien-Trip ein Musterbeispiel, dem hoffentlich noch viele ähnliche Projekte folgen werden.

 

Nachträgliche Anmerkungen:

Die Aussage der Mitarbeiter des Justizministeriums, § 200 werde nicht mehr angewendet, sollte sich im Laufe des Jahres 1992 aber als Lüge erweisen. Es stellte sich nämlich das Gegenteil heraus, § 200 war keineswegs totes Recht. Ein Mitarbeiter des Justizministeriums räumte ein, daß 72 Personen wegen Homosexualität bzw. versuchter homosexueller Handlungen eine Haftstrafe absitzen. Und in einem Radiointerview gab ein Mitarbeiter des Innenministeriums zu, dass allein 1992 47 Personen deswegen verhaftet worden seien. Aus diesem Grund protestierten die TeilnehmerInnen der ILGA-Europatagung, die vom 27. bis 31. Dezember 1992 in Brüssel stattfand, vor dem rumänischen Tourismusbüro in der belgischen Hauptstadt (vgl. LN 1/1993, S.56 ff). SCOTT LONG, einem US-Aktivisten, gelang es später, einige der Inhaftierten im Gefängnis zu besuchen (vgl. LN 2/1993, S. 40).

Bis zur Aufhebung des § 200 sollte es dann tatsächlich noch mehr als neun Jahre, bis zum Dezember 2001 dauern. Näheres zu dieser Saga und ihrem merkwürdigen Ende in meinem Beitrag in den LN 1/1994, S. 56 ff – samt den „nachträglichen Anmerkungen“ ebendort.