Kein Fortschritt in Rumänien
Obwohl Rumänien nur unter der Auflage, das Totalverbot homosexueller Handlungen abzuschaffen, in den Europarat aufgenommen wurde, denken Regierung und Parlament offenbar nicht daran, dies zu tun. Im Gegenteil!
Rumänien gehört, neben Albanien, Belarus, Bosnien-Herzegowina, Zypern, Mazedonien, Moldova und Serbien zu jenen acht von zur Zeit 45 europäischen Staaten, die immer noch ein Totalverbot homosexueller Handlungen in ihrem Strafgesetz aufweisen. Rumänien ist das einzige dieser Länder, in dem dieses Totalverbot auch für lesbische Sexualität gilt und das dieses Totalverbot noch anwendet (vgl. LN 2/1993, S. 40). Rumänien war übrigens auch das einzige Ostblockland, in dem sich die Gesetzeslage für Lesben und Schwule unter der kommunistischen Herrschaft verschlechtert hat!
Rumänien in den Europarat aufgenommen
Anläßlich der Bewerbung Rumäniens um Mitgliedschaft im Europarat hat die International Lesbian and Gay Association (ILGA) eine großangelegte Kampagne gestartet, an der auch die HOSI Wien prominent beteiligt war (vgl. LN 3/1993, S. 60 f, und LN 4/1993, S. 54). Diese Lobbyarbeit war schließlich von Erfolg gekrönt. Zwar haben die Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung (PV) des Europarats am 28. September 1993 für die Aufnahme Rumäniens gestimmt, aber aufgrund der Lobbyarbeit der ILGA wurden zwei Zusatzanträge angenommen, durch die Rumänien verpflichtet wird, das Totalverbot außer Kraft zu setzen.
Der eine Antrag lautete: § 200 des Strafgesetzes wird einvernehmliche homosexuelle Handlungen im privaten Bereich zwischen Erwachsenen nicht mehr als kriminellen Straftatbestand bewerten. Der andere Antrag lautete: Gemäß der von den rumänischen Behörden eingegangenen Verpflichtungen fordert die Versammlung die rumänischen Behörden auf, Verbesserungen der Lage in den Gefängnissen durchzusetzen und die Bestrafung von Homosexuellen zu beenden…
Der Rumänien-Berichterstatter des Europarats, ÖVP-Abgeordneter Friedrich König, griff in seiner Rede vor der PV das Thema ebenfalls auf: Die Frage der Homosexualität betrifft das Recht auf Achtung des Privatlebens. Zweifellos verletzt § 200 des rumänisches Strafrechts Artikel 8 unserer Menschenrechtskonvention. Dieser Paragraph muß reformiert werden oder Rumänien muß einen Vorbehalt zur Konvention machen. Ich habe erfahren, daß eine Verbesserung vorbereitet wird, aber ich habe einige Zusatzanträge vorgelegt, um dies zu garantieren.
Auch andere Abgeordnete kamen in der Debatte auf diese Frage zu sprechen.
Schließlich schloß sich das Ministerkomitee am 4. Oktober 1993 der Empfehlung der PV an und votierte für die Aufnahme Rumäniens als 32. Mitgliedsland des Europarats. Außenminister Teodor Meleșcanu und die Generalsekretärin des Europarats, Catherine Lalumière, unterzeichneten am 7. Oktober, dem Vorabend des Ersten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten, in Wien die Beitrittserklärung. Meleșcanu unterzeichnete bei dieser Gelegenheit auch die Europäische Menschenrechtskonvention, die aber noch vom rumänischen Parlament ratifiziert werden muß, um für Rumänien Gültigkeit zu erlangen. Dafür hat das Parlament noch bis Ende 1994 Zeit.
„Negative“ Reformen
Die „Verbesserungen“, die König in seiner Rede in Straßburg erwähnte, verdienen indes diese Bezeichnungen nicht. Am 3. September hatte nämlich die rumänische Regierung ihren Reformvorschlag dem Senat des Parlaments vorgelegt. Dieser sieht vor, daß homosexuelle Handlungen „nur mehr“ dann strafbar sind, wenn sie „öffentliches Ärgernis“ erregen.
Dies würde der Rechtslage gemäß dem Strafgesetzbuch König Carols II. aus 1937 entsprechen – nicht gerade ein Fortschritt! Der Strafrahmen bliebe mit 1 bis 5 Jahren Haft unverändert. Die Strafrahmen für die Begehung homosexueller Handlungen unter Gewaltanwendung oder mit Personen, die sich nicht wehren oder mitteilen können, oder wenn sie den Tod oder Selbstmord des „Opfers“ zufolge hätten, wurden in der Regierungsvorlage wesentlich hinaufgesetzt (bis zu 20 Jahren Haft!). Sie sieht auch die Beibehaltung des Tatbestands der „öffentlichen Anstiftung bzw. Ermunterung oder Verleitung zu all den vorgenannten Straftatbeständen vor, wofür Strafen von 1 bis 5 Jahren Gefängnis vorgesehen sind.
Aber es kam noch schlimmer: Der Justizausschuß des Senats verschärfte die Regierungsvorlage in drei Punkten: 1. Homosexuelle Handlungen sollen verboten bleiben, auch wenn sie kein öffentliches Ärgernis erregen; 2. wenn sie dies tun, sollen sie mit 2 bis 7 Jahren Gefängnis bestraft werden; 3. der Strafrahmen für homosexuelle Handlungen eines Volljährigen mit einem Minderjährigen solle von 2–7 Jahren auf 3–10 Jahre hinaufgesetzt werden. Der Entwurf des Senats würde damit sogar eine Verschärfung gegenüber der bestehenden, ohnehin drakonischen Gesetzeslage bedeuten! Dieser Entwurf muß jetzt noch im Plenum des Senats und in der Abgeordnetenkammer behandelt werden.
ILGA alarmiert
Diese Vorschläge haben natürlich die ILGA abermals alarmiert. Sie stellten in der Tat eine offene Provokation des Europarats dar, denn eine derartige Reform war wohl nicht beabsichtigt, als Rumänien verpflichtet wurde, § 200 zu reformieren. Friedrich König hatte in einem Telefonat mit der HOSI Wien auf die sogenannte Halonen-Order (# 488/93) aufmerksam gemacht, die vorsieht, daß die von den neuen Mitgliedsstaaten des ehemaligen Ostblocks eingegangenen Verpflichtungen auch verwirklicht werden. Mit dieser Richtlinie beauftragt die PV die beiden zuständigen Komitees (für politische Angelegenheiten sowie für rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte), halbjährlich zu überprüfen, ob diesen Verpflichtungen nachgekommen wurde. Auf diese Order beruft sich die ILGA nunmehr, um den Europarat zu Aktionen gegen Rumänien zu bewegen. Verschiedene Mitgliedsorganisationen, darunter die HOSI Wien, haben sofort den in diesen beiden Komitees vertretenen Europaratsabgeordneten ihrer Länder von diesen Reformplänen berichtet und sie zu entsprechenden Gegenmaßnahmen aufgefordert. Die HOSI Wien hat auch an den stellvertretenden Generalsekretär des Europarats, den Österreicher Peter Leuprecht, diesbezüglich geschrieben.
Pressekonferenz in Bukarest
Am 23. November 1993 organisierte die Lesben- und Schwulengruppe innerhalb der rumänischen Menschenrechtsorganisation SIRDO (Societatea Independentă Română a Drepturilor Omului) eine Pressekonferenz zur geplanten Reform des § 200 und zur Mißachtung der gegenüber dem Europarat eingegangenen Verpflichtungen. Die Pressekonferenz fand in den Räumen von SIRDO in Bukarest statt und war von MedienvertreterInnen gut besucht. SprecherInnen auf der Pressekonferenz waren INGRID, die Generalsekretärin der Lesben- und Schwulengruppe innerhalb von SIRDO (Comisia pentru drepturile minorităţilor sexuale), RĂZVAN ION, SIRDOs Programmdirektor für Lesben- und Schwulenfragen und Herausgeber von Gay 45, Rumäniens erster und einziger Lesben- und Schwulenzeitschrift, deren zweite Ausgabe vor kurzem erschien, SCOTT LONG von der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) in San Francisco, die das ILGA-Aktionssekretariat leitet, und der Autor dieser Zeilen, der die ILGA vertrat (und für den dies bereits die zweite einschlägige Pressekonferenz in Bukarest war – vgl. LN 3/1992, S. 50 f):
An den beiden nächsten Tagen brachten fünf Tageszeitungen recht ausführliche Artikel [hier Faksimiles aus Adevărul, România liberă und Cotidianul vom 24. 11. 1993]. Auch Radio und Fernsehen berichteten über die Pressekonferenz. Unsere Botschaften, die Vorschläge zur Reform des § 200 seien ein inakzeptabler Affront gegen den Europarat und die internationale Lesben- und Schwulenbewegung würde dagegen mobil machen, kamen jedenfalls deutlich rüber.
Es war übrigens die zweite Pressekonferenz der Lesben- und Schwulengruppe von SIRDO. Am 14. Juli 1993 hatte sie ihre erste abgehalten und damit ein enormes Medienecho ausgelöst.
Internationales Seminar
Anlaß für die Pressekonferenz im November war u. a. ein internationales Seminar mit dem Titel „Anpassung des rumänischen Strafrechtssystems an internationale Standards“, das vom 23. Bis 25. November 1993 von der niederländisch/britischen Organisation Penal Reform International (PRI) gemeinsam mit SIRDO und mittels finanzieller Unterstützung aus dem PHARE-Programm (der Europäischen Gemeinschaft) zur Förderung demokratischer Strukturen im ehemaligen Ostblock organisiert wurde. ExpertInnen aus Westeuropa und Rumänien wurden eingeladen, Vorträge zu Themen wie Strafrechtsreform, Jugendstrafvollzug, Frauen im Strafvollzug oder die Lage in den Gefängnissen zu halten. Unter den rumänischen TeilnehmerInnen waren VertreterInnen des Gerichtssystems (Staatsanwaltschaft, Richterschaft, RechtsanwältInnen) des Justizministeriums, der Strafvollzugsbehörden (Gefängnisdirektoren), internationaler Organisationen, ausländischer Botschaften, von Menschenrechtsorganisationen sowie Parlamentarier.
Eine Vortragseinheit war dem Thema Homosexualität und der Reform des § 200 gewidmet. Răzvan Ion und der Autor dieser Zeilen als Vertreter der ILGA hielten dazu Referate. In der anschließenden Diskussion betonte der Vertreter des Justizministeriums, dieses wäre gegen die vorgelegten Reformvorschläge, aber Rumänien hätte nun eben eine demokratisch gewählte Regierung und ein ebensolches Parlament, die nun entscheiden müßten. Die LN werden jedenfalls weiter berichten.
Nachträgliche Anmerkungen:
Und das taten sie, die LN, dann auch regelmäßig – fast in jeder Ausgabe gab es aktuelle Nachrichten dazu. Allerdings war die Strafrechtsreform in Rumänien eine fast ähnlich lange Saga wie die österreichische. Erst im Dezember 2001 wurde § 200 des rumänischen Strafgesetzes aufgehoben, wie ich in den LN 2/2002, S. 32, berichtete:
Ende Jänner 2002 wurde bekannt, daß das rumänische Parlament bereits vor Weihnachten – offenbar absichtlich mit großer Diskretion – nicht nur die letzten lesben- und schwulendiskriminierenden Strafrechtsbestimmungen abgeschafft, sondern auch ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat. Rumänien, das in diesen Fragen bisher als äußerst rückständig gegolten hat, hat sich damit in Sachen Gleichstellung von Lesben und Schwulen von einem der hintersten Plätze ins vordere Mittelfeld unter den europäischen Staaten katapultiert und auch Österreich weit hinter sich gelassen. Die HOSI Wien nahm dies am 2. Februar 2002, dem Tag der Großkundgebung gegen Blau-Schwarz, zum Anlaß, in einer Aussendung Rumänien und der rumänischen Bewegung zu diesem Schritt zu gratulieren und die österreichische Bundesregierung zur Nachahmung aufzufordern.
In der erwähnten Presseaussendung kann man auch die Details dieser fast geheimen Staatsaktion nachlesen.
Auf dem langwierigen Weg zur völligen Abschaffung des § 200 hat der rumänische Verfassungsgerichtshof am 15. Juli 1994 das Totalverbot als verfassungswidrig erkannt – allerdings mit der Einschränkung, dass dies nicht für homosexuelle Handlungen gelte, die „öffentliches Ärgernis“ erregen oder „in der Öffentlichkeit“ begangen werden (vgl. LN 4/1994, S. 48). In diesem Sinne wurde § 200 dann Ende September 1996 wesentlich reformiert: Die Neufassung des § 200 sah die Bestrafung homosexueller Handlungen „nur mehr“ dann vor, wenn diese „öffentliches Ärgernis“ erregten oder mit Unter-18-Jährigen erfolgten (das Hetero-Schutzalter lag und liegt bei 14 Jahren). Außerdem ahndete der neue § 200 die Vereinsgründung, Werbung und Verleitung („Proselytismus“) zur Homosexualität ebenfalls mit Gefängnisstrafe von einem bis zu fünf Jahren (vgl. LN 1/1997, S. 44).
In folgenden Ausgaben haben die LAMBDA-Nachrichten über die – auch vielen internationalen – Bemühungen für die Abschaffung des § 200 berichtet:
2/1994, S. 58
3/1994, S. 73
4/1994, S. 48
1/1995, S. 46 ff
3/1995, S. 56 f
4/1995, S. 42
1/1996. S. 42 ff
4/1996, S. 34
1/1997, S. 44
3/1998, S. 47
2/1999, S. 43 f
3/2001, S. 41
2/2002, S. 32.