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ILGA-Europe gegründet

Veröffentlicht am 14. Januar 1997
Auf der 18. Europatagung der International Lesbian and Gay Association (ILGA) Ende Dezember 1996 in Madrid wurde nach jahrelanger Vorarbeit ihr europäischer Regionalverband endlich aus der Taufe gehoben. Ich wurde in seinen achtköpfigen Vorstand gewählt. In den LN 1/1997 berichtete ich darüber.

Prunkvolles Madrid...

...bis hin zur Dachdekoration

Zwischen Weihnachten und Neujahr tagte traditionsgemäß die ILGA-Europakonferenz, diesmal in der spanischen Hauptstadt – hervorragend organisiert von den AktivistInnen des Colectivo de Gais y Lesbianas de Madrid (COGAM).

Wichtigster Tagesordnungspunkt war die Debatte und Verabschiedung der Statuten für einen unabhängigen Europaverband sowie eines Arbeitsprogramms für das erste Jahr. Dem ILGA-Weltverband gehören ja bekanntlich über 400 Lesben- und Schwulenorganisationen in rund 75 Staaten in allen fünf Erdteilen an. Um die Aktivitäten der Organisation besser koordinieren und den Bedürfnissen der Mitglieder in den einzelnen Kontinenten anpassen zu können, war bereits bei der Weltkonferenz in Rio 1995 die Gründung von unabhängigen Regionalverbänden beschlossen worden (vgl. LN 3/1995, S. 59 f). Dies ist nun nach zweijähriger Vorbereitungsarbeit (vgl. LN 1/1995, S. 48; LN 1/1996, S. 42 ff) für Europa erfolgt.

 

Vorstandswahl

Der von der im Vorjahr eingesetzten Arbeitsgruppe vorbereitete Statutenentwurf wurde in Madrid diskutiert, abgeändert und schließlich angenommen. ILGA-Europa wird ihren Sitz in Brüssel haben und von einem achtköpfigen, geschlechterparitätisch zusammengesetzten Vorstand geleitet, der in Madrid zum ersten Mal gewählt wurde. Dem ersten Vorstand gehören an: MILI HERNÁNDEZ vom gastgebenden COGAM, MILUŠ KOTIŠOVÁ von der tschechischen Organisation SOHO, JACKIE LEWIS von der Lesben- und Schwulengruppe innerhalb der britischen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes UNISON sowie HANNELE LEHTIKUUSI [1960–2004] vom finnischen Verband SETA; unter den fünf männlichen Kandidaten wurden gewählt: STEFFEN JENSEN aus Dänemark (LBL), der gemeinsam mit Jackie Lewis die Statuten ausarbeitete, ENRIC VILÀ vom katalanischen Dachverband CGL, MARK WATSON von der Londoner Lobby-Gruppe Stonewall und HOSI-Wien-Mitarbeiter Kurt Krickler. Da das belgische Vereinsrecht verlangt, daß mindestens ein Vorstandsmitglied belgische/r Staatsbürger/in ist, wurde PIERRE NOËL in der ersten Vorstandssitzung als Mitglied ohne Stimmrecht in den Vorstand kooptiert; Jackie und Kurt wurden bis zur nächsten Sitzung im April zu den beiden Ko-Vorstandsvorsitzenden bestellt.

Hauptaufgabe von ILGA-Europa wird es sein, bei europäischen Organisationen, allen voran bei der Europäischen Union, für die Menschenrechte von Lesben und Schwulen einzutreten und gegen Diskriminierung wegen sexueller Orientierung zu kämpfen. Konkretes Nahziel ist etwa, die Aufnahme eines entsprechenden Passus in den neuen EU-Vertrag zu erreichen (vgl. Bericht auf Seite 21). ILGA-Europa wird auch die Entwicklung von Lesben- und Schwulenorganisationen speziell in Osteuropa und manchen südeuropäischen Ländern unterstützen. In der ersten Funktionsperiode werden leider auch noch etliche bürokratische Aufgaben zu erledigen sein: Anmeldung des Vereins in Brüssel, Erarbeitung eines Entwurfs für eine Geschäftsordnung, die im Herbst 1997 auf der 19. Europakonferenz in London beschlossen werden soll (ab nun wird die Europakonferenz im Herbst und nichtmehr in den letzten Tagen des Jahres stattfinden) sowie die Errichtung eines Büros in Brüssel. Das in Madrid verabschiedete Arbeitsprogramm wurde federführend von HEIN VERKERK von der niederländischen Gruppe COC (und Mitarbeiter der Grünen im Europa-Parlament) erarbeitet – COC fungierte ja im letzten Jahr als ILGA-Europasekretariat.

Es wird übrigens keine eigene Mitgliedschaft bei ILGA-Europa geben. Alle europäischen ILGA-Mitglieder sind automatisch Mitglieder von ILGA-Europa. Allerdings bleiben die Mitgliedsbeiträge im Weltverband, was heißt, daß sich der europäische Regionalverband um andere Einnahmequellen umsehen wird müssen. Das wird wohl auch erste Priorität sein.

 

ILGA-Europatagung 1998 in Linz

Die Ausrichtung der 20. ILGA-Europatagung 1998 wurde an die Homosexuelle Initiative (HOSI) Linz vergeben, die ERNST STROHMEYER in Madrid vertrat. Linz mußte gegen Lissabon konkurrieren, aber die portugiesische Gruppe war zum erstenmal bei einer ILGA-Tagung, was natürlich ein Nachteil ist. Als eine Testabstimmung im Workshop für Linz ausging, zog Lissabon seine Bewerbung zurück. Hauptargument für Linz war die billige und leichte Erreichbarkeit der oberösterreichischen Landeshauptstadt für potentielle TeilnehmerInnen aus ganz Mittel- und Osteuropa. In Madrid beschränkte sich die Teilnahme aus diesem Teil Europas auf Miluš aus Tschechien und einen Vertreter der rumänischen Gruppe ACCEPT – eine echte Schande. Linz wird nach den 1983, 1989 und 1993 in Wien stattgefundenen Konferenzen die vierte ILGA-Tagung in Österreich sein.

Die perfekte Organisation durch COGAM erstreckte sich nicht nur auf die Tagung im Viersternehotel Príncipe de Vergara, sondern auch auf das abendliche Rahmenprogramm – dreimal wurde die Tagung zum Abendessen in lesbisch-schwule Restaurants bzw. ins COGAM-Zentrum ausgeführt, was die anschließenden Besuche in der reichlich vorhandenen Subkultur, die sich in der Altstadt konzentriert, erleichterte.