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EU: Richtlinie und Aktionsprogramm vor Verabschiedung

Veröffentlicht am 17. Oktober 2000
2000 war das Jahr großer Erfolge auf EU-Ebene – Früchte jahrelangen Lobbyings konnten geerntet werden. Darüber konnte ich in den LN 4/2000 aus erster Hand berichten, da ich in meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der ILGA-Europa in dieses Lobbying involviert war, wobei deren wichtigste Unterstützerin damals die HOSI Wien war.

Insgesamt S 300.000,– an Förderungen konnte die HOSI Wien bei österreichischen Ministerien zur Ko-Finanzierung der ersten beiden wichtigen ILGA-Europa-Projekte aufstellen: „Gleichstellung von Lesben und Schwulen – eine relevante Frage im zivilen und sozialen Dialog“ (1998)...

...und „Der Vertrag von Amsterdam – neue Möglichkeiten für den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung durch Artikel 13 EGV“ (1999).

Im Oktober 2000 gingen nicht nur die Arbeiten an der EU-Grundrechtscharta in eine entscheidende Phase, auch die beiden noch offenen Teile der EU-Kommissionsvorschläge zur Umsetzung des Artikels 13 EG-Vertrag standen im Oktober zur endgültigen Verabschiedung an: die Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und der Beschluß des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen (2001–2006). Das dritte Element der Kommissionsvorschläge, die Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, wurde – wie berichtet (vgl. LN 3/2000, S. 31 f) – vom Rat bereits im Juni 2000 verabschiedet und ist mittlerweile im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (L 180 vom 19. Juli 2000) veröffentlicht worden.

Die Rahmenrichtlinie gegen Diskriminierung in Beruf und Beschäftigung und das Aktionsprogramm sind auch für Lesben und Schwule wichtig, da sie „sexuelle Orientierung“ berücksichtigen. Am 5. Oktober hat das Europäische Parlament in Straßburg mit großer Mehrheit seine sehr guten und erfreulichen Berichte und Entschließungen zu diesen beiden Vorschlägen erörtert und angenommen. Allerdings hat das EP in dieser Frage kein Mitentscheidungsrecht, sondern wird nur angehört. Seine Beschlüsse haben daher bestenfalls den Charakter von Empfehlungen. Die ILGA-Europa hat im August dennoch ein Positionspapier zu den Details der Kommissionsvorschläge sowie konkrete Abänderungsanträge zu den einzelnen Berichten für die Debatten in den verschiedenen Ausschüssen sowie im Plenum ausgearbeitet und wichtigen EP-Abgeordneten übermittelt. Auch den relevanten Kommissionsstellen wurde das Papier übermittelt, denn die Kommission sollte eigentlich nach der Konsultation des EP ihre Vorschläge an den Rat noch einmal überarbeiten und dabei die EP-Empfehlungen berücksichtigen. Danach wird die Arbeitsgruppe des Rates, in dem die Regierungen der 15 Mitgliedsstaaten vertreten sind, und die seit dem Frühjahr die Kommissionsvorschläge ebenfalls diskutiert hat, eine letzte Sitzung abhalten und ihre Arbeit beenden. Es ist geplant, daß Richtlinie und Aktionsprogramm dann beim Treffen des Sozialministerrates am 17. Oktober endgültig verabschiedet werden.

Sollten Richtlinie und Aktionsprogramm beschlossen werden, dann wäre das ein Riesenerfolg für die europäische Lesben- und Schwulenbewegung, die durch ihr fünfjähriges konsequentes und professionelles Lobbying nicht unwesentlich daran beteiligt war. Das geht zurück bis ins Jahr 1995 und die Vorbereitungen auf die Regierungskonferenz, die schließlich zum Amsterdamer Vertrag führte, in den schließlich der Nichtdiskriminierungs-Artikel (13 EGV) inklusive „sexueller Orientierung“ aufgenommen wurde, und reicht eben bis zu den aktuellen Bemühungen, wirksame gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt zu erlassen. Die LN haben stets aktuell und ausführlich über diese Bemühungen und Entwicklungen berichtet. Auch die HOSI Wien war in diesen Lobbying-Prozeß involviert und hatte auch in der Endphase im September mehrmals mit der österreichischen Vertreterin in der Arbeitsgruppe des Rates, einer Mitarbeiterin des Sozialministeriums, telefoniert, um die Anliegen von Lesben und Schwulen in Zusammenhang mit den beiden Projekten zu erläutern.

 

Kontroverse Debatten

Über die Details der Richtlinie – Beweislastverschiebung, Vorkehrungen gegen Viktimisierung, Sanktionen/Strafen, Entschädigungen, Organe zum Rechtsbeistand und zur Rechtsdurchsetzung – wurde in der Arbeitsgruppe des Rates bis zuletzt heftig diskutiert. Besonders kontroversiell waren die vorgeschlagenen Ausnahmen. Schon die Kommission hat in ihrem Vorschlag vorgesehen, daß die Mitgliedsstaaten für religiöse Arbeitgeber Ausnahmen vorsehen können, also unterschiedliche Behandlung keine Diskriminierung darstellt, wenn sie durch ein bestimmtes Merkmal begründet ist, das mit der Religion oder dem Glauben zusammenhängt, und wenn dieses eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt. Eine katholische Schule könne also einen protestantischen Religionslehrer ungestraft diskriminieren. Aber was ist mit dem Geographielehrer, oder dem Schulwart und der Putzfrau – müssen die auch katholisch sein und womöglich zur Sonntagsmesse gehen? Und was ist mit religiösen Einrichtungen wie der Caritas oder religiös geführten Seniorenheimen und Spitälern? Während der Kommissionsvorschlag hier sehr restriktiv war, wollte speziell das Vereinigte Königreich die „wesentlichen beruflichen Anforderungen“ nicht nur auf das Glaubensbekenntnis, sondern auch auf das Verhalten erweitern (also offen Homosexuelle, auch wenn sie die passende Konfession hätten, wären vom Diskriminierungsschutz ausgeschlossen) und überdies auf alle Tätigkeiten und Stellen in religiösen Einrichtungen ausgedehnt wissen, also auch auf die Mathematiklehrerin und den Krankenpfleger.

Zu schreibender Stunde ist nicht bekannt, worauf man sich im Rat nun einigen wird. Die LN planen aber, in der nächsten Ausgabe die Richtlinie im vollen Wortlaut zu veröffentlichen.

 

Österreich muß handeln

Nach der Veröffentlichung der verabschiedeten Richtlinie im Amtsblatt der EG hat die österreichische Bundesregierung dann vermutlich drei Jahre Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen (diese Frist wird in der Richtlinie selbst festgelegt; da sie für die im Juni beschlossene Anti-Rassismus-Richtlinie drei Jahre beträgt, ist auch mit drei Jahren für die Beschäftigungsrichtlinie zu rechnen). Österreich muß also Gesetze gegen die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Personen in der Arbeitswelt u. a. wegen ihrer sexuellen Orientierung erlassen. Das entspricht quasi dem seit langem geforderten Antidiskriminierungsgesetz, allerdings nur für den Bereich des Arbeitsmarktes. Aber es wird an uns und den anderen betroffenen Interessenvertretungen, speziell der behinderten und älteren Menschen, liegen, ob Österreich sich auf das absolute Minimum der Richtlinie beschränkt oder ob daraus ein umfassendes Gesetz wird, das auch vor Diskriminierung in anderen Bereichen schützen soll, etwa beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen.

Noch können wir uns also nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen weiter Druck machen, damit diese einmalige Gelegenheit optimal für uns genützt wird.

 

Basisfinanzierung für ILGA-Europa

Das zu beschließende Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund der in Artikel 13 angeführten Gründe für die Jahre 2001–2006 soll ein Budget von € 98,4 Millionen (1,354 Milliarden Schilling) haben. Wie die LN ebenfalls berichteten (vgl. # 1/0000, S. 24), stellt das Programm eher auf Großprojekte ab, die Mindestförderungssumme ist bei € 200.000,– festgelegt. Das Programm sieht vor, Projekte in drei Aktionsbereichen zu fördern. Im Aktionsbereich 2 ist die Basisfinanzierung relevanter Nichtregierungsorganisationen, die über Erfahrungen mit der Bekämpfung von Diskriminierungen und der Vertretung diskriminierter Personen auf europäischer Ebene verfügen, vorgesehen, und zwar mit dem Ziel, die Ausarbeitung eines integrierten und koordinierten Konzepts für den Kampf gegen Diskriminierungen zu fördern.

Diese Bestimmung ist geradezu maßgeschneidert für eine Basisfinanzierung für die ILGA-Europa. Da sie überdies die einzige NGO ist, die auf europäischer Ebene gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung kämpft, ist es ziemlich klar, daß ILGA-Europa für die Jahre 2001 bis 2006 potentielle Nutznießerin des Aktionsprogramms sein wird. Basisfinanzierung bedeutet im EU-Zusammenhang Geld für Infrastruktur, Angestellte, Tagungen und regelmäßige Publikationen. Normalerweise erhalten NGOs Förderungen nur für die Durchführung konkreter Projekte, die über die laufenden Tätigkeiten hinaus gehen, wobei nur ein gewisser, kleiner Prozentsatz zur Abdeckung sogenannter Overhead-Kosten verwendet werden darf.

Daß die ILGA-Europa offensichtlich auch für die zuständigen Dienststellen der Kommission die Partnerin der Wahl für den Bereich „sexuelle Orientierung“ ist, ergibt sich nicht nur aus den regelmäßigen Kontakten und der guten Zusammenarbeit der letzten dreieinhalb Jahre, sondern auch aus dem Umstand, daß der Antrag der ILGA-Europa auf Förderung im Rahmen eines Vorläuferprojekts von der Kommission positiv beschieden wurde.

Im April 2000 hatte die ILGA-Europa einen Antrag auf Förderung in der Höhe von € 216.000,– (knapp drei Millionen Schilling) gestellt, und zwar im Rahmen des Aufrufs zur Einreichung von Projekten VP/2000/004 zur Unterstützung der Koordinierungsaktivitäten von Organisationen, die auf europäischer Ebene im Kampf gegen Diskriminierung aktiv sind. Im August erhielt ILGA-Europa die Nachricht, daß der Antrag in voller Höhe genehmigt wurde.

Das Projekt beginnt am 1. Dezember 2000 und dauert zwölf Monate. Mit diesem Geld will die ILGA-Europa u. a. in Brüssel ein Büro anmieten, zwei MitarbeiterInnen anstellen, 50 Personen die Teilnahme an der Jahreskonferenz 2001 und ein zweitägiges Treffen von 20 AktivistInnen, die zu einem starken Kern von Kontaktpersonen in den 15 EU-Mitgliedsstaaten aufgebaut werden sollen, finanzieren. Außerdem beinhaltet das vorgelegte Budget die Herausgabe einer Broschüre, einer zu gründenden vierteljährlichen Publikation der ILGA-Europa und des Jahresberichts 2000/2001 sowie die Kosten für rund 20 Reisen nach Brüssel und Straßburg.

Der Haken bei der Sache ist allerdings, daß die ILGA-Europa einen Anteil von 20 % des Gesamtbudgets, d. s. € 54.000,– (S 743.000,–) tragen muß, und zwar in bar. Daran könnte das Projekt noch eventuell scheitern – noch ist der Vertrag nicht unterzeichnet, aber der Autor dieser Zeilen ist optimistisch, daß der Vorstand diese Chance nicht ungenützt lassen wird.

Der Anteil der sogenannten Ko-Finanzierung war auch eine der wichtigsten Fragen in Zusammenhang mit dem Aktionsprogramm. Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag eine 10%ige Ko-Finanzierung durch den Antragsteller vorgesehen. Im Haushaltsausschuß des Parlaments wurden dann sogar 30 % vorgeschlagen. Der Berichterstatter über das Aktionsprogramm für den EP-Ausschuß für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten, der offen schwule EP-Abgeordnete MICHAEL CASHMAN (Labour), hingegen hat in seinem Bericht zehn Prozent vorgeschlagen. Hoffentlich bleibt’s letztlich dabei, denn 20 Prozent Ko-Finanzierung aufzustellen wäre für die ILGA-Europa auch in den Jahren bis 2006 ein ziemlich großes Problem.

 

Wichtige Rolle der HOSI Wien

Mit der Gewährung erwähnter Förderung wurde die ILGA-Europa endgültig als die europäische Lesben- und Schwulenlobby anerkannt. Das ist ohne Zweifel ein großer Erfolg des Vorstands und aller Mitgliedsorganisationen, die ihn in seiner Arbeit unterstützt haben. Das konsequente Lobbying und die regelmäßige Präsenz der ILGA-Europa-Vorstandsmitglieder in Brüssel und Straßburg haben sich bezahlt gemacht (allein der Autor dieser Zeilen reiste in den letzten dreieinhalb Jahren in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender fast 50mal nach Brüssel). Die meisten Organisationen, die eines der Vorstandsmitglieder gestellt haben, mußten für deren Reisekosten in die Tasche greifen, da die ILGA-Europa nicht genug Geld hatte.

Die HOSI Wien war indes sicherlich die wichtigste Sponsorin von ILGA-Europa-Aktivitäten. Nicht nur, daß sie meine Reisen in den ersten beiden Jahren mit S 50.000,– unterstützt hat und damit eine nicht unwesentliche Starthilfe, sogenanntes seed money, gegeben hat, hat die HOSI Wien in Österreich auch Geld zur Ko-Finanzierung zweier Projekte aufgestellt, ohne die die ILGA-Europa nicht das Ansehen erwerben hätte können, das sie heute in Brüssel genießt. Insgesamt S 300.000,– an Förderungen hat die HOSI Wien bei österreichischen Ministerien für die ILGA-Europa-Projekte Gleichstellung von Lesben und Schwulen – eine relevante Frage im zivilen und sozialen Dialog (vgl. LN 3/1998, S. 41 f) und Der Vertrag von Amsterdam – neue Möglichkeiten für den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung durch Artikel 13 EGV (vgl. LN 4/1999, S. 29) locker machen können. Die HOSI Wien hat also allen Grund, auf ihre weitsichtigen Entscheidungen und ihre bisherige Unterstützung und damit auf ihren Anteil am Erfolg der ILGA-Europa stolz zu sein.