Kommentar der anderen im Standard
Ceterum censeo: Karthago ist nicht Buchenwald
Man mag sich ja Rudolf Burgers episch breiten Ausführungen, die man, salopp, mit „Schwamm drüber“ zusammenfassen könnte, irgendwann einmal anschließen können, aber noch ist es zu früh für seine Begründung, real sei die „Nazizeit so versunken wie Karthago“. Erst vorige Woche, am 6. Juni, feierte sie im Nationalrat fröhliche Urständ, als die (schwarz-blaue) Regierung mit fadenscheinigen und zynischen Begründungen es zum x-ten Mal ablehnte, schwulen und lesbischen NS-Verfolgten einen Rechtsanspruch auf Entschädigung nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) zu gewähren. Man müsse erst prüfen, ob es überhaupt noch lebende Betroffene gibt – also prüfen, ob die bisherige Strategie, die Sache so lange hinauszuzögern, bis die Frage sich auf natürlich-biologische Weise von selbst gelöst hat, auch aufgegangen ist.
Solange es noch Verfolgte des NS-Regimes gibt, die bis heute keinen Rechtsanspruch auf „Wiedergutmachung“ haben, muss man Burger mit Vehemenz widersprechen. Solange es vermutlich noch etliche Österreicher gibt, die – wie die homosexuellen NS-Verfolgten – auch heute noch jeden Monat, wenn ihnen die Pension überwiesen wird, individuell daran erinnert werden, dass ihnen ihre Zeit im KZ nicht einmal als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet worden ist – im Gegensatz zu ihren Peinigern, den SS-Wärtern, bei denen dies mit ihrer „Dienstzeit“ im KZ sehr wohl geschah –, können wir auch kollektiv als Schwule und Lesben das Erinnern an diese Opfergruppe nicht einstellen.
Bis heute warten wir auf eine offizielle Würdigung der Verfolgung von Homosexuellen und eine entsprechende Entschuldigung durch Regierung und Nationalrat. Und bis eine solche Erklärung erfolgt, müssen wir jedes „Plädoyer für das Vergessen“ zurückweisen.
Bis heute hat es auch gebraucht, die erste Ausstellung über die NS-Verfolgung von Homosexuellen in Österreich zusammenzustellen: Sie wird nun am Donnerstag, den 14. Juni 2001 im Rahmen von Europride von der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien am Heldenplatz eröffnet werden. Wie wichtig das Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus bisher den offiziellen Stellen gewesen ist, zeigt sich im Übrigen daran, dass die HOSI Wien für diese Ausstellung weder von der Bundesregierung noch von der Stadt Wien einen Groschen Subvention bekommen hat. Man sieht also: Was das Gedenken an die homosexuellen NS-Opfer betrifft, stehen wir nicht am Ende, sondern erst am Anfang.
Anmerkung: Der Text nimmt Bezug auf folgenden Beitrag: https://derstandard.at/614981/Die-Irrtuemer-der-Gedenkpolitik
Link zum Original-Beitrag: https://derstandard.at/614953/Ceterum-censeo-Karthago-ist-nicht-Buchenwald