Debattenbeitrag in der Volksstimme Nr. 47/2001
Fürsorgliche Unterdrückung?
Nach der bisherigen Debatte scheint es angebracht, einige grundsätzliche Missverständnisse auszuräumen: Zum einen sind „schmalspurige Homophilenvereine wie die HOSI Wien“ (Eike Stedefeldt) nicht angetreten, um die Weltrevolution inklusive Beseitigung des Kapitalismus und Patriarchats durchzusetzen, sondern um gegen Diskriminierung von Lesben und Schwulen und für ihre Gleichstellung und Gleichberechtigung, inklusive die rechtliche Anerkennung ihrer Partnerschaften, zu kämpfen. Zum anderen ist es ein Mythos, dass Schwule, Lesben und Bisexuelle qua ihrer Homosexualität bzw. ihres homosexuellen Verhaltens automatisch die Avantgarde der sexuellen Befreiung wären und damit bewusst die herrschende Gesellschaftsordnung in Frage stellten. Das Gegenteil trifft eher zu: Aus naheliegenden Gründen – um in Ruhe gelassen bzw. trotz ihres „Makels“ „geachtet“ zu werden – sind sie oft besonders angepasst.
Von Schwulen und Lesben zu fordern, doch lieber für die Abschaffung der Ehe zu kämpfen, als dieses patriarchale Unterdrückungsinstrument für sich in Anspruch nehmen zu wollen, erscheint mir hochgradig zynisch – ungefähr so, als verlangte man von den Frauen, sich erst gar nicht damit aufzuhalten, Chancengleichheit in der Arbeitswelt erreichen zu wollen, sondern doch lieber gleich für die Beseitigung der ausbeuterischen kapitalistischen Lohnarbeit zu kämpfen. Wobei die Abschaffung der Ehe genauso (un)realistisch ist und erschwerend hinzukommt, dass weit und breit keine nennenswerte gesellschaftliche Kraft, geschweige denn eine Volksbewegung der Heterosexuellen zu sehen ist, die als Verbündete im Kampf gegen die Ehe beistehen würden. Käme daher ein solches Ansinnen von unseren GegnerInnen, würde uns das nicht überraschen. Dass es von fortschrittlichen Kräften kommt, ist angesichts der trüben Aussicht auf Umsetzung eigentlich noch perfider. Dass es auch von Homosexuellen kommt, ist nur damit zu erklären, dass sie entweder aus verinnerlichtem Selbsthass oder masochistischer Wollust auf ewig in der Märtyrerrolle der ausgegrenzten Randgruppe verharren und/oder obigen Mythos vom „kultur- und gesellschaftskritischen, teilweise utopischen Gehalt schwuler Lebensformen“ pflegen wollen – als ob alle Heteros ihr ganzes Leben lang in ein und derselben Zweierkiste lebten! Ich frage mich auch, ob die EhegegnerInnen genauso argumentieren würden, existierten ähnliche Eheverbote für jüdische, schwarze oder behinderte MitbürgerInnen und wehrten diese sich dagegen.
Mir ist auch nicht klar, was die Abschaffung der Ehe eigentlich bringen soll, wenn zugleich unverheiratete Paare und Lebensgemeinschaften dann ohnehin in den Genuss aller damit verbundenen Rechte kommen (sollen). An den grundsätzlichen Abhängigkeitsverhältnissen in Zweierbeziehungen würde sich dadurch ja nicht das geringste ändern. Es würden also bloß die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt. Gleichgeschlechtliche Paare erleben jedenfalls durch die Nichtanerkennung ihrer Partnerschaften im Alltag viele Nachteile. Diese Benachteiligungen – besonders massiv spürbar, wenn die Partnerin/der Partner aus einem Nicht-EWR-Land kommt, im Todesfall, im Wohn- und Mietrecht – werden von vielen Lesben und Schwulen als inakzeptabler Eingriff in ihr Leben und ihre Menschenrechte empfunden. In erster Linie geht es dabei gar nicht so sehr ums Heiraten, sondern darum, dieselben Rechte wie heterosexuelle Paare zu haben – ob mit oder ohne Trauschein ist eher nebensächlich, daher darf’s auch gerne eine eingetragene Partnerschaft sein.
Für die HOSI Wien ergeben sich auch einige pragmatische Überlegungen: Die Öffnung der Ehe wie in den Niederlanden zu verlangen hieße angesichts der Scheidungsbestimmungen – ein/e Partner/in kann die Scheidung bis zu sechs Jahre blockieren (siehe Fall Klestil) –, an den Bedürfnissen gleichgeschlechtlicher Paare vorbeizufordern. Unsere Forderungen mit Aspekten zu überfrachten, in denen die konservativen GegnerInnen eine Unterminierung der Ehe sehen, ist, weil kontraproduktiv, ebenfalls zu vermeiden. Daher erscheint uns die Schaffung eines eigenen Rechtsinstituts, der eingetragenen Partnerschaft (EP) nach nordischem Modell nur für gleichgeschlechtliche Paare, mit denselben Rechten und Pflichten wie für die Ehe, aber adäquateren Trennungsbestimmungen – bei gleichzeitiger Gleichstellung homo- mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften – am zielführendsten.
Sollten die bestehenden Ehe- und Scheidungsgesetze entsprechend modernisiert werden, wäre uns auch die Öffnung der Ehe recht. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob es noch eine EP – für verschieden- und gleichgeschlechtliche Paare – bräuchte. In den Niederlanden besteht ja zwischen der Ehe und der EP, die dort ja für Homos und Heteros gelten, nur ein einziger Unterschied: in der Zeremonie am Standesamt. Auf keinen Fall wäre für uns jedoch eine EP für alle als Zwischenstufe zwischen Ehe und Lebensgemeinschaft mit erheblich weniger Rechten als für die Ehe (wie dies etwa der PaCS in Frankreich vorsieht) akzeptabel, wenn nicht zugleich die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet würde.
Lesben und Schwule haben sicherlich nichts dagegen, dass Ehe und Lebensgemeinschaft rechtliche Verbesserungen erfahren, dass auch jene Rechte und Ansprüche „individualisiert“, also nicht an das Vorhandensein einer Partnerin/eines Partners geknüpft werden, wo dies möglich ist. Aber es gibt halt Rechte, die per definitionem das Vorhandensein einer Partnerin/eines Partners voraussetzen. Nachdem sich die Formen des Zusammenlebens in den letzten 30 Jahren radikal verändert und die Menschen den ideologischen Ballast der Ehe abgeworfen haben, eignet sie sich heute nicht mehr für Glaubenskriege. Mit dem Versuch, die Ehe ausgerechnet in Zusammenhang mit der Forderung nach Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften krampfhaft wieder zu re-ideologisieren, torpediert man letztlich nur die Gleichberechtigung aller Menschen.