Österreich wegen § 209 in Straßburg verurteilt: Moralischer Super-GAU für Schüssel, Khol & Co.
Am 9. Jänner 2003 veröffentlichte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)1 in Straßburg seine beiden Urteile über drei Beschwerden gegen § 209 StGB: L. und V. gegen Österreich (Nr. 39392/98 und 39829/98) und S. L. gegen Österreich (Nr. 45330/99). § 209 verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 14 in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privatlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), stellte der siebenköpfige Senat einstimmig fest und sprach den Beschwerdeführern Schaden- und Kostenersatz zu. Der Senat setzte sich aus vier Richterinnen (Françoise Tulkens, Belgien, Nina Vajić, Kroatien, Snejana Botutscharowa, Bulgarien, Elisabeth Steiner, Österreich) und drei Richtern (Anatoly Kovler, Rußland, Giovanni Bonello, Malta, Christos Rozakis, Griechenland) zusammen.
Die Entscheidung hat nicht überrascht: Zum einen war schon im Juli 1997 die Europäische Menschenrechtskommission in der Beschwerde Euan Sutherlands gegen das höhere Mindestalter im Vereinigten Königreich (Nr. 25186/94) zur Ansicht gelangt, daß unterschiedliche Mindestaltersgrenzen für hetero- und homosexuelle Handlungen eine Verletzung der EMRK darstellen (vgl. LN 1/1998, S. 50 f). Diese Beschwerde kam nie vor den Gerichtshof, weil die britische Regierung sich bereit erklärte, ohne Anrufung des Gerichtshofs der Entscheidung der Kommission Folge zu leisten. 1999 wurde im Zuge der Reform der Menschenrechtsorgane des Europarats die Kommission abgeschafft und der EGMR in einen permanenten Gerichtshof umgewandelt, dem je ein/e Richter/in aus den 44 Mitgliedsstaaten angehören und der nunmehr direkt mit allen Beschwerden befaßt wird. Zum anderen wäre es sehr merkwürdig gewesen, hätte der EGMR § 209 nicht als Konventionsverletzung qualifiziert, nachdem der österreichische Verfassungsgerichtshof die Sonderbestimmung bereits als verfassungswidrig aufgehoben hatte (vgl. LN 3/2002, S. 14 ff, Special S. IV ff, sowie S. VIII f).
Opfer homophober Staatsgewalt
Da § 209 nicht mehr existiert, haben die Urteile der Straßburger RichterInnen keine direkten Auswirkungen mehr auf die Rechtslage. Von unmittelbarer Bedeutung sind sie für alle Beschwerdeführer, denen der EGMR nun Entschädigung durch die Republik Österreich zugesprochen hat. Darüber hinaus sind die Urteile natürlich eine moralische Rehabilitierung aller rund 1200 Personen, die seit 1971 nach dieser menschenrechtswidrigen Bestimmung verfolgt wurden, aber für sie gibt es keine unmittelbare Entschädigung. Die HOSI Wien wiederholte dann auch in ihrer Presseaussendung am 9. Jänner die Forderung nach Entschuldigung der Republik bei den Opfern der staatlichen Lesben- und Schwulenverfolgung im 20. Jahrhundert und Entschädigung für alle Betroffenen – ein diesbezüglicher detaillierter Forderungskatalog wurde ja im Vorjahr auf der Generalversammlung beschlossen (vgl. LN 2/2002, S. 12 f).
Nie dagewesenes moralisches Desaster
Für Wolfgang Schüssel, Andreas Khol und die gesamte ÖVP sind die beiden Urteile ein moralisches Desaster der Sonderklasse, wie es bisher einzigartig in der Geschichte der Zweiten Republik ist. Denn sie haben § 209 noch in verblendeter Volkssturm-Manier verteidigt, als allen und auch ihnen schon längst klar war, daß er nicht mehr zu halten ist und es für sie keinen Endsieg in dieser Frage geben kann. Wider besseres Wissen haben sie bis zum bitteren Ende bewußt und billigend das Leid dutzender Menschen in Kauf genommen, nur weil sie nicht wahrhaben und zugeben wollten, daß sie jahrzehntelang geirrt und unrecht hatten. Bewußt haben sie es darauf angelegt, § 209 so lange formal aufrechtzuerhalten und damit die Menschenrechte von Homosexuellen mit Füßen zu treten, solange es nur irgendwie ging. Koste es, was es wolle. Ihnen war dabei egal, wie viele Leute sie damit noch ins Unglück stürzen würden. Sie wären auch über Leichen gegangen – und wahrscheinlich sind sie es auch, denn es ist davon auszugehen, daß sich auch Leute umgebracht haben, weil sie die Verfolgung nicht mehr ertragen konnten.
Noch am Tag nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs hatte Schüssel erklärt, er könne sich weiterhin ein unterschiedliches Mindestalter vorstellen, „sofern dies sachlich begründet ist“ – denn der VfGH hatte sich ja bekanntlich um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung gedrückt und § 209 „nur“ wegen der sogenannten wechselnden Strafbarkeit aufgehoben, die durch § 209 bei entsprechender Alterskonstellation der beiden Partner entstand. Ins gleiche Horn stieß auch Khol noch nach dem VfGH-Spruch in einem Interview in profil (# 28 vom 8. Juli 2002), in dem er seine bisherige Haltung damit rechtfertigte, der VfGH habe ja ausdrücklich keine generelle Gleichheitswidrigkeit festgestellt. Auch damals weit und breit keine Spur von Einsicht.
Nun hat der EGMR ihnen und den feigen Gesellen des VfGH diese Begründung nachgeliefert – § 209 ist eine menschenrechtswidrige Diskriminierung – und dennoch kam den beiden kein Wort der Entschuldigung oder des Bedauerns über die Lippen. Schüssel und Khol ist es völlig wurscht, daß hauptsächlich ihretwegen hunderte Menschen ins Gefängnis kamen, viele ihre Jobs verloren haben, diesen mitunter die bürgerliche Existenz zerstört wurde. In ihrer zutiefst unmenschlichen, starrsinnigen und rechthaberischen Anmaßung setzen sich Schüssel und Khol über ihre Schuld hinweg, anstatt umzudenken, Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen und Zeichen der Besserung zu setzen. Allein wegen ihrer schäbigen und verachtenswerten Haltung in dieser Sache gehören diese beiden Politiker für mich zu den widerwärtigsten, ekelhaftesten und verabscheuungswürdigsten Figuren der Innenpolitik. In dieser Sache hat sich ihre wahre Natur und ihr mieser Charakter gezeigt. Da sieht man, wie entlarvend Homophobie sein kann.
Straßburg ehrlicher
Straßburg hat sich in Sachen gleiche Rechte für Lesben und Schwule auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber im Gegensatz zu Schüssel und Khol hat der Gerichtshof wenigstens die Größe, Fehler indirekt einzugestehen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Zwischen 1975 und 1997 (bis zur vorhin erwähnten Beschwerde Sutherland gegen das Vereinigte Königreich) hatte die Europäische Menschenrechtskommission alle Beschwerden gegen unterschiedliche Mindestaltersgrenzen für nicht zulässig erklärt, weil sie darin keine Verletzung der EMRK sehen wollte. Diese Beschwerden betrafen verschiedene Länder, 1992 und noch 1995 wurden auch 209er-Beschwerden als unzulässig abgewiesen: Z. gegen Österreich, Nr. 17279/90 (vgl. LN 3/1992, S. 28), bzw. H. F. gegen Österreich, Nr. 22646/93 (vgl. LN 4/1995, S. 25 ff). Letztere Entscheidung – es ging um den Fall des ehemaligen Kärntner ORF-Landesintendanten Heinz Felsbach – war damals schärfste Munition in Khols Händen, die er in der politischen Auseinandersetzung um die Aufhebung des § 209 genüßlich einsetzte. Die HOSI Wien kritisierte damals die Menschenrechtskommission in einer Presseaussendung heftig und protestierte in Briefen an deren Präsidenten und den stellvertretenden Generalsekretär des Europarats, den Österreicher Peter Leuprecht (eine ausführliche Darstellung findet sich in den erwähnten Berichten in den LN 4/1995 und 1/1998). Vermutlich war unser Protest nicht unwesentlich für das Umdenken in der Kommission bei der nächsten Gelegenheit, nämlich als sie zwei Jahre später in der Beschwerde Sutherland auf Verletzung der EMRK erkannte.
Jedenfalls hat der Gerichtshof in seinen jetzigen Urteilen auf die früheren negativen Entscheidungen der Kommission, auf die sich natürlich die Bundesregierung in ihrer Verteidigung berufen hat, bezug genommen und dazu festgestellt: „Der Gerichtshof hat jedoch bereits des öfteren festgestellt, daß die Konvention ein lebendiges Instrument ist, das im Lichte der jeweils aktuellen Voraussetzungen auszulegen ist.“2 In Abwandlung eines berühmten Khol-Ausspruchs könnte man also sagen: Auch die Menschenrechte sind eine Tochter der Zeit.
Konservativer Gerichtshof
Der Gerichtshof bekennt sich – im Gegensatz zu Schüssel & Khol – also dazu, daß man in solchen Fragen gescheiter werden und die Meinung ändern kann – und gesteht damit natürlich indirekt frühere Fehlentscheidungen ein. Und von solchen muß man in diesem Zusammenhang trotz allem sprechen, denn mag die Konvention wohl ein lebendiges Instrument sein – die Menschenrechte an sich sollten immer und überall im vollen Umfang gelten. Die jetzigen Urteile des Gerichtshofs waren auf alle Fälle längst überfällig und sind sicherlich keine revolutionäre Entscheidung, bedenkt man, daß unter allen 44 Mitgliedsstaaten des Europarats heute nur mehr drei Länder generell unterschiedliche Mindestaltersgrenzen haben (Albanien, Bulgarien und Portugal) und weitere zwei unter besonderen Umständen (Irland bei bestimmten sexuellen Handlungen; Griechenland bei „Verführung“). Wie schon seinerzeit beim Urteil, ein Totalverbot der Homosexualität verstoße gegen die EMRK, steht der Gerichtshof hier am Ende einer Entwicklung, statt sie zu fördern.3 Der jetzige Spruch des EGMR wird keine derartige europaweite Wirkung mehr entfalten können, wie dies das Dudgeon-Urteil aus 1981 dann doch noch vermochte.
Kritik am VfGH und Nationalrat
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wenn der Gerichtshof in seinen jetzigen Urteilen – Randnummer 51 (43) – mit kritischem Unterton anmerkt, daß das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs aus 1989, auf das sich die Bundesregierung zu ihrer Verteidigung ebenfalls stützte, bereits 1995 durch die Expertenanhörung im Justizunterausschuß des Nationalrats (am 10. Oktober, vgl. LN 4/1995, S. 25 ff), bei der sich neun der elf angehörten ExpertInnen vorbehaltlos für die Aufhebung des § 209 ausgesprochen hatten, „überholt“ gewesen sei, während die Menschenrechtskommission im Juni 1995 selbst noch eine Beschwerde gegen § 209 abgewiesen hatte. Aber immerhin: Ihr standen die späteren Expertenmeinungen im Gegensatz zum Nationalrat nicht zur Verfügung. Diese Feststellung ist auch eine Ohrfeige für den Verfassungsgerichtshof, der sich ja bekanntlich im November 2001 weigerte, seine längst „überholte“ Entscheidung aus 1989 zu revidieren (vgl. LN 1/2002, S. 6 f). Der EGMR kritisiert auch den Nationalrat – ebenfalls in Randnummer 51 (43) –, weil dieser „trotz seiner Kenntnis dieser Veränderungen im wissenschaftlichen Zugang zu dieser Frage im November 1996 entschied, § 209 im Strafgesetzbuch zu belassen“.
Keine neue Rechtsprechung
Die jetzigen Urteile waren, wie gesagt, zu erwarten und bringen auch keine grundsätzliche Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Die RichterInnen haben sich auf bestehende Rechtsprechung berufen und diese untermauert, etwa – in Randnummer 45 (37) – daß Artikel 14 der EMRK „sexuelle Orientierung“ umfasse, obwohl diese dort nicht ausdrücklich als Schutzkategorie aufgelistet ist. Eine Feststellung, die der Gerichtshof zum erstenmal im Dezember 1999 im Urteil in der Rechtssache Salgueiro da Silva Mouta gegen Portugal getroffen hatte (Beschwerde Nr. 33490/96 betreffend das Sorgerecht eines schwulen Vaters über seine Tochter; vgl. LN 1/2000, S. 29). Außerdem betonte der EMRK neuerlich (in derselben Randnummer), daß – bei allem Ermessensspielraum, den die Staaten bei der unterschiedlichen Behandlung gleicher oder ähnlicher Situationen haben – Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung besonders schwerwiegende Rechtfertigungsgründe voraussetze. Diese Feststellung hatte der Gerichtshof bereits im Urteil in der Sache Smith und Grady gegen das Vereinigte Königreich im September 1999 getroffen (Beschwerden Nr. 33985/96 und Nr. 33986/96 betreffend Berufsverbot für Lesben und Schwule in der britischen Armee, vgl. LN 4/1999, S. 30 ff) – und im Juli 2000 in der Sache A.D.T. gegen das Vereinigte Königreich (Beschwerde Nr. 35765/97 betreffend Totalverbot homosexueller Handlungen, wenn mehr als zwei Personen daran beteiligt sind; vgl. LN 4/2000, S. 53 f). Bemerkenswert – und neu – ist jedoch, daß der Gerichtshof diesmal einen direkten Vergleich mit der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts zog, denn vollständig lautet der Satz: „Genau wie bei unterschiedlicher Behandlung aufgrund des Geschlechts bedarf es zur Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung besonders schwerwiegender Gründe.“
Nach gängiger Rechtsprechung des EGMR stellt eine Ungleichbehandlung eine Diskriminierung und damit eine Konventionsverletzung dar, wenn sie sachlich nicht begründet ist, d. h. keinen legitimen Zweck verfolgt, und wenn keine vertretbare Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel gegeben ist. In bezug auf § 209 stellt der Gerichtshof in seinen Urteilen abschließend in der Randnummer 53 (45) eher lapidar und lakonisch fest, daß „die Regierung keine überzeugenden und schwerwiegenden Gründe vorgebracht hat, die eine Aufrechterhaltung des § 209 StGB rechtfertigen würde“.
Fast als süffisante „Draufgabe“ – oder auch als Sondernachhilfe für besonders renitente Begriffsstutzige – kann, ja muß man die Bemerkung des Gerichtshofs in der Randnummer 52 (44) lesen: „Soweit § 209 StGB bloß Vorurteile gegen eine homosexuelle Minderheit seitens einer heterosexuellen Mehrheit verkörpert hat, können solche negativen Haltungen für sich allein genauso wenig vom Gerichtshof als eine ausreichende Rechtfertigung für Ungleichbehandlung betrachtet werden wie ähnliche negative Einstellungen gegenüber Menschen wegen ihrer unterschiedlichen Rasse, ethnischen Herkunft oder Hautfarbe.“
Positive Ausgangslage für § 207b
Während es sich bei den Beschwerdeführern L. und V. um zwei erwachsene Männer handelt, die nach § 209 zu bedingten Haftstrafen auf Bewährung verurteilt worden sind und keine Gefängnisstrafe absitzen mußten (ihnen sprach der Gerichtshof im übrigen je € 15.000,– Entschädigung sowie den Ersatz von Verfahrenskosten in der Höhe von € 10.633,53 bzw. € 6.500,– zu), handelt es sich bei S. L. um einen bei der Einbringung der Beschwerde 17jährigen, der geltend machte, ihn würde § 209 in seiner Partnerwahl und damit in seinem Recht auf Privatleben einschränken. Schließlich würden sich potentielle Partner über 19 Jahre strafbar machen. Daß auch S. L. vom Gerichtshof recht bekommen hat und diese Einschränkung seiner sexuellen Möglichkeiten als Verletzung seiner Grundrechte anerkannt wurde (inhaltlich und rechtlich sind die Ausführungen des EGMR, wie gesagt, wortident wie im Urteil in der Sache L. und V.), ist in Hinblick auf § 207b, der Nachfolgeregelung zu § 209, bedeutsam. Der Gerichtshof hat damit eindeutig festgestellt, daß Jugendliche ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung haben – er sprach S. L. auch € 5.000,– Entschädigung zu, weil die Republik Österreich dieses Recht verletzt hat. Man kann daher wohl davon ausgehen, daß der Gerichtshof es nicht akzeptieren wird, wenn wildgewordene Erziehungsberechtigte oder Behörden 14- bis 15jährigen gegen ihren Willen dieses Recht auf sexuelle Selbstbestimmung absprechen wollen, indem diese für unreif erklärt werden oder weil der Altersunterschied zu ihren PartnerInnen größer ist, als Eltern und RichterInnen recht ist.
Letzter 209er-Häftling im Gefängnis gestorben
Auf geradezu groteske Art und Weise haben auch in den letzten Monaten manche Gerichte, die eine Verhandlung offenbar mit einer schwarzen Messe verwechseln, noch versucht, § 209 zum untoten Gesetzes-Wiedergänger zu machen (vgl. dazu auch unseren Bericht in den letzten LN, S. 6 ff). Am 3. Dezember 2002 bestätigte etwa das Oberlandesgericht Wien in einer Berufungsverhandlung noch eine bedingte Freiheitsstrafe von drei Monaten, die von der ersten Instanz zu einer Zeit verhängt worden war, als der § 209 noch bestand!
Als wollte sich das ganze Unrecht des § 209 noch einmal in all seiner Dramatik manifestieren – dieser Eindruck drängt sich angesichts des Schicksals des letzten 209er-Häftlings auf. Kurz vor Weihnachten starb er an den Folgen einer Operation – aber in Haft. Er war im Dezember 2001 vom Landesgericht Korneuburg nach § 209 für unbestimmte Zeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Im August 2002 hatte sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft Wien seine Freilassung beantragt. Das Landesgericht Wien lehnte die Anträge ab. So starb Österreichs letzter §-209-Häftling vier Monate nach endgültiger Aufhebung des § 209 in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.
Danke, Wolfgang Schüssel! Danke, Andreas Khol! Danke, Dieter Böhmdorfer! Danke, ÖVP! Danke, FPÖ! Danke, Verfassungsgerichtshof! Danke, österreichische Justiz!
Fußnoten:
1 Nicht zu verwechseln mit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, auch Europäischer Gerichtshof genannt) in Luxemburg – wie dies anläßlich der Berichterstattung über die 209er-Fälle auch die selbster- und sogenannten Qualitätszeitungen der Standard und die Presse taten!
2 Randnummer 47 im Urteil in der Sache L. und V. gegen Österreich. Im Urteil in der Sache S. L. gegen Österreich findet sich diese Passage in der Randnummer 39. Der Gerichtshof hat hier im „Cut-and-paste“-Verfahren Textbausteine seiner Entscheidungen wortident wiederverwendet. Im folgenden beziehen sich die Randnummern auf das Urteil in L. und. V. gegen Österreich, in Klammern auf jene in S. L. gegen Österreich. Die deutschen Übersetzungen sind inoffiziell und stammen vom Autor dieser Zeilen.
3 Als 1981 der Gerichtshof in der Beschwerde Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich feststellte, das Totalverbot homosexueller Handlungen in Nordirland sei eine Verletzung der EMRK, hatten auch nur mehr vier Europaratsmitglieder ein solches Totalverbot: Irland, Liechtenstein, Zypern sowie diverse britische Territorien. Zuvor hatte Straßburg jahrzehntelang Beschwerden gegen ein Totalverbot aus verschiedenen Ländern abgewiesen. Die Dudgeon-Entscheidung wurde allerdings, muß man fairerweise hinzufügen, später sehr relevant, als der Ostblock zerfiel und weitere Staaten dem Europarat beitreten wollten. So kam es, daß nach diesem Urteil noch 23 jetzige Europaratsstaaten (bzw. Territorien von Mitgliedsstaaten) ein Totalverbot abschafften, nicht zuletzt auch, um dem Europarat beitreten zu können: Albanien, Aserbaidschan, Armenien, Bermuda, Bosnien-Herzegowina (Muslimisch-Kroatische Föderation und Republika Srpska), Estland, Georgien, Gibraltar, Guernsey, Irland, Jersey, Lettland, Liechtenstein, Litauen, (Insel) Man, Mazedonien, Moldova, Nordirland, Rumänien, Rußland, Ukraine und Zypern. Irland und Zypern taten dies erst, nachdem sie ebenfalls von Straßburg verurteilt worden waren (Beschwerde Norris 1988 bzw. Modinos 1993). Überdies haben seither zwei Staaten, die nicht dem Europarat angehören, ein Totalverbot aufgehoben: Belarus und Serbien.