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Verfassungswidrigkeiten

Veröffentlicht am 13. Januar 2006
Schon vor Einführung der eingetragenen Partnerschaft in Österreich im Jahr 2010 wurde der Verfassungsgerichtshof mit Beschwerden gegen die Ungleichbehandlung von verschieden- und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften befasst. Zu jener Zeit war die Rechtsprechung des VfGH sehr konservativ und homophob. Aufgrund der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde der VfGH aber gezwungen, für die Gleichstellung zu entscheiden, wie ich in den LN 1/2006 anhand eines Falles zeigte.

Am 10. November 2005 veröffentlichte der Verfassungsgerichtshof sein ein Monat zuvor gefälltes Erkenntnis in einer Beschwerde gegen Bestimmungen im Sozialversicherungsrecht, wonach nur verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen bei der gesetzlichen Sozialversicherung des Partners bzw. der Partnerin mitversichert werden können. Der VfGH hob diese Bestimmungen als verfassungswidrig auf.

Mit dieser Entscheidung hatte die HOSI Wien gerechnet, und so zeigte sich Obfrau BETTINA NEMETH in einer Presseaussendung am selben Tag auch wenig überrascht: „Seit der richtungsweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Juli 2003 in der von der HOSI Wien mitbetreuten Beschwerde Karner gegen Österreich ist klar gewesen, dass jedwede Diskriminierung von gleich- gegenüber verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt.“

In der damaligen Mietrechtssache hatte der EGMR ausdrücklich festgestellt, dass eine rechtliche Differenzierung aufgrund des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung nur dann keine Verletzung der EMRK darstelle, wenn von Seiten des Gesetzgebers „schwerwiegende“ Gründe für eine solche Differenzierung ins Treffen geführt werden können. Da es bei sämtlichen relevanten Rechtsbereichen jedoch faktisch ausgeschlossen ist, solche „schwerwiegenden“ Gründe zu finden, war für die HOSI Wien seit Juli 2003 klar, dass gleich- und verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen in allen Bereichen dieselben Rechte haben müssen.

 

ÖVP blieb untätig

„Die Bundesregierung hat die weitreichenden Konsequenzen des EGMR-Urteils in der Beschwerde Karner allerdings bis heute ignoriert und ist untätig geblieben“, ergänzte Obmann CHRISTIAN HÖGL. „Die ÖVP will uns indes seit Herbst 2004 die Gleichstellung von Lebensgemeinschaften als ihre Variante der eingetragenen Partnerschaft und als große Errungenschaft verkaufen, wobei es bisher ohnehin bei einer bloßen Ankündigung geblieben ist. Nur: Das ist eine Mogelpackung, denn zur völligen rechtlichen Gleichstellung der Lebensgemeinschaften ist Österreich nach dem denkwürdigen Karner-Urteil Straßburgs und dem jetzigen VfGH-Erkenntnis ohnehin verpflichtet. Wir fordern die Bundesregierung daher dringend auf, zumindest die Lebensgemeinschaften in allen relevanten Rechtsbereichen auch formal jetzt endlich gleichzustellen, damit sich Lesben und Schwule weitere Beschwerden an den VfGH und diesem damit Arbeit ersparen können – und die SteuerzahlerInnen weitere Kosten für Entschädigungen an die Betroffenen. – Von ÖVP/BZÖ erwarten wir ohnehin keine Angleichung der Rechte an die Ehe.“

 

Republik wirft das Handtuch

Höchst peinlich ist die Sache auch wieder für den Verfassungsgerichtshof, der jetzt seine erst fünf Jahre alte Entscheidung korrigieren musste (siehe auch Que(e)rschuss auf S. 9). Im Juni 2000 hatte er eine ähnliche Beschwerde noch zurückgewiesen (B2116/98).

„Wir erwarten“, so die HOSI Wien abschließend in ihrer Aussendung vom November, „jetzt auch von der Bundesregierung, dass sie diese diskriminierenden Bestimmungen im Sozialversicherungsrecht in Straßburg nicht weiter verteidigt.“ Dort liegt nämlich seit drei Jahren die Beschwerde Nr. 18984/02, P. B. und J. S. gegen Österreich, jener von der HOSI Wien unterstützte und vom VfGH zurückgewiesene Fall. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung war Österreich aufgefordert worden, dem EGMR bis 13. Dezember 2005 Argumente für diese rechtliche Ungleichbehandlung vorzulegen. Das habe sich durch das VfGH-Erkenntnis nun wohl erübrigt, stellte die HOSI Wien fest.

Und in der Tat hat die Republik Österreich in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme am 28. November 2005, die eigentlich eine Nichtstellungnahme ist, mitgeteilt, dass der „VfGH mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2005 unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 24. Juli 2003, Karner gegen Österreich, als verfassungswidrig/gleichheitswidrig aufgehoben hat und dass diese Aufhebung mit Ablauf des 31. Juli 2006 in Kraft tritt.“ Weiters schreibt die Republik Österreich an den EGMR: „Vor dem Hintergrund, dass der im vorliegenden Menschenrechtsbeschwerdeverfahren maßgebliche § 56 Abs. 6 B-KUVG eine Parallelbestimmung zu den beiden aufgehobenen Bestimmungen darstellt, nimmt die österreichische Prozessvertretung von einer Stellungnahme Abstand. Es wird derzeit geprüft, in welcher Form eine sachgerechte Neuregelung der Mitversicherung für in Hausgemeinschaft lebende und haushaltsführende Personen erfolgen kann.“

Anmerkung: Der VfGH hob die entsprechenden Bestimmungen im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) und im Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) auf. Die in Straßburg anhängige Beschwerde betrifft eine analoge Bestimmung im Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG).

Und schließlich äußert sich die Republik zu einem Vergleich mit den Beschwerdeführern: „Hinsichtlich der Frage der Vergleichsbereitschaft betreffend die Menschenrechtsbeschwerde P. B. und J. S. gegen Österreich teilt die österreichische Prozessvertretung entsprechend der Einladung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. September 2005 grundsätzliche Vergleichsbereitschaft mit und ersucht den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags.“

Diese Stellungnahme hat der EGMR den Beschwerdeführern bzw. deren Wiener Anwalt Josef Unterweger zur Stellungnahme bis 12. Jänner 2006 übermittelt. Schon am 20. Dezember 2005 teilte der Anwalt nach Rücksprache mit den Beschwerdeführern dem EGMR mit, dass die von der Bundesregierung am 28. November übermittelte Stellungnahme dem Eingeständnis einer Konventionsverletzung gleichkomme. Da dieser Fall jedoch von grundsätzlicher Bedeutung ist, wäre ein Urteil auch für andere Personen, die einer menschenrechtswidrigen Ungleichbehandlung ausgesetzt sind, relevant. Deshalb lehnen die Beschwerdeführer einen Vergleich ab und ersuchen den EGMR, er möge in der Sache entscheiden.

Es wird wohl noch ein, zwei Jahre dauern, bis der EGMR sein Urteil fällen wird, aber mit einer Bestätigung der Entscheidung in der Karner-Beschwerde ist zu rechnen. Wie die HOSI Wien schon im Juli 2003 festgestellt hat, bedeutet dieses Urteil, dass gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in allen Rechtsbereichen mit verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gleichzustellen sind. Regierung, Parlament und Gerichte sind einmal mehr aufgefordert, dies um- bzw. durchzusetzen. Gleichgeschlechtliche LebensgefährtInnen, denen Rechte verwehrt werden, über die verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen bereits verfügen, sollten sich daher unbedingt dagegen wehren und den Rechtsweg durch alle Instanzen beschreiten. Sie haben hundertprozentige Chancen, letztlich – und sei es erst in Straßburg – zu obsiegen. Die HOSI Wien vermittelt gerne kompetente AnwältInnen für derartige Verfahren.

 

Nachträgliche Anmerkung: 

Es sollte dann noch viereinhalb Jahre dauern, bis der EGMR sein Urteil in der Beschwerde Nr. 18984/02, P. B. und J. S. gegen Österreich, fällte. Wie erwartet, bekamen die beiden Beschwerdeführer recht (vgl. LN 3/2010, S. 21).