Russland: Kein Pride in Moskau?
Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow hat offenbar nichts gelernt aus den Niederlagen, die die Behörden in Chișinău, Riga, Warschau oder Posen gegen die Lesben- und Schwulenorganisationen hinnehmen mussten, die sich vor Gericht erfolgreich gegen die Verbote ihrer Pride-Paraden zur Wehr gesetzt haben. Unbeeindruckt und verdrossen kündigte er an, die im Rahmen des fünftägigen schwul-lesbischen Festivals „Moscow Pride 06“ am 27. Mai geplante Parade nicht zu genehmigen. Er begründet seine Ablehnung mit der negativen Einstellung der Bevölkerung. Unterstützung erhielt er seitens verschiedener Glaubensgemeinschaften: Sowohl der russisch-orthodoxe Patriarch, der muslimische Groß-Mufti als auch der jüdische Oberrabbiner von Moskau sprachen sich vehement gegen die Parade aus. Groß-Mufti Talgat Tadschuddin rief sogar dazu auf, die ParadenteilnehmerInnen gewaltsam von der Straße zu prügeln.
Um gegen die Nichtgenehmigung der Parade zu protestieren, wurden am 2. März 2006 in London, Warschau, Paris, Stockholm, Krakau und Wien Kundgebungen vor russischen Botschaften und Konsulaten abgehalten. In Wien hatten die HOSI Wien und Grüne andersrum dazu aufgerufen.
„Wir haben ein Schreiben für Botschafter Stanislaw Ossadtschij übergeben“, berichtete HOSI-Wien-Obmann CHRISTIAN HÖGL in einer Medienaussendung nach der Aktion. „Darin fordern wir Präsident Wladimir Putin und die russische Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die Parade im Rahmen des Festivals Moscow Pride 06 wie geplant stattfinden kann – wenn nötig durch Ausübung entsprechenden Drucks auf Bürgermeister Luschkow.“
„Es ist einfach völlig inakzeptabel, dass einer Minderheit die demokratischen Grundrechte abgesprochen werden“, erläutert HOSI-Wien-Obfrau BETTINA NEMETH. „Die Menschenrechte gelten für alle, auch wenn es der Mehrheit nicht passt. Es darf in Europa einfach nie wieder geschehen, dass Minderheiten aufgrund von Entscheidungen der Mehrheit ihrer Grundrechte beraubt werden! Die Versammlungsfreiheit von Lesben und Schwulen einzuschränken ist eine klare Menschenrechtsverletzung.“
Eine Demonstration mit dem Hinweis zu verbieten, man könne nicht für die Sicherheit der Demonstranten garantieren, wäre gleichfalls eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. 1988 war in einem einschlägigen Fall Österreich in Straßburg verurteilt worden, weil es mit einer solchen Begründung eine Kundgebung untersagte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte ausdrücklich klar, dass ein Staat verpflichtet ist, das Recht aller BürgerInnen, sich friedlich zu versammeln, zu gewährleisten. Der Staat hat eine friedliche Demonstration vor GegendemonstrantInnen zu schützen, anstatt die Demonstration zu untersagen.
„Abgesehen davon wäre es ein ausgesprochenes Armutszeugnis für eine Weltmacht wie Russland, wenn es nicht in der Lage wäre, einige tausend friedliche DemonstrantInnen vor einem gewalttätigen Mob zu schützen, geben wir in unserem Brief an den Botschafter zu bedenken“, erklärte Högl weiter. „Sollte das wirklich nicht möglich sein, müsste wohl der russische Innenminister konsequenterweise seinen Rücktritt erklären.“
„Außerdem haben wir in unserem Schreiben eine Einladung an Luschkow zur Regenbogenparade in Wien am 1. Juli 2006 ausgesprochen, damit er dabei sein kann, wenn wieder über 100.000 Menschen – Lesben, Schwule, Transgender-Personen, ihre Familien und Freunde sowie viele andere heterosexuelle SympathisantInnen – mit viel Freude und Spaß die Vielfalt der Menschen ausgelassen feiern“, ergänzte Nemeth.
Anmerkungen:
Mehr Fotos von der Demo am 2. März 2006 finden sich hier.
Juri Luschkow (* 1936) starb 2019 in München.