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Beitrag im deutschen Magazin zum CSD 06

Solidarität ist eine Tugend

Veröffentlicht am 1. Mai 2006
Für das offizielle Magazin mehrerer deutscher CSDs – CSD 06 – steuerte ich zwei Beiträge bei, darunter diese „globale Würdigung" des internationalen Lesben- und Schwulenverbands ILGA.

Die ILGA, die International Lesbian and Gay Association, ist für Lesben und Schwule die wichtigste Menschenrechtsorganisation: heute nötiger denn je.

In 75 der weltweit knapp 200 Staaten besteht auch heute noch ein Totalverbot von Homosexualität, in neun Ländern werden einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen mit der Todesstrafe geahndet. Oft wird in unseren Breiten – gerade auch in CSD-Zeiten, wenn wieder Millionen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen selbstbewusst und stolz durch die Straßen ziehen – „übersehen“ oder „vergessen“, wie es unseren Schwestern und Brüdern in anderen Teilen der Welt geht.

Und dort liegt auch eine der Antworten auf die „Sinnfrage“, die viele junge Lesben und Schwule heute oft stellen: Wozu braucht man überhaupt noch die Lesben- und Schwulenbewegung? Heute werde man ja ohnehin kaum mehr diskriminiert, sei eh alles so toll. Ein Blick über den Tellerrand genügte, um festzustellen, dass das nicht überall der Fall ist. Internationale Solidarität ist daher weiterhin die wichtigste Tugend. Und noch nie ist sie für jede/n einzelne/n so einfach leistbar gewesen wie heute – dank unserer globalisierten Welt.

Immer mehr internationale Organisationen engagieren sich heute im Kampf gegen die Unterdrückung und Verfolgung von Lesben, Schwulen und Transgendern – neben den „einschlägigen“ Verbänden mittlerweile auch Mainstreamorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch. Unter den internationalen GLBT-Organisationen, die politisch arbeiten, ist die 1978 gegründete International Lesbian and Gay Association (ILGA) die älteste und wohl bekannteste. Sie ist auch der einzige Dachverband, der aus Mitgliedsorganisationen besteht – aktuell sind es rund 500 auf allen Kontinenten.

Die unvergleichliche Stärke der ILGA liegt denn auch in ihrer basisdemokratischen Graswurzel- und Netzwerkstruktur, die ihre alle zwei Jahre stattfindende Weltkonferenzen auch zu einem einmaligen Forum machen, auf dem sich AktivistInnen aus der ganzen Welt austauschen, sich Anregungen holen und Kontakte knüpfen können. Die Stärkung und Solidarität lokaler oder nationaler Gruppen sind dabei ebenso wichtig wie das Anstoßen und Fördern bilateraler Kooperationen.

Aber natürlich dienen ILGA-Konferenzen auch dazu, gemeinsam Strategien in Fragen von überregionaler oder globaler Bedeutung zu entwickeln, wie z. B. das Lobbying gegenüber den Vereinten Nationen.

Fragen von regionaler Bedeutung sind durch die bereits vor rund zehn Jahren eingeleitete Regionalisierung der ILGA in die einzelnen Regionen ausgelagert worden. Die am besten aufgestellte Region ist übrigens Europa, wo sich im Dezember 1996 die ILGA-Europa als erster Regionalverband gegründet hat. Gut entwickelt hat sich auch Lateinamerika, während Afrika leider ein sprichwörtlich dunkler Kontinent bleibt.* Der Grund für die unterschiedliche Entwicklung liegt in erster Linie im jeweiligen Potenzial an Ressourcen – personell wie finanziell. Da die ILGA als Weltverband nur über sehr beschränkte geldliche Möglichkeiten verfügt, kann sie den Verbänden in den weniger begünstigten Regionen auch nur begrenzt unter die Arme greifen.

Wie bei allen wirklich nachhaltigen Strukturen liegt auch bei der ILGA die Stärke in ihrer kontinuierlichen und konsequenten Knochenarbeit und weniger in spektakulären Einzelaktivitäten, wiewohl auch die ILGA auf herausragende Erfolge verweisen kann. Etwa die Streichung von „Homosexualität“ aus dem offiziellen Krankheitenregister der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 1990 oder die unübersehbare Präsenz bei wichtigen UNO-Konferenzen oder ILGA-Europas Beraterstatus beim Europarat. Wichtige noch zu verwirklichende Projekte sind u. a. die Verabschiedung einer UNO-Entschließung gegen die weltweite Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität oder die Wiedererlangung des NGO-Status bei der UNO. Die mühsame Sisyphusarbeit der ILGA und ihrer Mitglieder, Diskriminierung überall auf der Welt zu beseitigen und völlige Gleichstellung zu erreichen, wird wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

 

* Nachträgliche Anmerkung: Diese Formulierung, die mir nicht sonderlich gefällt, stammt vom Herausgeber. Ich hatte geschrieben: „während Afrika leider noch nicht richtig auf die Beine gekommen ist“. Ich habe übrigens auch immer „LSBT“ und nie „GLBT“ verwendet.