Seite wählen
  1. LAMBDA-Nachrichten
  2. Que(e)rschuss LN 3/2008

Lauter, Berufsschwuchteln!

Erschienen am 16. Mai 2008

Michael Konsel, Julian Khol, Heide Schmidt und rund 120 weitere Promis unterstützen die beeindruckende – allerdings zum falschen Anlass gestartete – Anti-Homophobie-Kampagne.

An und für sich wäre sie eine ganz tolle Kampagne gegen Homophobie – GERY KESZLERs Initiative www.berufsschwuchtel.org –, wäre der Anlass, die Bezeichnung „Berufsschwuchtel“, nicht so läppisch und der Auslöser, ein gewisser Herr Dimitrij Grieb, nicht so unbedeutend. Bei aller verständlichen persönlichen Gekränktheit Keszlers gäbe es ja genug weitaus triftigere Gründe für eine solche Kampagne. Okay: Hätte Wolfgang Schüssel das gesagt, hätte sich die Kampagne wohl trotz des banalen Anlasses aufgedrängt – aber wegen eines Herrn Grieb, den und dessen geistig verwirrten Artikel vorher ohnehin kein Mensch kannte? Da hätte man ja gleich irgendeinen Hausmeister aus dem Gemeindebau in Kagran nehmen können…

Ich halte es daher für einen ziemlichen Wahnsinn, dass mit dieser Kampagne jetzt – wenn auch unbeabsichtigt – die Werbetrommel für Griebs Rechtsaußen-Kampfblatt gerührt wird, das bisher ohnehin bloß von nicht resozialisierbaren ewiggestrigen Dumpfbacken gelesen wurde – und vielleicht noch von ein paar hartgesottenen AntifaschistInnen zwecks „Feindbeobachtung“.

Einen ziemlich schalen Beigeschmack hat die Kampagne zudem durch den Umstand, dass sie erst gestartet wurde, als Keszler den Ehrenbeleidigungsprozess gegen Grieb in erster Instanz – zu Recht – verloren hatte (vgl. diese Kolumne in den letzten LN sowie den Leserbrief samt meine Reaktion darauf auf S. 4 in diesem Heft). Wenn man die Sache schon an Griebs Sager aufhängen will, hätte man die Kampagne durchführen sollen, ohne Grieb zu klagen, bzw. sollte Keszler wenigstens jetzt die Klage zurückziehen. Denn nun haftet der ganzen Sache der Hautgout der Urteilsschelte und der Stimmungsmache an, um auf die zweite Instanz Druck auszuüben, Grieb doch noch zu verurteilen. Diese wird sich – hoffentlich – dadurch nicht einschüchtern lassen, denn das durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung muss auch für Typen wie Grieb gelten. Dafür sollten auch wir Lesben und Schwule eintreten! Wie blöd und niederträchtig sein Geschreibsel auch ist, Blödheit und Niedertracht sind halt nun einmal kein Fall fürs Bezirksgericht – sonst stünde halb Österreich permanent vor dem Kadi.

Solidarität leicht gemacht

Aber natürlich ist es auch sehr praktisch, sich einen Gegner wie Herrn Grieb auszusuchen. Da müssen die A-, B- und C-Promis nicht lange überlegen, ob sie Solidarität mit Schwulen und Lesben demonstrieren wollen. Da macht man doch gerne mit! Dabei gäbe es genug weitaus bedeutsamere homophobe Auslassungen, die eine solche Kampagne viel eher rechtfertigen würden.

Etwa wenn Andreas Khol in der Presse vom 29. März 2008 die Homo-Ehe als einen „Anschlag auf Ehe und Familie“ bezeichnet. Sohn Julian Khol wäre viel glaubwürdiger, würde er diesem bescheuerten Kommentar seines Vaters öffentlich widersprechen, als sich jetzt ein „Berufsschwuchtel“-Ruderleiberl überzuziehen, um gegen ein irrlichterndes armes Würstchen zu protestieren, das einem ob seines beschränkten geistigen Horizonts höchstens Leid tun kann.

Berufs-Schwuchtel bei den Wiener Linien

Apropos Glaubwürdigkeit: Ein massives Problem mit dieser hat wohl auch Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner, die laut ihrem ganzseitigen (!) Testimonial in der Mai-Ausgabe von Wien live das Gerichtsurteil in der Sache Keszler gegen Grieb am liebsten mit dem geltenden Antidiskriminierungsgesetz bekämpfen möchte. Abgesehen davon, dass ein solches Gesetz nicht dazu da ist, das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken, sollte sich Brauner lieber darum kümmern, dass es in jenem Bereich durchgesetzt wird, für den es tatsächlich gilt, nämlich in der Arbeitswelt. Peinlich für Brauner, dass ausgerechnet zwei Wochen vor Veröffentlichung ihres herzergreifenden Statements bekannt wurde, dass die Kündigung eines homosexuellen Straßenbahnfahrers durch die Wiener Linien vom Arbeits- und Sozialgericht Wien als widerrechtlich aufgehoben worden war. Die Wiener Linien, bei denen übrigens laut Medienberichten ein Dienststellenobmann den Betroffenen unter vier Augen wissen habe lassen, „Schwuchteln wie di tun ma net pragmatisieren“, haben gegen dieses Urteil Berufung angekündigt…

Und da wäre auch Khols Nachfolger im Nationalratspräsidium, Michael Spindelegger (ÖVP), der die Trauung von Homo-Paaren am Standesamt deshalb ablehnt, weil diese dort – igitt! – heterosexuellen Paaren über den Weg laufen könnten. Wo bleibt da der „Sturm der Entrüstung“, der sich laut „Berufsschwuchtel“-Kampagne gegen Griebs Spruch und Freispruch erhob? Wo bleibt die Solidaritätskampagne heterosexueller Promi-Paare: „Wir haben keine Berührungsängste vor homosexuellen Paaren am Standesamt!“? Und wann zieht sich Thomas Schäfer-Elmayer ein T-Shirt gegen die römisch-katholische Kirche an, auf dem steht: „Lieber mit den Schwulen in ewiger Verdammnis in der Hölle als mit Heteros im Himmel!“?

Aber mit der ÖVP und der Kirche legt man sich besser nicht an! Das ist zu heikel. Dann lieber gegen Grieb und Konsorten, auch wenn deren Bedeutung bei der Unterdrückung von Lesben und Schwulen im Vergleich zur ÖVP und Kirche nur dem berühmten „Lercherlschas“ gleichkommt. Das kostet nichts. So billig kann man selten für die gute Sache eintreten und sein Gewissen beruhigen, muss man doch niemandem, der wirklich Macht hat, auf die Zehen steigen. Ob Gery Keszler bewusst ist, dass seine Kampagne massiv von unseren tatsächlichen Feinden ablenkt und Schwule und Lesben hier kollektiv in eine Opferrolle drängt, die in keinem Verhältnis zum lächerlichen Anlass steht – und der auch nicht durch die Kampfrhetorik dramatischer wird, jetzt könne man endlich Flagge gegen „Diskriminierung“ und „Willkür“ (!) zeigen. Geh bitte – könnte man vielleicht die Kirche im Dorf lassen!

Jedenfalls beweist die Kampagne, wie schnell man ein – vermeintlich – negativ besetztes Wort in ein positiv besetztes umwandeln kann. Genau das hat die Bewegung vor 30-40 Jahren auch mit dem Wort „schwul“ gemacht. Und das zeigt, wie recht ich mit meinem letzten Que(e)rschuss hatte, als ich meinte, man dürfe nicht zulassen, dass unsere GegnerInnen die Bedeutungsmacht über bestimmte Begriffe usurpieren. Wir müssen uns diese Definitionsmacht selber aneignen, und wie man das macht, hat Keszler mit seiner Kampagne beispielhaft vorgeführt! Zumindest davor Hut ab!

Im übrigen bin ich der Meinung, dass 25 Jahre rechte Mehrheit im Nationalrat und 22 Jahre ÖVP in der Regierung genug sind.*

* Dieser Satz soll ab jetzt, solange er zutrifft, das Ceterum censeo dieser Kolumne bleiben.

 

Que(e)rschuss LN 3/2008

Nachträgliche Anmerkung

Die Webseite berufsschwuchtel.org scheint inzwischen deaktiviert worden zu sein.

.